Kurzbeschreibung

Einige katholische Kirchenführer gehörten zu den schärfsten Kritikern des T4-Programms der Nationalsozialisten, das 1938 begann und 1939 nach Ausbruch des Krieges intensiviert wurde. Während viele Kirchenmitglieder die antisemitischen Ansichten der Nazis teilten, lehnten einige (wenn auch sicher nicht alle) Katholiken den Einsatz der Euthanasie durch die Nationalsozialisten zur Erreichung ihrer „rassenhygienischen“ Ziele in Deutschland ab. Die Tötung hilfsbedürftiger Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen verletzte das Verständnis der Katholiken von der Heiligkeit des Lebens und stand im Widerspruch zu einigen der grundlegendsten Prinzipien der Kirche, einschließlich des fünften Gebots „Du sollst nicht töten“. In diesem Schreiben des Bischofs von Limburg an den Reichsjustizminister wird die Opposition der katholischen Kirche gegen das T4-Programm deutlich. Der Bischof hält das Programm für eine Ungerechtigkeit, und die mangelnde Anteilnahme der örtlichen Gemeindemitglieder, die sehr wohl wussten, was geschah, beunruhigt sein Gewissen. Während der Verfasser bereit ist, das Regime für diese „Gnadentötungen“ als Verstoß gegen das deutsche Strafgesetzbuch zu kritisieren, nutzt er die Gelegenheit nicht, um sich für andere Opfer des Regimes einzusetzen. Kritik wie die hier vorgetragene und die internationale Aufmerksamkeit, die sie erregte, trug dazu bei, dass das T4-Programm nach August 1941 nicht weitergeführt wurde. Es sollte hier jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass es einige Versuche von katholischen Theologen gab, die Tötungen zu rechtfertigen.

Schreiben des Bischofs von Limburg an den Reichsjustizminister (13. August 1941)

Quelle

Der Bischof von Limburg
Limburg/Lahn, den 13. August 1941.

An den Herrn Reichsminister der Justiz
Berlin

Bezugnehmend auf die von dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz, Herrn Kardinal Dr. Bertram, eingereichte Denkschrift vom 16. Juli (sub IV. Seite 6/7) halte ich mich verpflichtet, betr. Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ das Folgende als konkrete Illustration zu unterbreiten.

Etwa 8 km von Limburg entfernt ist in dem Städtchen Hadamar auf einer Anhöhe unmittelbar über dem Städtchen eine Anstalt, die früher zu verschiedenen Zwecken, zuletzt als Heil-und Pflege-Anstalt gedient hat, umgebaut bzw. eingerichtet worden als eine Stätte, in der nach allgemeiner Ueberzeugung obengenannte Euthanasie seit Monaten – etwa seit Februar 1941– planmäßig vollzogen wird. Ueber den Regierungsbezirk Wiesbaden hinaus wird die Tatsache bekannt, weil Sterbeurkunden von einem Standesamt Hadamar-Mönchberg in die betreffenden Heimatgemeinden gesandt werden. (Mönchberg wird diese Anstalt genannt, weil sie bis zur Säkularisation 1803 ein Franziskanerkloster war.)

Oefter in der Woche kommen Autobusse mit einer größeren Anzahl solcher Opfer in Hadamar an. Schulkinder der Umgegend kennen diese Wagen und reden: „Da kommt wieder die Mordkiste.“ Nach der Ankunft solcher Wagen beobachten dann die Hadamarer Bürger den aus dem Schlot aufsteigenden Rauch und sind von dem ständigen Gedanken an die armen Opfer erschüttert, zumal wenn sie je nach der Windrichtung durch die widerlichen Düfte belästigt werden.

Die Wirkung der hier getätigten Grundsätze: Kinder, einander beschimpfend, tun Aeußerungen: „Du bist nicht recht gescheit, du kommst nach Hadamar in den Backofen“; solche, die nicht heiraten wollen oder keine Gelegenheit finden: „Heiraten, nein! Kinder in die Welt setzen, die dann in den Rex- Apparat kommen!“ Bei alten Leuten hört man Worte: „Ja in kein staatliches Krankenhaus! Nach den Schwachsinnigen kommen die Alten als unnütze Esser an die Reihe.“

Alle gottesfürchtigen Menschen empfinden diese Vernichtung hilfloser Wesen als himmelschreiendes Unrecht. Und wenn dabei ausgesprochen wird, Deutschland könne den Krieg nicht gewinnen, wenn, es noch einen gerechten Gott gibt, so kommen diese Aeußerungen nicht etwa von Mangel an Vaterlandsliebe, sondern aus einer um unser Volk tiefbesorgten Gesinnung. Es ist der Bevölkerung unfaßlich, daß planmäßig Handlungen vollzogen werden, die nach § 211 StGB mit dem Tode zu bestrafen sind! Die obrigkeitliche Autorität als sittlicher Begriff erleidet durch die Vorgänge eine furchtbare Erschütterung. Die amtlichen Mitteilungen, daß N.N. an einer ansteckenden Krankheit gestorben sei und deshalb die Leiche hätte verbrannt werden müssen, finden keinen Glauben mehr und es wird durch solche nicht mehr geglaubte amtliche Mitteilungen der ethische Wert des Autoritätsbegriffes noch weiter beeinträchtigt.

Beamte der Geh. Staatspolizei suchen, wie man hört, das Reden über die Hadamarer Vorgänge mit strengen Drohungen zu unterdrücken. Es mag im Interesse der öffentlichen Ruhe gute Absicht sein. Das Wissen und die Ueberzeugung und Entrüstung der Bevölkerung werden damit nicht geändert; die Ueberzeugung wird um die bittere Erkenntnis vermehrt daß das Reden mit Drohungen verboten wird, die Handlungen selbst aber nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Facta loquuntur.

Ich bitte Sie ergebenst, Herr Reichsminister, im Sinne der Denkschrift des Episkopates vom 16. Juli d.J. weitere Verletzungen des fünften Gebotes Gottes verhüten zu wollen.

Dr. Hilfrich.

Abschrift überreiche ich dem Herrn Reichsminister des Innern und dem Herrn Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten.

D. O.

Quelle: Schreiben des Bischofs von Limburg an den Reichsjustizminister vom 13. August 1941 über die Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens“ in der Anstalt von Hadamar (Beweisstück US-717); Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 19451. Oktober 1946. Band XXVI, Amtlicher Text – Deutsche Ausgabe, Urkunden und anderes Beweismaterial. Nürnberg 1947. Neuauflage: München, Delphin Verlag, 1989, Dokument 615-PS, S. 165–67.

Schreiben des Bischofs von Limburg an den Reichsjustizminister (13. August 1941), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-5132> [25.04.2024].