Kurzbeschreibung

Im Zuge der nationalsozialistischen Kulturpolitik geriet die deutsche Kunstszene der Moderne zunehmend ins Visier und unter Beschuss. Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938) war ein deutscher expressionistischer Maler und Grafiker, dessen Kunstwerke den Missfallen des Regimes auf sich zogen. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, lebte der einst in Dresden und Berlin tätige Kirchner bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in Davos in der Schweiz, obwohl er noch immer aktive Verbindungen zur deutschen Kunstszene unterhielt. Kirchner hatte sich nie einer politischen Partei angeschlossen und unterstützte das Regime nicht. Obwohl er als Arier galt und im Ersten Weltkrieg freiwillig Kriegsdienst geleistet hatte, entzog die Preußische Akademie der Künste Kirchner 1937 die Mitgliedschaft, und zwei Dutzend seiner Werke wurden im selben Jahr im Rahmen der NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ ausgestellt. Um seinen Ruf und seine Position wiederherzustellen, schrieb Kirchner einen sorgfältig ausgearbeiteten Brief an die Preußische Akademie, in dem er versuchte, ein Gleichgewicht zwischen seiner unpolitischen Natur und seinem pro-deutschen Engagement herzustellen. Seine Beteuerungen blieben erfolglos, und Kirchner wurde schließlich sechs Wochen nach diesem Brief aus der Mitgliederliste der Akademie gestrichen. Kirchner nahm sich 1938 in der Schweiz das Leben.

Ernst Ludwig Kirchers Brief and die Preußische Akademie der Künste (12. Juli 1937)

Quelle

Davos, den 12. Juli 37

Sehr geehrter Herr Dr. Schumann,

ich erhielt Ihr Geehrtes vom 8. d. Ich lebe seit 20 Jahren im Ausland und infolge meiner Krankheit sehr einsam und zurückgezogen. Ich bin nicht orientiert über die künstlerischen Vorgänge in Berlin. Ich will gewiß niemand im Wege stehen oder Aufsehen erregen. Ist mein Name in der Akademie lästig, so streichen Sie ihn. Ich würde mir arrogant oder albern vorkommen, wollte ich von mir aus aus [sic] dieser großen, ehrenwerten Institution austreten, der schon mein Großvater angehörte. Ich bin doch kein Feind. Wenn ich gesund wäre, würde ich ja so gern mitarbeiten am Aufbau einer neuen deutschen Kunst. Ich habe ja mein ganzes Leben hindurch daran gearbeitet und bin oft genug dafür angefeindet worden. Ich habe nie einer politischen Partei angehört. Meine Arbeit kommt aus dem einfachen menschlichen Empfinden und richtet sich an dasselbe. Ich gedachte das beste davon meinem Lande zu schenken bei meinem Tode, um so meinem Lande zu dienen. Manchen jungen Künstler interessiert sie. Ich wünsche von Herzen, daß Deutschland eine neue, schöne und gesunde Kunst erwachse. Ich und mancher andere ältere haben ehrlich und treu daran gearbeitet, das wird man früher oder später einmal einsehen.

Mit deutschem Gruß
Ihr ergebener
E. L. Kirchner

Quelle: Archiv der Akademie der Künste in Berlin; abgedruckt in Joseph Wulf, Hrsg. Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Gütersloh: Sigbert Mohn, 1963, S. 309.