Quelle
An den Bewohner meines Hauses Mahlerstrasse 8 in Berlin
Ich weiss nicht, wie Sie heissen, mein Herr, und auf welche Art Sie in den Besitz meines Hauses gelangt sind. Ich weiss nur, dass vor zwei Jahren die Polizei des Dritten Reichs mein gesamtes bewegliches und unbewegliches Vermögen beschlagnahmt und der Reichsaktiengesellschaft für Konfiskation des Vermögens politischer Gegner (Aufsichtsratsvorsitzender Minister Göring) überwiesen hat. Ich erfuhr das aus einem Schreiben der Hypothekengläubiger. Sie teilten mir erläuternd mit, die Rechtsprechung des Dritten Reichs verstehe, wenn es sich um das konfiszierte Vermögen politischer Gegner handle, unter ‚Vermögen‘ nur die Aktiva. Trotzdem also mein Haus und meine Banknoten, die die Hypothek um ein Vielfaches überstiegen, konfisziert seien, sei ich verpflichtet, die Hypothekenzinsen genau so wie meine deutschen Steuern aus meinem im Ausland neu zu erwerbenden Vermögen weiter zu bezahlen. Sei dem wie immer, jedenfalls sitzen jetzt Sie, Herr X, in meinem Haus, und ich habe nach der Auffassung deutscher Richter die Zinsen zu zahlen.
Wie gefällt Ihnen mein Haus, Herr X? Lebt es sich angenehm darin? Hat der silbergraue Teppichbelag der oberen Räume bei der Plünderung durch die SA-Leute sehr gelitten? Mein Portier hat sich damals in diese oberen Räume geflüchtet, die Herren wollten sich, da ich in Amerika war, an ihm schadlos halten, der Teppichbelag ist sehr empfindlich, und Rot ist eine kräftige Farbe, die schwer herauszubringen ist. Auch der Gummibelag des Treppenhauses war nicht gerade für die Stiefel von SA-Leuten berechnet. Wenn er sehr gelitten hat, wenden Sie sich am besten an die Firma Baake; der Belag ist der gleiche wie auf den Treppen der „Europa“ und der „Bremen“[1], und diese Firma hat ihn geliefert.
Haben Sie begriffen, wozu ich die halbgedeckte Dachterrasse bauen liess? Frau Feuchtwanger und ich, wir verwandten sie für unsere morgendliche Gymnastik. Achten Sie bitte darauf, dass die Dusche nicht einfriert.
Was fangen Sie wohl mit den beiden Räumen an, die meine Bibliothek enthielten? Bücher, habe ich mir sagen lassen, sind nicht sehr beliebt in dem Reich, in dem Sie leben, Herr X, und wer sich damit befasst, gerät leicht in Unannehmlichkeiten. Ich zum Beispiel habe das Buch Ihres „Führers“ gelesen und harmlos konstatiert, dass seine 140.000 Worte 140.000 Verstösse gegen den deutschen Sprachgeist sind. Infolge dieser meiner Feststellung sitzen jetzt Sie in meinem Haus. Manchmal denke ich darüber nach, wofür man wohl im Dritten Reich die Büchergestelle verwenden könnte. Seien Sie vorsichtig, falls Sie sie herausreissen lassen, dass die Mauer darunter nicht leidet. Und hat man bei der Plünderung die Rundbank in der Fensterloggia der Bibliothek herausgerissen? Auf alle Fälle, Herr X, gibt es in dem Haus manches zu erneuern und wieder herzustellen. Darf ich Ihnen empfehlen, sich da an den Architekten Sobotka zu wenden? Es ist allerdings fraglich, ob dieser Herr seinen Beruf in Berlin ausüben darf; denn es gab dort nicht viele Architekten, die bauen konnten, aber viele Parteigenossen, die bauen wollten. Beschäftigen Sie bitte, wenn Ihre Beziehungen Ihnen das erlauben, trotzdem keinen Parteigenossen, sondern einen Sachverständigen. Es wäre schade um das Haus.
Gern möchte ich wissen, was jetzt mit der Kreissäge in der Oberförsterei Grunewald los ist. Ihr Lärm hat mir manchmal die Freude an dem Haus verleidet, und nur mit großer Mühe konnte ich durchsetzen, dass man die Störung beseitigte. Heute freilich dürfte Lärm in Berlin kaum mehr als störend empfunden werden. Immerhin wäre es freundlich von Ihnen, wenn Sie meinen in heissem Kampf erstrittenen Sieg nicht ohne weiteres preisgäben.
Und was haben Sie mit dem Terrarium angefangen im Fenster der Längswand meines Arbeitszimmers? Hat man wirklich meine Schildkröten und meine Eidechsen totgeschlagen, weil ihr Besitzer „fremdrassig“ war? Und haben die Blumenbeete und der Steingarten sehr gelitten, als die SA-Leute meinen krumm und lahm geschlagenen Portier schiessend durch den Garten verfolgten, wie er sich in den Wald flüchtete?
Kommt es Ihnen übrigens nicht doch manchmal merkwürdig vor, dass Sie in meinem Haus sitzen? Ihr „Führer“ gilt sonst nicht für einen Freund der jüdischen Literatur. Ist es da nicht erstaunlich, dass er sich so gern an das Alte Testament hält? Ich selber habe ihn mit viel Stimmaufwand zitieren hören: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (womit er wohl „Vermögenskonfiskation um literarische Kritik“ meinte). Und jetzt hat er auch Ihnen eine Verheissung des Alten Testaments wahrgemacht, den Spruch: „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast.“
Lassen Sie mein Haus nicht verkommen, Herr X. Es zu bauen und einzurichten, hat Frau Feuchtwanger und mir viel Mühe gemacht. Es zu bewirtschaften und zu erhalten, macht nicht viel Mühe. Pflegen Sie es, bitte, ein bisschen. Ich sage das auch in Ihrem Interesse. Ihr „Führer“ hat versprochen, dass seine Herrschaft tausend Jahre dauern wird: ich nehme also an, Sie werden bald in der Lage sein, sich mit mir über die Rückgabe des Hauses auseinanderzusetzen.
Mit vielen guten Wünschen für unser Haus
Lion Feuchtwanger.
P.S. – Finden Sie übrigens auch, dass meine These, Ihr Führer schreibe schlechtes Deutsch, dadurch widerlegt wird, dass Sie in meinem Haus sitzen?
Anmerkungen
Quelle: Lion Feuchtwanger, „Du sollst in Häusern wohnen, die du nicht gebaut hast“ (20. März 1935), aus Pariser Tageblatt, abgedruckt in „Wer schweigt wird schuldig!“ © Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 1999, 2012.