Kurzbeschreibung

Die Lebensmittelrationierung während des Ersten Weltkriegs an der Heimatfront machte viele Haushalte mit minderwertigen Ersatzmitteln bekannt. Rübe und Kohlrübe wurden zum Symbol des Mangels. Rezepte und Techniken, um den Geruch der Rüben zu verstecken oder zu überdecken, konnten wenig an ihrem charakteristischen Geschmack ändern. Ironisch preist dieses Lied die Steckrübe und ihre verschiedenen Erscheinungsformen.
 

Das hohe Lied von der Kohlrübe (1917)

Quelle

Preisend mit viel schönen Reden
unserer Rüben Wert und Zahl
standen viele deutsche Frauen
einst schon früh beim Morgengrauen
vor ‘nem städtischen Lokal.
„Früher hielt ich’s mit den Möhren”,
sprach die eine, schlank und bleich –
„O, ihr dürft darob nicht spotten ,
‘s ist was Schönes mit Karotten,
wenn sie jung und zart zugleich!”
Rühmt die Andre jene Rübe,
die des Zuckers Süße schafft;
ach vom Zucker sollt’ sie schweigen,
rief als da der ganze Reigen –
„Jeder kocht jetzt Rübensaft!”
Lobt die dritte „Rote Beeten”,
die man einst in Teltow zog –
“Ach, was soll’n heut Leckereien,
wo wir nach Kartoffeln schreien!”
ihr’s im Chor entgegenflog.
Doch die Rübe aller Rüben
ward Ersatz dafür ja wohl.
Nichts soll ihren Ruhm verdunkeln,
wo sie riesig wie die Runkeln:
„Gelbe Schmalz” und weiß wie Kohl!
Ja, der Steckrüb’ soll man singen
dieses Lied im Land rumdum;
weil wir ihr auf dieser Erden
immer ähnlicher jetzt werden
im Gesicht und sonst „ringsrum”. – –
Sie ward deutsches Reichsgemüse,
Marmelade und Salat.
Und gedörrt sollt ihr sie kochen
in den sauren Kriegeswochen
für Zivil und für Soldat!
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Seht, das Fett ist schon am Namen,
wo man sie „wie Schmalz” belobt;
wenn die tapfern Kriegerfrauen
auch der Botschaft nicht recht trauen
Hat man’s auf dem Land erprobt?
Mit der Rübe, mit der Wruke
ward das liebe Brot gesteckt.
Und verwöhnt sind Darm und Magen,
die dies können nicht vertragen,
weil’s nicht grad nach Manna schmeckt!
Einmal schon in früheren Zeiten,
klang das Lob der Rüben froh:
„Och, watt fünd dä Händ’n nette”,
doch das kam vom Nierenfette
„von auf’ Herrn Pastor sien’ Kohl!”
Wohl und deutschen Welt–„Barbaren”,
die wir solche „Vorkost” han’
denn mit diesem Magenpflaster
tritt John Bull bei all dem Zaster
sicher mit uns doch nicht an!
Auf der Großstadt Gaskochherde
ward der Rübentopf nicht kalt:
Schon für’s Frühstück muß er brodeln –
Mittags Rüben gibts mit Nudeln –
Abends in Kompott-Gestalt! –
So in wohlgeschnittnen Würfeln
nährt die Rübe früh und spät.
Auf die goldgelb-leckren Scheiben
sollt man diese Worte schreiben:
“Unser Tisch- und Nachtgebet!”
Michel kann ja gar nicht fallen
Wie ein Baum steht er – Hurrah!
Was da purzeln will, mag purzeln,
Michel steckt ja voller Wurzeln
steht „wie angewurzelt” da!
Ist der Weltkrieg einst zu Ende,
nicht nur Lorbeer schmückt den Stahl –
Jeder, der daheimgeblieben,
kränze ihn mit Kraut und Rüben,
also wünscht es – Rübezahl!

12. März 1917, Fritz Gille

Quelle: Deutsches Historisches Museum

Das hohe Lied von der Kohlrübe (1917), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-wilhelminische-kaiserreich-und-der-erste-weltkrieg-1890-1918/ghdi:image-1732> [26.09.2025].