Kurzbeschreibung

Zwischen 1781 und 1789 erließ die Regierung Josephs II. Toleranz-Patente mit variierenden Zwischentönen für die verschiedenen habsburgischen Territorien, in welchen nennenswerte jüdische Populationen existierten. Dieser Text, der Wien und die umgebenden Provinzen Niederösterreichs betraf, untersagte der jüdischen Gemeinde in Wien, eine offizielle Gemeindestruktur, einschließlich Synagogen, in der Reichsstadt zu unterhalten. Synagogen konnten ausschließlich in den seinerzeit außerhalb liegenden Vororten gebaut werden. Das Patent verdeutlicht, dass Josephs „aufgeklärtes“ Regime die Juden drängte, solche Praktiken und Charakteristiken aufzugeben, die sie von der deutschen christlichen Bevölkerung unterschieden. Althergebrachte christliche Bedenken über grenzenloses jüdisches Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Konkurrenz mit Christen werden ebenfalls klar ersichtlich. Obwohl lediglich ein erster Schritt hin zu „Toleranz“ und „Emanzipation“ der Juden, war es dennoch ein gewagter und mit Sicherheit einer, den die Mutter Josephs II., die konventionell anti-jüdische Maria Theresia, niemals unternommen hätte.

Toleranz-Patent Josephs II. für die niederösterreichischen Juden (2. Januar 1782)

Quelle

2. Januar 1782

1. Die Judenschaft in Wien hat auch in Zukunft keine eigentliche Gemeinde unter einem besonderen Vorsteher auszumachen, sondern soll jede einzelne Familie des Schutzes der Landgesetze genießen; kein öffentlicher Gottesdienst, keine öffentliche Synagoge, keine eigene Druckerei für ihre hebräischen Bücher, womit vielmehr an die böhmische gewiesen.

2. Auch soll es in Absicht auf die Zahl und Art, wie sie in Niederösterreich und hier in Wien gegenwärtig geduldet werden, es unverändert verbleiben und dort, wo niemals Juden ansässig gewesen, auch künftig keinem zustehen, sich ansässig zu machen.

3. Es steht daher auch künftig keinem Juden frei, aus anderen Erbländern nach Wien zu kommen, um hier beständig zu bleiben. Ausländische Juden müssen, die Erlaubniß dazu bei Uns selbst ansuchen.

4. Wer diese Erlaubniß ansuchen will, hat das Gewerbe oder Nahrungszweig, so er treiben will, anzugeben und den Vermögensstand auszuweisen, auch anzuzeigen, was er für die ihm zugestandene Toleranz entrichten zu können glaube. Die Regierung wird dann den eigentlichen Betrag des Schutzgeldes bestimmen, so daß sie ihn nach ihrer Beurtheilung vermehren oder vermindern kann.

5. Gegen Entrichtung dieses Schutzgeldes kann er dann mit Weib und Kindern, die noch in seiner Versorgung stehen, sich in Wien aufhalten und den bewilligten Nahrungszweig betreiben. Will aber

6. ein Sohn sich verehelichen und eigene Haushaltung anfangen, so ist dafür eine eigene Toleranz zu erwirken, oder, falls er fortzieht, das Abfahrtgeld zu zahlen. Ebenso ist für einen Schwiegersohn Toleranz zu erwirken, oder, falls die Verehelichung der Tochter an einen Fremden bewilligt wurde, von der außer Landes gehenden Mitgift das Abfahrtgeld zu entrichten.

7. Auf dem offenen Lande in Niederösterreich zu wohnen, bleibt also den Juden untersagt, außer daß sie wo eine Fabrik oder ein nützliches Gewerbe einführen wollen, wozu sie die Erlaubniß der Regierung anzusuchen haben, aber auch dann dieselben Rechte, wie in der Residenz genießen. Es bestehen demnach die Begünstigungen, welche der jüdischen Religion durch die gegenwärtige Abänderung, wodurch die letzte Juden-Ordnung vom 5. Mai 1764 ganz außer Kraft gesetzt wird, zufließen, in Folgendem:

Da wir die jüdische Nation hauptsächlich durch bessere Unterrichtung und Aufklärung ihrer Jugend und durch Verwendung auf Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer zu machen, zum Ziele nehmen,

8. so erlauben und befehlen wir, den tolerirten Juden in jenen Orten, wo sie keine eigenen deutschen Schulen haben, ihre Kinder in die christlichen Normal- und Realschulen zu schicken, um in diesen wenigstens das Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen, und obschon sie in unserer Residenz keine eigentliche Synagoge haben, so gestatten wir ihnen dennoch, für ihre Kinder eine eigene normalmäßig eingerichtete, mit Lehrern von ihren Religionsgenossen besetzte Schule auf ihre Kosten zu errichten, die unter der nämlichen Aufsicht wie alle hiesigen deutschen Schulen stehen soll, wobei die Entwerfung der moralischen Bücher ihnen selbst zu überlassen ist.

9. In Ansehung der höheren Schulen wird ihnen die Erlaubniß zum Besuche derselben erneuert und bestätigt.

10. Wir gestatten ihnen, daß sie von nun an alle Gattungen von Handwerken und Gewerben hier und anderweitig bei christlichen Meistern erlernen, sich bei solchen als Lehrjungen aufdingen oder als Gesellen arbeiten, ohne jedoch dadurch Juden und Christen einen Zwang aufzulegen.

11. Wir bewilligen ihnen ferner, alle Gattungen von Gewerben, jedoch ohne Bürger- und Meisterrecht, als wovon sie ausgeschlossen bleiben, zu betreiben, jedoch nur nach erlangter Bewilligung von dem Wiener Magistrate und am Lande von der niederösterreichischen Regierung. Die Malerei, Bildhauerei und die Ausübung freier Künste ist ihnen wie den Christen überlassen.

12. Sowie wir ihnen auch unter allen unbürgerlichen Handlungszweigen vollkommen freie Wahl geben und sie berechtigen, sich um das Befugniß der Großhandlung zu bewerben.

13. Auch erneuern wir hiemit die Erlaubniß und ermuntern sie zur Anlegung von Manufacturen und Fabriken.

14. Wir gestatten ihnen ferner, auf Realitäten Capitalien zu leihen und sicherzustellen, ohne daß sie aber befugt sind, sich dieselben einschätzen zu lassen.

15. Der Gebrauch der hebräischen und hebräisch mit deutsch vermengten sogenannten jüdischen Sprache und Schrift wird in allen öffentlichen in- und außergerichtlichen Handlungen aufgehoben, statt deren sich künftighin der landesüblichen Sprache zu bedienen ist. Es wird dazu eine Frist von zwei Jahren vom Tage dieses Patentes bestimmt, wornach alle mit hebräischen und jüdischen Buchstaben geschriebenen Instrumente für ungiltig und nichtig erklärt werden.

16. Es wird ferner den Juden gestattet, so viel jüdische oder auch christliche Dienstleute zu halten als ihre Geschäfte fordern, doch sind sie verbunden, jährlich einen zuverlässigen Meldzettel einzureichen und hat jeder Hausvater die jüdischen Dienstleute nicht nur bei sich zu beherbergen, sondern auch für sie zu stehen, daß sie keinen besonderen Handel treiben, der nichttolerirten Juden untersagt ist.

17. Die Weiber, Männer oder erwachsenen Kinder von derlei jüdischen Dienstleuten, die eigene Gewerbe treiben, müssen ebenfalls tolerirt sein.

18. Von der bisherigen Beschränkung auf bestimmte Judenhäuser lassen wir es abkommen und erlauben den tolerirten Juden, eigene Wohnungen sowohl in der Stadt als in den Vorstädten nach ihrer Willkür zu miethen.

19. Nicht minder heben wir die von fremden Juden bisher entrichtete Leibmauth gänzlich auf und erlauben denselben zur Betreibung ihrer Geschäfte von Zeit zu Zeit den freien Eintritt in unsere Residenz, und zwar ohne gezwungen zu sein, Kost und Wohnung lediglich bei tolerirten Juden oder jüdischen Garköchen zu suchen.

20. Weil aber die Zahl der hier ansässigen Judenfamilien nicht vergrößert werden soll, so müssen die herkommenden fremden Juden gleich bei ihrer Ankunft sich bei der niederösterreichischen Regierung melden, ihre Geschäfte und die Zeit, die sie dazu nöthig haben, anzeigen, die Bestätigung abwarten und nach verstrichener Frist entweder von hier abgehen oder bei der Regierung um eine Verlängerung ansuchen. Die Polizei soll also auf die gewisse Abreise dieser fremden Juden ein wachsames Auge haben, und haben diejenigen Christen oder Juden, bei welchen fremde Juden ihre Wohnung nehmen, noch des nämlichen Tages die Anzeige an die Regierung zu thun.

21. Solche Ankömmlinge haben also nicht das Befugniß, mit solchen Waaren zu handeln, die eigens hiezu berechtigten Handelsleuten und hier tolerirten Juden allein zu führen erlaubt sind. Auch ist ihnen wie allen Uebrigen das Hausiren in der Stadt und auf dem Lande allgemein bei Confiscirung der Waare verboten.

22. Hingegen steht solchen fremden Juden frei, zu Jahrmarktszeiten mit allen einzuführen allgemein erlaubten Waaren, außer der Marktzeit aber mit jenen zu handeln, welche jeder auswärtige Handelsmann verkaufen darf. Auch dürfen sie erlaubte Waare einkaufen, Bestellungen übernehmen u. s. w.

23. Die für die Juden sonst bestandenen doppelten Gerichts- und Kanzleitaxen werden durchaus abgestellt, sowie

24. alle bisher gewöhnlichen Merkmale und Unterscheidungen, als: das Tragen der Bärte, das Verbot, an Sonn- und Feiertagen vor 12 Uhr nicht auszugehen, öffentliche Belustigungsörter zu besuchen u. dgl. aufgehoben; im Gegentheile wird den Großhändlern und ihren Söhnen, sowie den Honoratioren auch Degen zu tragen erlaubt.

25. Da wir nun durch diese Begünstigungen die jüdische Nation in Absicht auf ihre Nahrungszweige und den Genuß der bürgerlichen und häuslichen Bequemlichkeiten anderen fremden Religionsverwandten beinahe gleichsetzen, so weisen wir dieselben zur genauen Beobachtung aller politischen, bürgerlichen und gerichtlichen Landesgesetze ernstlich an, als an welche sie, gleich allen übrigen Insassen, gebunden, sowie in ihren Angelegenheiten, in politischen und Rechtsvorfällen der Landesstelle, der Ortsobrigkeit nach der jeder Behörde zustehenden Gerichtsbarkeit und Thätigkeit (Activität) unterworfen bleiben; und versehen wir uns zu ihrer Pflicht sowohl als zu ihrer Dankbarkeit, daß sie diese unsere Gnade und die ihnen daher zufließenden Freiheiten nicht mißbrauchen, durch Ausschweifungen und Zügellosigkeit kein öffentliches Aergerniß geben und die christliche Religion nirgends irren, noch gegen dieselbe und ihre Diener Verachtung zeigen werden; weil ein Frevel dieser Art auf das strengste bestraft und dem, so ihn begangen, nach der Beschaffenheit der Umstände die Abschaffung von hier und aus allen unseren Ländern zuziehen würde.

Josef II.

Wien, den 2. Januar 1782.

Quelle: Johann Wendrinsky, Hg., Kaiser Josef II. Ein Lebens- und Charackterbild zur hundertjährigen Gedenkfeier seiner Thronbesteigung. Wien: Wilhelm Braumüller, 1880, S. 152-57.