Kurzbeschreibung

Für die Industriellen und deren Geschäftsführer war es von entscheidender Bedeutung, die Arbeitsabläufe in den großen Fabriken kontrollieren zu können. Ihre Möglichkeiten, die Zahl der Arbeitsstunden und die Produktivität der Arbeiter genau zu übersehen, wuchsen mit technischen Innovationen wie den zunehmend präziseren Uhren. Derartige Entwicklungen bildeten die Grundlage zur Ausübung sozialer Kontrolle im modernen Zeitalter. Dieser Artikel des Journalisten und Autors Paul Martell aus der Zeitschrift für Sozialwissenschaft beschreibt diese Entwicklung.

Über Arbeiterkontrolle (1915)

  • P. Martell

Quelle

Das Wirtschaftsleben der Gegenwart steht unter dem Zeichen des scharf gespannten Wettbewerbes, der sich nur dann zu einem erfolgreichen gestalten läßt, wenn bei Anwendung aller rationellen Arbeitsmethoden auch auf die volle Ausnutzung der Arbeitszeit genaue Obacht gegeben wird. Das Mittel zu letzterer ist die Arbeiterkontrolle. []

Wohl am meisten verbreitet ist die Markenkontrolle []. Als älteste und einfachste Markenkontrolle ist diejenige zu bezeichnen, nach welcher am Fabrikeingang Tafeln angebracht sind, auf der jeder kommende oder gehende Arbeiter seine Marke anhängt oder abnimmt. Eine zweite gleiche Markentafel befindet sich in der Regel in dem eigentlichen Arbeitsraum, meist in der Nähe des Meisterplatzes, damit der Meister die Tafel leicht zur Kontrolle übersehen kann. Nach Arbeitsbeginn bewirkt der Portier den Torschluß, so daß jeder zu spät kommende Arbeiter sich beim Portier melden muß, um seine Marke zu erhalten. Zweckmäßig ist es, die Tafeln mit einem Drahtgitter zu versehen, das nach erfolgtem Torschluß vor die Marken gelegt wird, damit kein Unbefugter zu denselben Zutritt hat. Jeder zu spät kommende Arbeiter wird beim Abfordern der Marke vom Portier in diesem Sinne notiert, dasselbe geschieht zur späteren Gegenkontrolle durch den zuständigen Meister, bei dem sich der zuspät gekommene Arbeiter beim Abliefern seiner Marke persönlich zu melden hat. Ganz ähnlich, nur umgekehrt wird verfahren, wenn ein Arbeiter vorzeitig die Arbeitsstätte verläßt. Das Fehlen der Arbeiter stellt der Portier auf Grund der hängengebliebenen Marken fest, während der Meister die gleichen Aufzeichnungen nach Maßgabe der leeren Markennummern vornimmt. Bei Arbeitsschluß vollzieht sich der umgekehrte Vorgang: der Meister öffnet die Markentafel, von der jeder die Werkstatt verlassende Arbeiter seine Marke entnimmt, um sie vorn am Haupteingang auf die Tafel des Portiers aufzuhängen. Bleibt jetzt beim Meister eine Marke hängen, so muß angenommen werden, daß der Arbeiter die Arbeitsstätte noch nicht verlassen hat. Handelt es sich um besonders gefährliche Betriebe, so ist die Vermutung nicht unmöglich, daß vielleicht ein bis dahin nicht beobachteter Unglücksfall vorliegt und sind in dieser Richtung sofortige Nachforschungen am Platze. In der Regel wird natürlich der Fall so liegen, daß der Arbeiter ohne Markenentnahme den Arbeitsraum verlassen hat, über deren Gründe dann Aufklärung zu schaffen ist. Die Aufzeichnungen der Arbeitskontrolle von Portier und Meister sind auf ihre Übereinstimmung hin zu vergleichen; eine Arbeit, die in der Regel von dem Lohnbureau vorgenommen wird. Bei Großbetrieben empfiehlt es sich, den einzelnen Handwerker- oder Arbeiterkategorien bestimmte Nummergebiete vorzubehalten; beispielsweise sieht man für die Dreher die Nummer 1-100, für die Tischler 100-200 vor, wodurch man in der Lage ist, durch die Nummer leicht und bequem die engere Berufsart des einzelnen zu ermitteln. [] In Betrieben mit großer Arbeiterzahl erfordert nun die ständige, täglich mehrfach notwendige Kontrolle ein entsprechendes Personal, da der Portier die große Zahl von Notierungen allein nicht durchführen kann. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, hat man sogenannte Markensammelapparate gebaut, die ihre Aufgabe in sinnreicher Weise lösen [].

Die Technik der Arbeiterkontrolle ist aber hierbei nicht stehen geblieben, sondern weiter geschritten und damit kommen wir zu den Kontrolluhren, die an sich schon ziemlich alt sind. Als ältester und einfachster Kontrollapparat hat der Schlüsselapparat zu gelten, den man als eine größere Wanduhr charakterisieren kann. Jeder Arbeiter verfügt über einen Schlüssel, der am Bartende die Kontrollnummer führt. Beim Antritt oder Verlassen der Arbeit steckt jeder Arbeiter seinen Schlüssel in ein unterhalb des Ziffernblattes befindliches Schlüsselloch, wo nach erfolgter Umdrehung die Kontrollnummer, Stunde und Minute mechanisch auf einen Papierstreifen aufgedrückt wird, der im Innern der Uhr rollt. Der Zettel vermerkt so fortlaufend jeden sich zur Kontrolle begebenden Arbeiter. Die Schlüssel hängen, ähnlich wie die Marken, nummernweise auf einer Tafel. Das weitere Verfahren entspricht dem Markensystem, also Gegentafel bei dem Meister und Aufzeichnen fehlender Arbeiter an Hand der hängengebliebenen Schlüssel. Die Ausgangszeit macht die Kontrolluhr in der Regel dadurch kenntlich, daß neben der Zeitangabe ein Stern gedrückt wird. Zu diesem Zweck ist von dem Portier vor der Kontrollaufnahme ein Hebel der Uhr einzuschalten. Der Streifen kann nach beendeter Kontrollaufnahme jederzeit aus der Uhr herausgenommen werden, um alsdann hiernach die Eintragungen in das Lohnbuch zu bewirken. Im allgemeinen wird man mit einer Kontrolluhr nicht mehr als 300 Arbeiter innerhalb 5 Minuten abfertigen können. Es gibt auch Kontrolluhren, wo das Umdrehen des Schlüssels nicht erforderlich ist, vielmehr das bloße Einstecken des Schlüssels schon zur Registrierung genügt.

Einen weiteren Fortschritt brachten die sogenannten „Hebelapparate“, die ihrem Charakter nach ebenfalls Kontrolluhren sind. Diese Apparate besitzen ein sichtbares, kreisförmiges Nummernblatt, und zur Kontrollaufnahme führt man einen in beiden Richtungen drehbaren Hebel auf die in Frage kommende Kontrollnummer, wo sich ein Loch befindet, in welches man den Stift des Hebels eindrückt. Die Uhr registriert dann Nummer und Zeit automatisch auf einem Papierstreifen, der im Innern über eine Trommel rollt. Der Mechanismus dieser Apparate ist sehr fein durchgearbeitet, und der Streifen besitzt Rubriken für Eingang, Ausgang, Morgens, Mittags, Abends usw., so daß eine sehr genaue Aufzeichnung möglich ist. Die jeweils erforderliche Rubrik kann sowohl von Hand, wie auch automatisch eingestellt werden. Die Hebelapparate werden auch mit einem Zweifarbenband angefertigt, so daß beispielsweise Verspätungen in roter Farbe gedruckt werden, die sich bei der Eintragung in das Lohnbuch dadurch scharf abheben. Das Fehlen eines Arbeiters markiert sich auf dem Papierstreifen als weißer Fleck. Der Bau dieser Hebelapparate erfolgt meist in vier Größen und zwar zu 50, 100, 150 und 200 Personen. Da sich bis 42 Registraturen vorsehen lassen, so kann man die Aufzeichnungen fortlaufend für eine Woche oder 14 Tage vornehmen. Im allgemeinen arbeiten jedoch diese Apparate mit einem Tagesstreifen. Der große Vorzug der Hebelapparate besteht darin, daß man alle Aufzeichnungen für jede Kontrollnummer beisammen stehen hat.

Das Letzte, was die Technik der Arbeiterkontrolle hervorgebracht hat, stellen die Kartenkontrollapparate dar, die in der Tat einen hohen Grad der Vollkommenheit in der automatischen Zeitkontrolle erreicht haben. Für den Kartenkontrollapparat ist jeder Arbeiter mit einer Karte ausgerüstet, die für Kontrollzwecke einen entsprechenden Vordruck aufweist. Der Kartenapparat entspricht in seiner Bauart einer Kontrolluhr, zu der die Kontrollkarte durch Einstecken in ein Mundstück geführt wird. Ist dies geschehen, so drückt der Arbeiter auf einen Knopf, wodurch eine auf die Minute genaue Zeitangabe auf der Karte erfolgt. Das Verstellen des Mundstückes von einer Spalte zur anderen, von „Kommt“ und „Geht“, geschieht durch Hand oder auch automatisch. Das Einstellen von einem Tag zum anderen bewirkt die sehr genau arbeitende Uhr automatisch. Über dem Apparat hängt eine Uhr, deren Werk parallel zum Kontrollwerk arbeitet, so daß der Arbeiter sofort die automatische Aufzeichnung auf ihre Richtigkeit hin prüfen kann. Die Karten stecken nur mit dem Namen sichtbar in besonders hierfür gearbeiteten Tafeln, die sich sowohl im Fabrikeingang, wie in der Werkstätte befinden. Vielfach haben diese Karten einen Vordruck erhalten, der ihre Verwendung zur Lohnabrechnung zuläßt, so daß die Benutzung eines Lohnbuches überflüssig wird. Unbenutzte Felder auf der Tafel verdeckt man zweckmäßig durch schwarze Karten, für Felder von beurlaubten oder kranken Arbeitern haben sich rote Karten gut bewährt. Als einziger Mangel der Karten dürfte das leichte Schmutzen derselben zu bezeichnen sein. Bei Betrieben, wo die eigentliche Werkstätte noch weit vom Fabriktor liegt, pflegt man die Kontrollapparate nicht am Fabrikeingang, sondern am Werkstätteneingang aufzustellen, so daß hierdurch eine auf die eigentliche Arbeitsstelle allein bezugnehmende Zeitkontrolle ausgeübt wird. Man rechnet durchschnittlich auf ein Passieren von 30–50 Mann in der Minute pro Apparat, so daß ein Apparat für etwa 200 Personen ausreicht. Erfahrungen in der Praxis haben klargelegt, daß nach Einführung der automatischen Kontrolle vielfach die Arbeitszeit einzelner um 15 Minuten im Tag gesteigert wurde. Besonders in Großbetrieben können die sich hieraus ergebenden Lohnersparnisse im Jahr recht erheblich sein.

Quelle: Paul Martell, „Über Arbeiterkontrolle“, in Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Leipzig, N.F., 6 (1915), pp. 185–88; abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hrsg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871–1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 113–16.

Über Arbeiterkontrolle (1915), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-wilhelminische-kaiserreich-und-der-erste-weltkrieg-1890-1918/ghdi:document-651> [26.09.2025].