Quelle
Seit vielen Jahren gilt Herr von Werner als der Prototyp eines Künstlers, dessen Selbstbewußtsein in umgekehrtem Verhältnis zum Werte seiner Leistungen steht und der deshalb leicht lächerlich werden kann und um so lächerlicher wird, je mehr er sich in die Brust wirft. Solche Künstler gibt es überall, und sie tragen in der Regel zur Erheiterung ihrer Kollegen bei, ohne sonst Schaden zu stiften. Zu diesen harmlosen Gerngroßen gehört nun aber Herr von Werner nicht, schon darum nicht, weil er sich in einer Stellung befindet, die ihm und seinen Taten eine gewisse Folie gibt. Für die Leute, die der Sache ferner stehen und die berechtigte Erwartung haben, daß ein Akademiedirektor selbst ein hervorragender Künstler und eine Autorität in Kunstdingen ist, bleibt Herr von Werner in allen Fällen, auch da, wo er irrt, kompetent, und deshalb ist er eine große Gefahr für das Berliner Kunstleben. Solange Herr von Werner, der die moderne Kunst haßt wie Luzifer die Gottheit, von der [er] ein Teil ist, nur seine Schüler mit seinen verworrenen Ansichten über die moderne Kunst langweilte, war es nicht nötig, sich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen. Seine Schüler rächten sich schon selbst an ihm, teils dadurch, daß sie eine noch traurigere Kunst produzierten als er, teils wieder dadurch, daß sie aus Opposition ins Lager der Modernen gingen und so extravagant in allen Äußerlichkeiten wurden, daß sie auch den in der Akademie zurückgebliebenen Nachwuchs zu allerlei künstlerischen Unarten verführten. Daß er selbst mit seinen Philippiken gegen die moderne Kunst die jungen Leute reizte, sich ihr zu nähern, kam Herrn von Werner nie in den Sinn. Jetzt fühlt er aber das Bedürfnis, einen größeren Kreis, das ganze liebe Publikum, mit seinen Ansichten bekannt zu machen und in die Herzen der Ahnungslosesten Sturm gegen die moderne Kunst zu säen, und da ist es denn wohl Zeit, seine Motive, Irrtümer und Kampfesart einer näheren Betrachtung zu unterziehen – aber nicht, um in ihm die Illusionen über seine Wichtigkeit zu stärken, sondern um nachzuweisen, ein wie gedankenloses Publikum er voraussetzt und mit wie plumpen Mitteln er auf dessen Meinung zu wirken sucht. […]
Herr von Werner pflegt das Lehrjahr der Akademie, das mit einer Preisverteilung an die befähigtsten Schüler endet, durch eine Rede zu beschließen. Bei dieser Gelegenheit macht er sich schon seit mehreren Jahren das Vergnügen, auf die moderne Kunst zu schelten und die Schüler vor ihr zu warnen. Er hat mit diesen Reden der Presse schon öfter Veranlassung gegeben, sich über ihn lustig zu machen, aber noch niemals bot er ihr so guten Grund dazu wie mit der Rede, die er im Juli dieses Jahres hielt und zur Belehrung der »weitesten Kreise« in der Vossischen Zeitung veröffentlichen ließ. Man glaubte ja dem Akademiedirektor auf seine Bilder hin, daß er nichts von moderner Kunst versteht; jetzt aber hat er selbst unzweideutig bewiesen, daß er überhaupt nichts von ihr weiß. Er bemüht sich in seiner Rede, festzustellen, daß auf keinem Gebiete der Malerei von den Modernen etwas geleistet worden sei, was würdig wäre, neben den Werken der klassischen Alten genannt zu werden. Er verschweigt, um nur ein paar Namen herauszugreifen, die Existenz von Lenbach und Whistler, auf dem Gebiete der Landschaftmalerei kennt er keinen Böcklin, keinen Dill, keinen Schönleber, auf dem der Tiermalerei keinen Baisch, keinen Zügel. Von der Bedeutung des Impressionismus, wie er durch Manet, Degas und Monet gehandhabt wird, hat er keine Ahnung. Auf dem Gebiete des Genre, um den landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, ist ihm Liebermann vollständig entgangen; und statt Uhde mit Auszeichnung zu nennen, weiß er von modernen Malern religiöser Stoffe nur zwei ganz inferiore Leute anzuführen. Und dieser Herr, der offenbar meist die Augen schließt, wenn er eine moderne Kunstausstellung besucht, steht an der Spitze eines Institutes, auf dessen Leistung[s]fähigkeit die werdenden Künstler angewiesen sind. Wahrhaft erheiternd ist Werners Zusammenstellung berühmter Porträtmaler. Neben Rembrandt steht da Bonnat, neben Holbein Anton Graff, neben Reynolds Gustav Richter. Und ganz köstlich ist die Stelle seiner Rede, wo er sich darüber aufregt, daß ein Kunstgelehrter sagt, Manet habe die Pleinair-Malerei entdeckt, als er einst Frau de Nittis im Garten malte. Das habe der große Werner vor Manet getan. Und dann die törichte Behauptung, daß die neue Richtung sich nur durch Agitation, Reklame und marktschreierische Anpreisungen auf der Höhe halte. Es hat keinen Zweck, die Widersinnigkeiten dieser Rede nach der Reihe anzuführen. Sie setzt – und darin liegt wieder die namenlose Überhebung des Herrn von Werner – bei den Akademieschülern eine Ignoranz voraus, die in einer Stadt wie Berlin, wo sie nur die Augen aufzumachen brauchen, unglaublich erscheinen muß. Aber war es nun schon unklug von Werner, seine Prodomo-Rede mit allen angreifbaren Punkten durch Druck der Kritik zugänglich zu machen, so setzte er seinem Tun die Krone auf, als er, ebenfalls in der Vossischen Zeitung, eine Danksagung für die vielen ihm zugegangenen Beifallsäußerungen veröffentlichte. Er hat damit wieder einmal gezeigt, daß ihm zur Verherrlichung des Namens Werner alle, auch die gröbsten Mittel willkommen sind.
Wenn man nun weiß, daß Herr von Werner zu den Malern gehört, die den Kaiser in künstlerischen Dingen beraten, so kann man nicht überrascht sein, daß sich so viel künstlerische Unbedeutendheit in die Nähe des Thrones wagt und keiner der Maler, die der Kunst unserer Tage das Gepräge geben, in höfischen Sphären zu finden ist. Herr von Werner hat selbst das größte Interesse daran, daß der Hof „nationale Kunst“ und „patriotische Kunst“ für gleichbedeutend hält, und da seine Malerei mehr Arbeit als Kunst ist, liegt ihm natürlich auch daran, bei Hofe Arbeit über Kunst gestellt zu sehen. Und wie der Akademiedirektor dafür sorgt, daß seine Schüler möglichst schlechte Begriffe von moderner Kunst bekommen, wird er auch dahin zu wirken suchen, daß man diese Kunst bei Hofe für „widerlich“ und ihre Leistungen für „wertloses Blech“ hält. Gerade darum aber ist es nötig, auf Herrn von Werners grobe Unwissenheit in bezug auf moderne Kunst hinzuweisen und festzustellen, welche Charaktereigenschaften den Hauptberater des Kaisers in Kunstdingen auszeichnen. Von der Trivialität seiner eigenen Kunst hat aber wohl noch nie ein Maler ein klassischeres Zeugnis abgelegt als Herr von Werner, da er sagte: „Für historische Ungenauigkeiten habe ich kein Verständnis und keine Entschuldigung. Das kommt vielleicht von dem unausgesetzten Naturstudium des Künstlers, das mir zur zweiten Natur geworden ist und das mir nicht erlaubt, da neun Knöpfe zu malen, wo naturgemäß nur deren acht möglich sind.“ Herr von Werner begreift nicht, warum man ihn nicht für einen großen Künstler hält. Sein ärgster Gegner könnte keinen besseren Grund dafür angeben, als er selbst es mit diesen eitlen Worten getan hat.
Quelle: Hans Rosenhagen, „Die nationale Kunst in Berlin“, in Die Zukunft 20 (1897), S. 428–34; abgedruckt in Jürgen Schutte und Peter Sprengel, Berliner Moderne 1885–1914. Stuttgart, 1987, S. 546–50.