Quelle
Das sorgsam vorbereitete Werk im Treptower Parke ist nun fertig — unermüdlich wurde seit Jahren an der Verwirklichung des grossartigen Planes gearbeitet und geschafft, rastlos waren Kopf und Hand zahlloser Menschen dafür thätig, immer schönheitsvoller und glänzender gestaltete sich die ursprüngliche Idee aus, und nun, wo sie verkörpert vor uns steht, in fesselnd-imposantem Gewände, da dürfen wir mit berechtigtem Stolz sagen, dass das Werk der neuen deutschen Kaiserstadt würdig ist, dass Berlins Industrie und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft sich werth ihres Rufes gezeigt haben und mit dieser Ausstellung etwas Ganzes, etwas Grosses schufen, das als weithin sichtbarer Merkstein immerdar seinen Platz in der Geschichte unserer Stadt behalten wird!
Schwer hat sich Berlin ja seine heutige, noch immer vielbeneidete, aber doch auch vielgerühmte Stellung auf dem Erdenbilde erringen müssen; noch vor wenigen Jahrzehnten oft bespöttelt und noch öfter verlästert, war es das wenig beachtete Stiefkind unter den werdenden übrigen Weltstädten und selbst den deutschen Residenzen. Berlin — es besagte wohl Straffheit und Manneszucht, Fleiss und Thätigkeit, aber man sah doch im Allgemeinen auf die inmitten des „heiligen römischen Reiches Streusandbüchse“ gelegene Stadt theils mit überhebender Ironie, theils mit einem gewissen Mitleid herab, man versprach sich von der Zukunft des Ortes nicht viel, man suchte ihn, zumal aus den südlicheren Provinzen, nur gezwungen auf und war froh, wenn man den Staub der wenig reizvollen Stadt wieder von den Kleidern schütteln konnte.
Berlin selbst bekümmerte sich freilich wenig um all’ die Gehässigkeiten und Verdächtigungen, im Stillen arbeitete und schuf es weiter, ahnend, dass die Zeit kommen würde, wo die Augen einer ganzen Welt hierher gerichtet wären, wo man zeigen müsse mit Anspannung aller Kräfte, was man gelernt mit Emsigkeit und Zielbewusstsein, was man vermöge im Gefühl seines Könnens, was man vollbringe als Stadt der Arbeit und des Wissens, des Handels und des Wandels, die unter langer friedlicher Regierung thätige Fortschritte gemacht, weniger bemerkt nach aussen wie nach innen hin.
Und die Zeit kam, es kamen die sechziger und siebziger Jahre mit ihren ungeahnten, ungeheuren politischen Erfolgen, einen kühnen, einen hohen Flug nahm der preussische Aar, und als er heimkehrte, da trug er die schimmernde Kaiserkrone auf dem Haupte und durfte seine Fittige schirmend ausbreiten über dem neugeeinten deutschen Volk, über einem durch Eisen und Blut unlösbar zusammengeketteten grossen deutschen Vaterlande!
Aus dem einstigen kleinen Fischerdorfe war die deutsche Kaiserstadt geworden. Ueber Nacht fast waren ihr damit neue Ziele, neue Aufgaben erwachsen, nach allen Seiten hin reckte und streckte sich die Stadt aus, im Umsehen verdoppelte sich ihre Einwohnerschaft, wüste Aecker verwandelten sich in volkreiche Stadttheile, was verjährt und morsch war, wurde niedergerissen und erstand glanzvoll aufs neue, das bisherige, alte, etwas enge und fadenscheinige Berlin, wie wir es noch auf einigen der Abbildungen unseres Buches sehen, verschwand mehr und mehr und machte dem neuen, glänzenden Platz, das bald mit seinen viel älteren Schwestern an der Seine, der Themse, der Donau den Wettkampf aufnahm und sie hierbei binnen kurzem in vieler Beziehung schlug.
Aber nicht auf Aeusserlichkeiten allein legte man Werth, durch eine Fülle gesundheitsfördernder Einrichtungen, durch Gründung neuer Unterrichtsanstalten, durch Förderung von Kunst und Wissenschaft hob man die Stadt in erheblicher Weise, auch Gewerbe und Industrie und Handel hielten gleichen Schritt und eroberten sich theilweise in machtvoller Art den Weltmarkt. Seit langem schon war das Bestreben zum Durchbruch gelangt, einmal öffentlich zu zeigen, was sie vermögen, was sie leisten, was Berlin in dieser Hinsicht bedeutet, immer lauter wurden die Wünsche, immer stärker das Begehr, und so fand der Plan einer grossen Berliner Ausstellung einen lauten und sympathischen Widerhall. Wohl fehlte es nicht an gewichtigen Stimmen, die gern auf Berliner Boden gezeigt hätten, was ganz Deutschland, was andere befreundete Staaten auf den erwähnten Gebieten zu leisten vermögen, aber bei aufmerksamer Erwägung aller hier in Betracht gelangenden Factoren kam man doch auf die Berliner Ausstellung mit weitgezogenen Grenzen zurück.
Und nun hat sie uns ihre Pforten geöffnet, und Staunen und Bewunderung erfüllt uns ob ihres farbenprangenden Gewandes und ihres reichen Inhaltes. Von beidem sollen die nachfolgenden Blätter eingehend erzählen. Heute aber darf man schon behaupten, dass diese Ausstellung gelungen ist, wie selten eine, dass sie überraschend wirkt durch ihre Grösse und Gediegenheit und dass sie noch späteren Geschlechtern zum Sporn und zur Anregung dienen wird als stolzes Wahrzeichen, was Berlin am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu schaffen vermocht! —
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Die finanzielle Grundlage der Ausstellung bildet der vier und eine halbe Million Mark betragende Garantiefond, der in Antheilscheinen zu tausend Mark schnell in den Berliner gewerblichen und industriellen Kreisen aufgebracht wurde.
350 000 Mark stellte unsere Stadtverwaltung dem Ausstellungscomité zur Verfügung und bewilligte sechs Millionen Mark, die indirekt — Pflasterung von nach der Ausstellung führenden Strassen, Neuresp. Umbauten von Brücken, Bau des Pavillons der Stadt Berlin und Anschaffung der Ausstellungsgegenstände etc. — mit der Ausstellung in Verbindung stehen, wie auch die Eisenbahn 2l/2 Millionen Mark für Erweiterung des Verkehrs zur Ausstellung und Errichtung eines besonderen Bahnhofes ausgeworfen hat.
Hierzu gesellen sich an Einnahmen: aus Pachtverträgen (feste Einnahmen und voraussichtliche Erträge) 1 297 000 Mk., an Plakatmiethen 870 000 Mk., (ausser dem Gewinn bei dem Verkauf von Loosen und zuzüglich des Beitrages der Stadt Berlin mit 300 000 Mk.) Beitrag des 1879er Ausstellungsfonds 52 000 Mark so dass, um den Ausgleich der Ausgaben und Einnahmen zu erzielen, mit einem Tagesbesuch (auf 150 Tage) von ungefähr 50 000 Personen gerechnet werden muss; denn die Ausgaben beziffern sich auf fast 6 l/2 Millionen Mark und zwar: Hauptgebäude 1 559 000 Mark, Chemiegebäude 290 000 Mk., Fischereigebäude 322 000 Mk., Gebäude für die Schule (Wohlfahrtseinrichtungen) 132 000 Mk, Gartenbau 15 000 Mk., Gebäude für Gasindustrie 26 000 Mk., Verwaltungsgebäude 78 000 Mk., Einzäunungen 35 000 Mk., Ausschmückung des Parks 221 000 Mk., Wegeüberbrückungen 100 000 Mk., Teichanlage und Wasserthurm 289 000 Mk, Be- und Entwässerung, Gas- und Wasserleitungen 250 000 Mk., Architekten, Baubüreau 200 000 Mk., Terrainpachtungen 75 000 Mk., Subventionirungen (Beiträge zur Pflasterung an die Gemeinden Treptow, Rixdorf, zur Herstellung des Eisenbahn-Bahnhofes an die Eisenbahn-Verwaltung, an die verschiedenen Gruppen und Innendekorationen) 510 000 Mk., Propaganda, Plakate, Musik 100 000 Mk., elektrische Beleuchtung und Kraft: a) Gesammtkosten der elektrischen Beleuchtung der Hauptindustriehalle 215 000 Mk., b) Restliches; Maschinen und Kesselfundamente und Einmauerung, Kohlen, Wasser, Bedienung etc. 535 000 Mk. bis 750 000 Mk., Wege, gärtnerische Anlagen, Springbrunnen 160 000 Mk., diverse kleine Gebäude 87 000 Mk., Kesselhaus und Schornsteine 60 000 Mk., Versicherungen 80 000 Mk., Personal etc. 300 000 Mk., Wiederherstellung des Parkes 100 000 Mk., Allgemeines und Unvorhergesehenes 110 000 Mk., in Summa 6 379 000 Mark.
Nun aber nach diesem kurzen Ueberblick begleitet uns hinaus nach dem Ausstellungsplatz, lasst uns schauen, was dort in emsiger Arbeit mit unermüdlicher Thatkraft geschaffen wurde, lasst uns eingehend jenes grosse, glänzende Werk betrachten, das nicht nur Berlin, das nicht nur unserem engeren Heimathlande, das ganz Deutschland zum Ruhme, zur Ehre, zum Vortheil gereichen soll und wird!
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Quelle: Paul Lindenberg, Pracht-Album Photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 und der Sehenswürdigkeiten Berlins und des Treptower Parks Alt-Berlin, Kolonial-Ausstellung, Kairo etc. Berlin, 1896. Online verfügbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:co1-opus4-37820