Kurzbeschreibung

Maximilian von Montgelas (1759–1838) entwarf dieses Reformprogramm für Herzog Max IV. Joseph von Pfalz-Zweibrücken, der dann 1799 Kurfürst Max IV. Joseph von Bayern sowie Pfalzgraf bei Rhein und 1806 König Maximilian I. im neu geordneten Bayern wurde. Von 1799 bis 1817 war Montgelas der beherrschende Kopf und Vollstrecker eines bayerischen Reformprogramms, das den Staat auf grundlegende Weise umgestaltete. Im folgenden Dokument, ursprünglich auf Französisch verfasst, spricht Montgelas als eine „humane und aufgeklärte Person“ und kritisiert die Ineffizienz und Korruption der Verwaltung des Ancien Régime. Er befürwortet eine Straffung der staatlichen Kontrolle über die katholische Kirche und eine Kürzung ihrer Einkünfte und Ausgaben; grundlegende Schulreformen, besonders im Elementarschulbereich, wo der „Nationalgeist“ geformt wird; religiöse Toleranz und ein Ende der Zensur. Montgelas behauptet, es sei nicht die Aufklärung und Bildung, sondern „krasse Unwissenheit“, die „Revolutionen hervorruft und den Sturz der Reiche herbeiführt.“

Maximilian von Montgelas, „Ansbacher Mémoire“. Vorschlag für ein Staatsreformprogramm (30. September 1796)

  • Maximilian von Montgelas

Quelle

Denkschrift, überreicht seiner Durchlaucht, dem Herzog, am 30. September 1796

Einer der größten Mängel der bayerischen Verwaltung besteht in der mangelhaften Organisation der Zentralbehörden [»ministère«]. Eine genaue Aufteilung der Ressorts, die so nützlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung ist und ohne die es keine geregelte Abwicklung der Geschäfte gibt, ist dort völlig unbekannt. Die meisten Minister nehmen nur der Form halber am Rate teil. Der Kanzler macht eigentlich allein die Arbeit. An ihn wird alles verwiesen. Die Angelegenheiten, über die sich der Souverän die Entscheidung vorbehalten hat, bearbeitet und erledigt er alleine. Diese Geschäftsverteilung war gut für das Mittelalter, als die Einfachheit der Geschäftsbehandlung die Arbeit der Regierungsbeamten verkürzte und erleichterte, doch ist sie heutzutage unzeitgemäß, da die Gegebenheiten viel komplizierter geworden sind. Es führt lediglich dazu, daß dieser Minister, der kein Arbeitspensum bewältigen kann, das menschliche Kräfte übersteigt, sich auf untergeordnete, fast immer schlecht unterrichtete, sehr oft korrupte Beamte stützen muß. Mehr als einmal haben einfache Schreiber in letzter Instanz über das Wohl oder Wehe einer angesehenen Familie entschieden. Man könnte diesem großen Mißstand leicht abhelfen, wenn man sich entschlösse, eine vernünftige Aufteilung der Ressorts vorzunehmen, indem man jene Angelegenheiten trennt, die sich aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit nicht zur Zusammenlegung eignen; genaue Grenzen festlegt, die keine der Unterabteilungen überschreiten darf; indem man die »Paradepferde« [»êtres de parade«], die bis jetzt als Leiter der Ministerien auftraten, durch intelligente Personen ersetzt, durch Arbeiter, die in der Lage sind, ihre Untergebenen zu beaufsichtigen, ihre Ideen den Bedürfnissen anzupassen, und die in allen Punkten das Vertrauen rechtfertigen, mit dem der Fürst sie ehrt. Ein Hindernis, das unbedingt umgangen werden müßte, besteht in der übermäßigen Geringfügigkeit der Gehälter. Jeder, der seine Zeit dem Dienst des Staates widmet, hat während seines Lebens ein Recht erworben auf einen ehrenhaften Unterhalt, abgestuft nach dem Rang, den er in der Gesellschaft einnimmt, sowie, nach seinem Tode, auf ein anständiges Auskommen für seine Frau und seine Kinder. Bisher hat man ein ganz gegenteiliges Prinzip verfolgt: Man hat geglaubt, unerhört viel zu gewinnen, wenn man sich für billiges Geld Dienste leisten ließ. []

Diese Prinzipien werden im folgenden Plan entwickelt.

Die Ministerien wären in fünf Ressorts getrennt: Auswärtige Angelegenheiten, Finanzen, Justiz, Geistliche Angelegenheiten, Kriegswesen.

Jedes Ministerium würde sich zusammensetzen aus einem Minister und ebensovielen Referendären wie es Provinzen gibt, deren Verfassungen sich wesentlich voneinander unterscheiden. []

Die Aufgabenbereiche jedes Ministeriums ließen sich wie folgt festlegen:

Das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten hätte in seinem Ressort:

1° Die Korrespondenz mit allen Ministern, Gesandten, [diplomatischen] Agenten, Geschäftsträgern an allen Höfen des Reichs und Europas; []

Das Finanzministerium würde umfassen: []

Die Aufhebung der finanziellen Vorrechte der privilegierten Stände in den verschiedenen Provinzen, die Erstellung eines mit Sorgfalt errichteten Steuerkatasters, der gerechtere Verhältnisse bei der Erhebung der direkten Steuer schafft, die Aufhebung etlicher, die Untertanen zu sehr belastender Rechte und der Wegfall des höchst verderblichen bayerischen Zollsystems rufen klar und deutlich nach der Aufmerksamkeit des Gesetzgebers in den verschiedenen Zweigen dieser weitläufigen Verwaltung.

III. Das Justizministerium würde beinhalten: []

Dieser Teil ist einer derjenigen, die am dringlichsten grundlegende Änderungen erfordern. Die Art, wie die Landrichter [»baillis«] ihre Gerichtsuntertanen quälen, die übermäßigen Gebühren, die sie ihnen abnehmen, übersteigen alle Worte. Man würde das arme Volk bedeutend entlasten, wenn man den Landrichtern feste Gehälter zahlte, in welchem Falle man sie zwingen könnte, der Hofkammer über die Höhe der Gebühren Rechnung zu legen. []

Möglicherweise empfiehlt es sich, eine politische Neueinteilung der Provinzen auszuarbeiten, sei es, indem man mehrere Landgerichte, deren Aufgabenbereiche zu weitläufig sind, zu einem einzigen zusammenfaßt, sei es, indem man die Kreiseinteilung übernimmt, die in Preußen, Österreich, Sachsen und Hessen [bereits] eingeführt ist. []

Hier werden lediglich die wichtigsten Reformpunkte angesprochen. Es gibt noch eine Vielzahl weiterer, die zu sehr in die Einzelheiten der inneren Verwaltung führen und daher nicht mehr zum Thema dieser Schrift gehören, wie zum Beispiel die Abschaffung oder wenigstens Neuregelung der Fronen, die Ausschaltung der Willkür bei der Einforderung der Besitzwechselabgaben, des Laudemiums, sowie bei derjenigen der übrigen grundherrschaftlichen Rechte und Abgaben. Dieser Punkt ist um so wichtiger, er erfordert eine um so gründlichere Diskussion, als es darum geht, die Interessen des Abgabenpflichtigen, die Begünstigung, die man dem Fortschritt der Landwirtschaft nicht verweigern kann, mit dem zu vereinen, was man dem geheiligten Recht des Eigentums schuldig ist. Wir verzichten darauf, die Frage zu erörtern, ob es günstig wäre, die Fideikommisse und Majorate abzuschaffen. Wir sprechen auch nicht mehr von der Abschaffung einer Vielzahl kleiner Niedergerichtsbarkeiten, die unnötigerweise die Justizverwaltung komplizieren. Wir übergehen mit Stillschweigen die Reform des Zivilrechts, des bayerischen Gesetzeskodex und besonders des Strafrechts, die schon seit langem von allen humanen und aufgeklärten Personen dringend gewünscht wird.

IV. Das Ministerium für geistliche Angelegenheiten []

Die Auseinandersetzungen mit den Offizialaten haben sich ins Unendliche vervielfacht. Sie haben eine völlige Lockerung der Disziplin des Klerus zur Folge und begünstigen die Verderbtheit der Priester, indem sie allen ihren Exzessen Straffreiheit verschaffen. Zweifelsohne haben sich die Offizialate große Übergriffe auf die Rechte des Souveräns erlaubt, doch der Widerstand war [auch] nicht immer weise und systematisch. []

Die Verwaltung der Kirchengüter ist in einem Grade vernachlässigt worden, daß es eine Schande ist für die Regierung, die dieses duldet, ebenso wie für die Angestellten, die sich eine solche befremdliche Pflichtvergessenheit gestatten. []

Die Abteien und Konvente erfordern eine Reform, welche sie nützlicher für die Gesellschaft macht, als sie es in der Vergangenheit gewesen sind. Die Bettelorden sollten ganz aufgehoben werden. [»Les ordres mendiants devraient être réformés tout à fait.«] Sie fallen der Gesellschaft zur Last, indem sie auf deren Kosten leben und in ihr Unwissenheit und Aberglauben erhalten. Die anderen Ordensgemeinschaften könnten auf die Zahl von Brüdern und Schwestern [die sie] zur Zeit ihrer ursprünglichen Gründung [besaßen,] reduziert werden. Die verbleibenden Mitglieder dürften die Verwaltung ihrer Güter in ihrer derzeitigen Form behalten, doch sollten sie nur berechtigt sein, den für ihren Unterhalt nötigen Teil der Einkünfte zu verwenden, entsprechend einem Satz, der auf der Basis von soundsoviel pro Kopf festgelegt wird. Man würde sie verpflichten, den Rest, abzüglich der Verwaltungskosten, an die Kirchenkasse abzuführen, um ihn zum Nutzen des Staates zu verwenden. Man hat versucht, diesen Plan in Frankreich durchzuführen. Die Republik von Venedig hat ihn 1768 und 1769 erfolgreich verwirklicht. 1770 hat ihn der Marquis de Tanucci im Königreich Neapel eingeführt. Da die Oberen der meisten dieser Ordensniederlassungen in den Provinzialständen Sitz und Stimme haben und in dieser Eigenschaft einen wesentlichen Bestandteil der jeweiligen [Provinzial-]Verfassungen bilden, wäre es günstig, sich mit ihnen über die Mittel und Wege zu verständigen, diese wohltätigen Absichten zu fördern.

Die Pfarreien sind, besonders in Bayern, zu weitläufig. Die Verteilung der Einkünfte ist unter diesen Pfarrern so ungleich, daß der eine im Überfluß schwimmt, während der andere kaum das Nötigste hat. Eine neue Verteilung, über die man sich mit den Bischöfen verständigen müßte, ist absolut notwendig. Man würde den Untertanen sehr helfen, man würde ihnen den Weg zu Unterricht und Seelsorge erleichtern, auf welche viele von ihnen aufgrund der großen Entfernung von ihren Pfarrkirchen einen Großteil des Jahres hindurch gezwungenermaßen verzichten müssen. Vielleicht wäre es von Nutzen, die Neueinteilung so vorzunehmen, daß niemand weiter als eine halbe Meile gehen muß, um seine Pfarrkirche zu erreichen. []

Die beiden Universitäten von Heidelberg und Ingolstadt sind in einem höchst beklagenswerten Zustand. Ihre Einkünfte beschränken sich auf Kleinigkeiten. Man widmet der Auswahl der Professoren keinerlei Aufmerksamkeit. Um die Schulen in den Städten und auf dem Lande ist es noch schlechter bestellt. Die Schulmeister, in der Mehrzahl Sakristane, fristen ihr Dasein in Unwissenheit, haben nicht das Notwendigste und genießen infolgedessen keinerlei Ansehen. Die Bauern weigern sich, ihre Kinder zur Schule zu schicken; die meisten können weder lesen noch schreiben. Dies gilt vor allem für Bayern; in der Pfalz sind die Verhältnisse in dieser Hinsicht weniger schlimm. Man wird eines Tages nicht darum herumkommen, auf diesem Gebiet eine absolute Umgestaltung vorzunehmen, gründliche Überlegungen anzustellen, welchen Plan man sich zu eigen machen wird, und vor allem, den Elementarschulen in Stadt und Land die fortgesetzteste Aufmerksamkeit zu schenken. Denn sie sind es eigentlich, welche die Fähigkeiten der interessantesten [wichtigsten] Klasse der Gesellschaft entwickeln und dem Nationalgeist ihr Siegel aufdrücken.

Die religiöse Toleranz zieht ins Innere des Staates Fremde an, die durch ihren Fleiß nützlich sind, sie begünstigt den Fortschritt des Gewerbefleißes [»industrie«] und der Bildung [»lumières«] und regt den Wettbewerb an. Sie bildet eine absolute Verpflichtung gegenüber Untertanen einer anderen Religion dort, wo diese sich in einer gewissen Anzahl niedergelassen haben. []

Eines der großen Mittel, diese glückliche Revolution [der Toleranz] in den Gemütern zu beschleunigen, sie aus der Lethargie herauszureißen, in der sie dahindämmern, und aufklärerische Bildung [»lumières«] rasch zu verbreiten, wird die Befreiung des Buchhandels von jenen geradezu kindischen Fesseln sein, denen man sie unter dieser Regierung [Kurfürst Karl Theodors] unterworfen hat, das Zensurkolleg gänzlich abzuschaffen, eine vernünftige Pressefreiheit zu gestatten, wobei man Verstöße präzise definiert, die Autoren und Verleger verpflichtet, ihre Namen unter jedes neue [Presse-]Erzeugnis zu setzen, um so den einen oder den anderen vor den Obrigkeiten [»magistrats«] verantwortlich zu machen für das, was diese an Tadelnswertem enthalten könnten. Das Gesetz, das man hierzu geben wird, verlangt, reiflich überlegt und gründlich diskutiert zu werden. Das große Problem, wo die Freiheit endet und die Zügellosigkeit beginnt, ist noch in keinem Staat gut gelöst worden. Es ist sogar möglich, daß es einige Zeit braucht, um die Gemüter auf den Genuß dieser Wohltat vorzubereiten, und daß diese Verbesserung vernünftigerweise erst als letzte eingeführt wird. Ich halte mich nicht bei den Einwänden auf, die viele Menschen versucht sein könnten, gegen das Prinzip des Vorhabens [der Pressefreiheit] als solches zu erheben. Es ist heute erwiesen, daß es die krasse Unwissenheit der Völker ist und nicht etwa die vernünftige und dem Stande eines jeden angemessene Bildung, die man ihnen angedeihen läßt, welche die Revolutionen hervorruft und den Sturz der Reiche herbeiführt. Je aufgeklärter die Menschen sind, desto mehr lieben sie ihre Pflichten, desto mehr stehen sie zu einer Regierung, die sich wirklich um ihr Glück bemüht.

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Quelle: Eberhard Weis, „Montgelas’ innenpolitisches Reformprogramm. Das Ansbacher Mémoire für den Herzog vom 30. 9. 1796“, in Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 33 (1970), S. 219–56. [Das Ansbacher Mémoire erscheint hier im französischen Original, S. 244–54.]

Deutsche Übersetzung aus: Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 79–86.

Maximilian von Montgelas, „Ansbacher Mémoire“. Vorschlag für ein Staatsreformprogramm (30. September 1796), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3524> [05.11.2024].