Kurzbeschreibung

Gesindeordnungen regelten das Verhältnis zwischen Bediensteten (dem „Gesinde“) und ihren Dienstherrn (der „Herrschaft“). Das Verhältnis war in jeder Hinsicht von Ungleichheit geprägt. So hatten Dienstherrn das Recht, ihren Bediensteten jederzeit fristlos zu kündigen, während Bedienstete zumeist eine mehrmonatige Kündigungsfrist einhalten mussten. Viele Gesindeordnungen erlaubten den Dienstherren zudem, ihre Bediensteten körperlich zu bestrafen und sie polizeilich suchen zu lassen, wenn sie nicht zur Arbeit erschienen. Diese Gesindeordnung von 1703 stammt aus Schwäbisch Hall und illustriert die Haltung der Obrigkeit gegenüber den unteren Ständen, die hier als allgemein unzuverlässig und arbeitsscheu charakterisiert werden. Der Text vermittelt außerdem einen Eindruck davon, wie wenig Entscheidungsfreiheit die Bediensteten über ihr eigenes Leben besaßen.

Gesindeordnung (1703)

Quelle

Gesind-Ordnung.

Obwohlen alles Gesind, insonderheit Knecht, Mägd oder Dienstbotten, ihren Herr- und Meisterschafften fleißig, treu, embsig und demüthig seyn sollten; So ist doch leider mehr dann zu viel bekannt, wie nun eine lange Zeit hero über das ungehorsame, unfleißige, ungetreue und fahrläßige, trutzige und hochmüthige Gesind geklagt worden.

Solchem Unheil und Ubelstand nun zu begegnen, wird das Gesind insgemeine zu gehorsamem Fleiß, Treu, und behutsamer Verschwiegenheit; wie auch zu Vermeidung deß schändlichen Affterredens, Mährlins-tragens, und Schwätzwercks, pochens, schnarchens, wiederpeffens ernstlich erinnert, nicht zweifflend, wer ehrlichen und erbarn Gemüths, sich selbst mäßigen werde. Diejenigen aber, welche solche wohlmeinende Erinnerung aus der acht schlagen, sollen jedesmalen und zwar entweder mit dem Narren-Häußlein, anderer Gefängnus, oder Geld, nach Befindung, doch solcher gestalt niemahlen geringer dann auf ein halben Gülden gestrafft, alles aber, nach ereignenden Umbständen erhöhet und geschärpfft werden.

Damit auch fürters das so zaumlose Gesind, wie bißhero, nicht mehr in seinem Muthwillen gleichsam gestärcket werde, so soll hinfüro kein Burger, Unterthan, oder wer in unserm Gebieth sich enthält, dem andern durch nachschicken, ansprechen, Verheissung, Geschenck, grossen Lohn und Gotts-Pfenning, dasselbe gefährlich abspannen, auffwicklen oder entziehen, bey Straff 4. Fl. so ein jedes von denen, die sich darunter gebrauchen lassen, als die Dienstbotten, wie auch die, so sie also einheimschen, erlegen, oder 2. Tag und Nacht solches im Thurn büssen sollen.

Gleiche Meinung hat es auch, wann einer einen Knecht oder Magd dingt, oder sich verdingen lassen, ehe und dann sie ein halbes Jahr in einem Dienst gewesen, sie hätten dann dessn Erlaubnus, oder wären erst fremd hekommen, oder kämen von hiesigen Kindern das erst mal in Dienst.

Und damit Herrn und Frauen diß Orts um so weniger vernachtheiliget werden mögen; Als sollen die Ehehalten, da sie sich anderwärts zu verdingen willens, schuldig, und bey Straff gehalten seyn, solch ihr Vorhaben ein Viertel Jahr, in der Stadt und auf dem Land, vor Ausgang des Ziels, anzuzeigen. Da auch wie es die Erfahrung mitgebracht, und offt zu geschehen pfleget, ein Ehehalt sich aufs neue verdinget, nachgehends aber sich zu ändern, und im alten Dienst, zu nicht geringem Nachtheil derjenigen, zu welchen sie sich von neuem verdinget gehabt, zu verbleiben sich unternimbt, so soll ein solcher Ehehalt demjenigen, zu welchem es verdingt geweßt, ebenmäßig, daß es im alten Dienst verbleibten wolle, innerhalb 14 Tagen nach beschehener Verdingung anzuzeigen, und den empfangenen Weinkauff wieder zu bringen, verbunden; In Verbleibung dessen aber sich zu ändern, und im alten Dienst zu bleiben, nicht Macht haben, sondern den neuen anzutretten, bey Straf, gehalten seyn. Dienstlosen Ehehalter aber, da sie sich verdingen und den Weinkauff annehmen, wird Krafft dieses alle änderung abgestricket, also, daß, wo nicht gnugsam erhebliche Ursachen angezeigt werden können, sie den Dienst ohnfehlbarlich antretten sollen. Wäre es auch sach, daß jemand gefährlich zu warten, und einem andern nächst an dem Ziel sein Gesind abspannen, und zu ihme zu kommen bereden wolte, soll wider denselben, dieser Verordnung gemäß, gleicher gestalt verfahren werden.

Dann haben die Herr- und Meisterschafften zwar Macht, ihr Gesind, Knecht und Mägd, von Viertel-jahren zu Viertel-jahren, zu beurlauben, diese aber seyn gehalten, ein halbes Jahr völlig zu dienen. Dafern aber Knecht und Mägd ihres vorhabenden Austrettens Ursach hätten, sollen sie selbige gehöriger Orten anbringen, alsdann ihnen auch Recht wiederfahren. Und ist dißfalls die Poen des Ubertrettens, wie obgemeldet, 4 Gülden. Und wird diese Straf gedoppelt, wann Knecht oder Mägd aus Trutz ferner zu dienen leicht fertig verschwören, doch alles, im fall Unvermögens, mit dem Thurn, oder sonsten, zu büssen.

Welche Knecht oder Mägde, auf empfangenen Weinkauff, zu rechter Zeit in Dienst nicht eingehen, und zugleich ihre Truhen oder Kisten, sambt den Kleidungen, nicht mitbringen, sondern in andern Orten ihre Sachen enthalten lassen (ausser was irgend hiesige Kinder, so sie nicht brauchen, bey ihren Eltern oder Vormundern lasen) die werden nach Ermäßigung gestrafft; doch auf Klagen geringer nicht, dann um ein halben Gülden. Welche aber gar wieder abjagen, denen kan die Straf biß auf 1, 2, oder mehr Gülden erhöhet werden. Und weilen darnebens die Erfahrung bißhero mitgebracht, daß vieler Burger-Töchter, ohnerachtet sie ehrlicher Arbeit und Diensten wol fürstehen könten, sich dannoch des unverantwortlichen Müßiggangs gebrauchen: Als werden dergleichen Kinder Eltern, sonderlich arme Wittweiber, welche müßige Töchter haben, hiermit ernstlich ermahnet, dieselbe bey Zeiten darvon abzugewehnen, von sich zu thun, und zu verdingen, widrigen falls bleibt so wohl gegen die saumselige Eltern, als sothane Müßiggängerinnen Obrigkeitliche Bestraffung hiermit vorbehalten.

Quelle: Erneuerte Policey-Ordnung, Des Heil. Reichs-Stadt Schwäbisch Hall, Verlag Mayer: Schwäbisch Hall, 1703, S. 17-21. Online verfügbar unter: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN666386021

Gesindeordnung (1703), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-5382> [12.07.2024].