Kurzbeschreibung

Dieses Gesetzbuch zielte darauf ab, sowohl die rechtlich-institutionelle Integration des kürzlich erweiterten bayerischen Staates zu gewährleisten als auch das Strafrecht im Geiste des aufgeklärten Liberalismus neu abzufassen. Es war überwiegend das Werk des Juristen P. J. Anselm Ritter von Feuerbach (1775-1833). Das Strafgesetzbuch schaffte viele Kapitalverbrechen des Ancien Régime und Methoden der Todesstrafe ab, indem es Letztere durch Gefängnisstrafen ersetzte, die (mit einigen Ausnahmen für die Oberschichten) gleichermaßen für alle Bürger galten. Doch wie dieser Auszug zeigt, bestanden schwere Körperstrafen weiterhin. Das Gesetzbuch wies Neuerungen auf bei der Regelung von Amtsvergehen durch Staatsdiener, schreckte jedoch vor der Einführung öffentlicher und mündlicher Gerichtsverfahren vor Geschworenen aus der Bürgerschaft zurück, einem Schritt, den die französischen Revolutionäre und ihre Vertreter im besetzten Rheinland und dem deutschen Satellitenkönigreich Westfalen vollzogen hatten.

Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (1813)

  • später König Max Joseph I. Max IV Joseph (Kurfürst)

Quelle

Wir Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern.

Wir haben es seit dem Antritte Unserer Regierung für eine Unserer höchsten Regierungs-Sorgen gehalten, die Gesezgebung des Reichs mit den Fortschritten der Nation und den veränderten Zeit-Verhältnissen in zweckmässige Uebereinstimmung zu bringen, und die verschiedenen Theile Unsers Reichs unter einer gemeinschaftlichen Gesezgebung zu vereinigen. Vorzüglich hat die grosse Verschiedenheit der bisherigen Straf-Geseze Unsere Sorge auf diesen Zweig der Gesezgebung gezogen, und Uns veranlaßt, seit zehn Jahren Uns mehrere Vorschläge und Entwürfe vorlegen zu lassen, wobei Wir ausser Unsern Landes-Stellen auch die öffentliche Stimme zu hören nicht unterliessen.

Nachdem Wir den zur Grundlage des allgemeinen Strafgesezbuches ausgewählten Entwurf der sorgfältigsten Prüfung, zuerst einer aus bewährten Justiz-Männern aller Theile des Reiches zusammengesezten eigenen Gesez-Kommission, dann der geheimen Raths-Sectionen der Justiz und des Innern unterworfen, und endlich in dem versammelten geheimen Rathe in Unserm und Unsers Kronprinzen Beiseyn in Vortrag haben bringen lassen; haben Wir in Gemäßheit der Konstitution Unsers Reiches, Titel I. Paragraph 1. und Titel V. Paragraph 7., nach dem Gutachten Unsers geheimen Rathes beschlossen, den ersten und zweiten Theil des allgemeinen Strafgesezbuches durch Unsere königliche Unterschrift zu sanctioniren und dessen alsbaldige Bekanntmachung zu verfügen. []

Erstes Buch. Allgemeine gesezliche Bestimmungen über Verbrechen und Vergehen.

Erstes Kapitel. Von unerlaubten Handlungen und deren Bestrafung überhaupt.

Art. 1. Wer eine unerlaubte Handlung oder Unterlassung verschuldet, für welche ein Gesez ein gewisses Uebel gedrohet hat, ist diesem gesezlichen Uebel als seiner Strafe unterworfen. Und so wenig erlittene Strafe die Entschädigung aufhebt oder schmälert, so wenig tilgt oder mindert geleisteter Ersaz die verdiente Strafe. []

Art. 4. Die verschiedenen Strafarten sind folgende: I. Todesstrafe, II. Kettenstrafe, III. Zuchthaus, IV. Strafarbeitshaus, V. Festungsstrafe, VI. Ehren- und demüthigende Strafen, VII. körperliche Züchtigung, VIII. Gefängniß oder Festungsarrest, IX. Vermögensstrafen.

Art. 5. Wer das Leben verwirkt hat, soll mit entblößtem Kopfe, gekleidet in einen grauen Kittel, mit einer Tafel auf Brust und Rücken, worauf sein Verbrechen genannt ist, zum Richtplaze geführt und daselbst enthauptet werden.

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Art. 22. Als Ehrenstrafen sollen künftig angewendet werden: I. die Dienstentsezung (Kassation), welche den Verlust des Dienstranges und Gehaltes, samt der Unfähigkeit zu allen Würden, Staats- und Ehrenämtern zur Folge hat; II. die Erklärung der Unfähigkeit zu Ehrenstellen und öffentlichen Aemtern; III. die einfache Dienstentlassung (Dimission), welche zwar den Verlust des Dienstranges und Gehaltes, nicht aber die Unfähigkeit zu Staats- und Ehrenämtern nach sich zieht.

Als demüthigende Strafen gelten: I. die Herabsezung eines Beamten auf eine im Rang und Gehalt geringere Stelle (Degradation); II. Widerruf und Abbitte; III. gerichtlicher Verweis. []

Art. 25. Eine körperliche Züchtigung darf die Zahl von fünfzig Streichen niemals überschreiten.

Die Anzahl der Streiche ist im Urtheile zu bestimmen.

Sie soll auf den entblößten Rücken, mit einer aus Birkenreisern gebundenen Ruthe vollzogen werden.

Wo das Gesez nicht ausdrücklich öffentliche körperliche Züchtigung bestimmt, soll sie im Gefängnisse, vor einer Gerichtsperson, von dem Gerichtsknechte vollzogen werden.

Art. 26. Körperliche Züchtigung kann nur nach beifälligem Gutachten des Gerichtsarztes vollzogen werden. []

Zweites Kapitel. Von Beschädigungen und andern Mißhandlungen an der Person.

Art. 178. Wer ohne Absicht zu tödten, jedoch mit rechtswidrigem Vorsaze einen Andern gewaltsam angreift, denselben an seinem Körper mißhandelt, oder dessen Gesundheit durch Verwundung, Verlezung oder sonst auf irgend eine Weise beschädiget, soll in folgenden Fällen des Verbrechens der Körperverlezung schuldig geachtet werden. []

Siebentes Kapitel. Von den besonderen Verbrechen der Staatsbeamten und öffentlichen Diener.

Art. 351. Wenn ein Staatsbeamter oder öffentlicher Diener durch ein gemeines Verbrechen die Strafe des Zucht- oder Arbeitshauses verwirkt hat, so ist mit der ordentlichen Strafe stets die Dienstentsezung verbunden. []

Art. 354. Amtsuntergebene, welche sich in Amtsverhältnissen gegen ihre Vorgesezte ungehorsam bezeigen, haben, wenn sie sich hiebei des Verbrechens der Widersezung (Art. 315. f.) schuldig machen, nebst Schärfung der ordentlichen Strafe dieses Verbrechens, die Dienstentsezung zu gewärtigen.

Art. 355. Ein öffentlicher Beamter, welcher sich durch Annahme eines Geschenkes oder was immer für eines Vortheils zu einer Handlung oder Unterlassung verleiten läßt, welche den Gesezen des Staats, den Rechten Anderer oder sonst seinen unbezweifelten Amtspflichten widerspricht, ist des Verbrechens der Bestechung schuldig.

Die Annahme des Geschenkes oder Vortheils ist für geschehen zu achten, sobald sich der Beamte zur Annahme des Versprochenen bereit erklärt, oder was ihm oder einem seiner Angehörigen von einer Partei oder einem Sollicitanten gegeben worden, nachdem er Kenntniß davon erhalten, nicht längstens binnen drei Tagen dem Gerichte oder seinen Amtsvorgesezten angezeigt hat.

Art. 356. Ein solcher Verbrecher ist mit der Dienstentsezung zu bestrafen.

Diese Strafe schließt jedoch eine schwerere nicht aus, wenn die Pflichtverlezung des Beamten zugleich in ein anderes Verbrechen übergeht.

Art. 357. Wer aus Privatabsichten, aus Haß, Parteilichkeit oder Eigennuz die ihm anvertraute Amtsgewalt zum Druck oder zur Mißhandlung der Unterthanen mißbraucht, soll mit der Dienstentsezung bestraft werden, vorbehaltlich der etwa noch überdieß verschuldeten Strafen.

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Quelle: Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern. München 1813, S. III–V, 1–3, 10 f., 73, 137–39; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 231–35.