Quelle
Siebente Rede
Noch tiefere Erfassung der Ursprünglichkeit, und Deutschheit eines Volkes.
Es sind in den vorigen Reden angegeben, und in der Geschichte nachgewiesen die Grundzüge der Deutschen, als eines Urvolks, und als eines solchen, das das Recht hat, sich das Volk schlechtweg, im Gegensatze mit andern von ihm abgerissenen Stämmen zu nennen, wie denn auch das Wort Deutsch in seiner eigentlichen Wortbedeutung das so eben gesagte bezeichnet. Es ist zweckmäßig, daß wir bei diesem Gegenstande noch eine Stunde verweilen, und uns auf den möglichen Einwurf einlassen, daß, wenn dies deutsche Eigenthümlichkeit sey, man werde bekennen müssen, daß dermalen unter den Deutschen selber wenig Deutsches mehr übrig sey. Indem auch wir diese Erscheinung keinesweges läugnen können, sondern sie vielmehr anzuerkennen, und in ihren einzelnen Theilen sie zu übersehen gedenken, wollen wir mit einer Erklärung derselben anheben.
Das war im ganzen das Verhältniß des Urvolks der neuen Welt zum Fortgange der Bildung dieser Welt, daß das erstere durch unvollständige und auf der Oberfläche verbleibende Bestrebungen des Auslandes erst angeregt werde zu tiefern aus seiner eignen Mitte heraus zu entwikelnden Schöpfungen. Da von der Anregung bis zur Schöpfung es ohne Zweifel seine Zeit dauert, so ist klar, daß ein solches Verhältniß Zeiträume herbei führen werde, in welchen das Urvolk fast ganz mit dem Auslande verflossen, und demselben gleich erscheinen müsse, weil es nemlich gerade im Zustande des bloßen Angeregtseyns sich befindet, und die dabei beabsichtigte Schöpfung noch nicht zum Durchbruche gekommen ist. In einem solchen Zeitraume befindet sich nun gerade jezt Deutschland in Absicht der großen Mehrzahl seiner gebildeten Bewohner, und daher rühren die durch das ganze innere Wesen und Leben dieser Mehrzahl verflossenen Erscheinungen der Ausländerei. Die Philosophie, als freies, von allen Fesseln des Glaubens an fremdes Ansehen erledigtes Denken, sey es, wodurch dermalen das Ausland sein Mutterland anrege, haben wir in der vorigen Rede ersehen. Wo es nun von dieser Anregung aus nicht zur neuen Schöpfung gekommen, welches, da die lezte von der großen Mehrzahl unvernommen geblieben, bei äußerst wenigen der Fall ist: da gestaltet sich theils noch jene, schon früher bezeichnete Philosophie des Auslandes selber zu andern und andern Formen; theils bemächtiget sich der Geist derselben auch der übrigen an die Philosophie zunächst gränzenden Wissenschaften, und sieht an dieselben aus seinem Gesichtspunkte; endlich, da der Deutsche seinen Ernst, und sein unmittelbares Eingreifen in das Leben doch niemals ablegen kann, so fließt diese Philosophie ein auf die öffentliche Lebensweise, und auf die Grundsätze und Regeln derselben. Wir werden dies Stück für Stück darthun.
Zuförderst und vor allen Dingen: der Mensch bildet seine wissenschaftliche Ansicht nicht etwa mit Freiheit und Willkühr, so oder so, sondern sie wird ihm gebildet durch sein Leben, und ist eigentlich die zur Anschauung gewordene innere, und übrigens ihm unbekannte Wurzel seines Lebens selbst. Was du so recht innerlich eigentlich bist, das tritt heraus vor dein äußeres Auge, und du vermöchtest niemals etwas anderes zu sehen. Solltest du anders sehen, so müßtest du erst anders werden. Nun ist das innere Wesen des Auslandes, oder der Nichtursprünglichkeit, der Glaube an irgend ein leztes, festes, unveränderlich stehendes, an eine Grenze, diesseit welcher zwar das freie Leben sein Spiel treibe, welche selbst aber es niemals zu durchbrechen, und durch sich flüßig zu machen, und sich in dieselbe zu verflößen vermöge. Diese undurchdringliche Grenze tritt ihm darum irgendwo nothwendig auch vor die Augen, und es kann nicht anders denken oder glauben, außer unter Voraussetzung einer solchen, wenn nicht sein ganzes Wesen umgewandelt, und sein Herz ihm aus dem Leibe gerissen werden soll. Es glaubt nothwendig an den Tod, als das ursprüngliche, und lezte, den Grundquell aller Dinge, und mit ihnen des Lebens.
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Anders die ächt deutsche Staatskunst. Auch sie will Festigkeit, Sicherheit, und Unabhängigkeit von der blinden und schwankenden Natur, und ist hierin mit dem Auslande ganz einverstanden. Nur will sie nicht, wie diese, ein festes und gewisses Ding, als das erste, durch welches der Geist, als das zweite Glied, erst gewiß gemacht werde, sondern sie will gleich von vorn herein, und als das allererste und einige Glied, einen festen und gewissen Geist. Dieser ist für sie die aus sich selbst lebende, und ewig bewegliche Triebfeder, die das Leben der Gesellschaft ordnen und fortbewegen wird. Sie begreift, daß sie diesen Geist nicht durch Strafreden an die schon verwahrloste Erwachsenheit, sondern nur durch Erziehung des noch unverdorbenen Jugend-Alters hervorbringen könne; und zwar will sie mit dieser Erziehung sich nicht, wie das Ausland, an die schroffe Spitze, den Fürsten, sondern sie will sich mit derselben an die breite Fläche, an die Nation wenden, indem ja ohne Zweifel auch der Fürst zu dieser gehören wird. So wie der Staat an den Personen seiner erwachsenen Bürger die fortgesezte Erziehung des Menschengeschlechts ist, so müsse, meint diese Staatskunst, der künftige Bürger selbst erst zur Empfänglichkeit jener höheren Erziehung herauferzogen werden. Hierdurch wird nun diese deutsche, und allerneueste Staatskunst wiederum die allerälteste; denn auch diese bei den Griechen gründete das Bürgerthum auf die Erziehung, und bildete Bürger, wie die folgenden Zeitalter sie nicht wieder gesehen haben. In der Form dasselbe, in dem Gehalte mit nicht engherzigem, und ausschließendem, sondern allgemeinem und weltbürgerlichem Geiste, wird hinführo der Deutsche thun.
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Achte Rede
Was ein Volk sei, in der höhern Bedeutung des Worts, und was Vaterlandsliebe.
Die vier lezten Reden haben die Frage beantwortet: was ist der Deutsche, im Gegensatze mit andern Völkern Germanischer Abkunft? Der Beweiß, der durch dieses alles für das Ganze unsrer Untersuchung geführt werden soll, wird vollendet, wenn wir noch die Untersuchung der Frage hinzufügen: was ist ein Volk: welche leztere Frage gleich ist einer andern, und zugleich mit beantwortet diese andere, oft aufgeworfene, und auf sehr verschiedene Weisen beantwortete Frage, diese: was ist Vaterlandsliebe, oder, wie man sich richtiger ausdrücken würde, was ist Liebe des Einzelnen zu seiner Nation?
Sind wir bisher im Gange unsrer Untersuchung richtig verfahren, so muß hiebei zugleich erhellen, daß nur der Deutsche – der ursprüngliche, und nicht in einer willkührlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat, und auf eins zu rechnen befugt ist, und daß nur er der eigentlichen und vernunftgemäßen Liebe zu seiner Nation fähig ist.
Wir bahnen uns den Weg zur Lösung der gestellten Aufgabe durch folgende, fürs erste außer dem Zusammenhange des bisherigen zu liegen scheinende Bemerkung.
Die Religion, wie wir dies schon in unsrer dritten Rede angemerkt haben, vermag durchaus hinweg zu versetzen über alle Zeit, und über das ganze gegenwärtige, und sinnliche Leben, ohne darum der Rechtlichkeit, Sittlichkeit, und Heiligkeit des von diesem Glauben ergriffenen Lebens den mindesten Abbruch zu thun. Man kann, auch bei der sichern Ueberzeugung, daß alles unser Wirken auf dieser Erde nicht die mindeste Spur hinter sich lassen, und nicht die mindeste Frucht bringen werde, ja, daß das göttliche sogar verkehrt, und zu einem Werkzeuge des Bösen und noch tieferer sittlicher Verderbniß werde gebraucht werden, dennoch fortfahren in diesem Wirken, lediglich, um das in uns ausgebrochene göttliche Leben aufrecht zu erhalten, und in Beziehung auf eine höhere Ordnung der Dinge in einer künftigen Welt, in welcher nichts in Gott geschehenes zu Grunde geht. So waren z. B. die Apostel, und überhaupt die ersten Christen, durch ihren Glauben an den Himmel, schon im Leben gänzlich über die Erde hinweggesezt, und die Angelegenheiten derselben, der Staat, irdisches Vaterland, und Nation, waren von ihnen so gänzlich aufgegeben, daß sie dieselben auch sogar ihrer Beachtung nicht mehr würdigten. So möglich dieses nun auch ist, und so leicht auch, dem Glauben, und so freudig auch man sich darein ergeben muß, wenn es einmal unabänderlich der Wille Gottes ist, daß wir kein irdisches Vaterland mehr haben, und hienieden ausgestoßne, und Knechte seyen: so ist dies dennoch nicht der natürliche Zustand, und die Regel des Weltganges, sondern es ist eine seltne Ausnahme; auch ist es ein sehr verkehrter Gebrauch der Religion, der unter andern auch sehr häufig vom Christenthume gemacht worden, wenn dieselbe gleich von vorn herein, und ohne Rüksicht auf die vorhandenen Umstände, darauf ausgeht, diese Zurükziehung von den Angelegenheiten des Staates, und der Nation, als wahre religiöse Gesinnung zu empfehlen. In einer solchen Lage, wenn sie wahr und wirklich ist, und nicht etwa bloß durch religiöse Schwärmerei herbeigeführt, verliert das zeitliche Leben alle Selbstbeständigkeit, und es wird lediglich zu einem Vorhofe des wahren Lebens, und zu einer schweren Prüfung, die man bloß aus Gehorsam, und Ergebung in den Willen Gottes erträgt, und dann ist es wahr, daß, wie es von vielen vorgestellt worden, unsterbliche Geister nur zu ihrer Strafe in irdische Leiber, als in Gefängnisse, eingetaucht sind. In der regelmäßigen Ordnung der Dinge hingegen soll das irdische Leben selber wahrhaftig Leben seyn, dessen man sich erfreuen, und das man, freilich in Erwartung eines höhern, dankbar genießen könne; und obwohl es wahr ist, daß die Religion auch der Trost ist des widerrechtlich zerdrückten Sklaven, so ist dennoch vor allen Dingen dies religiöser Sinn, daß man sich gegen die Sklaverei stemme, und, so man es verhindern kann, die Religion nicht bis zum bloßen Troste der Gefangenen herabsinken lasse. Dem Tyrannen steht es wohl an, religiöse Ergebung zu predigen, und die, denen er auf Erden kein Pläzgen verstatten will, an den Himmel zu verweisen; wir andern müssen weniger eilen, diese von ihm empfohlne Ansicht der Religion uns anzueignen, und, falls wir können, verhindern, daß man die Erde zur Hölle mache, um eine desto größere Sehnsucht nach dem Himmel zu erregen.
Der natürliche, nur im wahren Falle der Noth aufzugebende Trieb des Menschen ist der, den Himmel schon auf dieser Erde zu finden, und ewig dauerndes zu verflößen in sein irdisches Tagewerk; das unvergängliche im zeitlichen selbst zu pflanzen, und zu erziehen, – nicht bloß auf eine unbegreifliche Weise, und allein durch die, sterblichen Augen undurchdringbare Kluft mit dem ewigen zusammenhängend, sondern auf eine dem sterblichen Auge selbst sichtbare Weise.
Daß ich bei diesem gemeinfaßlichen Beispiele anhebe: Welcher edeldenkende will nicht, und wünscht nicht, in seinen Kindern und wiederum in den Kindern dieser, sein eigenes Leben von neuem, auf eine verbesserte Weise, zu wiederholen, und in dem Leben derselben veredelt, und vervollkommnet, auch auf dieser Erde, noch fortzuleben, nachdem er längst gestorben ist; den Geist, den Sinn, und die Sitte, mit denen er vielleicht in seinen Tagen abschreckend war für die Verkehrtheit, und das Verderben, befestigend die Rechtschaffenheit, aufmunternd die Trägheit, erhebend die Niedergeschlagenheit, der Sterblichkeit zu entreißen, und sie, als sein bestes Vermächtniß an die Nachwelt, niederzulegen in den Gemüthern seiner Hinterlassenen, damit auch diese sie einst eben also, verschönert und vermehrt, wieder niederlegen? Welcher Edeldenkende will nicht durch Thun oder Denken, ein Saamenkorn streuen zu unendlicher immerfortgehender Vollkommnung seines Geschlechts, etwas neues, und vorher nie da gewesenes hineinwerfen in die Zeit, das in ihr bleibe, und nie versiegende Quelle werde neuer Schöpfungen; seinen Plaz auf dieser Erde, und die ihm verliehene kurze Spanne Zeit bezahlen mit einem auch hienieden ewig dauernden, so, daß er, als dieser Einzelne, wenn auch nicht genannt durch die Geschichte, (denn Durst nach Nachruhm ist eine verächtliche Eitelkeit) dennoch in seinem eignen Bewußtseyn und seinem Glauben offenbare Denkmale hinterlasse, daß auch Er da gewesen sey? Welcher Edeldenkende will das nicht, sagte ich; aber nur nach den Bedürfnissen der also denkenden, als der Regel, wie alle seyn sollten, ist die Welt zu betrachten und einzurichten, und um ihrer willen allein ist eine Welt da. Sie sind der Kern derselben, und die anders denkenden sind, als selbst nur ein Theil der vergänglichen Welt, so lange sie also denken, auch nur um ihrer willen da, und müssen sich nach ihnen bequemen, so lange, bis sie geworden sind, wie sie.
Was könnte es nun seyn, das dieser Aufforderung und diesem Glauben des Edlen an die Ewigkeit und Unvergänglichkeit seines Werkes, die Gewähr zu leisten vermöchte? Offenbar nur eine Ordnung der Dinge, die er für selbst ewig, und für fähig, ewiges in sich aufzunehmen, anzuerkennen vermöchte. Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandne, besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinen Denken, und Thun, und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde, und zu dem, was er jezt ist, heraufwuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß sein Werk, wenn er mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keineswegs der bloße Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist, und mit diesem Erfolge rein aufgeht, sondern daß es ein Mehreres ist, denn das, und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben; so ist es dennoch ebenso wahr, daß jenes mehrere, sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung, unter jenes besondere geistige Naturgesez sich gefügt, und nur nach demselben sich einen sinnlichen Ausdruk gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesez nun werden, so lange dieses Volk besteht, auch alle fernere Offenbarungen des göttlichen in demselben eintreten, und in ihm sich gestalten. Dadurch aber, daß auch er da war, und so wirkte, ist selbst dieses Gesez weiter bestimmt, und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandtheil desselben geworden. Auch hiernach wird alles folgende sich fügen, und an dasselbe sich anschließen müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung bleibt in seinem Volke, so lange dieses selbst bleibt, und fortdauernder Bestimmungsgrund wird aller fernern Entwiklung desselben.
Dies nun ist in höherer vom Standpunkte der Ansicht einer geistigen Welt überhaupt genommener Bedeutung des Worts, ein Volk: das Ganze der in Gesellschaft mit einander fortlebenden, und sich aus sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesammt unter einem gewissen besondern Gesetze der Entwiklung des göttlichen aus ihm steht. Die Gemeinsamkeit dieses besondern Gesetzes ist es, was in der ewigen Welt, und eben darum auch in der zeitlichen, diese Menge zu einem natürlichen, und von sich selbst durchdrungenen Ganzen verbindet. Dieses Gesez selbst seinem Inhalte nach, kann wohl im Ganzen erfaßt werden, so wie wir es an den Deutschen, als einem Urvolke, erfaßt haben; es kann sogar durch Erwägung der Erscheinungen eines solchen Volkes noch näher in manchen seiner weitern Bestimmungen begriffen werden; aber es kann niemals von irgend einem, der ja selbst immerfort unter desselben ihm unbewußten Einflusse bleibt, ganz mit dem Begriffe durchdrungen werden; obwohl im Allgemeinen klar eingesehen werden kann, daß es ein solches Gesez gebe. Es ist dieses Gesez ein Mehr der Bildlichkeit, das mit dem Mehr der unbildlichen Ursprünglichkeit, in der Erscheinung unmittelbar verschmilzt; und so sind denn, in der Erscheinung eben, beide nicht wieder zu trennen. Jenes Gesez bestimmt durchaus und vollendet das, was man den National-Charakter eines Volks genannt hat; jenes Gesez der Entwiklung des ursprünglichen, und göttlichen. Es ist aus dem leztern klar, daß Menschen, welche so wie wir bisher die Ausländerei beschrieben haben, an ein ursprüngliches, und an eine Fortentwiklung desselben gar nicht glauben, sondern bloß an einen ewigen Kreislauf des scheinbaren Lebens, und welche durch ihren Glauben werden, wie sie glauben, im höhern Sinne gar kein Volk sind, und da sie in der That eigentlich auch nicht da sind, eben so wenig einen Nationalcharakter zu haben vermögen.
Der Glaube des edlen Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit auch auf dieser Erde gründet sich demnach auf die Hofnung der ewigen Fortdauer des Volks, aus dem er selber sich entwickelt hat, und der Eigenthümlichkeit desselben, nach jenem verborgenen Gesetze; ohne Einmischung und Verderbung durch irgend ein fremdes, und in das Ganze dieser Gesezgebung nicht gehöriges. Diese Eigenthümlichkeit ist das ewige, dem er die Ewigkeit seiner selbst und seines Fortwirkens anvertraut, die ewige Ordnung der Dinge, in die er sein ewiges legt; ihre Fortdauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das entbindende Mittel, wodurch die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fortdauerndem Leben hienieden ausgedehnt wird. Sein Glaube, und sein Streben, unvergängliches zu pflanzen, sein Begriff, in welchem er sein eignes Leben als ein ewiges Leben erfaßt, ist das Band, welches zunächst seine Nation, und vermittelst ihrer das ganze Menschengeschlecht, innigst mit ihm selber verknüpft, und ihrer aller Bedürfnisse, bis ans Ende der Tage, einführt in sein erweitertes Herz. Dies ist seine Liebe zu seinem Volke, zuvörderst achtend, vertrauend, desselben sich freuend, mit der Abstammung daraus sich ehrend. Es ist göttliches in ihm erschienen, und das ursprüngliche hat dasselbe gewürdigt, es zu seiner Hülle, und zu seinem unmittelbaren Verflößungsmittel in die Welt zu machen; es wird darum auch ferner göttliches aus ihm hervorbrechen. Sodann thätig, wirksam, sich aufopfernd für dasselbe. Das Leben, bloß als Leben, als Fortsetzen des wechselnden Daseyns, hat für ihn ja ohne dies nie Werth gehabt, er hat es nur gewollt als Quelle des dauernden; aber diese Dauer, verspricht ihm allein die selbstständige Fortdauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe, und er in ihr lebe das einzige Leben, das er von je gemocht hat.
So ist es. Die Liebe, die wahrhaftig Liebe sey, und nicht bloß eine vorübergehende Begehrlichkeit, haftet nie auf vergänglichem, sondern sie erwacht, und entzündet sich, und ruht allein in dem ewigen. Nicht einmal sich selbst vermag der Mensch zu lieben, es sey denn, daß er sich als ewiges erfasse; außerdem vermag er sich sogar nicht zu achten, noch zu billigen. Noch weniger vermag er etwas außer sich zu lieben, außer also, daß er es aufnehme in die Ewigkeit seines Glaubens und seines Gemüths, und es anknüpfe an diese. Wer nicht zuförderst sich als ewig erblikt, der hat überhaupt keine Liebe, und kann auch nicht lieben ein Vaterland, dergleichen es für ihn nicht giebt. Wer zwar vielleicht sein unsichtbares Leben, nicht aber eben also sein sichtbares Leben, als ewig erblikt, der mag wohl einen Himmel haben, und in diesem sein Vaterland, aber hienieden hat er kein Vaterland, denn auch dieses wird nur unter dem Bilde der Ewigkeit, und zwar der sichtbaren, und versinnlichten Ewigkeit erblikt, und er vermag daher auch nicht sein Vaterland zu lieben. Ist einem solchen keins überliefert worden, so ist er zu beklagen; wem Eins überliefert worden ist, und in wessen Gemüthe Himmel und Erde, unsichtbares, und sichtbares sich durchdringen, und so erst einen wahren und gediegenen Himmel erschaffen, der kämpft bis auf den lezten Blutstropfen, um den theuren Besitz ungeschmälert wiederum zu überliefern an die Folgezeit.
So ist es auch von jeher gewesen, ohnerachtet es nicht von jeher mit dieser Allgemeinheit, und mit dieser Klarheit ausgesprochen worden. Was begeisterte die edlen unter den Römern, deren Gesinnungen und Denkweise noch in ihren Denkmalen unter uns leben, und athmen, zu Mühen und Aufopferungen, zum Dulden und Tragen fürs Vaterland? Sie sprechen es selbst oft und deutlich aus. Ihr fester Glaube war es an die ewige Fortdauer ihrer Roma, und ihre zuversichtliche Aussicht, in dieser Ewigkeit selber ewig mit fortzuleben im Strome der Zeit. Inwiefern dieser Glaube Grund hatte, und sie selbst, wenn sie in sich selber vollkommen klar gewesen wären, denselben gefaßt haben würden, hat er sie auch nicht getäuscht. Bis auf diesen Tag lebet das, was wirklich ewig war in ihrer ewigen Roma, und sie mit demselben, in unsrer Mitte fort, und wird in seinen Folgen fortleben bis ans Ende der Tage.
Volk und Vaterland in dieser Bedeutung, als Träger, und Unterpfand der irdischen Ewigkeit, und als dasjenige, was hienieden ewig seyn kann, liegt weit hinaus über den Staat, im gewöhnlichen Sinne des Worts, – über die gesellschaftliche Ordnung, wie dieselbe im bloßen klaren Begriffe erfaßt, und nach Anleitung dieses Begriffs errichtet und erhalten wird. Dieser will gewisses Recht, innerlichen Frieden, und daß jeder durch Fleiß seinen Unterhalt, und die Fristung seines sinnlichen Daseyns finde, so lange Gott sie ihm gewähren will. Dieses alles ist nur Mittel, Bedingung, und Gerüst dessen, was die Vaterlandsliebe eigentlich will, des Ausblühens des ewigen, und göttlichen in der Welt, immer reiner, vollkommner und getroffener im unendlichen Fortgange. Eben darum muß diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste, lezte, und unabhängige Behörde, zuförderst, indem sie ihn beschränkt in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zwek, den innerlichen Frieden. Für diesen Zwek muß freilich die natürliche Freiheit des Einzelnen auf mancherlei Weise beschränkt werden, und wenn man gar keine andere Rüksicht und Absicht mit ihnen hätte, denn diese, so würde man wohl thun, dieselbe so eng, als immer möglich, zu beschränken, alle ihre Regungen unter eine einförmige Regel zu bringen, und sie unter immerwährender Aufsicht zu erhalten. Gesezt diese Strenge wäre nicht nöthig, so könnte sie wenigstens für diesen alleinigen Zwek nicht schaden. Nur die höhere Ansicht des Menschengeschlechts, und der Völker, erweitert diese beschränkte Berechnung. Freiheit, auch in den Regungen des äußerlichen Lebens, ist der Boden, in welchem die höhere Bildung keimt; eine Gesezgebung, welche diese leztere im Auge behält, wird der ersteren einen möglichst ausgebreiteten Kreis lassen, selber auf die Gefahr hin, daß ein geringerer Grad der einförmigen Ruhe und Stille erfolge, und daß das Regieren ein wenig schwerer, und mühsamer werde.
Um dies an einem Beispiele zu erläutern: man hat erlebt, daß Nationen ins Angesicht gesagt worden, sie bedürften nicht so vieler Freiheit, als etwa manche andere Nation. Diese Rede kann sogar eine Schonung und Milderung enthalten, indem man eigentlich sagen wollte, sie könnten so viele Freiheit gar nicht ertragen, und nur eine hohe Strenge könne verhindern, daß sie sich nicht unter einander selber aufrieben. Wenn aber die Worte also genommen werden, wie sie gesagt sind, so sind sie wahr unter der Voraussetzung, daß eine solche Nation des ursprünglichen Lebens, und des Triebes nach solchem, durchaus unfähig sey. Eine solche Nation, falls eine solche, in der auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, möglich seyn sollte, bedürfte in der That gar keiner Freiheit, denn diese ist nur für die höhere über den Staat hinaus liegenden Zweke; sie bedarf bloß der Bezähmung, und Abrichtung, damit die Einzelnen friedlich neben einander bestehen, und damit das Ganze zu einem tüchtigen Mittel für willkührlich zu setzende außer ihr liegende Zweke zubereitet werde. Wir können unentschieden lassen, ob man irgend einer Nation dies mit Wahrheit sagen könne; so viel ist klar, daß ein ursprüngliches Volk der Freiheit bedarf, daß diese das Unterpfand ist seines Beharrens als ursprünglich, und daß es in seiner Fortdauer einen immer höher steigenden Grad derselben ohne alle Gefahr erträgt. Und dies ist das erste Stük, in Rüksicht dessen die Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren muß.
Sodann muß sie es seyn, die den Staat darin regiert, daß sie ihm selbst einen höhern Zwek sezt, denn den gewöhnlichen der Erhaltung des innern Friedens, des Eigenthums, der persönlichen Freiheit, des Lebens, und des Wohlseyns aller. Für diesen höhern Zwek allein, und in keiner andern Absicht bringt der Staat eine bewafnete Macht zusammen. Wenn von der Anwendung dieser die Rede entsteht, wenn es gilt, alle Zweke des Staats im bloßen Begriffe, Eigenthum, persönliche Freiheit, Leben, und Wohlseyn, ja die Fortdauer des Staats selbst, auf das Spiel zu setzen; ohne einen klaren Verstandesbegriff von der sichern Erreichung des beabsichtigten, dergleichen in Dingen dieser Art nie möglich ist, ursprünglich und Gott allein verantwortlich, zu entscheiden: dann lebt am Ruder des Staates erst ein wahrhaft ursprüngliches und erstes Leben, und an dieser Stelle erst treten ein die wahren Majestätsrechte der Regierung, gleich Gott um höhren Lebens willen das niedere Leben daran zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten Verfassung, der Gesetze, des bürgerlichen Wohlstandes, ist gar kein rechtes eigentliches Leben, und kein ursprünglicher Entschluß. Umstände, und Lage, längst vielleicht verstorbene Gesezgeber, haben diese erschaffen; die folgenden Zeitalter gehen gläubig fort auf der angetretenen Bahn, und leben so in der That nicht ein eignes öffentliches Leben, sondern sie wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es bedarf in solchen Zeiten keiner eigentlichen Regierung. Wenn aber dieser gleichmäßige Fortgang in Gefahr geräth, und es nun gilt, über neue, nie also da gewesene Fälle zu entscheiden; dann bedarf es eines Lebens, das aus sich selber lebe. Welcher Geist nun ist es, der in solchen Fällen sich an das Ruder stellen dürfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit, und ohne unruhiges Hin- und Herschwanken zu entscheiden vermöge, der ein unbezweifeltes Recht habe, jedem, den es treffen mag, ob er nun selbst es wolle oder nicht, gebietend anzumuthen, und den Widerstrebenden zu zwingen, daß er alles, bis auf sein Leben, in Gefahr setze? Nicht der Geist der ruhigen bürgerlichen Liebe der Verfassung, und der Gesetze, sondern die verzehrende Flamme der höheren Vaterlandsliebe, die die Nation als Hülle des ewigen umfaßt, für welche der Edle mit Freuden sich opfert, und der Unedle, der nur um des ersten willen da ist, sich eben opfern soll. Nicht jene bürgerliche Liebe der Verfassung ist es; diese vermag dies gar nicht, wenn sie bei Verstande bleibt. Wie es auch ergehen möge, da nicht umsonst regiert wird, so wird sich immer ein Regent für sie finden. Lasset den neuen Regenten sogar die Sklaverei wollen (und wo ist Sklaverei, außer in der Nichtachtung, und Unterdrückung der Eigenthümlichkeit eines ursprünglichen Volkes, dergleichen für jenen Sinn nicht vorhanden ist?) – Lasset ihn auch die Sklaverei wollen, – da aus dem Leben der Sklaven, ihrer Menge, sogar ihrem Wohlstande sich Nutzung ziehen läßt, so wird, wenn er nur einigermaßen ein Rechner ist, die Sklaverei unter ihm erträglich ausfallen. Leben und Unterhalt wenigstens werden sie immer finden. Wofür sollten sie denn also kämpfen? Nach jenen beiden ist es die Ruhe, die ihnen über alles geht. Diese wird durch die Fortdauer des Kampfes nur gestört. Sie werden darum alles anwenden, daß dieser nur recht bald ein Ende nehme, sie werden sich fügen, sie werden nachgeben, und warum sollten sie nicht? Es ist ihnen ja nie um mehr zu thun gewesen, und sie haben vom Leben nie etwas Weiteres gehofft, denn die Fortsetzung der Gewohnheit dazuseyn unter erleidlichen Bedingungen. Die Verheißung eines Lebens auch hienieden über die Dauer des Lebens hienieden hinaus, – allein diese ist es, die bis zum Tode fürs Vaterland begeistern kann.
So ist es auch bisher gewesen. Wo da wirklich regiert worden ist, wo bestanden worden sind ernsthafte Kämpfe, wo der Sieg errungen worden ist gegen gewaltigen Widerstand, da ist es jene Verheißung ewigen Lebens gewesen, die da regierte, und kämpfte, und siegte. Im Glauben an diese Verheißung kämpften die in diesen Reden früher erwähnten deutschen Protestanten. Wußten sie etwa nicht, daß auch mit dem alten Glauben Völker regiert, und in rechtlicher Ordnung zusammengehalten werden könnten, und daß man auch bei diesem Glauben seinen guten Lebensunterhalt finden könne? Warum beschlossen denn also ihre Fürsten bewafneten Widerstand, und warum leisteten ihn mit Begeisterung die Völker? – Der Himmel war es, und die ewige Seeligkeit, für welche sie willig ihr Blut vergossen. – Aber welche irdische Gewalt hätte denn auch in das innere Heiligthum ihres Gemüths eindringen, und den Glauben, der ihnen ja nun einmal aufgegangen war, und auf welchen allein sie ihrer Seeligkeit Hofnung gründeten, darin austilgen können? Also, auch ihre eigne Seeligkeit war es nicht, für die sie kämpften; dieser waren sie schon versichert: die Seeligkeit ihrer Kinder, ihrer noch ungebornen Enkel, und aller noch ungebornen Nachkommenschaft war es; auch diese sollten auferzogen werden in derselben Lehre, die ihnen als allein heilbringend erschienen war, auch diese sollten theilhaftig werden des Heiles, das für sie angebrochen war; diese Hofnung allein war es, die durch den Feind bedroht wurde, für sie, für eine Ordnung der Dinge, die lange nach ihrem Tode über ihren Gräbern blühen sollte, versprizten sie mit dieser Freudigkeit ihr Blut. Geben wir zu, daß sie sich selbst nicht ganz klar waren, daß sie in der Bezeichnung des edelsten, was in ihnen war, mit Worten sich vergriffen, und mit dem Munde ihrem Gemüthe unrecht thaten; bekennen wir gern, daß ihr Glaubensbekenntniß nicht das einige, und ausschließende Mittel war, des Himmels jenseits des Grabes theilhaftig zu werden: so ist doch dies ewig wahr, daß mehr Himmel diesseits des Grabes, ein muthigeres und fröhlicheres Emporblicken von der Erde, und eine freiere Regung des Geistes, durch ihre Aufopferung, in alles Leben der Folgezeit gekommen ist, und die Nachkommen ihrer Gegner eben so wohl, als wir selbst, ihre Nachkommen, die Früchte ihrer Mühen bis auf diesen Tag genießen.
In diesem Glauben sezten unsre ältesten gemeinsamen Vorfahren, das Stammvolk der neuen Bildung, die von den Römern Germanier genannten Deutschen, sich der herandringenden Weltherrschaft der Römer muthig entgegen. Sahen sie denn nicht vor Augen den höhern Flor der Römischen Provinzen neben sich, die feinern Genüsse in denselben, dabei Gesetze, Richterstühle, Ruthenbündel, und Beile in Ueberfluß? Waren die Römer nicht bereitwillig genug, sie an allen diesen Seegnungen Teil nehmen zu lassen? Erlebten sie nicht an mehrern ihrer eigenen Fürsten, die sich nur bedeuten ließen, daß der Krieg gegen solche Wohlthäter der Menschheit Rebellion sei, Beweise der gepriesenen Römischen Klemenz, indem sie die Nachgiebigen mit Königstiteln, mit Anführerstellen in ihren Heeren, mit Römischen Opferbinden auszierten, ihnen, wenn sie etwa von ihren Landsleuten ausgetrieben wurden, einen Zufluchtsort, und Unterhalt in ihren Pflanzstädten gaben? Hatten sie keinen Sinn für die Vorzüge Römischer Bildung, z. B. für die bessere Einrichtung ihrer Heere, in denen sogar ein Arminius das Kriegshandwerk zu erlernen nicht verschmähte? Keine von allen diesen Unwissenheiten, oder Nichtbeachtungen ist ihnen aufzurükken. Ihre Nachkommen haben sogar, sobald sie es ohne Verlust für ihre Freiheit konnten, die Bildung derselben sich angeeignet, in wie weit es ohne Verlust ihrer Eigenthümlichkeit möglich war. Wofür haben sie denn also mehrere Menschenalter hindurch gekämpft im blutigen, immer mit derselben Kraft sich wieder erneuernden Kriege? Ein Römischer Schriftsteller läßt es ihre Anführer also aussprechen: „ob ihnen denn etwas anderes übrig bleibe, als entweder die Freiheit zu behaupten, oder zu sterben, bevor sie Sklaven würden.“ Freiheit war ihnen, daß sie eben Deutsche blieben, daß sie fortführen ihre Angelegenheiten selbstständig, und ursprünglich, ihrem eignen Geiste gemäß, zu entscheiden, und diesem gleichfalls gemäß auch in ihrer Fortbildung vorwärts zu rükken, und daß sie diese Selbstständigkeit auch auf ihre Nachkommenschaft fortpflanzten: Sklaverei hießen ihnen alle jene Segnungen, die ihnen die Römer antrugen, weil sie dabei etwas anderes, denn Deutsche, weil sie halbe Römer werden müßten. Es verstehe sich von selbst, sezten sie voraus, daß jeder, ehe er dies werde, lieber sterbe, und daß ein wahrhafter Deutscher nur könne leben wollen, um eben Deutscher zu seyn, und zu bleiben, und die seinigen zu eben solchen zu bilden.
Sie sind nicht alle gestorben, sie haben die Sklaverei nicht gesehen, sie haben die Freiheit hinterlassen ihren Kindern. Ihrem beharrlichen Widerstande verdankt es die ganze neue Welt, daß sie da ist, so wie sie da ist. Wäre es den Römern gelungen, auch sie zu unterjochen, und, wie dies der Römer allenthalben that, sie als Nation auszurotten, so hätte die ganze Fortentwiklung der Menschheit eine andere, und man kann nicht glauben erfreulichere Richtung genommen. Ihnen verdanken wir, die nächsten Erben ihres Bodens, ihrer Sprache, und ihrer Gesinnung, daß wir noch Deutsche sind, daß der Strom ursprünglichen und selbstständigen Lebens uns noch trägt, ihnen verdanken wir alles, was wir seitdem als Nation gewesen sind, ihnen, falls es nicht etwa jetzo mit uns zu Ende ist, und der lezte von ihnen abgestammte Blutstropfen in unsern Adern versiegt ist, ihnen werden wir verdanken, alles, was wir noch ferner seyn werden. Ihnen verdanken selbst die übrigen, uns jezt zum Auslande gewordenen Stämme, in ihnen unsre Brüder, ihr Daseyn; als jene die ewige Roma besiegten, war noch keins aller dieser Völker vorhanden; damals wurde zugleich auch ihnen die Möglichkeit ihrer künftigen Entstehung mit erkämpft.
Diese, und alle andere in der Weltgeschichte, die ihres Sinnes waren, haben gesiegt, weil das Ewige sie begeisterte, und so siegt immer und nothwendig diese Begeisterung über den, der nicht begeistert ist. Nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemüths ist es, welche Siege erkämpft. Wer ein begrenztes Ziel sich sezt seiner Aufopferungen, und sich nicht weiter wagen mag, als bis zu einem gewissen Punkte, der giebt den Widerstand auf, sobald die Gefahr ihm an diesen durchaus nicht aufzugebenden noch zu entbehrenden Punkt kommt. Wer gar kein Ziel sich gesezt hat, sondern alles, und das höchste, was man hienieden verlieren kann, das Leben, daran sezt, giebt den Widerstand nie auf, und siegt, so der Gegner ein begrenzteres Ziel hat, ohne Zweifel. Ein Volk, das da fähig ist, sey es auch nur in seinen höchsten Stellvertretern, und Anführern, das Gesicht aus der Geisterwelt, Selbstständigkeit, fest ins Auge zu fassen, und von der Liebe dafür ergriffen zu werden, wie unsre ältesten Vorfahren, siegt gewiß über ein solches, das nur zum Werkzeuge fremder Herrschsucht, und zu Unterjochung selbstständiger Völker gebraucht wird, wie die Römischen Heere; denn die erstern haben alles zu verlieren, die leztern bloß einiges zu gewinnen. Ueber die Denkart aber, die den Krieg als ein Glüksspiel ansieht, um zeitlichen Gewinn oder Verlust, und bei der schon, ehe sie das Spiel anfängt, fest steht, bis zu welcher Summe sie auf die Charten setzen wolle, siegt sogar eine Grille. Denken Sie sich z. B. einen Mahomet, – nicht den wirklichen der Geschichte, über welchen ich kein Urtheil zu haben bekenne, sondern den eines bekannten französischen Dichters, – der sich einmal fest in den Kopf gesezt habe, er sey eine der ungemeinen Naturen, die da berufen sind, das dunkle, das gemeine Erdenvolk zu leiten, und dem, zufolge dieser ersten Voraussetzung, alle seine Einfälle, so dürftig und so beschränkt sie auch in der That seyn mögen, dieweil es die seinigen sind, nothwendig erscheinen müssen, als große und erhabene und beseeligende Ideen, und alles, was denselben sich widersezt, als dunkles gemeines Volk, Feinde ihres eignen Wohls, übelgesinnte, und hassenswürdige; der nun, um diesen seinen Eigendünkel vor sich selbst als göttlichen Ruf zu rechtfertigen, und ganz aufgegangen in diesem Gedanken mit all seinem Leben, alles daran setzen muß, und nicht ruhen kann, bis er alles, das nicht eben so groß von ihm denken will, denn er selbst, zertreten hat, und bis aus der ganzen Mitwelt sein eigner Glaube an seine göttliche Sendung ihm zurückstrale; ich will nicht sagen, wie es ihm ergehen würde, falls wirklich ein geistiges Gesicht, das da wahr ist und klar in sich selbst, gegen ihn in die Kampfbahn träte, aber jenen beschränkten Glüksspielern gewinnt er es sicher ab, denn er sezt alles, gegen sie, die nicht alles sezen; sie treibt kein Geist, ihn aber treibt allerdings ein schwärmerischer Geist, – der seines gewaltigen und kräftigen Eigendünkels.
Aus allem gehet hervor, daß der Staat, als bloßes Regiment des im gewöhnlichen friedlichen Gange fortschreitenden menschlichen Lebens, nichts erstes, und für sich selbst seyendes, sondern daß er bloß das Mittel ist für den höhern Zweck der ewig gleichmäßig fortgehenden Ausbildung des rein menschlichen in dieser Nation; daß es allein das Gesicht, und die Liebe dieser ewigen Fortbildung ist, welche immerfort auch in ruhigen Zeitläuften die höhere Aufsicht über die Staatsverwaltung führen soll, und welche, wo die Selbstständigkeit des Volks in Gefahr ist, allein dieselbe zu retten vermag. Bei den Deutschen, unter denen, als einem ursprünglichen Volke, diese Vaterlandsliebe möglich, und, wie wir fest zu wissen glauben, bis jezt auch wirklich war, konnte dieselbe bis jezt mit einer hohen Zuversicht auf die Sicherheit ihrer wichtigsten Angelegenheit rechnen. Wie nur noch bei den Griechen in der alten Zeit, war bei ihnen der Staat und die Nation sogar von einander gesondert, und jedes für sich dargestellt, der erste in den besondern deutschen Reichen, und Fürstenthümern, die lezte sichtbar im Reichsverbande, unsichtbar, nicht zufolge eines niedergeschriebenen aber eines in aller Gemüther lebenden Rechtes geltend, und in ihren Folgen allenthalben in das Auge springend, in einer Menge von Gewohnheiten, und Einrichtungen. So weit die deutsche Zunge reichte, konnte jeder, dem im Bezirke derselben das Licht anbrach, sich doppelt betrachten als Bürger, theils seines Geburtsstaates, dessen Fürsorge er zunächst empfohlen war, theils des ganzen gemeinsamen Vaterlandes Deutscher Nation. Jedem war es verstattet, über die ganze Oberfläche dieses Vaterlandes hin sich diejenige Bildung, die am meisten Verwandschaft zu seinem Geiste hatte, oder den demselben angemessensten Wirkungskreis aufzusuchen, und das Talent wuchs nicht hinein in seine Stelle, wie ein Baum sondern es war ihm erlaubt, dieselbe zu suchen. Wer durch die Richtung, die seine Bildung nahm, mit seiner nächsten Umgebung entzweit wurde, fand leicht anderwärts willige Aufnahme, fand neue Freunde statt der verlohrnen, fand Zeit und Ruhe, um sich näher zu erklären, vielleicht die erzürnten selbst zu gewinnen und zu versöhnen, und so das Ganze zu einigen. Kein deutschgebohrner Fürst hat es je über sich vermocht, seinen Unterthanen das Vaterland innerhalb der Berge, oder Flüsse, wo er regierte, abzustekken, und dieselben zu betrachten, als gebunden an die Erdscholle. Eine Wahrheit, die an einem Orte nicht laut werden durfte, durfte es an einem andern, an welchem vielleicht im Gegentheile diejenigen verboten waren, die dort erlaubt wurden; und so fand denn, bei manchen Einseitigkeiten und Engherzigkeiten der besondern Staaten, dennoch in Deutschland, dieses als ein Ganzes genommen, die höchste Freiheit der Erforschung und der Mittheilung statt, die jemals ein Volk besessen; und die höhere Bildung war und blieb allenthalben der Erfolg aus der Wechselwirkung der Bürger aller deutschen Staaten, und diese höhere Bildung kam denn in dieser Gestalt auch allmählig herab zum größern Volke, das somit immer fortfuhr sich selber durch sich selbst im Großen, und Ganzen zu erziehen. Dieses wesentliche Unterpfand der Fortdauer einer deutschen Nation, schmälerte, wie gesagt, kein am Ruder der Regierung sitzendes deutsches Gemüth; und wenn auch in Absicht andrer ursprünglichen Entscheidungen nicht immer geschehen seyn sollte, was die höhere deutsche Vaterlandsliebe wünschen mußte, so ist wenigstens der Angelegenheit desselben nicht geradezu entgegen gehandelt worden, man hat nicht gesucht, jene Liebe zu untergraben, sie auszurotten, und eine entgegengesezte Liebe an ihre Stelle zu bringen.
Wenn nun aber etwa die ursprüngliche Leitung sowohl jener höhern Bildung, als der Nationalmacht, die allein für jene und ihre Fortdauer als Zwek gebraucht werden darf, die Verwendung deutschen Gutes, und deutschen Blutes, aus der Botmäßigkeit deutschen Gemüths in eine andere kommen sollte, was würde sodann nothwendig erfolgen müssen?
Hier ist der Ort, wo es der in unsrer ersten Rede in Anspruch genommenen Geneigtheit, sich über die eignen Angelegenheiten nicht täuschen zu wollen, und des Muthes, die Wahrheit sehen zu wollen, und sie sich zu gestehen, vorzüglich bedarf; auch ist es, so viel mir bekannt, noch immer erlaubt, in deutscher Sprache mit einander vom Vaterlande zu reden, wenigstens zu seufzen, und wir würden, glaube ich, nicht wohl thun, wenn wir aus unsrer eignen Mitte heraus ein solches Verbot verfrühten, und dem Muthe, der ohne Zweifel über das Wagniß schon vorher mit sich zu Rathe gegangen seyn wird, die Fessel der Zaghaftigkeit Einzelner anlegen wollten.
Mahlen Sie sich also die vorausgesezte neue Gewalt so gütig, und so wohlwollend vor, als Sie irgend wollen, machen Sie sie gut, wie Gott; werden Sie ihr auch göttlichen Verstand einsetzen können? Mag sie alles Ernstes das höchste Glück und Wohlseyn aller wollen, wird das höchste Wohlsein, das sie zu fassen vermag, wohl auch deutsches Wohlseyn seyn? So hoffe ich über den Hauptpunkt, den ich Ihnen heute vorgetragen, von Ihnen recht wohl verstanden worden zu seyn, ich hoffe, daß mehrere hiebei gedacht und gefühlt haben: ich drükke nur deutlich aus und spreche aus mit Worten, wie es ihnen von jeher im Gemüthe gelegen; ich hoffe, daß es auch mit den übrigen Deutschen, die einst dieses lesen werden, sich also verhalten werde; auch haben vor mir mehrere Deutsche ohngefähr dasselbe gesagt; und dem immerfort bezeugten Widerstreben gegen eine bloß mechanische Einrichtung und Berechnung des Staats, hat dunkel jene Gesinnung zum Grunde gelegen. Und nun fordre ich alle, die mit der neuen Literatur des Auslandes bekannt sind, auf, mir nachzuweisen, welcher neuere Weise, Dichter, Gesezgeber derselben eine diesem ähnliche Ahndung, die das Menschengeschlecht als ein ewig fortschreitendes betrachte, und alles sein Regen in der Zeit nur auf diesen Fortschritt beziehe, jemals verrathen habe; ob irgend einer, selbst in dem Zeitpunkte, als sie am kühnsten zu politischer Schöpfung sich emporschwangen, mehr, als nur nicht Ungleichheit, inneren Frieden, äußern Nationalruhm, und, wo es aufs höchste getrieben wurde, häusliche Glükseeligkeit vom Staate gefordert habe? Ist, wie man aus allen diesen Anzeigen schließen muß, dieses ihr höchstes, so werden sie auch uns keine höheren Bedürfnisse, und keine höheren Forderungen an das Leben beimessen, und, immer jene wohlthätigen Gesinnungen gegen uns und die Abwesenheit alles Eigennutzes, und aller Sucht mehr seyn zu wollen denn wir, vorausgesezt, treflich für uns gesorgt zu haben glauben, wenn wir alles das finden, was sie allein als begehrungswürdig kennen; dasjenige aber, warum der edlere unter uns allein leben mag, ist sodann ausgetilgt aus dem öffentlichen Leben, und das Volk, das für die Anregungen des Edleren sich stets empfänglich gezeigt hat, und welches man sogar nach seiner Mehrheit zu jenem Adel emporzuheben hoffen durfte, ist, so wie es behandelt wird, wie jene behandelt seyn wollen, herabgesezt unter seinen Rang, entwürdigt, ausgetilgt aus der Reihe der Dinge, indem es zusammenfließt mit dem von niederer Art.
In wem nun jene höheren Anforderungen an das Leben, nebst dem Gefühle ihres göttlichen Rechts, dennoch lebendig und kräftig bleiben, der fühlt mit tiefem Unwillen sich zurückgedrängt in jene ersten Zeiten des Christenthums, zu denen gesagt ist: „Ihr sollt nicht widerstreben dem Uebel, sondern, so dir jemand einen Streich giebt auf den rechten Bakken, dem biete den andern auch dar, und so jemand deinen Rok nehmen will, dem laß auch den Mantel;“ mit Recht das lezte, denn so lange er noch einen Mantel an dir sieht, sucht er einen Handel an dich, um dir auch diesen zu nehmen, erst wie du ganz nakkend bist, entgehst du seiner Aufmerksamkeit und hast vor ihm Ruhe. Eben sein höherer Sinn, der ihn ehrt, macht ihm die Erde zur Hölle, und zum Ekel, er wünscht, nicht geboren zu seyn, er wünscht, daß sein Auge je eher je lieber sich dem Anblicke des Tages verschließe, unversiegbare Trauer bis an das Grab erfaßt seine Tage; dem, was ihm lieb ist, kann er keine bessere Gabe wünschen, denn einen dumpfen, und genügsamen Sinn, damit es mit weniger Schmerz einem ewigen Leben jenseits des Grabes entgegen lebe.
Diese Vernichtung jeder etwa ins künftige unter uns ausbrechenden edlern Regung, und diese Heruntersetzung unsrer ganzen Nation, durch das einzige, nachdem die andern vergeblich angewendet worden sind, noch übrig bleibende Mittel zu verhindern, tragen Ihnen diese Reden an. Sie tragen Ihnen an die wahre und allmächtige Vaterlandsliebe, in der Erfassung unsers Volks als eines ewigen, und als Bürgen unsrer eignen Ewigkeit, durch die Erziehung in aller Gemüther recht tief, und unauslöschlich zu begründen. Welche Erziehung dies vermöge, und auf welche Weise, werden wir in den folgenden Reden ersehen.
Quelle: J. G. Fichte, Gesamtausgabe Werkeband 10. Stuttgart-Bad Cannstatt: F. Frommann, 1988–2000, S. 183–212.