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Meine Herren, ich halte mich für verpflichtet, Sie nochmals und in letzter Stunde auf die schwere Verantwortung hinzuweisen, welche Sie durch Ihre bevorstehenden Beschlüsse auf sich nehmen. Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob für unsere Kolonien einige Millionen mehr oder weniger bewilligt werden sollen. Es handelt sich, wie Ihnen der Herr Vertreter des Generalstabs soeben überzeugend dargelegt hat, um die Frage, ob wir unsere Kolonie behaupten wollen oder nicht. Es handelt sich, wie ich als verantwortlicher Leiter der Reichsgeschäfte hinzufüge, um die Frage, ob wir unser Ansehen in der Welt, ob wir unsere Waffenehre (lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten – lebhaftes Bravo rechts) – ich wiederhole gegenüber Ihrem Widerspruch: es handelt sich, wie ich als verantwortlicher Leiter der Reichsgeschäfte hinzufüge, um die Frage, ob wir unsere Waffenehre, ob wir unsere Stellung in der Welt, ob wir unser Ansehen gefährden wollen, um eine verhältnismäßig geringfügige Summe zu ersparen am Ende des Feldzuges, der uns Hunderte von Millionen gekostet hat. (Bravo! rechts. Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Wollen wir in einer Stunde des Kleinmuts die Früchte jahrelanger tapferer Anstrengungen gefährden? (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Sollen die Opfer, die schweren Opfer an Gut und Blut, die wir für unsere Kolonien gebracht haben, den Kolonien und dem Vaterland zum Segen gereichen, oder sollen sie umsonst gebracht sein?
Eine Regierung kann sich nicht von Parteien und Parlament vorschreiben lassen, wie viele Truppen sie für kriegerische Operationen braucht. (Widerspruch links. Sehr richtig! rechts.) Wohin, meine Herren, soll es führen, wenn sich bei uns die Gewohnheit einbürgerte, militärische Maßnahmen im Kriegszustande, deren richtige Durchführung entscheidend ist für Leben und Gesundheit unserer Truppen, für unsere Waffenehre, unter Umständen für Wohl und Wehe und Zukunft des ganzen Landes, von Fraktionsbeschlüssen oder Parteirücksichten abhängig zu machen! (Lebhaftes Bravo rechts.)
Meine Herren, da draußen stehen unsere Soldaten, das sind Deutsche, die haben gekämpft, die haben Anstrengungen erduldet, die sind im Begriff, den letzten Widerstand, die letzten Reste des Gegners niederzuringen: sollen sie nun etwa zurück, weil die Regierung aus Kleinmut, weil eine kleinmütige Regierung aus Scheu vor parlamentarischen oder Parteirücksichten ihren Heldenmut vor dem Feinde im Stich läßt? (Lebhaftes Bravo rechts.)
Meine Herren, was haben andere Völker für Kolonialkriege geführt, Engländer, Franzosen, Holländer, und haben nicht mit der Wimper gezuckt! Soll sich das deutsche Volk kleiner zeigen, soll das deutsche Volk kleiner dastehen als andere Völker? Das ist die Frage, auf welche die verbündeten Regierungen eine Antwort wünschen, eine Antwort fordern klipp und klar! (Sehr wahr! rechts.)
Wir können bedauern, meine Herren, daß der Aufstand ausgebrochen ist, daß er uns so viel Menschenleben, daß er uns so große Summen gekostet hat. Wir können das bedauern, aber zurück können wir nicht. Wir müssen durchhalten!
Meine Herren, man hat mir das Wort in den Mund gelegt: nur keine innere Krise! Ich habe das alberne Wort dementieren lassen. Es kehrt immer wieder zurück. In Wirklichkeit habe ich natürlich nie etwas derartiges gesagt. (Hört! hört! rechts.) Es gibt Situationen, wo ein Zurückschrecken vor Krisen ein Mangel an Mut, ein Mangel an Pflichtgefühl wäre. (Lebhaftes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen.) Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis! (Bravo! rechts.) Parteien können Forderungen annehmen oder ablehnen; denn sie tragen keine Verantwortung. (Oho!) – Sie tragen keine Verantwortung! Die Regierung darf sich nicht vor Wünschen und Interessen einzelner Parteien beugen, wenn ihre höchste Aufgabe, die nationale, in Frage steht. (Bravo! rechts.)
Man hat mir ferner vor einigen Minuten das Gerücht zugetragen, in dieser Frage schöbe ich nicht, sondern ich würde geschoben, ich gäbe nur Direktiven der obersten Stelle nach, der südwestafrikanische Guerillakrieg sei eine Art militärischer Sport. Meine Herren, das ist eine dreiste Unwahrheit. Niemand drängt mich, niemand schiebt mich. Ich brauche gar keine Direktive, um zu erkennen, daß hier nationale Notwendigkeiten vorliegen (lebhafter Beifall rechts), und darnach, lediglich darnach zu verfahren.
Es handelt sich nicht im entferntesten um eine Frage des inneren Regiments, es handelt sich nicht um Gegensätze des parlamentarischen und des persönlichen Willens. Es handelt sich um die vom Reichskanzler nach gewissenhafter Prüfung vertretene Überzeugung der verbündeten Regierungen. Es handelt sich um unsere ganze kolonialpolitische Stellung (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), um mehr als das, um unsere Stellung in der Welt. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Glauben Sie, meine Herren, daß so was keine Rückwirkung auf das Ausland hat? (Sehr richtig! rechts.) Was würde es für einen Eindruck machen, im Innern und nach außen, wenn die Regierung in einer solchen Lage, in einer solchen Frage kapitulieren und nicht die Kraft in sich finden sollte, ihre nationale Pflicht zu erfüllen. (Lebhafter Beifall rechts und links.) Wir werden unsere Pflicht tun – im Vertrauen auf das deutsche Volk! (Stürmischer anhaltender Beifall. – Zischen bei den Sozialdemokraten.)
Quelle: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, X LP, 218: S. 4379.; abgedruckt in Hans Fenske, Hrsg., Quellen zur deutschen Innenpolitik 1890–1914. Darmstadt, 1991, S. 203–04.