Kurzbeschreibung

Eine Folge der Verheerungen des Siebenjährigen Krieges war ein Anstieg von Armut und dadurch hervorgebrachte Kriminalität. Dieser auf Ermittlungsakten basierende Bericht von 1804 beschreibt, wie die Region an Rhein und Mosel jahrelang von Diebes- und Räuberbanden geplagt wurde und mit welchen Schwierigkeiten sich die Ermittler konfrontiert sahen. Die territoriale Zersplitterung des Heiligen Römischen Reiches erschwerte die Polizeiarbeit erheblich, insbesondere da Kriminelle und Banden oft über ein hohes Maß an Mobilität verfügten. Der Autor war Friedensrichter im damals zu Frankreich gehörigen linksrheinischen Rhein-Mosel Departement und als solcher maßgeblich an der Strafverfolgung verschiedener Räuberbanden wie z.B. der des „Schinderhannes“ beteiligt.

Polizeibericht über Räuberbanden im Rheinland (1804)

Quelle

Actenmäßige Geschichte der verschiedenen Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins.

Nr. 1 Moselbande.

Räuber und Mörder sind in Zeiten der Noth keine seltene Erscheinung.

Auf eben diesem Boden, wo in unsern Tagen der Haupttummelplatz der Räuberhorden war, hatte auch zur Zeit des siebenjährigen Kriegs und der großen Hungersnoth das Gesindel gegen die damahls noch ohnmächtigere Polizey gerungen. Eben mit solchem Trotze suchten damahls die Räuber in der Theilung der Territorien Schutz, wie sie ihn jetzt in der Theilung der politischen Meynungen fanden. Dort wie hier sehen wir den guten Willen der Regierungen an einer chimärischen Furcht der Landbewohner zu Schanden werden.

Mit dem Pferde-Diebstahl fing auch dieß Mahl das Unwesen an. Als die Moselgebirge, der Sohn- und Hochwald wechselseitig von den deutschen und französischen Truppen behauptet wurden, fand sich eine Menge junger Wagehälse unter den Einwohnern des Landes, die mitten aus den feindlichen Lagern das Zugvieh wegführten. Man hielt dieß für kein Verbrechen. War es doch dem Feinde Abbruch gethan? Gleichviel wie es geschah! Kriegsgebrauch kennt der rohe Landmann nicht. Wie mancher Franke fand in den Wäldern und Landhütten seinen Tod! Er war der Feind der vaterländischen Armeen.

Dieser Gedanke erstickte alle bessern Menschheitsgefühle, selbst die natürlichen Rechte der Gastfreundschaft, und er war (warum soll man es nicht laut sagen) er war geheiligt, mit allen seinen schrecklichen Folgen, weil mancher Beamte ihnen Unsträflichkeit zusicherte, hundert Offiziere sie billigten, und der Priester seinen Segen dazu sprach.

Die geraubten Pferde wurden, größtentheils auf den einzeln liegende Höfen und Mühlen und in abgelegenen Dörfern verkauft und untergestellt. Es war Beute, weiter dachte man nichts dabey.

Ohne sich hier in weitläufige Untersuchungen einzulassen, darf man nur bey den Begriffen ungebildeter Menschen überhaupt stehen bleiben. Hier wird man die Usachen finden, warum so mancher Räuber , der von den Kindern auf der Straße gekannt und von der Polizey auf’s heftigste verfolgt war, dennoch ein Land nicht floh, wo ihm schmähliche Gefangenschaft und Tod mit jedem Schritte drohten. Allen rohen Gemüthern ist es eigen, sich fest an das zu hängen, was ihnen ein Mahl Gewohnheit geworden ist. Jeder Begriff, der sich ihrer ein Mahl bemächtigt hat, sey er auch noch so schändlich, wird von ihnen auf’s sorgfältigste gepflegt, macht ihnen Vergnügen, und gräbt sich mit jedem Tage tiefer in ihre Herzen ein. Wir haben einen Räuber gekannt, von dem in dem Verfolge dieser Schrift noch näher die Rede seyn wird, den man auf der Stelle zum Eingeständniße bringen konnte, wenn man ihm von der Schönheit dieses oder jenes von ihm gestohlenen Pferdes sprach. Der Mord selbst hatte für einen andern nicht empörendes mehr, der mit kaltblütiger Inbrunst auf dem Grabe des eben Gemordeten ein andächtiges Pater noster für dessen arme Seele sprach.

Jene Anhänglichkeit also an das ein Mahl gewohnte machte, daß alle Pferde-Diebe auch in der Folge Pferde-Diebe blieben, und auf ihrer Laufbahn immer weiter und weiter gingen. Der Krieg hatte die Justitz zum Schweigen gebracht, und die öffentlichen Beamten, denen die Handhabung der Polizey anvertraut war, zum Theil aus dem Lande getrieben. Als aber die fränkischen Armeen Sieger blieben, und sich ferne von den Grenzen in die feindlichen Provinzen hinzogen, ward es mit jedem Tage beschwerlicher Armee-Pferde zu stehlen. Man ging also zu den Pferden des Landmannes über. Auch bey diesem Geschäfte fanden die Räuber da wieder ihre Zufluchtsörter, wo sie dieselben vorher gefunden hatten. Kein Müller und kein Pächter, der vorher Armee-Pferde gekauft oder verheimlicht hatte, durfte dem Räuber sein Haus verschließen; der Räuber konnte ihn verrathen, und alsdann war er in den Händen der Sieger.

So wurden in kurzer Zeit alle Höfe, Mühlen und Waldhüttern die Schlupfwinkel des Verbrechens. Die physische Beschaffenheit des Landes und das Unglück des Kriegs trugen dann auch das Ihrige dazu bey. Die Ungestraftheit, machte die Räuber mit jedem Tag kühner. Die bequeme Weise, ohne viele Mühe köstlich zu schmaussen, das Behagliche, das jeder rohe Mensch bey einer unstäten Lebensart fühlt, die Furcht, der Gehorsam sogar, den die wilden Gesellen durch ihre verwegenen Anschläge sich bey dem Landmanne erzwangen, war ja eine treffliche Lockspeise. Auch das willige Mädchen fand sich ein, und man war frey und herrschte, weil es keine Polizey und keine Gesetze gab. Bettler und Räuber sind unter solchen Umständen die glücklichsten Könige.

Nachdem auf diese Weise ein Mahl der Anfang gemacht war, kam noch mancher günstige Umstand den Räubern zu statten. Alles, was die deutschen Armeen zu Ueberläufern zurückgelassen hatten, war ohne Mühe geworben, und jeder Bänkelspieler und herumziehende Kleinkrämer ein willkommener Rekrut. So lange die fränkischen Truppen in diesen Gegenden waren, schlich die Schlange nur im Stillen, denn die Befehlshaber waren stets bereit auf jede Bitte der deutschen Civil-Gewalten mit bewaffneter Macht zu helfen. Zwar war diese Hülfe nur vorübergehend, denn sobald die Befehlshaber wechselten, schloß oft der folgende, oft aus Unbekanntschaft mit der Wichtigkeit des Verbrechens, oft auf Andringen seiner Verwandten, nicht selten auch durch Geschenke erkauft, dem wenig geachteten Räuber die Gefängnisse auf. Krieger haben im Felde wenig Zeit zu Gericht zu sitzen über gemeine Verbrecher, deren oft verwickelte Rechtsfälle keinen politischen Bezug haben. Als nun aber auch diese nach andern Gegenden gezogen waren, nahm das Unwesen so sehr überhand, daß die damahls ganz ohnmächtige Polizey dennoch eine letzten Schritt wagen mußte.

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In dem an jenem Tage geführten Conferenz-Protokoll heißt es unter andern: „das herrnlose Gesindel hat sich in der ganzen hiesigen Gegend seit einiger Zeit dergestalt gehäuft, daß am Tage Niemand ohne Begleitung, bey Nacht aber kein Mensch über Feld zu gehen sich getraut, aus Furcht mißhandelt oder beraubt zu werden; die Pferde werden täglich aus den Ställen gestohlen, und der arme Landmann muß sich wegen der Wiedererhaltung seines Eigenthums mit den Dieben abfinden u.d.gl.“

Man kam überein: 1) öffentlich bekannt zu machen, daß Niemand ohne Paß beherbergt werden soll; 2) die Tags- und Nachtswächter zu verdoppeln; 3) in der Nacht zum 30. auf den 31. December eine allgemeine Streifung vorzunehmen, und 4) dem foro deprehensionis die Untersuchung zu überlassen, und durch drey benachbarte Rechtsgelehrte und verpflichtete Beamte das Endurtheil fällen zu lassen. – Der letzte Punkt fand jedoch einige Aushnahmen.

Wie es in der Folge beynahe mit allen allgemeinen Streifzügen ging, so war es auch dieß Mahl der Fall. Keine Klaue ward gefangen. Die öffentlichen Beamten verloren allen Muth.

Die Verschiedenheit der politischen Meynungen hatte den Keim des wechselseitigen Mißtrauens geweckt. Die neue Organisation des Landes rückte heran. Alle gesellschaftlichen Bande waren fast gänzlich zerschnitten, und das Uebel wuchs noch mit jedem Tage.

Auf dem linken Ufer der Mosel ging es nicht besser. Dort hatten die Beamten nicht ein Mahl guten Willen gezeigt, dem Umwesen zu steuern.

Die dunklen, unwirthbaren, von jeher unsichern Forsten der Moselgebirge dienten vorzüglich in der Gegend, wo sich die Departemente von der Saar und von Rhein und Mosel scheiden, einer mächtigen Bande zur Niederlage. Eben dort war es, wo gleich nach dem siebenjährigen Kriege eine Räuberbande hauste, und sich lange Zeit erhielt. Der sogenannte Reilerhals ist seit vielen Jahren ein berüchtigtes Plätzchen gewesen; ganz auf dessen Spitze, ringsum von dem dichten Walde umschlossen, fand sich ein kleines Capellchen, wo der nächtliche Wanderer schier nie anders als mit Schaudern vorüber gegangen war. Dort waren Stückchen gespielt worden, die nur durch die neuern vielleicht noch schrecklichern Ereignisse aus unsern Ammenstuben verdrängt worden sind. Die Immoralität hatte sich von jenen Zeiten her in einigen Gegenden daselbst erhalten, und vom Vater auf den Sohn fortgeerbt.

Glück’s genug noch, daß sich die fürchterliche Moselbande keinem eigenen Hordenführer unterworfen hatte. Jeder wirthschaftete auf seiner eigenen Faust, und nur da, wo ein Gewaltsstreich auszuführen war, hielten sich die einzelnen Räuber zusammen. Ihr Hauptgeschäft war auch hier der Pferde-Diebstahl, aber für den armen Landmann gerade der traurigste. Wenn sich dieser den ganzen Tag abgearbeitet hatte, so mußte er Nachts vor seinem Stalle Wache halten und seine Pferde hüten. Bis tief in die Eifel, auf den Hundsrücken, über Trier hinaus und auf das Mayenfeld ging diese Bande ihrem Handwerke nach.

Schinderhannes selbst ist ein menschlicher Räuber gegen manchen Einzelnen von dieser Horde, die den Meucheldolch und den Feuerbrand schwang. Brennende Häuser, ermordete Wanderer, eine ganze erwürgte Familie sind die blutigen Decorationen in diesem gräßlichen Schauspiel.

Quelle: Johann Nikolaus Becker, Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins, Köln, 1804, S. 3–9. Online verfügbar unter: https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10393756?page=%2C1

Polizeibericht über Räuberbanden im Rheinland (1804), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-5376> [05.11.2024].