Quelle
Sozialdemokratisch organisierte Metallarbeiter in Berlin, Solingen und Idar-Oberstein wurden in einer Enquête 1907–11 gefragt: „Macht Ihnen Ihre Arbeit Vergnügen oder haben Sie kein Interesse an derselben?“ – Einige Antworten lauteten (nach dem Semikolon immer die tägliche Arbeitszeit und der durchschnittliche Wochenverdienst):
Ein 20jähriger Schlosser; 10 Std., 20 M.: „Diese Frage unterliegt einer schwankenden Antwort. Vergnügen macht sie insofern, wenn sie fertig ist und auf mich einen wohlgefälligen Eindruck macht. Interesse habe ich daran keins, wenn ich an den Zweck und Nutzen dieses meines Produkts in seiner jetzt beginnenden Funktion denke.“
Ein 21jähriger Maschinenschlosser; 9 Std., 36 M.: „Bei neuen Arbeiten und komplizierten Sachen habe ich Interesse. Massenartikel widern mich an.“
Ein 23jähriger Schlosser; 10 Std., 30 M.: „Wenn ich die offene Wahrheit sagen darf, macht sie mir kein Vergnügen.“
Ein 24jähriger Schlosser; 9 Std., 35 M.: „Diese Frage kann ich mit einem glatten Nein beantworten. Der privatkapitalistische Produktionsprozeß hat mir das Interesse an der Arbeit gründlich ausgetrieben, da ich nur einen Bruchteil des mir von rechtswegen zustehenden wirklichen Wertes meiner Arbeit in der Form von Lohn erhalte.“
Ein 25jähriger Stanzer; 9 Std., 31 M.: „Ich gleiche der Maschine, die durch Kraft angetrieben wird.“
Ein 26jähriger Dreher; 9½ Std., 43 M.: „Interesse habe ich an der Arbeit wohl nur aus dem Bestreben, Geld zu verdienen.“
Ein 27jähriger Messerarbeiter; 10 Std., 30 M.: „Jawohl, ich habe Interesse an derselben.“
Ein 28jähriger Metallschleifer; 9 Std., 36 M.: „Besonderes Interesse habe ich an meiner Arbeit nicht, aber wenn sie fertig ist, zumal Figuren, freue ich mich über deren Aussehen.“
Ein 29jähriger Former; 8 Std., 42 M.: „Meine Arbeit ist im großen und ganzen interessant, und da ich mich nicht übermäßig anstrengen brauche, verrichte ich sie je nach der Art mit oder ohne Vergnügen, erfülle jedoch in beiden Fällen meine Pflicht.“
Ein 30jähriger Eisendreher; 10 Std., 30 M.: „Nein. Ich verrichte meine Arbeit nur mechanisch.“
Ein 31jähriger Schlosser; 10 Std., 25 M.: „Die Not zwingt mich, Interesse zu haben. Wäre dies nicht der Fall, würde ich etwas anderes tun, als in der staub- und rauchgeschwängerten Fabrikhalle zwischen Polacken und anderen geistig zurückgebliebenen Menschen zu frohnden. Ein Gefühl, das ein gesunder Mensch Vergnügen nennt, kann ich meiner Arbeit nicht abgewinnen.“
Ein 32jähriger Werkzeugschlosser; 9¾ Std., 36 M.: „Die Arbeit an sich macht mir sehr viel Freude. Ich glaube sogar, sie zur Erhaltung meines Gleichgewichts zu bedürfen. Es ist dies allerdings nicht der Fall, wenn ich anhaltend monotone Arbeit verrichten muß. Dann kann sich die Unlust bis zum Ekel steigern. In Zeiten, da ich ganz im Banne von Zukunftsstaatsplänen war, verursachte mir die Erkenntnis von der sozialen Unwichtigkeit meiner Hand eine Geringschätzung meiner Arbeit, was natürlich auch das Interesse an ihr erlahmen ließ. Heute ist meine berufliche Arbeit wieder meine mich nährende Kuh geworden, und schäme ich mich, wenn ich Interesselosigkeit verspüre.“
Ein 33jähriger Schmied; 9½ Std., 35 M.: „Ich habe mich mit der Arbeit insofern abgefunden, da ich weiß, daß jeder Kulturfortschritt nur auf der Arbeit beruht und die meine ebenso wertvoll ist wie jede andere.“
Ein 34jähriger Mechaniker; 8 Std., 36 M.: „Im großen und ganzen macht mir meine Arbeit Vergnügen. Es kommen natürlich auch Arbeiten vor, bei denen das Interesse nicht so groß ist, weil sie weniger Fertigkeit und Nachdenken erfordern. Da muß man sich trösten, daß diese Arbeit ja auch gemacht werden muß und das nächste Mal bessere Arbeit an die Reihe kommt.“
Ein 35jähriger Eisendreher; 8 Std., 40 M.: „Meine Arbeit bereitet mir kein Vergnügen, da mich stets der Gedanke dabei plagt, daß ich nur soweit besoldet werde, um meine körperliche Energie in Harmonie zu halten. Also ich bin ein Sklave. Folglich geht mir das Interesse an der Arbeit verloren.“
Ein 36jähriger Dreher; 10 Std., 32 M.: „Ja. Solange ich nicht daran denke, für wen ich arbeite und daß ich als Entgelt nur eine Entschädigung erhalte. Gern würde ich nur für die Allgemeinheit arbeiten.“
Ein 37jähriger Metallarbeiter; 9½ Std., 27 M.: „Will ich meine Familie ehrlich durchbringen, muß ich mit Vergnügen arbeiten, weil ich dann mehr fertig bringe.“
Ein 38jähriger Scherenschleifer; 10 Std., 28 M.: „Es macht grade nicht viel Vergnügen, aber man hat doch mitunter eine gewisse Arbeitsfreude, wenn man vom Fabrikanten freundlich behandelt wird.“
Ein 39jähriger Dreher; 8 Std., 40 M.: „Interesse habe ich an der Arbeit, aber Vergnügen macht sie schon lange nicht mehr, wenn man mitansehen muß, wie schwache Kollegen von minderwertigen Meistern schikaniert werden.“
Ein 40jähriger Metallschleifer; 9½ Std., 30 M.: „Meine Arbeit macht mir kein Vergnügen, und jeder Tag ist für mich verloren, und wird für mich zur Höllenqual.“
Ein 41jähriger Maschinenschlosser; 9 Std., 40 M.: „Wenn man mich anständig behandelt, arbeite ich gern und mit ganzem Interesse. Da ich den Grundsatz besitze, wie man sich wehrt, so wird man geehrt, so habe ich auch in meiner jetzigen Stellung mir die Achtung als Arbeiter erworben.“
Ein 42jähriger Metallarbeiter; 11 Std., 25 M.: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten bereits 24 Jahre jeden Morgen eine Kaffeemühle genommen und dann im Akkord täglich 11 bis 13 Stunden gedreht, so können Sie vielleicht begreifen, wieviel Interesse ich meiner Arbeit entgegenbringe.“
Ein 43jähriger Dreher; 9½ Std., 28 M.: „Das Akkordsystem macht einem die Arbeit zur Qual durch das eintönige einerlei Jahr aus Jahr ein verliert mann das Interesse.“
Ein 44jähriger Feilenhauer; 10½ Std., 24 M.: „Bin gänzlich Satt davon.“
Ein 45jähriger Fräser; 9¼ Std., 38 M.: „Nur freiwillige Arbeit würde ein Vergnügen sein.“
Ein 46jähriger Modellschlosser; 9½ Std., 36 M.: „Ich freue mich immer, wenn es mir gelungen ist, die mir gemachten Aufträge nach gelieferten Zeichnungen genau passend und sauber fertigzustellen. Ich finde darin eine gewisse Befriedigung und habe das Bewußtsein, daß ich meinen Teil zur Erhaltung und Verschönerung des Ganzen beigetragen habe.“
Ein 47jähriger Metallarbeiter; 9½ Std., 21 M.: „O ja. Aber man müßte als Arbeiter nur bessere Behandlung haben, aber die meisten Chefs grüßen ihre Arbeiter morgens und mittags nicht, wenn sie in den Arbeitsraum treten.“
Ein 48jähriger Schlosser; 9 Std., 36 M.: „Ich habe ein lebhaftes Interesse an ihr durch ihre Verschiedenheit. Einförmige Arbeit wäre mir das Greulichste. Monotone Maschinenarbeit würde ich nur gezwungen verrichten.“
Vergnügen bei der berufsmäßigen Arbeit empfanden:
Angabe der hauptsächlichsten Motive
Ohne Angabe von Gründen | Wenn Verdienst gut | Nur bei abwechs. Arbeit | Nur wenn Behandlung gut | Weil die Arbeit kompliziert |
27 | 87 | 142 | 7 | 44 |
Kein Interesse an der berufsmäßigen Arbeit hatten:
Angabe der hauptsächlichsten Motive
Ohne Angabe von Gründen | Weil der Ertrag dem Kapitalisten gehört | Weil die Arbeit eintönig | Weil zu abhängig | Weil der Lohn zu gering | Weil gesundheits-schädlich |
102 | 211 | 302 | 164 | 183 | 65 |
Summarisch:
a) Die Lust an der berufsmäßigen Arbeit überwog bei: | 307 = 17,0% | |
b) Die Unlust an der berufsmäßigen Arbeit überwog bei: | 1027 = 56,9% | |
c) Gleichgültig verhielten sich: | 308 = 17,1% | |
d) Nicht beantwortet haben diese Frage: | 161 = 9,0% | |
Summa: | 1803 = 100,0% |
Quelle: Adolf Levenstein, Die Arbeiterfrage mit besonderer Berücksichtigung der sozialpsychologischen Seite des modernen Großbetriebes und der psychophysischen Einwirkungen auf die Arbeiter. München, 1912. S. 68–75; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen. München: C.H. Beck, 1982, S. 152–55.