Kurzbeschreibung

Der gebürtige Sachse Friedrich Herrmann (1775–1819) war Schriftsteller und Gymnasiallehrer in der Hansestadt Lübeck. Sein Buch Über die Seeräuber im Mittelmeer und ihre Vertilgung erschien erstmals 1815 im Zusammenhang mit einer Kampagne, mit der die Hansestädte darauf hinwirken wollten, dass die europäischen Herrscher und Staatsmänner beim Wiener Kongress nach dem Ende der Kriege gegen Napoleon energische Maßnahmen ergreifen, um die seeräuberischen Aktivitäten von Schiffen aus den nordafrikanischen Provinzen des Osmanischen Reiches einzudämmen. Auch wenn die sogenannten Berberkorsaren oder „Barbaresken“ im 19. Jahrhundert weit weniger Menschen von europäischen Schiffen und Küsten verschleppten als im 17. Jahrhundert, als deren Aktivität ihren Höhepunkt erreicht hatte, gab es immer noch mehrere tausend Gefangene. Viele von ihnen wurden nach der englisch-niederländischen Expedition der Admirale Exmouth und Capellen und der verheerenden Bombardierung Algiers im Jahre 1816 befreit. Selbst diese Intervention setzte den Korsarenüberfällen jedoch kein Ende. Schon 1817 machte sich im Deutschen Bund erneut Panik breit, als nordafrikanische Korsaren sogar in der Nordsee Schiffe überfielen. Aus diesem Anlass erschien Herrmanns Buch in einer zweiten, „wohlfeilen Ausgabe“, um seinen Appell einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Herrmann macht in seiner Rhetorik intensiven Gebrauch von abwertenden Stereotypen über muslimische und nordafrikanische Völker, differenziert aber auf der anderen Seite zwischen der Regierung des Osmanischen Reiches und den Regierungen der nordafrikanischen Provinzen sowie zwischen der türkischen Elite und der indigenen „maurischen“ Bevölkerung Nordafrikas. Von Bedeutung ist auch, dass im Titel des Buches von „Seeräubern“ die Rede ist und nicht von Korsaren, was der fachlich korrekte Begriff für Schiffe gewesen wäre, die mit Billigung ihrer Regierungen und nicht außerhalb von Recht und Gesetz handeln.

Friedrich Herrmann, Über die Seeräuber im Mittelmeer und ihre Vertilgung (1815)

Quelle

[]

Ueberhaupt giebt es nicht leicht ein Volk, dessen Charakter von einer tiefern und allgemeinern Verderbniß ergriffen wäre, als der der heutigen Bewohner dieser Gegenden. Neben ihnen sind der Hurone und der Neuseeländer Engel des Lichts; so wahr ist es, daß eine halbe oder eine falsche Erhellung schlimmer ist, als die Finsterniß selbst. Jedes Blatt in den neuern Annalen der Barbarei ist mit Blut geschrieben; fast jedes Faktum, das sie uns berichten, erregt Entsezzen und Abscheu. Während der Despotismus den Geistern alle Spannkraft raubte, mußte das Verbrechen oder das Laster auf dem Throne für die Sklaven, die sich vor ihm beugten, das Gehässige verlieren, und ihnen selbst nachahmungswerth erscheinen. Nun aber sind Mord, Verrath, Treulosigkeit, die schmuzigste und ehrvergessenste Habsucht, erbarmungslose Härte, grausamer Uebermuth, frevelnde Willkühr, Ueppigkeit, selbst Völlerei, die Züge, welche das Gepräge der Regierungen in diesen Gegenden, besonders in den lezten Jahrhunderten ausmachen. Allerdings wirft die Geschichte Fehler derselben Art auch den spätern Kalifen, den Sofi’s und den Beherrschern der Mogolen und Ottomanen vor. Allein wenn man die Handlungsweise dieser Regenten nicht immer billigen kann: so hat sich doch bis zur neuesten Zeit unter ihren Völkern eine rauhe Bravheit, eine derbe Rechtlichkeit, eine Art von ritterlichem Sinn, eine gewisse Romantik erhalten, auf welche man mit Vergnügen zurückkömmt, während am Fuße des Atlas von jenem nationalen Adel nur wenig Spuren übrig sind, und alle Individualitäten, welche hervortreten, zu gemein, ja zu schlecht sind, als daß sie einen tiefen, oder wenigstens einen angenehmen Eindruck auf das Gemüth machen könnten. Der Maure, einst unter seinen Morabiten und Ommiaden hervorragend durch Kraft und Wissenschaft und seine Sitte, ist zum Barbaren geworden, dessen Empfänglichkeit für Hohes und Würdiges durch die Einflüsse ungünstiger Zustände im hohen Grade abgestumpft erscheint.

[]

Die Vertilgung der Seeräuber ist nothwendig, weil die Ehre der Staaten sie fordert. Kann sich denn wol eine Europäische Regierung ohne Erröthen gestehen, daß sie gezwungen ist einer Horde von Barbaren, die sie tief verachtet, Tribut zu bezahlen? Denn man vermeide das verhaßte Wort, so geflissentlich man immer wolle, was man den Barbaresken unter dem Namen von Geschenken oder Annuitäten sendet, ist ein Tribut, um so schimpflicher, da man sich dadurch lediglich von rohen und eigenwilligen Herren die Vergünstigung erkauft, das haben zu dürfen, was die Natur uns so gut wie ihnen verliehen hat.

[]

Die Vertilgung der Seeräuber ist notwendig, denn der Welthandel schreibt sie vor. Daß er unter die Probleme gehört, welche die Menschheit zu lösen hat, erhellt aus den Veranstaltungen der Natur, die dem Norden das Nothwendige, dem Süden aber das Angenehme verlieh, während sie die Bewohner der ganzen Erde mit einem unvertilgbaren Verlangen nach beiden erfüllte. Und wo könnte der schicklichste Markt für ihn seyn, wenn nicht an der Pforte dreier unerschöpflich reicher Welten, zu denen die Natur nicht umsonst das herrlichste, das häfenreichste, das gefahrloseste Binnenmeer durch des Herkules ewige Riesensäulen hindurchleitete? Wie wenig aber würde man diesen Wink verstehen, wenn man eine Handvoll Barbaren noch länger ihr Wesen auf dem Rücken desselben treiben, und die Fahrzeuge, die in jenem Handel beschäftigt sind, von ihnen plündern ließe! In der Vorzeit, da die Begriffe vom Verkehr der Nationen noch beschränkt und engherzig waren, mochte man sie dulden, und, weil man in ihnen eine von den Schranken des leztern erblickte, die mancher Staat nicht genug vervielfältigen zu können vermeinte, bei ihren Quälereien durch die Finger sehen. Die Liberalität der Ansichten, die unsere Zeit vom Handel gewonnen hat, und die veränderte Lage der Dinge haben ihnen den Stab gebrochen für immer. Die Nationen der Erde bedürfen einander mehr als je; tausend Beziehungen zwischen ihnen sind angesponnen, welche die Vorwelt nicht kannte, tausend neue werden noch angesponnen werden, rascher, rühriger als manches andere wird der Welthandel seinem Ideale entgegengeführt werden. Und die Völker können es zugeben, daß die Punkte, wo sie sich berühren, und ihre Reichthümer an einander umsezzen, umschwärmt würden von gierigem Raubgesindel, das da in fauler Luft ärndten will, wo ämsiger Fleiß gesäet hat? Vernichtung der ungeschlachten Brut! ruft das beleidigte Nationalinteresse, Vernichtung! wiederholt ernst und streng die Vernunft, die mit demselben Hand in Hand geht.

Diese Vertilgung der Seeräuber ist endlich nothwendig, denn der Bildungstrieb der Menschheit macht sie zur Pflicht. Sie trauert, daß ein Meer, auf welchem sie vor Jahrtausenden gewohnt war nur ihre ädelsten Söhne zu erblicken, einem von ihr verläugneten Geschlecht so lange zum Schandplatz seiner Frevelthaten vergönnt, das Gewässer, auf denen sich die Liebe aus allen Zonen suchen und finden sollten, vom Haß seit Jahrhunderten zur systematischen Ausübung unaufhörlicher Greuel gemißbraucht wurde. Was sie seufzend so lange geduldet hat, das ist sie nicht gesonnen fortan ungerochen hingehen zu lassen. Ihr Gefühl sträubt sich gegen den Gedanken, daß an dem Strande gebildeter Nationen einsam Korsaren lauern, daß Licht und Finsterniß so nahe beisammen wohnen, daß sich die Barbarei der Bildung an den Busen legt, ihr die köstlichen Lebenssäfte aussaugt, und die geistreichsten und wohlgemeintesten ihrer Entwürfe im Werden erstickt. Sie will, – so ist ihre Natur und dahin ruft sie göttliche Bestimmung – unabläßig vermehren den Schaz von Einsicht und Kenntniß, den sie durch die Forschungen alter und neuer Zeit gehäuft, sammeln will sie alles von der Natur Geformte, alles von Menschen richtig Gedachte und schön Empfundene in einen großen Blumenkorb, damit der Fleiß neuer Denker Honig daraus zusammentrage für Geist und Herz. Darum müssen ihr zugänglich seyn alle Lande, alle Gestade, damit sie aussuche alles nothwendig und frei Hervorgebrachte, damit Sitte an Sitte und Meinung an Meinung sich reibe, und der Welthandel ist das große Getriebe, das sie zur Stillung dieses Bedürfnisses in Bewegung sezt. Wer ihn stört, ist ihr Feind. Können wir diesen Feind schonen wollen, und an der Menschheit zu Verräthern werden? Könnten wir mit jenem ein schimpfliches Einverständniß unterhalten, und dieser in ihrem großen Gange Fesseln anlegen? Diesen leztern hat Gott gezeichnet. Seine Stimme redet im tiefsten Herzen. Wehe dem, welchen weltliche Sorgen und irrer Welten hochtönend Geschwäz so zerstreut oder so betäubt haben, daß er sie nicht mehr vernimmt, und daß er für alles andere, nur nicht für das große Interesse der Menschheit wirken zu müssen vermeint!

Ja, es ist ein gerechter, ein heiliger Krieg, welchen wir beginnen. Großen Uebeln wird durch ihn gesteuert, und die Resultate werden für alle auf gleiche Weise erfreuend seyn. Ueberdies, wer sind die anmaßenden Beleidiger, welche unser Rachschwert sucht? Es sind grausame Despoten, welche das Bedürfniß geliebt zu werden so wenig fühlend, als die Pflicht gerecht zu seyn, ihr Daseyn nur durch Avanien aller Art bezeichnen, und ihre eigenen Völker aussaugen und an den Rand des Elends bringen. Es sind herzlose Fremdlinge, die sich den Einwohnern aufgedrungen haben, denen sie es, wenn sie zu Macht und Ansehen gelangen, nie vergessen, daß sie sie einst in Nacktheit und Blöße einwandern sahen, und an denen sie sich daher durch Erniedrigungen und Erpressungen, durch Uebermuth und Grausamkeit rächen. Wenn die Christen diesen fanatischen Einwohnern verhaßt sind: so sind es doch noch bei weitem mehr diese brutalen Regierungen, durch deren längeres Bestehen ihre Staaten unter der Zahl politischer Ungeheuer verbleiben. Weit entfernt uns wegen der Vertreibung derselben anzufeinden, wird uns diese vielmehr Ansprüche auf ihren Dank geben, und der erste Schritt zu einer gründlichen und ungeheuchelten Aussöhnung zwischen Mauren und Christen seyn. Wenigstens werden wir, wenn wir die Türken in die klein asiatischen Wildnisse und die Kerker zurückschicken, denen sie zum Theil entronnen sind, nicht fürchten dürfen, gegen die Eingebornen auch nur die geringste Ungerechtigkeit zu verüben.

Und dieser heilige und gerechte Krieg darf keinen Aufschub leiden! Jezt oder nie! muß unser Wahlspruch seyn. Denn was du als recht und ersprießlich für die Menschheit erkannt hast, das wird besser heute gethan als morgen, weil die leztere sich morgen schon der Früchte deines Wirkens erfreuen kann, die du ihr, so viel an dir ist, nach einem strengen Gebote der Pflicht keinen Augenblick länger, als noth ist, vorenthalten darfst. Ein neues, ein reicheres, ein umfassenderes, ein menschlicheres Leben soll den Völkern Europens gegeben werden, ein Leben, in welchem ein hinlänglicher Ersaz liege für die in harter Bedrängniß verflossenen Tage, ein Leben endlich, in welchem es dem Genius der Menschheit vergönnt ist, in schnellerem Fortschreiten zu seinem Ziel nachzuholen und einzubringen, was er unter dem zwanzigjährigen Druck einengender Uebermacht versäumen mußte. Oder ist das nicht der Wunsch aller Herzen? Nicht der Wille der ädeln Fürsten, die sich zu Europens Rettung verbanden? Nicht die Tendenz des beispiellosen Krieges, der von den Ufern der Moskwa bis an die der Seine alle Fluren mit Blut düngte? Nicht der verdiente Lohn so heldenmüthiger, so allgemeiner Anstrengungen, wie sie schwerlich die Geschichte in ihren Rollen aufzuweisen hat?

Wenn aber dies schönere Leben gelebt werden soll: so müssen die Bedingungen zu demselben gegeben seyn, so muß abgestreift werden jede Fessel, die den Fittig des Geistes bindet, niedersinken jede Schranke, die das Vorschreiten hemmend, in die alte Zeit zurückführt und die Thätigkeit der Nationen lähmt. Frei und ungehindert muß seyn der Verkehr der Völker, der Umsatz ihrer Waaren und ihrer Ideen, und die Annalen der Menschheit müssen in dem neuen großen Abschnitt, welchen sie beginnen, nicht mehr reden von Piraterien auf einem Meer, das seine Bestimmung zu einem der freiesten auf Erden macht. Und wo können die Anordnungen zur Vertilgung jener Barbaren leichter und sicherer getroffen werden, als auf einem Kongreß, der Gesandte von allen Mächten Europens vereinigt? Geht er ohne das Nöthige verfügt zu haben, aus einander: so ist vorauszusehen, daß das Partikularinteresse, daß die Schwierigkeit sich zu verständigen, daß die Weitläuftigkeiten in der Bestimmung des Kontingents von Kraft, welches jeder Staat zur gemeinsamen Sache zu geben hat, uns neue Jahrhunderte den Plackereien der Barbaresken blosstellen werden. Ueberdies, wie könnten wir zur Ausführung eines so glorreichen Unternehmens eine schicklichere Zeit finden, als die gegenwärtige, in welcher nicht nur die Regierungen der Barbarei auf‘s neue dem ganzen Europa Hohn sprechen, und mit unverschämteren Forderungen hervortreten, als je, sondern auch in der Blüthe der Völker ein Selbstgefühl athmet, das sich gegen jeden Druck auflehnt, und nicht ungestraft ihrem Vaterlande solche Schmach bieten läßt? Ein ächt ritterlicher Sinn, d.i. ein Sinn, der auf das Höchste der Menschheit gerichtet ist, wohnt in unserer Jugend; eine heilige Flamme, durch die verfolgte Wahrheit entzündet, durch würdige Thaten bewährt, durch Gottes sichtbaren Beystand und den von ihm verliehenen Sieg unterhalten, durchglüht ihren Busen. Wie könnte dies Feuer schöner genüzt werden, als wenn den Kampfbegierigen vergönnt wird, aufzuheben den von den Barbaresken hingeworfenen Fehdehandschuh, und zu rächen Europa’s gekränkte Ehre? Noch einmal tobe der Kriegsgott, ehe wir uns freuen des neuen, herrlichen Daseyns, er tobe zum lezten Male! Dem Blute, für diese Sache versprüzt, entkeimen Palmen der Unsterblichkeit, und die Völker, welche es opferten, wohnen in Ehre und Segen. Wir schließen, womit wir begannen: Jetzt oder nie!

[]

Quelle: Ueber die Seeräuber im Mittelmeer und ihre Vertilgung (1815). Ein Völkerwunsch an den erlauchten Kongreß in Wien. Mit den nöthigen historischen und statistischen Erläuterungen. Von Friedrich Herrmann, hochfürstl. Schwarzburg-Rudolstädtischem Hofrath, Doktor der Philosophie, Professor am Gymnasium in Lübeck, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitglied. Wohlfeile Ausgabe. Lübeck: Niemann, 1817, S. 15–16, 351–58.

Friedrich Herrmann, Über die Seeräuber im Mittelmeer und ihre Vertilgung (1815), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-5025> [22.04.2024].