Kurzbeschreibung

Der Liberalismus der Aufklärung plädierte für einen freien Ideenmarktplatz. Deutsche Regierungen des 18. Jahrhunderts unternahmen große Schritte in diese Richtung, doch religiöse Gegenströmungen und später die Französische Revolution lösten eine strengere Zensur aus. Dieser Text zeigt die Mischung von Beweggründen, welche die Zensurmaßnahmen der österreichischen Regierung vorantrieben: politische, religiöse und kulturelle. Beachtenswert ist die Unterscheidung, akzeptabel sowohl für die Konservativen als auch für die Liberalen, zwischen Schriften, die nur für die gebildeten und vernunftbegabten Oberschichten als geeignet befunden wurden, und denjenigen, die man bedenkenlos den einfachen Leuten zur Verfügung stellen konnte.

„Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren“ (1810)

Quelle

Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren in Folge a. h. Entschließung vom 10. September 1810

Seine Majestät, unablässig bemüht das Wohl Aller und des Einzelnen auf jedem Wege zu befördern, überzeugt, daß die Verbreitung nützlicher Kenntnisse, die Vervollkommnung der Einsichten, verbunden mit der Veredlung der Gesinnungen, zu den vorzüglichsten Mitteln gehöre, ersteres zu bewirken; wohl wissend, das eine zweckmäßig geleitete Lese- und Schreib-Freiheit besonders geeignet sei, diese herbeizuführen; dabei aber ganz eingedenk der obersten Regenten- und Vaterspflichten, welche die intellectuelle und sittliche Bildung, wie die Sorge für den physischen Wohlstand umfassen, und es ebenso wenig gestatten, die Unterthanen am Geiste und Herzen, als an ihrem Körper verderben zu lassen, haben allergnädigst geruhet, folgende Grundsätze für die künftige Leitung des Censurwesens und als Maaßregel für das Benehmen der Censoren zu bestimmen. Kein Lichtstrahl, er komme woher er wolle, soll in Hinkunft unbeachtet und unerkannt in der Monarchie bleiben, oder seiner möglichst nützlichen Wirksamkeit entzogen werden: aber mit vorsichtiger Hand soll auch Herz und Kopf der Unmündigen vor den verderblichen Ausgeburten einer scheußlichen Phantasie, vor dem giftigen Hauche selbstsüchtiger Verführer, und vor den gefährlichen Hirngespinnsten verschrobener Köpfe gesichert werden.

§. 1. Bei den Beurtheilungen der Bücher und Handschriften muß vor allem genau unterschieden werden, zwischen Werken, welche ihr Inhalt und die Behandlung des Gegenstandes nur für Gelehrte und den Wissenschaften sich widmende Menschen bestimmt, und zwischen Broschüren, Volksschriften, Unterhaltungsbüchern und den Erzeugnissen des Witzes.

§ 2. Zu einem sogenannten gelehrten Werke qualificirt nicht der Umfang des Buches, sondern die Wichtigkeit und Beschaffenheit des behandelten Gegenstandes, und die Art der Behandlung derselben.

§ 3. Die gelehrten Werke theilen sich wieder in zwei Klassen. In die erste gehören jene Schriften, welche durch neue Entdeckungen, durch eine bündige und lichtvolle Darstellung, durch die Aufstellung neuer Ansichten u. s. w. sich auszeichnen; in die zweite die saft- und marklosen Compilationen und Wiederholungen des hundertmal Gesagten u. d. g.

§ 4. Die Werke der ersten sollen mit der größten Nachsicht behandelt, und ohne äußerst wichtige Gründe nicht verboten werden. Ist ja eine Beschränkung derselben nöthig, so lasse man selbe nicht öffentlich ankündigen.

§ 5. Werke der zweiten Art verdienen keine Nachsicht, weil sie keinen Vortheil bringen, und ihr Inhalt aus bessern Quellen geschöpft werden kann. Sie sind daher nach den bestehenden Censur-Gesetzen zu behandeln.

§ 6. Broschüren, Jugend- und Volksschriften, Unterhaltungsbücher müssen nach der ganzen Strenge der bestehenden Censur-Gesetze behandelt werden. Hier muß nicht nur alles entfernt werden, was der Religion, der Sittlichkeit, der Achtung und Anhänglichkeit an das regierende Haus, die bestehende Regierungsform u. s. w. gerade zu, oder mehr gedeckt entgegen ist, sondern es sind auch alle Schriften der Art zu entfernen, welche weder auf den Verstand, noch auf das Herz vortheilhaft wirken, und deren einzige Tendenz es ist, die Sinnlichkeit zu wiegen. Es soll daher alles Ernstes getrachtet werden, der so nachtheiligen Romanenlektüre ein Ende zu machen. Dabei versteht es sich von selbst, daß hier jene wenigen guten Romane, welche zur Aufklärung des Verstandes und zur Veredlung des Herzens dienen, nicht gemeint sein können, wohl aber der endlose Wust von Romanen, welche einzig um Liebeleien als ihre ewige Axe sich drehen, oder die Einbildungskraft mit Hirngespinnsten erfüllen.

§ 7. Die Erzeugnisse des Witzes, die Producte der Dichter sind auf die Großzahl berechnet, und können nicht wohl von der Kathegorie der Volksschriften getrennt werden. Sind aber auch die klassischen Werke der Art nicht nach den in § 6. gegebenen Grundregeln zu behandeln, so können sie doch auch nicht mit der im § 4. angezeigten Nachsicht behandelt werden; um so weniger, als sie das wahre Wohl der Einzelnen oder des Ganzen zu befördern nicht geeignet sind, wohin doch die eigentliche Tendenz der § 4. bezeichneten Bücher geht.

§ 8. Werke, in denen die Staatsverwaltung im Ganzen, oder einzelnen Zweigen gewürdigt, Fehler und Mißgriffe aufgedeckt, Verbesserungen angedeutet, Mittel und Wege zur Erringung eines Vortheils angezeigt, vergangene Ereignisse aufgehellet werden, u. s. w. sollen ohne hinlänglichen Grund nicht verboten werden, wären auch die Grundsätze und Ansichten des Autors nicht jene der Staatsverwaltung. Nur müssen Schriften der Art mit Würde und Bescheidenheit, und mit Vermeidung aller eigentlichen und anzüglichen Personalitäten abgefaßt sein, auch sonst nichts gegen Religion, Sitten und Staatsverderbliches enthalten.

§ 9. Kein Werk ist von der Censur befreit, und das Revisionsamt, ist dafür verantwortlich, wenn eines ohne das Gutachten des bestimmten Censors den Buchhändlern hinausgegeben wird.

§ 10. Schriften, welche das höchste Staatsoberhaupt und dessen Dynastie oder auch fremde Staatsverwaltungen angreifen, deren Tendenz dahin geht, Mißvergnügen und Unruhe zu verbreiten, das Band zwischen Unterthan und Fürsten locker zu machen, die christliche, und vorzüglich die katholische Religion zu untergraben, die Sittlichkeit zu verderben, den Aberglauben zu befördern, Bücher, welche den Socianismus, Deismus, Materialismus predigen, endlich Schmähschriften aller Art, sind so wenig geeignet, das Glück einzelner und das Wohl des Ganzen zu erhöhen, als sie selbes vielmehr vom Grunde aus zerstören, und können daher so wenig auf Nachsicht, als Meuchelmörder auf Duldung Anspruch machen; sie sind daher nach der Strenge der bisher bestehenden Vorschriften zu behandeln.

§ 11. Die gegebenen Grundsätze gelten nicht nur für gedruckte Schriften und Werke, sondern auch für Handschriften. []

§ 15. Von jetzt erhält der Censor nur folgende Formeln für gedruckte Werke: Admittitur, Transeat, Erga Schedam conced., Damnatur.

Admittitur ertheilt der Censor jener Schrift, welche öffentlich verkauft, und auch in den Zeitungen angekündigt werden darf; Transeat Schriften, welche nicht ganz zum allgemeinen Umlauf, aber auch nicht zu einer strengern Beschränkung geeignet sind. Sie können zwar öffentlich verkauft, aber nicht in den Zeitungen angekündigt werden. Erga Schedam conced. erhalten Schriften, in welchen die Anstößigkeiten das Gute und Gemeinnützige überwiegen, und welche ohne Gefahr nur Geschäftsmännern, und den Wissenschaften geweihten Menschen gegen Reserve von der Polizeihofstelle bewilligt werden können. Damnatur ist als der höchste Grad des Verbotes nur solchen Schriften vorbehalten, welche den Staat, die Religion oder die Sittlichkeit untergraben. Die Erlaubniß, solche Schriften zu lesen, ertheilt ebenfalls die Polizeihofstelle, und sie wird vierteljährig Seiner Majestät ein Verzeichniß der Personen, welchen der Art Bücher, und der Schriften, welche ihnen zugestanden wurden, vorlegen. []

§ 17. Die Formeln bei den Handschriften bleiben wie bisher. Nur tritt eine neue hinzu: Toleratur. Ein Manuscript, welches auf diese Art erledigt wird, kann zwar gedruckt und in den Katalogen angezeigt werden, aber nicht in den Zeitungen. Es gilt für solche inländische Schriften, welche zwar von einem gebildeten Publikum gelesen werden können, aber nicht geeignet sind, in die Hände ungebildeter Menschen zu kommen. Diese Erledigungsart ist auch anwendbar auf politische Schriften, von deren weitern Verbreitung die Staatsverwaltung keine Notiz nehmen will. []

§ 22. Die frühern Verordnungen, welche durch diese Vorschriften nicht abgeändert oder aufgehoben werden, bleiben in ihrer Wirksamkeit.

Quelle: Herrmann Th. Schletter, Handbuch der deutschen Preß-Gesetzgebung. Sammlung der gesetzlichen Bestimmungen über das literarische Eigenthum und die Presse in den deutschen Bundesstaaten. Leipzig: E. F. Steinacker, 1846, S. 168–71; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg., Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 264–70.

„Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren“ (1810), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3567> [05.11.2024].