Kurzbeschreibung

Das deutsche Standardwerk zur bürokratischen Verwaltungspraxis, Teutscher Fürsten-Staat, erlebte bis 1754 zwölf Auflagen. Der Autor Veit Ludwig von Seckendorff machte sich erstmals einen Namen im Dienste Herzog Ernsts I. („des Frommen“) von Sachsen-Gotha. In diesem Werk beabsichtigte er, einen Leitfaden staatlicher Verwaltung vorzulegen, der für „die meisten teutschen fürstenthümer und herrschafften“ Gültigkeit hatte. Seckendorff lehnte fürstlichen Absolutismus ab und pries die Autorität der römisch-deutschen Kaiser und der obersten Reichsgerichte, welche die unbedeutenderen Fürsten bei rechtswidrigen Handlungen durch die mächtigeren anrufen durften. Das Reich war das höhere deutsche Vaterland. Fürstliche Untertanen waren „Freygebohrne“ deren hergebrachte Freiheiten und Gewohnheitsrechte von ihren Fürsten aufrechterhalten werden mussten. Seckendorff nahm an, dass die Prinzen rechtliche und steuerliche Neuerungen mit Ständeversammlungen aushandeln mussten. Unwürdige Herrscher könnten mit dem Schreckgespenst innenpolitischer Revolte und möglichem Regierungswechsel konfrontiert werden, warnte Seckendorff.

Veit Ludwig von Seckendorff, Auszüge aus Teutscher Fürsten-Staat (1656)

  • Veit Ludwig von Seckendorff

Quelle

Teutschen Fürsten-Staats Anderer Theil

Von der Regierung und Verfassung eines Landes und Fürstenthums, in geist- und weltlichem Stande

Cap. I. Von der Landes-Fürstlichen Regierung, Hoheit und Botmäßigkeit insgemein

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§ 1. Wir wissen, Gott lob, in teutschen landen von keiner solchen macht, welche von einem einigen menschen im lande, der sich für den obersten hielte, und die meiste gewalt mit oder ohne recht hätte, über die andern alle, zu seinem nuz und vortheil, nach seinem willen und belieben allein, geführet und ausgeübet würde, wie etwa ein herr über seine leibeigene knechte und mägde zu gebieten pflegt, und ihnen bald dieses, bald jenes, was ihm in seinem hause nutzen bringet, oder worzu er beliebung trägt, anschaffet.

§ 2. Sondern es ist die Landes-fürstliche regierung in denen teutschen fürstenthümern und landen, wie fast in einer jeden rechtmäßig- und wohlbestellten policey, nichts anders, als die oberste und höchste botmäßigkeit des ordentlichen regierenden Landes-Fürsten oder Herrn, welche von ihm über die stände und unterthanen des fürstenthums, auch über das land selbst, und dessen zugehörige sachen, zu erhaltung und behauptung des gemeinen nutzens und wohlwesens, im geist- und weltlichen stande, und zu ertheilung des rechtens gebrauchet und verführet wird.

§ 3. Indem wir aber diese oberste botmäßigkeit der person des Landes-Herrn alleine zuschreiben, und sie dannenhero Landes-fürstlich oder Landes-herrlich nennen, so setzen wir dadurch beyseits alle andere personen in einem lande, die wir vorhero im ersten theil beschrieben haben, ob gleich dieselbe auch mit gewisser herrlichkeit und botmäßigkeit entweder von dem Landes-herrn selbst, und dessen vorfahren, oder auch von andern fremden und auswürdischen obrigkeiten, belehnet und begabet sind, als ferne nehmlich dieselben nach herkommen der lande nicht nur blosse lehenleute oder im lande bezircket, sondern zugleich landsäßig und unterthanen sind: Sintemahl solchenfalls weder einem oder andern insonderheit, wie mächtig und reich er auch wäre, noch denenselben mit einander, dergleichen oberste herrschaft und regierung im lande zukömmet, sondern sie sind gegen dem Landes-herrn ingesamt und insonderheit für unterthanen zu achten.

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Cap. II. Von der Maasse der Landes-Fürstlichen Hoheit, in ansehung Kayserlicher Majestät und des Reichs

[§ 1.] Damit aber aus dem vorhergehenden capitel nicht die meinung geschöpffet werde, als ob eine teutsche landesherrschafft so gar frey, und ohne einige ziel und maasse ihre hoheit zu gebrauchen hätte, so haben wir uns zu erinnern, wie im ersten theil schon kürtzlich gemeldet worden, daß wir von solchen landen reden, die im Römischen Reich teutscher nation liegen, auch von solchen herren und ständen, die von Käyserl. Maj. als dem höchsten oberhaupt im Reich mit ihren landen und herrschaften, oder doch mit deroselben regalien beliehen werden.

Daraus folget nun, daß sie auch unter dem Käyser und dem Reich seyen, und mit empfahung ihrer regalien das Reich, wie im R. A. de Anno 1500. Tit. der teutsche orden, geredet wird, erkennen: Also, daß dannenhero ein teutscher fürst oder landes-herr, nicht allein in seinem gewissen gegen Gott dem Allmächtigen, seine regierung und handlung zu verantworten hat, sondern er ist auch schuldig, und mehrentheils mit eydes-pflichten verbunden, einem ordentlichen erwehlten regierenden Römischen Kayser und dem Reich, gebührlichen respect und gehorsam zu leisten und demjenigen, was Käyserliche Majestät, und die Churfürsten, Fürsten und Stände des Reichs, altem herkommen nach, geordnet und geschlossen haben, und noch schliessen werden, für sich, und in seiner landesregierung in acht zu nehmen, es wäre denn, daß er eines andern durch gewisse privilegien, freyheiten und bedingungen befugt wäre.

Solche schuldigkeit und maasse der landes-fürstl. hoheit desto besser zu verstehen, wollen wir dieselbe, nach denen vorhero im 1. capitel gesetzten vier hauptpuncten der landes-fürstlichen regierung, betrachten und erklären.

§ 2. Bey dem Ersten, nehmlich der erhaltung seines fürstlichen standes, ehre, macht und hoheit, ist er schuldig, zuförderst den respect, ehre und hoheit des teutschen Reichs, und der Kayserlichen Majestät vor augen zu haben, nicht allein (1) mit äusserlichen worten und titul, daß er nemlich den Römischen Kayser seinen allergnädigsten Herrn nennet, und ihme den titul Ihrer Käyserl. Majestät giebet, sich aber einen unterthänigsten, oder allerunterthänigsten gehorsamsten fürsten des Reichs heisset und nicht, wie gegen andere, sich Von Gottes Gnaden, und Wir, sondern nur Ich schreibet, und was dergleichen gebührliche ceremonien und höflichkeiten mehr sind.

Sondern er ist auch (2) mit seinen pflichten dahin gewiesen, daß er sich, und seine lande und leute bey dem Röm. Reich, und unter dessen höchsten botmäßigkeit erhalte, und weder sich selbst davon ausziehe, und eine mehrere freyheit, als sich von alters her, und rechtswegen gebühret, mit gewalt oder vortheil suche, noch weniger aber einem andern fürsten im Reich, oder gar einem fremden sich unterwerffe.

(3.) Da das Römische Reich von äusserlichen feinden oder innerlichen auffrühren, angefallen und beleidiget würde, ist er schuldig, auf erfordern der Käyserl. Maj. und des Reichs, oder derjenigen, die darzu durch einhelligen schluß und satzung verordnet sind, mit etlicher, oder mit aller macht seiner land und leute, oder an dessen statt mit einem gewissen geld, oder reichs-steuer, vor die freyheit und beschützung des vaterlandes sich dar zu stellen und hülffe zu leisten.

(4.) Ob wohl andere hohe potentaten, die keinen ober-herrn im lande haben, an christlichen tugenden, zucht und erbarkeit, auch dasjenige, was andern leuten insgemein recht und unrecht ist, oder mit einem wort, an göttliche, natürliche, oder aller völcker recht auch gebunden sind, kan man doch in den wenigsten fällen, wenn sie darwider handeln, in dieser welt sich an ihnen erholen, sondern wer zumahl schwach, oder ihr unterthan ist, der muß ihre Fehler und gewaltthaten mehrentheils dem gerechten Gott, zu seiner zeit zu richten, heimstellen. Ein fürst aber des reichs ist schuldig und verbunden, demjenigen, den er beleidiget, und unrecht thut, und wider recht und seine freyheit und privilegia, die er etwan rechtmäßig erlanget hat, beschweret, auf dessen klage, nach gelegenheit und unterscheid der fälle, auch des herkommens, vor des Reichs hohen Gerichten, oder in andere wege, wie es dißfalls die satzungen vermögen, zu antworten, und was ihm daselbst endlich zu- oder ab-erkennet wird, zu thun oder zu lassen, also, daß solchergestalt die teutsche landes-herren nicht allein an obengemeldete, sondern auch die im römischen reich übliche sonderbare rechte und gebräuche gewiesen seynd, und darnach gerechtfertiget werden. Doch haben dißfalls die fürsten und herren vor andern geringen personen einen vorzug, daß sie auf gewisse weise, und an gewissen orten, nehmlich nach unterscheid der sachen, vor einem andern fürsten des reichs, den sie zu einem austräglichen richter erwehlet, oder vor Ihren eigenen räthen, oder am Käyserl. Hofe, oder Cammer-gericht, in klage genommen werden, auch sie daselbst gegen andere klagen, damit ihre angelegenheiten zu erhaltung ihres respects und staats desto wichtiger, und zur gnüge betrachtet, und sie nicht übereilet werden, wie solches aus des Heil. Reichs-Cammer-Gerichts-Ordnung, und andern vom zustand und verfassung des Römischen Reichs ausgegangenen büchern, weitläufftig zu befinden.

§ 3. Bey dem andern punct, da wir gesagt, daß der Landes-fürst macht habe, gesetze und ordnungen zu machen, hat er, wegen des Reichs über Ihn schwebenden botmäßigkeit, dahin zu sehen, daß solche ordnungen und gesetze nicht wider diejenige gesetze und ordnungen, welche dem gantzen teutschlande durch Käyserl. Maj. und die sämmtlichen stände vorgeschrieben, sondern vielmehr denenselben gemäß und nachfolgig seyn, es wäre denn, daß er dieselbe auf seiner lande zustand umständlicher und genauer einrichten wolte, oder es wäre eine sache in den reichs-ordnungen nicht berühret, sondern im mittel gelassen, oder betreffe eine zweiffelhafftige rechts-frage, die einer erklärung bedörffte, oder es wäre das gegenspiel durch lange gewohnheiten, oder begnadigung des Käysers, und des Reichs, in seinem fürstenthum und lande jederzeit gebräuchlich gewesen.

Ja er ist (2) schuldig, die ordnungen und gesetze des reichs, welche auf gebührliche weise, und mit gemeinem schluß der stände gemachet worden, in seinem fürstenthum und landen zu publiciren, auch daß denselben nachgelebet werde, verschaffung zu thun, und die übertreter zu straffen. Sintemahl auch etlichen reichs-satzungen eine gewisse straffe, wider die obrigkeiten, die denenselben nachzukommen säumig sind, einverleibet, welche solchen falls von dem höchsten Reichs-Gericht, oder Käyserl. Cammer pflegen eingefordert zu werden.

§ 4. Bey dem dritten punct, nemlich der gerichtbarkeit, können und mögen in vielen landen des reichs diejenige, welche mit denen aussprüchen und urtheilen der landes-fürsten und ihrer cantzeleyen und hof-gerichte sich nicht begnügen wollen, sondern vermeinen, daß sie dadurch wider recht beschweret werden, in gewisser zeit an das Käyserliche Cammer-Gericht oder Reichs-Hoff-Rath sich beruffen, und daselbst die sache noch einsten erkennen lassen. Etliche fürsten und stände aber sind entweder biß auf eine gewisse hohe summe, deren die sache würdig ist, oder also gäntzlich, durch käyserliche privilegia und altes herkommen befreyet, daß von ihren urtheilen und bescheiden zu appelliren niemanden zugelassen ist, gleichwohl aber sind sie hingegen destomehr schuldig, gericht und gerechtigkeit denen anruffenden zu ertheilen, und die streitigen sachen ihrer unterthanen zu verhören, damit nicht, im fall sie allzusehr verzüglich wären, oder das recht gar versagten, sie deßhalben verantwort- oder abforderung solcher sachen an höhere oerter gewarten müssen.

§ 5. Zum Vierdten, obwohl, wie unten mit mehrerm erkläret werden soll, ein Landes-fürst, zu handhabung seiner hoheit, und vollstreckung seines obrigkeitlichen vorhabens, ein und ander zwangsmittel, auch gar eine kriegs-verfassung im lande zu gebrauchen und aufzurichten hat, so ist doch solches in ansehung Käys. Maj. und des Reichs also gemäßiget, daß er wider dieselbe solche seine Macht und gewalt nicht wenden, oder auch einen andern fürsten und stand des reichs damit anfallen und beleidigen darff, wie er denn auch seine beschwerungen, die er wider einen andern seines gleichen, oder die nachbarn hat, welche gleich und recht leiden können, nicht mit heers-zug und gewalt, sondern, wie im reich herkömmlich, mit ordentlichem recht zu suchen, und also den land-frieden im reich, so viel an Ihm ist, und er nicht mit gewalt von einem andern angetastet wird, zu halten schuldig ist, wie in beschreibung dieses puncts gehöriger orten mit mehrerm erleuterung geschehen soll. []

Cap. IV. Von der Maasse der Landes-Fürstlichen Hoheit und Regierung, welches aus etlichen Rechten und befügnissen der Stände und Unterthanen des Landes und Fürstenthums herkömmet

§ 1. Aus dem, was wir oben von der macht des landesherrn ingemein erinnert, daß sie nicht geartet sey, wie eine eigenwillige herrschafft eines haußwirths über sein gesinde, ist leicht zu ermessen, daß die unterthanen im lande nicht sclaven, und mit leib und gut so bloß hin ihrem herrn eigenthumlich ergeben seyen, sondern daß sie regieret, und in gehorsam gehalten werden, wie Freygebohrne, und unter seinem rechtmäßigen regiment, zu ihrer leibes- und seelen wohlfarth versammlete leute, von einer christlichen, und an göttliche, natürliche, und des reichs rechte angewiesenen obrigkeit von rechtswegen geschützet, und in acht genommen werden sollen, allermassen von denen vornehmsten stücken einer löblichen regierungsform, nach gelegenheit der teutschen fürstenthümer, in folgenden capiteln mit mehrerm gehandelt wird.

§ 2. Uber diß aber, und insonderheit sind auch etliche gewisse haupt-sachen, die der landes-herr in seiner regierung, gegen alle seine unterthanen, nicht allein wie in vorgemeldeten gemeinen stücken, gewissens halben, und bey der verantwortung, die einsten der höchste Gott von ihm fordern wird, sondern auch äusserlicher verbindlicher schuldigkeit wegen, in acht nehmen muß, entweder, daß Er, oder seine vorfahren, es also versprochen und zugesagt, oder Ihme in allgemeinen teutschen rechten und satzungen auff diese maasse aufferleget, oder dem alten herkommen also gemäß ist.

§ 3. Das vornehmste dieser stücke ist zu achten, die erhaltung der religion, wie solche im lande üblich und gebräuchlich ist. Denn nach nunmehrigen reichs-satzungen sind die meisten teutschen fürstenthümer und herrschafften, und dero jedesmal regierende obrigkeit verbunden, die unterthanen wieder ihre christliche und im religions-frieden zugelassene glaubensbekäntnisse, und öffentliche, oder sonst hergebrachte übung derselben, nicht zu beschweren, sondern sie vielmehr gebührlich dabey zu schützen, wie hievon unten im 11. capitel deutlicher bericht geschehen wird.

§ 4. Fürs andere pflegen die unterthanen des landes für ein besonder befügniß zu begehren, und ist auch also in den reichs-satzungen versehen, daß der landes-herr über gericht und gerechtigkeit im lande halten, und dahin trachten solle, daß einem jeden auf seine klage verhör und bescheid, und auf dasjenige, was er im recht erhält, gebührliche hülffe an orten und gerichts-stellen, wie von alters herkommen, wiederfahre, auch unerhörter und unbekandter dinge, niemand verdammet oder gestraffet werde. Denn im fall die Landesherren dißfalls keine rechte anstalt machen, die leute recht- und hülffloß lassen, oder ohne einige form des gerichtes nach eigenem sinn verfahren wollten, hätten sich die stände und unterthanen des landes dessen mit fug zu beschweren, auch in beharrlicher versagung und unordnung, bey der hohen reichs-obrigkeit, um vermittelung sich zu beklagen.

§ 5. Fürs dritte, sind die unterthanen der teutschen landesherrschafften bey ihren hab und gütern dergestalt berechtiget, daß der landes-herr nicht macht hat, dieselbe ihnen, wie etwa in etlichen tyrannischen oder sonst eigenmächtigen harten herrschafften geschehen mag, gantz, oder zum theil, seines gefallens zu nehmen, oder mit andern renthen, zinsen und rechnungen, als die von alters her, oder aus neuen rechtmäßigen ursachen darauf gebracht sind, zu beschweren, und also dieselben nach seinem gutdüncken zu schätzen und zu belegen. Würde aber im gantzen reich, oder in dem kreiß, darein das fürstenthum oder land gehöret, eine anlage gemacht, oder auf des landes-herrn ansinnen, aus bewegenden ursachen, von den ständen des landes etwas gewilliget, alsdenn ist der landes-herr befugt, solches von den unterthanen einzubringen, wie hievon part. 3. cap. 3 tit. von der landes steuerbarkeit, unterricht erfolgen soll.

§ 6. Wären denn, Vierdtens, zwischen landes-herrschafften, und ihren ständen und unterthanen sonderbare Verträge und Abschiede aufgerichtet, und darinnen diß und jenes denenselben versprochen und zugesaget, wie denn hin und wieder dergleichen exempel zu finden, und gemeiniglich bey der erbhuldigung denen unterthanen solche versprechungen wiederholet und bekräfftiget werden, so hätte es darbey dergestalt auch sein bewenden, daß ohne einwilligung und nachlaß der land-stände wider und über solche verträge, der landes-herr seine macht nicht gebrauchen könte.

§ 7. Fielen auch bey solchen befügnissen, und vorbehaltnissen der unterthanen solche umstände vor, daß nach gelegenheit der zeiten und läufften ein anders, als von alters herkommen, zu ergreiffen seyn wolte, alsdenn öffters mit steuren und anlagen zu geschehen pflegt, da gebühret sich, daß der landes-herr seine land-stände deren wir zu eingang dieses wercks part. 1 gedacht, darüber vernehme, und mit ihrer einwilligung handele, damit sie wiedrigen falls sein vornehmen nicht widersprechen, und etwa in schwere mißhelligkeiten und rechtfertigungen mit ihme gerathen.

§ 8. Über diese haupt-puncten aber sind noch andere viele, darinnen ein landes-herr, wo nicht aus schuldigkeit, doch aus löblicher und guter gewohnheit, seine land-stände ebenmäßig zu rath fraget, und ihre unterthänige treue meynung und erinnerung anhöret, auch wenn er gleich nicht eben daran gebunden, dennoch von denselben nicht leichtlich abweichet, sondern da sie zumahl auf gute vernünfftige ursachen gegründet, solchen gerne folget: Und geschiehet dieses mehrentheils in denen sachen, welche zu erhaltung und rettung des landesfürstlichen hohen standes, und zugehöriger regalien, wider besorgende schädliche eingriffe, wofern anders solche dinge verzug leiden, und nicht gar heimlich zu handeln seyn, oder zu guter ordnung und verbesserung im lande, der sich männiglich zu gebrauchen habe, oder zu sonderbarer bequemlicher handhabung dessen, was schon löblich geordnet ist, vorgenommen werden.

Wie denn solche exempel der berathschlagungen, welche die landes-herren mit ihren ständen und unterthanen dißfalls gehalten, in fürstl. und gräflichen archivis und cantzeleyen, aus denen landtags-acten hin und wieder erscheinen.

§ 9. Demnach aber solche berathschlagungen auf Land-Tägen zu geschehen pflegen, so ist von derselben beschreibung und proceß folgendes zu wissen. Der landes-herr beschreibet, mittelst eines verschlossenen befehls, auf einen gewissen und nicht zu enge angesetzten tag, an einem bequemen ort seines landes, mehrentheils aber zu seiner hoffstatt, alle stände des landes, die wir im ersten theil oben benahmet, versiehet sie daselbst, nebenst ihren dienern und pferden, die ein jeder, nach seinem stand und alten herkommen mit sich bringet, mit futter und mahl, oder lässet ihnen dafür ein gewisses zur auslösung reichen.

§ 10. Wenn sie erscheinen, wird gemeiniglich vor dem anfang der handlung der gottesdienst verrichtet, und Gott der Allmächtige um gutes gedeyen angeruffen. Nach demselben lässet der landes-herr in einem saal, oder verschlossenen gemach, durch seinen cantzlar, oder vornehmsten rath, (er wolte es denn selbst mit wenigen gedencken, und die weitere ausführung hernach durch jetzt bemeldte person thun lassen,) denen sämtlichen ständen die ursachen, warum sie zusammen erfordert sind, auch die puncten, worinnen ihr bedencken und rath begehret wird, mündlich anzeigen, auch darauf schrifftlich dem obersten aus den land-ständen so bald überantworten, und ferner begehren, daß sich die stände zusammen verfügen, die proponirte puncten wohl erwegen, und darauf mit unterthäniger treuer eröffnung ihres gutdünckens sich vernehmen lassen sollen. []

§ 11. Darauf werden sie in sondere gemächer gewiesen, als in fürstenthümern und landen, wo völlige landsässerey ist, die prälaten in eines, die grafen und herren in eines, die von der ritterschafft in ein anders, und die städte auch in ein anders, oder nach gelegenheit bleibet es bey zwo oder drey classen, nachdem der ritter- oder herren- und prälatenstand von der landes-fürstlichen hoheit eximiret ist oder nicht. Bey einer jedwedern sammlung fraget der obenansitzende, oder wer es nach alten herkommen befugt ist, die stände um ihre meynung, und vergleichen sich eines gewissen schlusses: Denselben communiciret jedere claß mit der andern, biß sie einer einhelligen meynung sich vereinbaret, oder da es nicht seyn könte, werden eines jeden sämtlichen standes oder claß meynung, oder schlüsse aufgezeichnet, und darnechst eine schrifftliche antwort an den landes-fürsten verfasset, und dessen cantzlar und räthen, oder wen er darzu verordnet, und wie es gebräuchlich ist, durch etliche deputirte aus den ständen eingehändiget.

§ 12. Ist nun der landes-herr mit solcher erklärung, nachdem dieselbe reifflich gegen die propositions-puncten überleget, und nach ihren motiven betrachtet worden, zufrieden, so läst er ihnen solches anzeigen, und wird darauf in seiner cantzley ein schriftlicher abschied, was gehandelt und geschlossen worden, verfasset, und in beyseyn des herrn und sämtlicher stände, öffentlich abgelesen, mit dem landesherrlichen siegel und unterschrifft bekräfftiget, und so wohl in des herrn cantzeley, als in denen brieffverwahrungen der landes-stände, so viel classen derselben seyn, etliche mahl beygeleget, für einen schluß und gesetz des landes gehalten, in offenen ausschreiben und patenten verkündet, und die landes-stände mit gnädigen danck und erbieten wieder nach hause gelassen.

§ 13. Würden aber die stände in ihrer ersten antwort auf die proponirte puncten zweiffelhaffte, oder gar abschlägige und wiedrige meynung führen: So wird ihnen darauf, wo ihre angezogene ursachen nicht erheblich scheinen, eine gegen-erklärung oder replic, im nahmen des landes-herrn, schrifftlich zugestellet, darauf sie anderweit, in einer fernern antwort, oder duplic, sich vernehmen lassen müssen, und geräth offt in wichtigen und verdrießlichen sachen dahin, daß wohl noch mehr schrifften gewechselt werden, ehe man eines schlusses einig werden kan, doch/pfleget man, um weitläuffigkeit zu verhüten, nicht gerne in weitere schrifften sich einzulassen, sondern durch mündliche conferentz, zwischen des landes-herrn räthen, und allen, oder etlichen von den land-ständen, die sachen, darum man unterschiedlicher meynung ist, gegen einander fürzubringen, biß entweder nach der proposition des landes-herrn, oder je in andere nützliche wege, nach dem rath der stände, oder der meisten aus ihnen, eine resolution gefasset wird, darinnen denn der landes-herr desto behutsamer verfähret, weil solche Landtags-schlüsse nicht nur die beschriebene stände, und ihre hintersassen, sondern auch seine unmittelbare unterthanen der ämter, welche wohl den grössern theil des landes mit machen, zugleich angehen, und er dißfalls für dieselben mit sorgen und handeln muß.

§ 14. Bey solchen zusammenkünfften pflegen die landstände auch fürbringen zu lassen, wessen sie sich etwan bey dem landes-herrn, wegen seiner regierung, oder sonst wegen ein und andern mißbrauchs, der von seinen beamten und dienern im lande fürgenommen werden wollte, zu beschweren hätten.

Dieselbigen gravamina höret der landes-herr an, und wenn sichs befindet, [] daß es eine gemeine klage, die entweder das gantze land, oder etliche vornehme stände desselben, oder zwar nur einen, oder wenige, aber mit befürchteter consequentz und einfolge auf andere, betreffen möchte, so wird er sich entweder [], zu billichmäßigen einsehen und abstellung des mißbrauchs erklären, oder es auf weitere erkundigung stellen oder allenfals auch neben seinen räthen etliche aus dem mittel der landschafft, welche sie selbst aus den verständigsten und unpartheyischen vorzuschlagen haben, deputiren und ordnen, welche in solchen gravaminibus oder beschwerungen, diejenigen, welche es angehet, es seyen nun stände des landes, oder herrschafftliche beamte, fürfordern, der sachen beschaffenheit erforschen, und ein billichmäßiges mittel und abschied treffen sollen. []

§ 15. Wenn aber dem landes-herrn solche sachen fürfallen, darzu er eben nicht aus altem herkommen und schuldigkeit, die land-stände zu rath fragen muß, gleichwohl aber auch nicht gerne ohne deren vorbewust handelt; oder die sache bestehet auf blosser anordnung, gehet aber die unterthanen insgemein an; oder wird von einem thunlichen mittel geredet, wie dasjenige, was auf landtägen beschlossen, am füglichsten ins werck zu stellen sey, so pflegt der landes-herr nicht alle land-stände insgemein, sondern zu verhütung der kosten und gewinnung der zeit, öffters auch um besserer geheimhaltung willen, einen ausschuß aus denenselben zusammen zu beschreiben. Solcher ausschuß oder benennung etlicher personen bald in engerer, bald in grösserer anzahl, wird mehrentheils aus allen ständen oder classen der landschafften, auf einen allgemeinen land-tag beschlossen, und zu werck gestellet damit der landes-herr wisse, welche er in obigen fällen zu erfordern habe.

Es geschicht auch wohl, daß, nach gelegenheit der läufften und zeiten, ein solcher ausschuß von denen sämtlichen land-ständen, in denen sachen bevollmächtiget wird, die sonst für die völlige landschafft gehöreten, wessen denn der landes-herr auf diese heimstellung mit denen vom ausschuß einig wird, das ist eben so viel und kräfftig, als wenn es auf einem ordentlichen land-tage geschehen wäre. []

Cap. V. Von der Administration und Verwaltung des weltlichen Regiments, nach vorher gesetzter Maasse, wie solche dem Landes-Herrn obliege, und er darzu Räthe und Diener gebrauche

Welcher gestalt die landes-fürstliche regierung in weltlichen sachen in vier haupt-puncten bestehe, und wie solche wegen unterschiedlicher betrachtungen gemäßiget und umgeschräncket sey, haben wir in den vorhergehenden capiteln, zu vernehmen gehabt, darauf nunmehr zu berichten fället, wie dann solche regierung in allen ihren puncten geführet werde.

§ 1. Hievon ist in diesem capitel insgemein so viel zu zeigen, einmal, daß der landes-herr das Haupt-werck seiner Regierung, am allermeisten durch seine selbst eigene person zu verwalten habe, worzu dann ihn nicht allein die göttliche ordnung, krafft derer er im stande der obrigkeit lebet, sondern auch das löbliche herkommen, recht und befugniß seiner land und leute, und des gantzen teutschlandes, verbindet, alsfern er nicht nothwendiger weise wegen anderswo auch habender land und leute, hoher expedition in kriegs- und reichs-sachen und dergleichen, auf eine zeitlang, oder ordentlich, abwesend seyn muß, welchen falls er dennoch durch einen ansehnlichen statthalter, und deme zugeordnete räthe, dem lande vorstehen läst, auch wohl je zu zeiten sich selbst dahin verfüget. Denn es bezeigen die geschichte der lobwürdigsten Teutschen regenten, wie sich dieselbe von alters her also tapffer, gewissenhafft, treu und embsig in ihren hohen beruff des obrigkeitlichen amts erwiesen, daß die unterthanen vermercken und spühren können, wie ihr angebohrner natürlicher erb-Herr, nicht nur den blossen nahmen und titul, sondern auch die verrichtung und last des regiments auf sich habe.

Hingegen geben die exempel anderer lande, im fall die landes-herren sich ihrer regierung nicht unterziehen: sondern andern unnöthigen sachen obliegen, und alles an die diener lassen, oder gar zu lange ausser landes sich aufhalten; daß durch solche versäumniß ihres beruffs allerhand unordnung, ungerechtigkeit und grosses verderben, ihre lande und leute betroffen, offt auch die unterthanen aufrührisch worden, und nach einem andern und besseren regiment verlanget.

§ 2. Es erweiset sich aber diese persönliche bemühung, oder eigentliche amts-verrichtung vornehmlich hierinnen, daß der landes-fürst einmal insgemein zuförderst dahin trachtet, die eigentliche beschaffenheit seines landes umständlich zu wissen, und sich bekant zu machen, das geschehe nun durch eine ausführliche beschreibung alles dessen, was im lande, an grund und boden, städten und dörffern, leuten, unterthanen und dienern, gerichten und gerechtigkeiten, ihme oder seinen landes-ständen, zustehet, oder daß er durch lange erfahrung und augenschein dieser dinge kundig sey, und also wisse, wie weit, und worüber sich seine macht und regierung erstrecke, und wie er darinn gegen das reich, seine gefreundte, und die unterthanen selbst, wegen gemeiner satzungen, verträge und andere befugniß, wie wir bißhero in dem nechst vorgehenden capitel angeführet, maasse halten müsse.

Quelle: Hn. Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürsten-Staat. Samt des sel. Herrn Autoris Zugabe Sonderbarer und wichtiger Materien. Vor itzo aber Mit Fleiß verbessert, und mit dienlichen Anmerckungen samt dazu gehörigen Kupffern, Summarien und Register versehen, durch Hn. Andres Simson von Biechling, Hochfürstl. Sachsen-Meiningischen Geheimden Rathe. Die neueste Auflage. Jena: Meyerische Buchhandlung, 1737, S. 31–78; abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hrsg. Zeitalter des Absolutismus 1648–1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 152–68.