Kurzbeschreibung

Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777–1837) erlangte in den Jahren 1806–1815 militärischen Ruhm. Im gleichen Zeitraum tat er sich als Leitfigur der im Landadel verankerten konservativen Opposition gegen die Stein-Hardenberg Reformen in Preußen hervor. In diesem brilliant gezeichneten Portrait seiner Familie, Kindheit und Jugend beschwört Marwitz die Erinnerung an das Leben und den Geist der preußischen Militäraristokratie des 18. Jahrhunderts. Wie seine Memoiren zeigen, kämpfte er darum, sich als ein seinen berühmten Vorfahren würdiger Soldat zu beweisen, doch wurde seine intellektuelle Bildung deswegen keineswegs vernachlässigt. Die Beschreibung seiner Bildung deutet auf die Komplexität der kulturellen Identität des deutschen Adels hin.

Die Kindheit und Jugend eines preußischen Adligen im späten 18. Jahrhundert. Aus den Erinnerungen Friedrich August Ludwigs von der Marwitz (1908 posthum veröffentlicht)

  • Friedrich August Ludwig von der Marwitz

Quelle

Ordnung und Zucht des väterlichen Hauses

Friedrich August Ludwig von der Marwitz

a. Autobiografie (1832–37)

[Die Vorfahren]

Ich, Friedrich August Ludwig v. der Marwitz, bin geboren den 29. Mai 1777 zu Berlin, in der Wilhelmstraße, in dem damals Vossischen Hause, welches jetzt der Palast des Prinzen August von Preußen ist. Getauft wurde ich von dem berühmten Propst Spalding an der Nikolaikirche. Mein Vater war Behrend (oder Berndt) Friedrich August v. der Marwitz, Königlicher Kammerherr, früher Hofmarschall des Prinzen Ferdinand, Bruder König Friedrichs II., und seit 1786 Hofmarschall König Friedrich Wilhelms II. Meine Mutter war Susanne Sophie Marie Louise v. Dorville, einzige Tochter des Königlichen Staatsministers Johann Ludwig v. Dorville, aus seiner zweiten Ehe mit Charlotte Friederike v. Béville.

Das Geschlecht derer v. der Marwitz gehört zu den ältesten der Mark Brandenburg und ist von Ursprung in der Neumark und auch in Pommern ansässig gewesen []

Nach dem Tode ihres Vaters lebte sie [meine Mutter] mit ihrer Mutter, welche die Einsamkeit liebte, sehr eingezogen und heiratete meinen Vater auf gemachte Vorschläge. Es wurden ihr nämlich drei Bewerber vorgeschlagen, zwei kannte sie, die gefielen ihr nicht; – meinen Vater kannte sie beinahe nicht, darum nahm sie ihn. Ihre Vermählung geschah am 12. Mai 1776.

Meine Mutter war eine Frau von sehr gefälligem, gutmütigen Charakter, leicht im Umgang, treue Freundin, gute Mutter, bisweilen zu nachsichtig, selten heftig, tätig, rasch im Entschluß und in der Ausführung, fern auch von der leisesten Spur der Selbstsucht, ihre eigene Person oder Bequemlichkeit nie in Anschlag bringend []

[Kindheit]

Ich ward also aus dem erwähnten Geschlechte zu Berlin am 29. Mai 1777 geboren. In meiner ersten Kindheit wuchs ich mit meinen beiden gleich auf mich folgenden Schwestern auf. In Berlin war damals, mehr noch als in anderen deutschen Städten, bei Hof und unter dem Adel die französische Sprache allgemein []

Ich lernte also von Kindesbeinen an französisch mit dem Deutschen zugleich, und das eine war mir vollkommen so geläufig als das andere. In dem Hause meiner Eltern ward beständig französisch gesprochen, wie in allen andern zu damaliger Zeit, mit denen wir Umgang hatten. Aber schon in meinen Kinderjahren trat die oben erwähnte Veränderung ein, das Deutsche gewann die Oberhand, und schon meine jüngsten Geschwister, zehn bis fünfzehn Jahr jünger wie ich, konnten dessen nicht mehr als Kinder durch die bloße Übung mächtig werden, sondern mußten es nach Regeln erlernen.

Wie ich vier Jahre alt war, also 1781 oder Anfang 1782, bekam ich mit meinen Schwestern eine Gouvernante aus der Kolonie, oder wie man damals sagte: »eine französische Mamsell«. Sie hieß Mamsell Bénézet und war ein sehr böses Weib, die uns viel ohrfeigte, im Winter in einem kalten Winkel einsperrte, im Sommer aber zur Strafe ans Fenster stellte, mit dem Rücken nach selbigem, so daß uns die Sonne durch die Scheiben auf den Kopf brennen mußte. Sie war aber fleißig, hielt uns zur Ordnung an, lehrte uns Lesen, Schreiben, Rechnen und auch etwas Geographie.

Meine ersten Erinnerungen sind, wie ich die Mädchenkleider ablegte und in Hosen gesteckt wurde. Ich sehe noch den Schneider, der sie brachte, und wie ich hinter dem Bett versteckt wurde, bis meine Mutter aus der Kirche kam, wo ich ihr voller Freude entgegensprang. Sie bekam aber einen gewaltigen Schrecken und fand mich abscheulich, wie ich denn auch erst anderthalb Jahr alt gewesen sein soll. Sodann wie diese Mlle. Bénézet ihren Einzug bei uns hielt und uns gleich, die wir dergleichen nicht gewohnt waren, den ersten Abend in Angst und Schrecken setzte. Sodann wie im Frühjahr 1782 mein Vater Besitz von Friedersdorf nahm. Es waren Ehrenpforten gebaut, die Treppe und der Hausflur mit Blumen bestreut. Den anderen Tag kam der Justitiarius, die Gemeine wurde versammelt und leistete öffentlich den Eid der Treue. Im folgenden Jahr wurde der Kirchhof in den Garten gezogen und das Ganze mit einem Staketenzaun umgeben, welches alles weit besser aussah.

[Seit 1782 lebte der Vater etwa 7 Monate des Jahres, von April bis November, in Friedersdorf, die übrigen 5 Monate in Berlin. Nach seiner Ernennung zum Hofmarschall des Königs (1786) konnte er nur noch von Mai bis September in Friedersdorf sein.]

Mein Vater, der für einen überaus strengen Mann gehalten wurde, behandelte seine Kinder ruhig und freundlich. Ich habe nie gesehen, daß er eines gestraft hätte; ein Blick war hinreichend, uns in Ordnung zu halten. Desto mehr stach Mlle. Bénézet ab. Meine Mutter war liebreicher, aber auch hitziger, und konnte sich wohl übereilen und den ersten besten abstrafen, ohne zu untersuchen, wer Unrecht hatte. – Im ganzen war die Erziehung dahin gerichtet, daß wir nie etwas Unrechtes oder gar Böses sehen, erfahren, noch viel weniger aber denken oder tun durften, sondern daß wir jederzeit unsere Schuldigkeit tun mußten; daß einer hinter dem Rücken irgend etwas verübt, beim Lernen faul gewesen oder nicht getan hätte, was er sollte, das konnte gar nicht vorkommen. Aber von dem später aufgekommenen Bestreben, alles auf das bloße Wissen zu setzen und den Kindern mit dem Erlernten den Kopf so voll zu pfropfen, daß sie Gott und die ganze Welt darüber verkehrt ansehen, war damals gottlob noch nicht die Rede. Lärm vor unsern Eltern zu machen, sich auf Sofas und Stühlen umherzuwälzen, bei Tisch schmutzig und ungeschickt zu essen u. dgl., wie man jetzt von so vielen Kindern sieht, war gänzlich unerhört. Wenn wir zu unseren Eltern in das Zimmer kamen, machten wir an der Tür unsere Reverenz, näherten uns und küßten sowohl ihnen als jedem anwesenden Fremden die Hand. Diese Zeremonie war, in Verbindung mit allem übrigen, sehr nützlich; man gewöhnte sich, sich beständig anständig zu betragen und älteren Leuten Ehrerbietung zu beweisen. Jetzt sind die Jüngsten die Gröbsten; sie laufen die Alten um, grüßen niemanden, und man sieht sehr viele Menschen beiderlei Geschlechts, die gar nicht imstande sind, eine anständige und verbindliche Verneigung zu bewerkstelligen. Am liebsten unterlassen sie es ganz, wenn sie es aber nicht vermeiden können, so tun sie es auf so ungeschickte Weise, daß man sich nur mit Mühe erwehrt, ihnen ins Gesicht zu lachen. []

Lehrjahre (1785–1790)

Mein Hofmeister, Herr Rosa, war ein rechtschaffener Mann, ein Freund der Ordnung, der an mir nichts Unrechtes litt und seine Lehrstunden gewissenhaft gab, übrigens aber ein Ignorant, von dem, nach jetzigen Begriffen, nichts zu lernen war. Mich allein lehrte er Lateinisch, in der Art, daß er mich die Deklinationen und Konjugationen auswendig lernen ließ und nachher mit Gedikens Lesebuch (damals etwas ganz Neues) hingab, damit ich es übersetzte, wobei ich die Vokabeln mir aufsuchen mußte [] Wie wir den Gedike durchhatten, fingen wir den Eutrop an. Da waren sechs Jahre vorbei, ich trat ins Regiment, und die Sache hatte ein Ende.

Er ließ mich auch deutsch schreiben, und da er eine deutliche Hand hatte, so bekam ich auch eine. Hierbei ist aber bemerkenswert, daß, wenn man die Schriftzüge meines Ältervaters, meines Großvaters, meines Onkels, meines Vaters und die meinigen vergleicht, man die unverkennbarste Ähnlichkeit wahrnimmt, selbst in der schlechten Handschrift meines Ältervaters. Es muß also doch in der Bildung der Hand und in dem Blute etwas liegen, was die Oberhand behält über die Vorschrift, denn Rosa schrieb ganz anders, und dasselbe habe ich in andern Familien wahrgenommen, z. B. in der v. Voß und in unserer königlichen Familie.

Religion, Geschichte und Geographie lernte ich von ihm mit meinen Schwestern gemeinschaftlich. In der Religion ließ er uns die Bibel lesen, das Neue Testament, die Psalmen, Sprüche Salomonis, Jesus Sirach, und die historischen Bücher stückweise. Er erklärte es recht vernünftig, und war dies die einzige Stunde, wo er wirklich von dem Seinigen etwas hinzutat. Ihm habe ich es zu danken, daß ich in der Bibel so gut Bescheid weiß und später zu einem so gründlichen Religions-Unterricht reif war. – In der Geschichte las er uns Schröckhs allgemeine Weltgeschichte vor, und wenn er hindurch war, was ungefähr alle Jahr geschah, so fing er wieder von vorn an. Wir sollten aufschreiben, was wir gehabt hatten, es war aber nicht möglich, alles zu Papier zu bringen, was aus einem schon so zusammengedrängten Werke beinahe täglich eine Stunde lang vorgelesen wurde. Dagegen repetierte er am Sonnabend, so daß wir erzählen mußten. Wie wir zweimal das Werk durchhatten, so wußte ich es dermaßen auswendig, daß ich sogar oft die Worte im voraus kannte, und nun war die Sonnabendsrepetition für mich so leicht, daß ich jedesmal eine Stunde lang erzählen konnte. Ich gewann dadurch die Fähigkeit, aus dem Stegreife zusammenhängend zu reden und kannte den ganzen Abriß der Weltgeschichte auf das vollständigste. Bei Licht besehen ist seine mühelose Methode gar nicht schlecht gewesen, denn beinahe alle Schüler, die ich von weit besseren Lehrern habe examinieren gesehen, wissen offenbar weniger. []

Etwa von meinem elften Jahre an hielt mein Vater mir einen Lehrer der Mathematik. Er hieß Lange und war ein Freund meines Hofmeisters, ihm im Wissen wenig überlegen. Seine Mathematik beschränkte sich auf Planzeichnen, auf das Zeichnen der mathematischen Figuren und Berechnung ihres Inhalts, ohne weitere Beweise, und damit Punktum! Er trug mir auch Fortifikation und Baukunst vor. Bei ersterer erfuhr ich die Benennung und den Zusammenhang aller Festungswerke, nach allen bekannten Systemen, und lernte sie zeichnen. Warum aber und zu welchem Nutzen sie so gebaut würden, davon kein Wort. Baukunst sollte ich lernen, damit ich in Zukunft bei ländlichen Bauten nicht betrogen würde. Der Herr Lange aber diktierte mir eine Art von wissenschaftlichem Abriß der Baukunst, wobei ich Grundrisse, Aufrisse und Profile von Häusern zeichnen, römischen Mörtel und die Säulenordnungen kennen lernte, von dem aber, was bezweckt wurde, nämlich einen Anschlag beurteilen zu lernen, und die Konstruktion sowie die Tragbarkeit der Hölzer, davon erfuhr ich nichts. Hiermit, und wie ich dreizehn Jahr alt war, war meine wissenschaftliche Erziehung zu Ende, denn alsdann trat ich in den Militärdienst. Gleichwohl glaube ich nicht, daß es zu meinem Schaden war, daß ich so wenig lernte, denn ich sehe täglich, daß ganz anders und besser unterrichtete Schüler alles wieder in wenigen Jahren vergessen und dann auf demselben Punkt stehen, wo ich stand, oder tiefer, da ich nichts vergessen konnte; und daß ihnen ferner der Ordnungs- und Rechtschaffenheitstrieb fehlt, welcher nicht leidet, etwas halb zu tun oder unvollendet liegen zu lassen. Ich halte dafür, daß Goethe vollkommen recht hat, wenn er sagt:

»Das Leben erziehet den Mann,

Und wenig bedeuten die Worte.«

Wir hatten außerdem einen Tanzmeister, und da ich mit meinem Körper nicht ungeschickt war, so war ich in der Folge ein guter Tänzer. – Zu den Fechtstunden, die ich etwa von meinem zwölften Jahre an hatte, war ich noch zu schwach; ich lernte passabel auf den Stich fechten, auf den Hieb auch die Paraden genügend, ohne jedoch damals imstande zu sein, einen ordentlichen Hieber zu regieren.

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Vom Eintritt ins Heer bis zum Tode Friedrich Wilhelms II. (1790–97)

Es war weder mir noch meinen Eltern jemals eingefallen, daß ich etwas anderes in der Welt werden könne, denn Soldat. Beinahe alle meine Vorfahren und Seitenverwandte waren es gewesen, und so wurde gar nicht darüber deliberiert, ob ich diesen oder einen anderen Stand ergreifen solle, und ebenso entschieden wurde angenommen, daß es nur im Regiment Gensdarmes sein könne. Seit etwa hundertundvierzig Jahren, daß es (damals) eine brandenburgisch-preußische Militärmacht gab, hatte unsere Familie dem Vaterlande einige hundert Offiziere, und unter diesen sieben Generale gegeben. Es war vom Schicksal beschlossen, daß ich der achte werden sollte. Nur wenige Familien haben dem Vaterlande mehr solcher Kriegsanführer geliefert []

Ich trat also am 2. Januar 1790 in das Regiment Gensdarmes ein, in welchem meine beiden Oheime gedient, und welches sie kommandiert hatten, das heißt, ich wurde in selbiges eingeschrieben, und da ich noch zu jung und schwach war, vorläufig vom Dienste dispensiert.

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Ungefähr ein Vierteljahr früher hatte ich angefangen, reiten zu lernen. Mein Vater hatte den Grundsatz, man müsse alle körperlichen Übungen gleich ordentlich erlernen, um keine üblen Gewohnheiten darin anzunehmen. Deshalb wurde ich auf die königliche Bahn zu dem damals berühmten Stallmeister Ploen geschickt. Weil ich aber noch nicht die geringste Übung hatte und selbst für mein Alter sehr klein war, so ward es mir sehr sauer, und ich lernte nicht viel.

Im Mai dieses Jahres drohete ein Krieg zwischen uns und Österreich auszubrechen

[] Mein Regiment marschierte also nach Schlesien, ich aber blieb zurück und begleitete meine Eltern nach Friedersdorf. – Ich hatte ein eigenes Pferd bekommen, und wie nun die Reise vor sich gehen sollte, erfuhr ich, daß meine ältere Schwester im Wagen meiner Eltern mitfahren sollte, welches sonst immer mein Platz gewesen war. Ich entsetzte mich vor dem Gedanken, nun plötzlich in die Kinderkutsche verwiesen zu werden, in welcher die Gouvernante, meine zweite Schwester, die beiden kleinen Kinder, eine Kinderfrau und eine Amme zusammengepackt waren und fragte: ob ich denn mit einem Male so zurückgesetzt werden solle? Mein Vater antwortete: »Was? Du willst Dich noch im Wagen schleppen lassen? Hast Du nicht ein Pferd? Willst Du nach Friedersdorf, so setze Dich auf und reite hin!« Gesagt, getan. Ich trat also, dreizehn Jahre alt, in Begleitung meines Hofmeisters und eines Reitknechts, meine erste Reise zu Pferde an, und seitdem habe ich bis zu meiner Verheiratung niemals wieder eine Reise zu Wagen gemacht, und bis zu meinem vierundvierzigsten Jahre noch bin ich allemal geritten, wenn es in einigen Stunden (so daß ich die Meile in einer halben Stunde zurücklegte) abzumachen war.

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der Frieden [war] erhalten worden; das Regiment kam also im Herbst 1790 in seine Garnison zurück. Ich legte nun die Montierung an und begann meinen wirklichen Dienst mit Anfang des Jahres 1791. – Das Regiment Gensdarmes war das ehemalige Garde-Kürassier-Regiment seit Friedrich I., Friedrich II. hatte aber bei seinem Regierungsantritt nächst der neuen Garde zu Fuß auch eine neue Garde zu Pferde, die Garde du Korps errichtet, so daß die Gensdarmes seitdem den zweiten Rang in der Armee hatten, und auch im Felde beständig mit den Garde du Korps eine Brigade formierten.

In diesem Regiment und unter solchen Verhältnissen trat ich meinen Dienst an. Ich war sehr klein und schwach und noch ein sehr schlechter Reiter. Wie die Exerzierzeit Ende März losging, wurde es mir unmäßig sauer. Da zu jener Zeit alles Exerzieren mit der frühesten Morgenstunde begann, so mußte ich gewöhnlich schon um halb drei Uhr morgens im Stall zum Putzen sein. Ich mußte also um zwei Uhr von Hause weggehen, aus der Wilhelmstraße, um zur rechten Zeit im Stalle zu sein, im Akademiegebäude, am Ende der Linden. Um halb vier Uhr ging dann alles nach Hause, um sich anzukleiden, um halb fünf war man wieder im Stall zum Satteln, um fünf Uhr wurde ausgerückt, wenn das Regiment im Ganzen vor dem Halleschen Tore, auf dem Felde bei Tempelhof, exerzierte. Dahin war beinahe eine Stunde Marsch, ebensoviel zum Rückweg, und etwa zwei Stunden zum Exerzieren, so war man um neun Uhr zurück, und nachdem die Parole ausgegeben war, etwa um zehn Uhr zu Hause.

In der ersten Zeit aber, wenn die Beurlaubten erst im einzelnen wieder eingeübt wurden, fing es zwar eine Stunde später an. Man ging nach dem Platz im Tiergarten. Da die Mannschaft aber in zwei Abteilungen nacheinander herauskam, so kamen wir nicht vor ein Uhr nach Hause, um drei Uhr aber wurde schon im reinen Anzug unter den Linden zu Fuß exerziert, bis halb fünf und dann von fünf bis sechs abends im Stall wieder geputzt. Man war also von halb vier Uhr morgens bis halb sieben Uhr abends in einer Bewegung, und darunter wenigstens sechs Stunden zu Pferde (denn die Estandartenjunker mußten zwei Pferde reiten, in jeder Abteilung eins), – es ist also begreiflich, daß dieser Dienst, im vierzehnten Jahre geleistet, höchst angreifend war. Bei dem nachherigen Exerzieren zu Pferde im Ganzen fiel das Exerzieren zu Fuß am Nachmittag weg, aber der Stalldienst blieb jahraus, jahrein, abends und morgens, nur daß außer der Exerzierzeit später, und im Winter erst um sechs oder halb sieben Uhr (bei der Laterne) angefangen wurde. Außer der Exerzierzeit war der Dienst sehr leicht. Es ritt täglich nur eine kleine Abteilung oder exerzierte zu Fuß; der Junker war aber ein für allemal in dieser Abteilung.

Mit meinem Reiten ging es auf diesen großen, ungeschickten Pferden erbärmlich. Ungeachtet man mir die gangbarsten aussuchte, so konnte ich sie doch nicht halten, und in der ersten Attacke brach mein Pferd aus dem zweiten Gliede durch das erste hindurch und ging mit mir, die Offiziere vorbei, zu allen Teufeln. Ich hatte dadurch Fuchtel verdient (denen die Junker wie die Unteroffiziere und Gemeinen unterworfen waren), kam aber glücklicherweise mit dem Auslachen davon. Nun wurde mir erlaubt, mein eigenes Pferd zu reiten, welches glücklicherweise ein Schwarzbrauner war. Es war aber ziemlich klein, und ich spielte eine schlechte Figur auf dem Flügel des zweiten Gliedes neben einem fünfzölligen Pferde und großen Kerl []

Im Dezember nahm ein Offizier des Regiments den Abschied. Ich war der älteste Junker, da wir aber noch einen überkompletten Offizier hatten, der einrangiert werden mußte, so dachte ich nicht daran, Offizier zu werden. Als nun am 17. Dezember 1791 die Parole ausgegeben wurde, stand ich hinter meinem Wachtmeister und schrieb auf: »Se. Majestät der König haben geruhet, dem Cornette v. Schleppegrell (es war ein Hannoveraner) den nachgesuchten Abschied zu bewilligen, und dagegen den überkompletten Cornette v. Strenge einzurangieren.« – Bis dahin hatte ich ganz ruhig mitgeschrieben, wie es nun aber zu meinem höchsten Erstaunen noch weiter ging: »wie auch – –«, so schrieb ich höchst abgebrochen und unruhig noch: »den Estandartenjunker v. der Marwitz«, wie es aber zuletzt vollständig herauskam: »zum überkompletten Cornette zu ernennen«, so fuhr ich natürlich mit meiner Schreibtafel in die Säbeltasche, schritt aus dem Kreis der Unteroffiziere zu den Offizieren heraus und meldete den Stabsoffizieren meine neue Würde, im Alter von vierzehn Jahren und sechs Monaten erlangt.

Ich hatte nun allerdings einen leichteren Dienst, aber einige Jahre lang (ungefähr bis zum polnischen Feldzug 1794) einen sehr harten Stand. Andere waren in meinem Alter wohl naseweis und vorlaut und verstanden sich durchzubeißen, ich aber war blöde, errötete leicht und war daher leicht in Verlegenheit zu setzen. Kaum wurde dies bemerkt, so machten sich viele meiner älteren Kameraden ein Vergnügen daraus, mich zu verspotten. Besondere Gelegenheit dazu gab, daß ich noch immer mit meinem Hofmeister zusammen wohnte. []

Nicht weniger wurde ich wegen meines schlechten Reitens verspottet. Das erste Jahr konnte ich mit keinem Pferde fertig werden, ich legte mich aber mit so vielem Eifer auf dieses Fach, kam beinahe nicht vom Pferde, weder Vormittag noch Nachmittag, ritt ein Pferd nach dem andern zu schanden, gab aufs genaueste bei denen Acht, die den Leuten den besten Unterricht gaben, fragte, versuchte und quälte mich solange, bis ich nach wenigen Jahren einer der besten Reiter im Regiment wurde, so daß ich nun derjenige war, der um Rat gefragt wurde. Die halsbrechenden Kunststücke habe ich zwar mitgemacht, aber nie das Wesen der Reiterei darin allein gesetzt, so wenig wie in das bloße Jagen wie ein Stafettenreiter, sondern in die Kunst, das Pferd nach Verhältnis seiner Kräfte und seiner Eigentümlichkeit so zu behandeln, daß es jederzeit und in jedem Moment mir unterworfen sein muß und keinen Fuß anders rühren darf, als gerade so, wie ich es verlange []

Endlich gab auch meine kleine Figur zu tausend Späßen Anlaß. Ich blieb bis zum vollendeten sechzehnten Jahre ganz unglaublich klein, wie ein Kind. Aber zwischen dem sechzehnten und achtzehnten Jahre erreichte ich sehr schnell meine jetzige Größe, fünf Fuß, siebeneinhalb Zoll. – Da ich indessen, wenngleich blöde, doch keineswegs furchtsam war, in meinem Dienst pünktlich, überhaupt von guter Aufführung, so gab sich denn diese Art der Verfolgung nach und nach. Ich kam mit den älteren Kameraden auf einen gleichen Fuß, vorzüglich, nachdem ich, siebzehn Jahre alt, ein Duell mit einem berühmten Klopffechter von der Infanterie gehabt hatte, der betrunken mich insultierte, wie ich die Wache hatte. Es dauerte wohl eine Viertelstunde. Endlich, wie ich matt wurde, bekam ich einen Hieb über die Backe vom Ohr bis an den Mund, von dem aber, da ich noch im Wachstum war, nach zwei Jahren wenig mehr zu sehen blieb. Späterhin, wie ich erwachsen war, stand ich in Ansehen im Regiment und wurde konsideriert und zu Rate gezogen.

In diesem Jahre, 1792, kam der zweite der drei Generale v. Goltz (damals Oberst), der Geschwisterkind mit meinem Vater war, von seiner Gesandtschaft in Paris zurück, wo die Revolution in vollem Gange war. Er war beinahe dreißig Jahre dort gewesen, und da mein Vater sein nächster Verwandter und beinahe einziger Bekannter im Vaterlande war, so war er beinahe täglich in unserem Hause. Er war ein sehr unterrichteter und gebildeter Mann, und wenngleich niemand von uns oder aus unserer Bekanntschaft jemals an dem dortigen Unsinn etwas zu Entschuldigendes oder gar zu Lobendes gefunden hatte, so wurden wir doch bei seiner genauen Kenntnis aller dortigen Verhältnisse, schon damals so vollkommen von den Ursachen und Triebfedern dieser heillosen Empörung des menschlichen Hochmutes gegen göttliche Ordnung und Recht, und von alle den Lügen, Verleumdungen und Umtrieben jener Empörer unterrichtet, wie es jetzt, nach so vielen Jahren, nur die wenigen sind, welche sich die Mühe gegeben haben, die wahre Geschichte der Revolutionen zu studieren, während die große Mehrzahl die Lügen der revolutionären Schriftsteller und sogar der Zeitungsschreiber für Wahrheit annimmt. Es konnte also nicht fehlen, daß wir einen gründlichen Abscheu vor jenen Missetätern bekamen []

In diesem Winter wurde ich auch bei Hofe vorgestellt (ich war fünfzehn Jahr). Dies geschah nicht etwa, wie man jetzt junge Offiziere oder Referendarien, als Tanzmaschinen, denen Prinzessinnen im Vorübergehen, im Tanzsaal vorstellt, sondern wie wenn ein Edelmann der Familie seines Herrn seine Huldigung darbringt. Man machte den Oberhofmeisterinnen in Begleitung eines ihnen bekannten Herrn einen Besuch (mich führte bei der Krankheit meines Vaters mein Oheim Dorville ein, der selbst Hofmarschall bei der Königin, Witwe Friedrichs II., war) – man gab seinen Wunsch zu erkennen und ward dann einen Abend zum Souper eingeladen, wo man vorgestellt wurde und zum Abendessen blieb. Nirgends war die eingeladene Gesellschaft über zwanzig Personen; der Hof war damals nicht zahlreich: die regierende Königin, die verwitwete, die Prinzessin Heinrich und die Prinzessin Ferdinand. Ich ward demnach bei einer nach der andern eingeladen. []

Den Sommer [1793] über wurde mein Vater zusehends schlechter. Er versuchte noch einmal zu reiten, welches ihm aber übel bekam. Zuletzt wurde ihm auch das Gehen schon schwer, und er setzte sich bisweilen nur vor dem Hause auf den damaligen Hof und sah dem Turmbau zu, wo er eben eine neue Kuppel aufsetzen ließ. – Ich bekam oft Urlaub, auf acht und vierzehn Tage. In den ersten Tagen des Septembers, wo die Herbstexerzitien bevorstanden, sah ich ihn zum letzten Male. Mit Ruhe sprach er mir von seinem Ende (er hatte dessen nie gegen andere erwähnt), und nie kann aus meinem Gedächtnis entweichen, wie würdig und liebevoll er mich ermahnte. Er trieb mich zur Abreise, da ich an heftigem Flußfieber krank war, und wenigstens in sechs Stunden nach Berlin gelangen mußte, von Müncheberg ab reitend. Ich fürchtete freilich sein Ende, hielt es aber in jugendlicher Verblendung bei weitem nicht für so nahe. Er saß an dem Fenster der unteren, jetzt blauen Stube, – ich reisete mit gepreßtem Herzen ab.

Ich wurde unterwegs durch und durch naß und mußte den dritten Tag schon einbleiben. Wie ich ihm dies schrieb und mich etwas zu viel über den ausgestandenen Regen ausließ, antwortete er: »Es tut mir zwar leid, daß Du so naß geworden, unterdessen, da Du nicht von Zucker bist, brauchst Du auch nicht so vielen Lärm davon zu machen.« Von meinen Schwestern erfuhr ich aber nachher, daß er viele Besorgnis um mich geäußert habe, auch schickte er den General Goltz an mich ab, der sehen mußte, wie es mir gehe. Ich war schon wieder besser. – Den 19. September, gegen Abend, wie ich eben ausgehen wollte, kam unser Reitknecht geritten; seine Klagen und der schwarz gesiegelte Brief überzeugten mich schon von unserm Unglück, noch ehe ich seinen Inhalt las.

Den andern Tag fuhr mein Oheim Dorville mit mir und mit dem Hof-Staats-Sekretär, der die königlichen Schriften abholen mußte, nach Gusow, wohin die Gräfin Podewils meine Mutter und Geschwister geführt hatte. Den 22. fuhr er mit mir nach Friedersdorf, wo das Testament eröffnet wurde. Im Eßzimmer stand der offene Sarg, von zwei Eigentümern des Dorfs Tag und Nacht bewacht. Ich hatte nie einen Toten gesehen, aber dieser Anblick bereitete mich vor auf die vielen Leichen meiner Teuren, die ich noch sehen sollte. Der Wehmut folgte die Beruhigung, – alles Leiden war aus seinem Antlitz, jede Spur der Krankheit war verschwunden, der Schlaf des Gerechten war an die Stelle der Hinfälligkeit getreten, von der ich vor drei Wochen Abschied genommen hatte. Ich konnte nicht anders, es war kein Verdienst, ihm nachzuwandeln durch das Leben.

Den 23. begruben wir ihn. Ich und meine Brüder (sechs und drei Jahr alt) folgten dem Sarge, der unter dem Geläute aller Glocken von sechs Eigentümern getragen, und von der singenden Gemeine gefolgt, zum Torweg hinaus durch den Turm in die Kirche zu der Gruft getragen wurde, in welche ich nachher Mutter, Gattin und drei Kinder (und seitdem den vierten! 1833) begleitet habe, während diese beiden Brüder neben mir ihren Tod auf dem Schlachtfelde fanden! []

Bei der Eröffnung des Testaments und Untersuchung der Erbschaft wurde uns große Sorge gemacht, wir hätten gar nichts, Friedersdorf müsse verkauft werden. Ersteres war ungefähr richtig, letzteres aber falsch. Das nicht unbedeutende Vermögen meiner Mutter war da. – Mein Vater hatte niemals Kapitalien besessen und auch keine ersparen können, weil er das aus den Erbteilen seiner vielen Geschwister schon schuldenbelastete Gut von seinen Brüdern sehr hoch hatte annehmen müssen. – []

Ungeachtet Friedersdorf ein erkauftes Gut, also Allodium, war und nur mit einem Lehnstamm belegt, so war es doch in allen früheren Teilungen wie ein Lehngut behandelt und verloset worden. Mein Vater hatte verordnet, daß bei der großen Jugend meiner Brüder ich es für den Preis annehmen sollte, um den er selbst es besessen hatte. Der Minister Voß, als ein guter Wirtschaftskundiger, brachte eine vorteilhafte Verpachtung zustande; es folgten die zerstörenden Kriegsjahre, wo Preußen Frieden hatte, also die höchsten Preise landwirtschaftlicher Produkte, die jemals existiert haben; die Pächter zahlten immer richtig, und es blieb ein guter Überschuß. Von dem Überschusse erfuhr ich nicht eher etwas, als bis ich majorenn war. Das war sehr gut, denn ich wußte nun nicht anders, als daß ich mich durch eigenen Fleiß und Eifer durch die Welt bringen müsse.

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Nach etwa vierzehn Tagen Aufenthalt in Gusow ging meine Mutter wieder nach Berlin und war nun genötigt, sich nach damaligen Begriffen sehr einzuschränken. Diese Einschränkung bestand darin, daß sie von unserm Quartier (dem unteren Stock des jetzigen Palais des Prinzen Friedrich in der Wilhelmstraße, nebst dem einen Hinterflügel) die kleinere Hälfte vermietete und nur noch vierzehn Zimmer behielt, ebenso die überflüssigen Leute, Pferde, Koch, Kammerdiener, Jäger und Bedienten abschaffte und nur zwei Pferde, einen Kutscher und zwei Bedienten behielt. Später schränkte sie sich noch etwas mehr ein. – Ich kam nun mit siebzehn Jahren in die Lage, eine Art von Familienvater zu werden. Es dauerte nicht lange, so zog meine Mutter mich in allen ihren Angelegenheiten zu Rate; ich unterstützte sie bei der Erziehung meiner jüngeren Geschwister, denen ich auch, wie ich selbst etwas mehr Kenntnisse besaß, selber Unterricht erteilte, und in den letzten Jahren vor meiner Majorennität befragten mich meine Vormünder auch in Friedersdorfschen Angelegenheiten, von denen ich mehr wußte als sie: der Minister Voß wegen seiner vielen Staatsgeschäfte, mein Onkel, weil landwirtschaftliche Dinge nicht seine Sache waren. –

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[1797–1804]

Ich fing nun an, im Wissen das nachzuholen, was mir in der Jugend zu wenig davon beigebracht worden war. – Ich lernte Latein gründlich und hörte Logik und einige andere philosophische Elemente, beides führte zu richtigem und scharfem Denken, und da es mir so sehr leicht wurde, so entstand schon damals der Glaube in mir, daß man die Kinder und heranwachsende Jugend viel zu früh mit dergleichen plage. Sie werden verwirrt gemacht, sind froh, wenn sie nichts mehr damit zu tun haben und verleben ihre Jünglingsjahre in Nichtstun und Wildheit. Für die Kinderjahre gehört vielmehr nur mäßiges Lernen, dagegen die Aufsicht und das Beispiel des Vaters, die Ordnung und Zucht des väterlichen Hauses, Erweckung des Sinnes, um durch Sehen und Hören und Mitmachen zu lernen, nicht bloß dadurch, daß der Lehrer dasteht und vorpredigt. Für den Jüngling aber gehört eigene körperliche Anstrengung und Mühe und gründliches Studium einzelner Wissenschaften nacheinander, nicht von allen auf einmal []

b. Testament (1828/1831)

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Ermahnung an meine Kinder

Ich hoffe, daß alle meine Kinder sich beständig des Geschlechtes erinnern werden, aus dem sie entsprossen sind, – eines Geschlechtes, welches niemals sein Trachten gesetzt hat auf irdisches Gut, sondern immer nur auf die Ehre, auf das Wahre und Rechte, von welcher Richtung des Sinnes es mehrere glänzende Beispiele gegeben hat. Ich hoffe daher, daß alle meine Kinder dieser Richtung folgen und in steter Einigkeit und Liebe zu einander verbleiben werden, so daß sie den Bruder nicht beneiden werden, wenn das Glück ihn begünstigen sollte, und daß hinwiederum er nicht murren wird, wenn seine Geschwister ihm vielleicht viele Mühe und Arbeit verursachen werden. Sie müssen alle stets eingedenk sein, daß sie nicht zu Verzehrern gesetzt sind des irdischen Guts, sondern nur zu treuen Verwaltern, und daß sie es auf ihre Nachkommen bringen sollen, so wie ihre Väter es ihnen hinterlassen haben.

Der Mensch ist keine isolierte Pflanze in der Schöpfung, die für sich allein lebt und stirbt, sondern seine Geschlechter sind ein zusammenhängendes Ganze, das zusammenhängend bleiben und gute Gesinnungen nach dem Willen des Schöpfers fortpflanzen soll []

Erziehung meiner Söhne

Was die Erziehung meiner Söhne anbetrifft, so sollen sie keine sogenannte wissenschaftliche Erziehung bekommen, durch welche das gesunde Urteil und die Tatkraft, welche der Schöpfer in den Menschen gelegt hat, verschroben und gelähmt wird, sondern sie sollen ordentlich Mathematik, Sprachen, Geschichte und Erdkunde lernen, zum Selbstdenken und Selbsthandeln angeführt, ihr Körper möglichst geübt und gestärkt und sie dahin geführt werden, daß sie Gott, welcher höher ist, als aller Menschen Wissen und Vernunft, beständig vor Augen und im Herzen haben []

[Beide Söhne sollten zunächst Offizier, der zweite später Landwirt werden. Er wird sich in der Armee] weit besser auch zu jedem anderen Staatsdienst (wenn er einen solchen suchen muß) ausbilden, als durch Stuben-Examina und durch das Auswendiglernen von stets wechselnden und unheilbringenden Theorien []

Ich hoffe, daß meine Söhne sich niemals an ein so wandelbares und bewegliches Ding hängen werden, wie das Geld ist. Dieser Götze verschlingt alle diejenigen, die ihm opfern. Das Wuchern und Spekulieren mit selbigem ist ein unwürdiges Kunststück, durch welches man den Erwerb seines Nebenmenschen auf sich zu übertragen sucht, oder wenigstens eine faule Art, sich durch die Welt zu bringen.

Ich hoffe im Gegenteil, daß sie ihren Grundbesitz erhalten und ihn pflegen werden, nicht wie ängstliche, isolierte Landwirte, sondern zugleich als Väter, Versorger und Vorbild ihrer Untertanen, bemüht, diese vor dem allgemeinen Verderben zu bewahren, sie auch ihrem Grundbesitz treu, fleißig und dem Vaterlande ergeben zu erhalten, deshalb sich um Schule, Kirche, Gerichtspflege und Polizei bekümmern und sie leiten, soviel es die Landesgesetze noch gestatten; – sodann in den Angelegenheiten der Provinz sich keiner Arbeit entziehen und keine Mühe scheuen, denn nur im Zusammenhange mit dieser kann das Wohl der einzelnen Ortschaften gedeihen; – endlich aber das Vaterland verteidigen, so oft es Not tut []

Quelle: Friedrich August Ludwig von der Marwitz, Ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege. Hrsg. Friedrich Meusel. 3 Bände. Berlin, 1908. Band. 1, S. 3–143, 716f; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 188–208.