Kurzbeschreibung

Nach der Veröffentlichung der päpstlichen Enzyklika im März 1937 beschränkte sich der katholische Widerstand ganz auf die Aktionen einzelner Kirchenvertreter. Einer der bekanntesten Kritiker der Nazis war Clemens August von Galen, Bischof von Münster (1878-1946). In der folgenden Predigt vom 3. August 1941 protestierte er öffentlich gegen das sogenannte Euthanasieprogramm. Die Tötung von behinderten Menschen durch den Staat veranlasste ihn auch zu einer Mordanklage. Galens Einfluss und Popularität in der katholischen Bevölkerung machten ihn zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko für das NS-Regime, das ihn aus Angst vor öffentlichen Unruhen ausschalten wollte, wie der folgende Regierungsbriefwechsel zeigt. Goebbels setzte sich schließlich in dieser Angelegenheit durch, und Galen konnte unbehelligt bleiben. Die allgemeine öffentliche Empörung über das „Euthanasieprogramm“ und die lautstarken Proteste von Kirchenvertretern, an denen Galen maßgeblich beteiligt war, veranlassten Hitler, die T4-Aktion einzustellen, obwohl die Ermordung von Patienten dezentral weitergeführt wurde. Galens Regimekritik erstreckte sich jedoch nicht auf die Führung des Rassenkriegs an der Ostfront. Am 14. September 1941 schrieb der Bischof einen Brief, in dem er Hitlers Krieg gegen den „Judäo-Bolschewismus“ und die „jüdisch-bolschewistischen Machthaber in Moskau“ befürwortete.

Auszug aus Bischof von Galens Predigt; Regierungskorrespondenz im Zusammenhang mit Galens Rede und Strafanzeige (August 1941)

  • Bischof Clemens August von Galen

Quelle

I. Auszug aus Bischof von Galens Predigt vom 3. August 1941

[]

Wie ich zuverlässig erfahren habe, werden jetzt auch in den Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Westfalen Listen aufgestellt von solchen Pfleglingen, die als sog. ‚unproduktive Volksgenossen‘ abtransportiert und nach kurzer Zeit ums Leben gebracht werden sollen. Aus der Anstalt Mariental bei Münster ist im Laufe dieser Woche der erste Transport abgegangen.

Deutsche Männer und Frauen! Noch hat Gesetzeskraft der § 211 des Reichsstrafgesetzbuches, der bestimmt: ‚Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

Wohl um diejenigen, die jene armen, kranken Menschen, Angehörige unserer Familien, vorsätzlich töten, vor dieser gesetzlichen Bestrafung zu bewahren, werden die zur Tötung bestimmten Kranken aus der Heimat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. Als Todesursache wird dann irgendeine Krankheit angegeben. Da die Leiche sogleich verbrannt wird, können die Angehörigen und auch die Kriminalpolizei es hinterher nicht mehr feststellen, ob die Krankheit wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache vorlag.

Es ist mir aber versichert worden, daß man im Reichsministerium des Innern und auf der Dienststelle des Reichsärzteführers Dr. Conti gar kein Hehl daraus mache, daß tatsächlich schon eine große Zahl von Geisteskranken in Deutschland vorsätzlich getötet worden ist und in Zukunft getötet werden soll. Das Reichsstrafgesetzbuch bestimmt aber in § 139: ‚Wer von dem Vorhaben eines Verbrechens wider das Leben . . . glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, der Behörde oder den Bedrohten hiervon zur rechten Zeit Anzeige zu machen, wird . . . bestraft‘.

Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Mariental abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am 28. Juli bei der Staatsanwaltschaft, beim Landgericht in Münster und bei dem Polizeipräsidenten in Münster Anzeige erstattet durch eingeschriebenen Brief mit folgendem Wortlaut: ‚Nach mir zugegangenen Nachrichten soll im Laufe dieser Woche (man spricht vom 31. Juli) eine große Anzahl Pfleglinge der Provinzheilanstalt bei Mariental in Münster als sog. ‚unproduktive Volksgenossen‘ nach der Heilanstalt Eichberg überführt werden, um dann alsbald, wie es nach solchen Transporten aus anderen Heilanstalten nach allgemeiner Überzeugung geschehen ist, vorsätzlich getötet zu werden.

Da ein derartiges Vorgehen nicht nur den göttlichen und natürlichen Sittengesetzen widerstreitet, sondern auch als Mord nach § 211 des Reichsstrafgesetzbuches mit dem Tode zu bestrafen ist, erstatte ich gemäß § 139 des RStrGB. pflichtgemäß Anzeige und bitte, die bedrohten Volksgenossen unverzüglich durch Vorgehen gegen die den Abtransport und die Ermordung beabsichtigenden Stellen zu schützen und mir von dem Veranlaßten Nachricht zu geben.‘

Nachricht über ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft und der Polizei ist mir nicht zugegangen.

Ich hatte bereits am 26. Juli bei der Provinzialverwaltung der Provinz Westfalen, der die Anstalten unterstehen, der die Kranken zur Pflege and Heilung anvertraut sind, schriftlich ernstesten Einspruch erhoben. Es hat nichts genützt. Der erste Transport der schuldlos zum Tode Verurteilten ist von Mariental abgegangen. Und aus der Heil- und Pflegeanstalt Warstein sind, wie ich höre, bereits 800 (acht hundert) Kranke abtransportiert.

So müssen wir rechnen, daß die armen, wehrlosen Kranken über kurz oder lang umgebracht werden. []

Quelle: Bistumsarchiv Münster, Fremde Provenienzen, A 8. Schreibmaschinenabschrift. Überschrift: Niederschrift der Predigt des Bischofs von Münster, Sonntag, den 3. August 1941, in der St. Lambertikirche in Münster; abgedruckt in Johann Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz: Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand. 2. Aufl., München: Verlag Katholische Kirche Bayerns, 1946, Teil II, S. 364–66.

II. Regierungskorrespondenz im Zusammenhang mit Galens Rede und Strafanzeige (12./13. August 1941)

Abteilungsleiter Propaganda
Berlin, den 12. August 1941
Dem Herrn Reichsminister fuer Propaganda und Volksaufklaerung
Betrifft Katholische Aktion.

Ende Juli und Anfang August haben mehrfach Zusammenkuenfte eines engeren Gremiums der Fuldaer Bischofskonferenz stattgefunden. Auf diesen Zusammenkuenften ist beschlossen worden, in schaerfster [sic] Opposition zu treten. Die Ausfurchungen dieser Beschluesse zeichnen sich ab in drei Hirtenbriefen des Bischofs Graf von Galen aus Muenster. In den Hirtenbriefen vom 13. und 20. Juli griff der Bischof in sehr scharfen Worten die Geheime Staatspolizei wegen Schliessung verschiedener Kloester der Jesuiten und der Missionsschwestern der Unbefleckten Empfaengnis an und bezeichnet die Beamten der Geheimen Staatspolizei als Diebe und Raeuber. Er bringt dann mit diesen Beschlagnahmungen die mehrfache Bombardierung der Stadt Muenster in Verbindung und bezeichnet dies als eine gerechte Strafe des Himmels fuer die Untaten der Geheimen Staatspolizei. Er verherrlicht in den Hirtenbriefen den Pfarrer Niemoeller und versucht sich des Vorwurfs der Stoerung der Volksgemeinschaft dadurch zu entziehen, indem er behauptet, dass allein die Geheime Staatspolizei die Volksgemeinschaft zerstöre.

Nach diesen Angriffen gegen staatliche Dienststellen, die in Form und Inhalt schaerfer sind als die frueher versteckt vorgetragenen Vorwuerfe, hat der Bischof von Muenster am 3. August in einer Predigt an seine Dioezesanen den wohl bisher staerksten Angriff gegen die deutsche Staatsfuehrung vorgetragen, der seit Jahrzehnten ueberhaupt vorgekommen ist. Nachdem er zunaechst wiederum auf die Schliessung der Kloester und Ordenshaeuser eingeht, wendet er sich gegen durchgefuehrte Euthanasiemassnahmen an unheilbaren Geisteskranken. Er stellt zunaechst die Argumente gegen die Euthanasie auf und versteigt sich sodann zu folgender Behauptung:

"Ja, Buerger von Muenster, man ermordet ruecksichtslos verwundete Soldaten, da sie ja produktiv fuer den Staat nichts mehr leisten koennen. Mutter, auch dein Sohn wird ermordet, wenn er verwundet von der Front in die Heimat kommt." Er schliesst mit dem Bemerken, dass die Einwohner von Muenster die in Form englischer Bombenangriffe gekommene Gottesrache nicht verstanden haetten, und fordert seine Glaeubigen zur offenen Opposition auf, auch wenn sie sterben muessten.

Ich fuege in der Anlage den Originalwortlaut der Predigt zur Kenntnisnahme bei.

Die Behauptung des Bischofs von Muenster, verwundete Soldaten werden von Euthanasiemassnahmen bedroht, ist bereits im April d.Js. in mehrfachen Sendungen des Londoner Rundfunks ausgestreut worden. Das Verhalten des Bischofs ist qualifizierter Landesverrat.

Es ist zu befuerchten, dass diese Predigt und die Aeusserungen des Bischofs durch Mundpropaganda in weiten Teilen des Reiches, insbesondere in der katholischen Bevoelkerung, bekannt und auch geglaubt werden. Darueber hinaus besteht die Befuerchtung, dass diese landesverraeterischen Behauptungen auch in der protestantischen Bevoelkerung Eingang finden, insbesondere in den Familien, die einen Angehoerigen an der Front haben.

Staatspolizeiliche Massnahmen gegen den Bischof von Muenster duerften kaum von Erfolg sein; denn bei einer Verhaftung und Aburteilung wuerde der Bischof von der Kirche als Maertyrer hingestellt werden und andere Bischoefe und Geistliche wuerden seine Behauptungen wieder aufnehmen. Am zweckmaessigsten waere eine Aufklaerung der Bevoelkerung ueber unsere Massnahmen bezueglich der Euthanasie, wobei ich mir darueber klar bin, dass der gegenwaertige Zeitpunkt dafuer recht ungeeignet ist. Die Art und Weise, wie der Bischof von Muenster die Aktion vorbereitet hat, laesst befuerchten, dass er mit seinen Angriffen nicht nachlassen wird, wenn von uns nichts unternommen wird, ein erheblicher Stimmungseinbruch, insbesondere im katholischen Volksteil, bevorsteht.

Ich habe beim Reichsministerium fuer die kirchlichen Angelegenheiten angefragt, wie man dort ueber die Sache denkt. Als Antwort wurde mir zuteil, dass dort bisher leider der authentische Text der Predigt nicht bekannt sei. Die Predigt stammt vom 3. August.

Ich bitte den Herrn Reichsminister um Entscheidung, ob ueber Gruppenfuehrer Bormann beim Fuehrer angefragt werden soll, ob die seitherige Tarnung der Euthanasie gelockert werden kann, damit, auf Grund der dann einsetzenden Aufklaerung der Bevoelkerung, eine Abwehr gegen die landesverraeterischen Behauptungen des Bischofs von Muenster eingeleitet werden kann.

Heil Hitler!

Anlage.

Geheim.
Vorlage fuer Reichsleiter Bormann!
Betrifft Predigt des Bischofs von Muenster.

Dr. Goebbels sprach nach der Ministerkonferenz mit mir wegen der Predigt des Bischofs von Muenster. Er wisse nicht, was man im Augenblick wirksames tun koenne.

Ich erklaerte ihm, dass es im Augenblick meines Erachtens nur ein wirksames Mittel gaebe, naemlich den Bischof aufzuhaengen. Ich haette auch Reichsleiter Bormann bereits entsprechend unterrichtet.

Dr. Goebbels sagte daraufhin, dass dies eine Massnahme sei, die nur der Fuehrer selbst entscheiden koenne. Er befuerchte allerdings, dass wenn etwas gegen den Bischof unternommen wuerde, die Bevoelkerung Muensters waehrend des Krieges abzuschreiben sei. Dazu koenne man ruhig noch ganz Westfalen nehmen.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass es nur notwendig sei, die hundsgemeine Luege propagandistisch richtig herauszustellen. So muesste es doch moeglich sein, der dortigen Bevoelkerung nicht nur die Massnahme klar zu machen, sondern sie in Empoerung gegen den Bischof zu setzen.

Dr. Goebbels antwortete hierauf nochmals, dass der Fuehrer ja sicher diese Frage selbst entscheiden wuerde.

Er ging danach darauf ein, dass es seines Erachtens richtiger gewesen waere, waehrend des Krieges die Kirchen nicht herauszufordern, sondern zu versuchen, sie in unserem Sinne so weit wie moeglich zu steuern. Daher habe er auch seinerzeit die Besprechung mit Parteigenosse Gutterer angeordnet. Er waere aber dann auf diesem Wege nicht weitergegangen, da ja die Parteikanzlei die unbedingte Ablehnung und den offenen Bruch gewuenscht habe. So sehr es fuer ihn – im Gegensatz zu anderen Reichsleitern – selbstverstaendlich gewesen waere, die Kirchenpresse zu verbieten, weil er hier wirklich eine Begruendung und Entschuldigung der Kirche gegenueber gehabt habe, die den Schein wahrten, so staende er doch auf dem Standpunkt, dass es richtiger gewesen waere auch sonst den Schein gegenueber den Kirchen waehrend des Krieges zu wahren. Man duerfe einen Gegner immer erst angreifen, wenn man bei einem entschiedenen Gegenangriff des Gegners auch entsprechend antworten koenne. Dies sei aber bei dem Gegenangriff der Kirche waehrend des Krieges ausserordentlich schwierig, ja fast unmoeglich. Man duerfe eine Rache nie heiss geniessen, sondern kalt. In der Politik muesse man warten koennen. Der Fuehrer habe dies ja im Fall Russland wieder klar und deutlich gezeigt. Wenn es nach ihm gegangen waere, haette man waehrend des Krieges so getan, als wenn man mit den Kirchen. . . [der Schluss dieser Seite ist unleserlich].

Ich erklaerte ihm, dass durch den Weg, der bisher beschritten worden sei, doch erreicht worden waere, dass die Kirchenseite aus sich herausgegangen und uns so wertvolle Dokumente fuer ihre Bekaempfung nach dem Kriege gegeben haette.

Dr. Goebbels sagte, dass seines Erachtens diese Massnahmen nach dem Kriege auch ohne die Dokumente moeglich gewesen waeren, waehrend uns jetzt die Auswirkung der kirchlichen Dokumente in der Stimmung ausserordentlich zu schaffen machten. Auf jeden Fall sei es notwendig, dass nun fuer die Zukunft eine ganz klare Regelung geschaffen wuerde, welcher Weg zu gehen sei. Bei den Erwaegungen, die in diesem Zusammenhang angestellt werden muessten, duerften wir uns nicht vom Herzen, sondern muessten uns vom ganz klaren Verstand her leiten lassen.

Ich persoenlich stehe auf dem Standpunkt, dass, wenn der Fuehrer mit meinem Vorschlag, den Bischof aufzuhaengen, einverstanden ist, wir ruhig den bisher beschrittenen Weg weitergehen koennen. Sollte aber der Fuehrer diesen Vorschlag ablehnen und eine Abrechnung auch fuer diese Frage auf die Zeit nach dem Kriege verschieben, bitte ich doch zu erwaegen, ob Dr. Goebbels nicht versuchen soll, wie weit es moeglich ist, den von ihm vorgeschlagenen Weg zu gehen.

Tiessler

Berlin, den 13. 8. 1941

Quelle: Rev. Edmund A. Walsh SJ Papers, Box 7, Folder 449, Booth Family Center for Special Collections, Georgetown University Library, Washington, DC.