Quelle
I. 31. Oktober 1898
Von 9.45–10.45 Uhr wurde die Wirtschaft von Schweer, Rostocker Straße 9, besucht. Daselbst waren circa 14 Arbeiter anwesend, die an verschiedenen Tischen saßen, zum Teil Karten spielten und zum Teil sich unterhielten. Das Gespräch von einigen Arbeitern bezog sich unter anderem auch auf das Koalitionsrecht, indem ein Arbeiter sagte: „Den Angriff, welchen man gewillt ist, auf das Koalitionsrecht zu machen, könnte sich die Regierung ersparen, denn schon unter den heutigen Gesetzen ist den Gerichten ein so weiter Spielraum geboten, daß es wahrhaft keines neuen Gesetzesparagraphen bedarf, um die Arbeiter bei der Ausübung der ihnen durch das Gesetz gegebenen Rechte zu binden. Erst vor kurzer Zeit hat das Gericht wieder einmal ein Urteil, hergeführt durch den Tischlerstreik in der Süderstraße, gefällt, welches deutlich genug beweist, daß das Gericht sich den Teufel um das Recht der Arbeiter kümmert, wenn es heißt, der Sozialdemokratie einen Schlag zu versetzen. Solche Urteile sind nicht selten, denn jeder Streik hat Fälle aufzuweisen, wo Arbeiter, die in dem guten Glauben gehandelt haben, also im Sinne der ihnen durch die Gewerbeordnung anerkannten Rechte kämpften, aus diesem Anlaß mit hohen Gefängnisstrafen belegt wurden.“
Ein anderer Arbeiter sagte: „Unsere Gesetze sind sehr lückenhaft, denn der Richter hat soviel Anhaltspunkte, auf Grund deren er, wenn es ihm angemessen erscheint, jeden Angeklagten verurteilen kann. Wie sich die Sache zum Beispiel mit den Streikposten während des Tischlerstreiks verhielt, war es den Richtern eben nicht möglich, die Betreffenden auf Grund der Gewerbeordnung zu fassen; daher schafften sich die Richter einen Notparagraphen aus der Straßenordnung an, auf Grund dessen ja jeder Mensch verurteilt werden kann, der den Anordnungen von Polizeibeamten nicht nachkommt, auch wenn er zehnmal in seinem Rechte ist. Man kann aus diesem Fall zum Beispiel sehen, daß in unserem vielgepriesenen Rechtsstaat alles möglich ist. Was ein Gesetzesparagraph erlaubt, hebt der andere wieder auf, und überhaupt da, wo es gilt, die Arbeiter an ihrem Organisationswerk zu hindern, wird alles mögliche aufgeboten, um ihnen diese Arbeit zu erschweren.“
Ein dritter Arbeiter sagte: „Trotzdem der Regierung die Macht gegeben ist, durch die schon bestehenden Bestimmungen das Organisationswerk der Arbeiter zu beschränken, werden immer noch schärfere Gesetze geplant, die den Arbeiter, der sich an einem Streik beteiligt und unbedachte Äußerungen gegenüber den Streikbrechern führt, ins Zuchthaus bringen sollen. In England wird selbst vom Gericht ein Streikbrecher für einen Verräter angesehen und bestraft, Hier aber will man solche Leute schützen, um eben dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, trotz eines Streiks ruhig weiter arbeiten zu können, damit ihm von seinem Kapital nichts abgemacht wird.“
Quelle: Graumann, 31. Oktober 1898. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 2502–12).
II. 11. Juli 1903
Von 9.45 bis 10.30 Uhr wurde die Wirtschaft von v. Hacht, Brückenstraße Nr. 28, Parterre, besucht. Anwesend waren sieben Arbeiter, von denen einer folgendes sagte: „Die herrschenden Klassen geben sich die größte Mühe, die gesetzlichen Rechte der Arbeiter zu beschränken und ihre Ausstände zu ungesetzlichen Unternehmungen zu machen. Vor allen Dingen suchen sie, das Koalitionsrecht zu unterdrücken, um mit Hilfe der Polizei das Streikpostenstehen illusorisch zu machen. Mögen die herrschenden Klassen aber noch so viel dagegen tun wie sie wollen, es wird immer eine Unmöglichkeit bleiben, Leute, die einmal ihre Arbeit niedergelegt haben, diese zur Aufnahme derselben wieder zu zwingen. Man müßte schon, wenn dieses geschehen sollte, wieder zur Sklaverei zurückkehren. Dieses ist aber bei dem Umfange, den die Sozialdemokratie angenommen hat, nicht möglich, auch würde die bürgerliche Gesellschaft damit nicht einverstanden sein.“
Ein anderer sagte: „Die größten Feinde der Arbeiter sind nicht unter den herrschenden Klassen zu suchen, sondern unter den Arbeitern selbst, und dieses sind die Streikbrecher. So sehr sich die herrschenden Klassen auf ihre Macht, das ist Militär und Polizei, stützen können, so wird dieselbe doch illusorisch, sobald die Arbeiter eine gute Disziplin halten; und droht ihnen nur unter diesen Umständen eine Niederlage durch das Streikbrechertum. Das Streikbrechertum ist den Arbeitern vorläufig am gefährlichsten und muß gegen dieses am meisten gekämpft werden.“
Ein anderer sagte: „Man muß zugeben, daß das Streikbrechertum den Arbeitern jetzt am gefährlichsten ist, aber die Solidarität hat besonders in letzter Zeit ganz ungeheure Fortschritte gemacht. Was früher gang und gäbe war, Ausländer als Streikbrecher zu verwenden, ist jetzt bald unmöglich geworden, und die Italiener, die früher als fliegende Streikbrecherkolonnen umherzogen, sind durch die unermüdliche Arbeit der Organisationen soweit aufgeklärt worden, daß sie jetzt Streikbrecherdienst verweigern. Wenn die Fortschritte der Arbeiter gegen das Streikbrechertum noch einige Zeit so weitergehen, was ganz bestimmt zu erwarten ist, so ist dieses weniger als die Machtmittel der herrschenden Klassen zu fürchten.“
Quelle: Hinz, 11. Juli 1903. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur:
S 3930).
III. 25. Mai 1909
Von 8.15 bis 8.45 Uhr besuchte ich die Wirtschaft von Appelhoff, Schwabenstraße Nr. 54. In dieser waren zur Zeit sechs Arbeiter anwesend, welche sich über die Nachteile unterhielten, die durch die Streiks für die Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer entstehen. Darüber sagte einer von diesen Leuten folgendes: „Die Streiks haben bis jetzt vor allen Dingen nur Nachteile gebracht, und zwar für die Unternehmer wie für die Arbeiter. Ich will nun nur den jetzigen Streik der Betonarbeiter anführen. Die Unternehmer müssen sich Arbeiter von auswärts kommen lassen, natürlich unter allen möglichen Versprechungen. Sie müssen vor allen Dingen den Streikbrechern den alten Lohn zahlen; denn für Kost und Logis aufkommen, das macht doch für sie mehr Unkosten aus, als wenn sie den alten Arbeitern die paar Pfennige pro Tag bewilligt hätten. Für die Streikenden entstehen die Nachteile dadurch, daß sie die Streikkasse in Anspruch nehmen müssen. Diese zahlt aber nicht den üblichen Lohn, und sie verfallen dadurch immer mehr in Schulden. Und wenn der Streik beendet ist und die Streikenden haben tatsächlich ein paar Pfennige mehr herausgeschlagen, so kommen dann die erhöhten Beiträge an die Streikkasse und dann die Schuldentilgung, und sie haben nach dem Streik auch nicht mehr wie vorher.“
Dazu sagte ein anderer folgendes: „Wenn der Klassenhaß nicht da wäre, dann hätten wir auch keine Streiks. Aber solange dieser Klassenhaß bestehen wird, werden auch die Streiks immer wieder kommen, und es wird nicht eher anders, bis das Arbeitervolk sich so viel emporgearbeitet hat, daß es sich vor den kapitalistischen Ausbeutern nicht mehr beugen braucht.“
Quelle: Szymanski, 25. Mai 1909. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 3930).
IV. 7. März 1903
Von 9.55–10.35 Uhr wurde die Wirtschaft von Ellerbroock, Hamburgerstraße 134, besucht. Daselbst waren circa 14 Arbeiter anwesend, die sich an verschiedenen Tischen unterhielten. Ein Arbeiter sagte: „Die Taktik der Arbeiter im wirtschaftlichen Kampf muß selbst von Leuten, die Gegner der Gewerkschaften sind, als eine geradezu musterhafte anerkannt werden, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß die Streiks von organisierten Arbeitern nicht mit der Erbitterung geführt werden als solche Streiks, wo die Arbeiter nicht organisiert sind und die Gewerkschaften keinen Einfluß auf diese Arbeiter haben. Das Gegenteil von dieser Tatsache behaupten natürlich die Unternehmer, was ja auch ganz erklärlich ist, weil sie recht gut wissen, daß eine gut organisierte Gewerkschaft unter allen Umständen ihre Forderungen durch einen Streik durchzudrücken imstande ist. Was vielen Streiks Schaden bringt, ist, daß die Behörden in ganz ungerechter und unverantwortlicher Weise zugunsten der Unternehmer einschreiten und so den Kampf erschweren und eine Schlichtung schwebender Streitfragen systematisch verhindern. Durch das Eingreifen der Behörde in den wirtschaftlichen Kampf kommt es leider in den Reihen der organisierten Arbeiter auch vor, daß von dieser Stunde an Erbitterung unter die Arbeiter kommt und spielen sich dann eben solche Szenen ab wie im vergangenen Jahre während des Bauarbeiterstreiks. Die Schuld wird dann ja natürlich den Streikenden in die Schuhe geschoben und nicht der Behörde, die durch ihre Maßnahmen die Veranlassung dazu gab.“
Ein anderer Arbeiter sagte: „Die Erfahrung hat gelehrt, daß überall da, wo ein Einschreiten der Behörde während des wirtschaftlichen Kampfes nicht erfolgte, eine bedeutend ruhigere und raschere Beilegung der Differenzen erfolgte. Diese Tatsache ist nicht von den Arbeitern allein, sondern von maßgebenden Persönlichkeiten, den Gewerbe- und Fabrikinspektoren, festgestellt worden. Wie in Deutschland ja überhaupt alles, was die organisierten Arbeiter tun, staatsgefährlich ist, ist von Kennern im Ausland die deutsche Gewerkschaftsbewegung nur ein Urteil, und zwar das denkbar beste vorhanden. Leider muß es gesagt werden, daß die hochentwickelte deutsche Arbeiterschaft als ein Vorbild in der Welt dastehen könnte, wenn man in ihren Kreisen mehr Interesse der Gewerkschaftsbewegung entgegenbringen möchte. Kein Arbeiter dürfte außerhalb der Organisation stehen, dann würde die Lebenshaltung der deutschen Arbeiter eine bessere sein. Was die Taktik der Arbeiter im wirtschaftlichen Kampf anbelangt, so kann man nur der Meinung sein, daß sie nicht aus so unlauteren Motiven entspringt wie die der Unternehmerklasse, denn diese hat für die Arbeiter nichts übrig, das beweisen schon allein die häufigen Maßregelungen, welche an Arbeitern vorgenommen werden.“
Quelle: Graumann, 7. März 1903. Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg (Signatur: S 3930).; abgedruckt in Richard Evans, Hrsg., Kneipengespräche im Kaiserreich. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1989, S. 234–35, 237–40.