Quelle
FAUST
Johann Wolfgang von Goethe
PROLOG IM HIMMEL
Der Herr. Die himmlischen Heerscharen.
Nachher Mephistopheles.
Die drei Erzengel treten vor.
Raphael:
Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären
Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie
mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn
keiner sie ergründen mag.
Die unbegreiflich hohen
Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.
Gabriel:
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der
Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer
schauervoller Nacht;
Es schäumt das Meer in breiten
Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer
wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.
Michael:
Und Stürme brausen um die Wette
Vom Meer aufs Land vom Land
aufs Meer,
Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten
Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes
Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
Doch deine
Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
Zu Drey:
Der Anblick giebt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen
mag,
Und alle deine hohen Werke
Sind herrlich wie am
ersten Tag.
Mephistopheles:
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst wie alles
sich bey uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne
sahst;
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih,
ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze
Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum
lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von
Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur wie
sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets
von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten
Tag.
Ein wenig besser würd’ er leben,
Hättst du ihm nicht
den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennts Vernunft und
braucht’s allein
Nur thierischer als jedes Thier zu
seyn.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine
der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend
springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und
läg’ er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er
seine Nase.
Der Herr:
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer
anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
Mephistopheles:
Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich
schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren
Jammertagen,
Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.
Der Herr:
Kennst du den Faust?
Mephistopheles:
Den Doktor?
Der Herr:
Meinen Knecht!
Mephistopheles:
Fürwahr!
er dient euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des
Thoren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gährung in die
Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel
fordert er die schönsten Sterne,
Und von der Erde jede höchste
Lust,
Und alle Näh’ und alle Ferne
Befriedigt nicht die
tiefbewegte Brust.
Der Herr:
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
So werd’ ich ihn
bald in die Klarheit führen.
Weiß doch der Gärtner, wenn das
Bäumchen grünt,
Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre
zieren.
Mephistopheles:
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
Wenn ihr mir
die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen.
Der Herr:
So lang’ er auf der Erde lebt,
So lange sey dir’s nicht
verboten.
Es irrt der Mensch so lang er strebt.
Mephistopheles:
Da dank ich Euch; denn mit den Toten
Hab ich mich niemals gern befangen.
Am meisten lieb ich mir die vollen, frischen Wangen.
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
Der Herr:
Nun gut, es sey dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem
Urquell ab,
Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf
deinem Wege mit herab,
Und steh’ beschämt, wenn du bekennen
mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
Ist sich
des rechten Weges wohl bewußt.
Mephistopheles:
Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine
Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck
gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub
soll er fressen, und mit Lust,
Wie meine Muhme, die berühmte
Schlange.
Der Herr:
Du darfst auch da nur frey erscheinen;
Ich habe deines
gleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist
mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Des Menschen Thätigkeit
kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte
Ruh;
Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und
wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
Doch ihr, die ächten
Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das
Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß’ euch mit der Liebe
holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung
schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich)
Mephistopheles (allein):
Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,
Und hüte mich mit
ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen
Herrn
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL
NACHT
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer Faust, unruhig auf seinem Sessel am Pulte.
Faust:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerey und Medicin,
Und
leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem
Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug
als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doctor gar,
Und ziehe
schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und
krumm,
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir
nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz
verbrennen.
Zwar bin ich gescheidter als alle die
Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich
plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle
noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud’
entrissen,
Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
Bilde
mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern
und zu bekehren.
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
Noch
Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
Es möchte kein Hund so länger
leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch
Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimniß würde
kund;
Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,
Zu sagen
brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die
Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau’ alle Wirkenskraft
und Samen,
Und thu‘ nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine
Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult
herangewacht:
Dann über Büchern und Papier,
Trübsel’ger
Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt’ ich doch auf
Berges-Höh’n,
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöle
mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer
weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Thau
gesund mich baden!
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes, dumpfes
Mauerloch!
Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb’ durch
gemahlte Scheiben bricht.
Beschränkt mit diesem
Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s
hohe Gewölb’ hinauf,
Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit
Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten
vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein gestopft –
Das ist
deine Welt! das heißt eine Welt!
Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang’ in deinem
Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle
Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
Da Gott
die Menschen schuf hinein,
Umgiebt in Rauch und Moder
nur
Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dieß geheimnißvolle
Buch,
Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit
genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich
unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
Wie spricht
ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen
hier
Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
Ihr schwebt, ihr
Geister, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch
alle meine Sinnen!
Ich fühle junges, heil’ges
Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern
rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?
Die
mir das innre Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude
füllen,
Und mit geheimnißvollem Trieb,
Die Kräfte der
Natur rings um mich her enthüllen.
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
Ich schau’ in diesen
reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele
liegen.
Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
„Die
Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz
ist todt!
Auf bade, Schüler, unverdrossen,
Die ird’sche
Brust im Morgenroth!“
(Er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und
lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich
die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden
Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch
all’ das All durchklingen!
Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
Wo faß’ ich
dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles
Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt –
Ihr quellt, ihr tränkt,
und schmacht’ ich so vergebens?
(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)
Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der
Erde, bist mir näher;
Schon fühl’ ich meine Kräfte
höher,
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
Ich fühle Muth,
mich in die Welt zu wagen,
Der Erde Weh, der Erde Glück zu
tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
Und in des
Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
Es wölkt sich über mir
–
Der Mond verbirgt sein Licht –
Die Lampe
schwindet!
Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
Mir um
das Haupt – Es weht
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
Und faßt
mich an!
Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter
Geist.
Enthülle dich!
Ha! wie’s in meinem Herzen
reißt!
Zu neuen Gefühlen
All’ meine Sinnen sich
erwühlen!
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du
mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!
(Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)
Geist:
Wer ruft mir?
Faust (abgewendet):
Schreckliches Gesicht!
Geist:
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang gesogen,
Und nun–
Faust:
Weh! ich ertrag’ dich nicht!
Geist:
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören,
mein Antlitz zu sehn,
Mich neigt dein mächtig
Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
Faßt
Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust? die
eine Welt in sich erschuf,
Und trug und hegte; die mit
Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu
heben.
Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,
Der sich
an mich mit allen Kräften drang?
Bist
Du es? der, von meinem Hauch
umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam
weggekrümmter Wurm!
Faust:
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
Ich bin’s, bin Faust,
bin deines gleichen!
Geist:
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und
ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges
Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So
schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der
Gottheit lebendiges Kleid.
Faust:
Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie
nah fühl’ ich mich dir!
Geist:
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
Nicht mir! (Verschwindet.)
Faust (zusammenstürzend):
Nicht dir!
Wem denn?
Ich Ebenbild der
Gottheit!
Und nicht einmal dir!
(Es klopft.)
O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
Es wird mein
schönstes Glück zu nichte!
Daß diese Fülle der
Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß!
[…]
STUDIERZIMMER
Faust. Mephistopheles.
Faust:
Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?
Mephistopheles:
Ich bin’s.
Faust:
Herein!
Mephistopheles:
Du mußt es dreymal sagen.
Faust:
Herein denn!
Mephistopheles:
So gefällst du mir.
Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
Denn dir die Grillen
zu verjagen
Bin ich, als edler Junker, hier,
In rothem
goldverbrämten Kleide,
Das Mäntelchen von starrer
Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen,
spitzen Degen,
Und rathe nun dir, kurz und
gut,
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du,
losgebunden, frey,
Erfahrest was das Leben sey.
Faust:
In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
Des engen Erdelebens
fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um
ohne Wunsch zu seyn.
Was kann die Welt mir wohl
gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
Das ist
der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den,
unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.
Nur
mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
Ich möchte bittre Thränen
weinen,
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht
Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
Der selbst die Ahndung
jeder Lust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
Die
Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen
hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich
niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken,
Auch
da wird keine Rast geschenkt,
Mich werden wilde Träume
schrecken.
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief
mein Innerstes erregen,
Der über allen meinen Kräften
thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
Und so ist mir
das Daseyn eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir
verhaßt.
Mephistopheles:
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.
Faust:
O seelig der! dem er im Siegesglanze
Die blut’gen Lorbeern
um die Schläfe windet,
Den er, nach rasch durchras’tem
Tanze,
In eines Mädchens Armen findet.
O wär’ ich vor des
hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!
Mephistopheles:
Und doch hat Jemand einen braunen Saft,
In jener Nacht,
nicht ausgetrunken.
Faust:
Das Spioniren, scheint’s, ist deine Lust.
Mephistopheles:
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.
Faust:
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton
mich zog,
Den Rest von kindlichem Gefühle
Mit Anklang
froher Zeit betrog;
So fluch’ ich allem was die Seele
Mit
Lock- und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese
Trauerhöle
Mit Blend- und Schmeichelkräften
bannt!
Verflucht voraus die hohe Meinung,
Womit der Geist
sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der
Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!
Verflucht was
uns in Träumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer
Trug!
Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib
und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sey Mammon, wenn mit
Schätzen
Er uns zu kühnen Thaten regt,
Wenn er zu müßigem
Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sey dem
Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten
Liebeshuld!
Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und
Fluch vor allen der Geduld!
Geisterchor (unsichtbar):
Weh! weh!
Du hast sie zerstört,
Die schöne
Welt,
Mit mächtiger Faust,
Sie stürzt, sie
zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir
tragen
Die Trümmern ins Nichts hinüber,
Und
klagen
Ueber die verlorne Schöne.
Mächtiger
Der
Erdensöhne,
Prächtiger
Baue sie wieder,
In deinem
Busen baue sie auf!
Neuen Lebenslauf
Beginne,
Mit
hellem Sinne,
Und neue Lieder
Tönen darauf!
Mephistopheles:
Dies sind die kleinen
Von den Meinen.
Höre, wie zu Lust
und Thaten
Altklug sie rathen!
In die Welt weit,
Aus
der Einsamkeit,
Wo Sinnen und Säfte stocken,
Wollen sie
dich locken.
Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
Der, wie ein Geyer, dir
am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich
fühlen
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist’s
nicht gemeynt
Dich unter das Pack zu stoßen.
Ich bin
keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir
vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen;
So will ich
mich gern bequemen
Dein zu seyn, auf der Stelle.
Ich bin
dein Geselle
Und, mach’ ich dir’s recht,
Bin ich dein
Diener, bin dein Knecht!
Faust:
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?
Mephistopheles:
Dazu hast du noch eine lange Frist.
Faust:
Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
Und thut nicht leicht
um Gottes Willen
Was einem andern nützlich ist.
Sprich die
Bedingung deutlich aus;
Ein solcher Diener bringt Gefahr ins
Haus.
Mephistopheles:
Ich will mich hier zu deinem
Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht
ruhn;
Wenn wir uns drüben
wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.
Faust:
Das Drüben kann mich wenig kümmern,
Schlägst du erst diese
Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus
dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet
meinen Leiden;
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann
mag was will und kann geschehn.
Davon will ich nichts weiter
hören,
Ob man auch künftig haßt und liebt,
Und ob es auch
in jenen Sphären
Ein Oben oder Unten giebt.
Mephistopheles:
In diesem Sinne kannst du’s wagen.
Verbinde dich; du sollst,
in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe
dir was noch kein Mensch gesehn.
Faust:
Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist,
in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je
gefaßt?
Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
Du
rothes Gold, das ohne Rast,
Quecksilber gleich, dir in der Hand
zerrinnt,
Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen,
das an meiner Brust
Mit Aeugeln schon dem Nachbar sich
verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,
Die, wie ein
Meteor, verschwindet.
Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man
sie bricht,
Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
Mephistopheles:
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen
Schätzen kann ich dienen.
Doch, guter Freund, die Zeit kommt
auch heran
Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
Faust:
Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
So sey es
gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je
belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich
mit Genuß betrügen;
Das sey für mich der letzte Tag!
Die
Wette biet’ ich!
Mephistopheles:
Top!
Faust:
Und Schlag auf Schlag!
Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so
schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will
ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke
schallen,
Dann bist du deines Dienstes frey,
Die Uhr mag
stehn, der Zeiger fallen,
Es sey die Zeit für mich vorbey!
Mephistopheles:
Bedenk’ es wohl, wir werden’s nicht vergessen.
Faust:
Dazu hast du ein volles Recht;
Ich habe mich nicht
freventlich vermessen.
Wie ich beharre bin ich Knecht,
Ob
dein, was frag’ ich, oder wessen.
Mephistopheles:
Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
Als Diener,
meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! – um Lebens oder Sterbens
willen,
Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
Faust:
Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch
keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
Ist’s nicht genug, daß
mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen
schalten?
Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
Und
mich soll ein Versprechen halten?
Doch dieser Wahn ist uns ins
Herz gelegt,
Wer mag sich gern davon befreyen?
Beglückt
wer Treue rein im Busen trägt,
Kein Opfer wird ihn je
gereuen!
Allein ein Pergament, beschrieben und
beprägt,
Ist ein Gespenst vor dem sich alle scheuen.
Das
Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs
und Leder.
Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor,
Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder
schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frey.
Mephistopheles:
Wie magst du deine Rednerey
Nur gleich so hitzig
übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du
unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
Faust:
Wenn dieß dir völlig G’nüge thut,
So mag es bey der Fratze
bleiben.
Mephistopheles:
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
Faust:
Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
Das Streben
meiner ganzen Kraft
Ist g’rade das was ich verspreche.
Ich
habe mich zu hoch gebläht,
In deinen Rang gehör’ ich
nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir
verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist
zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den
Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften
stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sey jedes Wunder
gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der
Zeit
In’s Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und
Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es
kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
Mephistopheles:
Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt’s euch überall
zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen;
Bekomm’ euch
wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seyd nicht
blöde!
Faust:
Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
Dem Taumel
weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß,
erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt
ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
Und
was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem
innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und
Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen
häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst
erweitern,
Und, wie sie selbst, am End’ auch ich
zerscheitern.
Mephistopheles:
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten
Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch
den alten Sauerteig verdaut!
Glaub’ unser einem, dieses
Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in
einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß
gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Faust:
Allein ich will!
Mephistopheles:
Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang’;
Die Zeit ist kurz, die
Kunst ist lang.
Ich dächt’, ihr ließet euch
belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
Laßt den Herrn
in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren
Ehren-Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches
Schnelligkeit,
Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens
Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth
und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen
Jugendtrieben,
Nach einem Plane, zu verlieben.
Möchte
selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus
nennen.
Faust:
Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit
Krone zu erringen,
Nach der sich alle Sinne dringen.
Mephistopheles:
Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von
Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe
Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.
Faust:
Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des
Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am
Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue
Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
Bin dem
Unendlichen nicht näher.
Mephistopheles:
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen
eben sieht;
Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des
Lebens Freude flieht.
Was Henker! freylich Händ’ und
Füße
Und Kopf und H-- -- die sind dein;
Doch alles was ich
frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs
Hengste zahlen kann,
Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich
renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und
zwanzig Beine.
Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
Und
g’rad’ mit in die Welt hinein!
Ich sag’ es dir: ein Kerl der
speculirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem
bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt
schöne grüne Weide.
Faust:
Wie fangen wir das an?
Mephistopheles:
Wir gehen eben fort.
Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben
führen,
Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem
Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen
plagen?
Das beste, was du wissen kannst,
Darfst du den
Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem
Gange!
Faust:
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.
Mephistopheles:
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröstet
gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß
mir köstlich stehn. (Er kleidet sich
um.)
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein
Viertelstündchen Zeit;
Indessen mache dich zur schönen Fahrt
bereit! (Faust ab.)
Mephistopheles (in Fausts langem Kleide):
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen
allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und
Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab’
ich dich schon unbedingt –
Ihm hat das Schicksal einen Geist
gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen
übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
Den
schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache
Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und
seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen
Lippen schweben;
Er wird Erquickung sich umsonst
erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel
übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
[…]
Quelle: Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Eine Tragödie. Tübingen: in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, 1808, S. 21–42, 97–115.