Kurzbeschreibung

Martin Bormann (1900–1945) übernahm im Mai 1941 das Amt des Chefs der Parteikanzlei und trat damit die Nachfolge des stellvertretenden Führers Rudolf Hess an, der im selben Jahr nach England geflohen war. In diesem Dokument, einem vertraulichen Memorandum vom 6. Juni 1941, stehen Bormanns Angriffe auf die Irrationalität des christlichen Glaubens repräsentativ für eine stark antireligiöse Strömung, die innerhalb der NSDAP bestand. Hier beschreibt Bormann das Christentum als eine uralte Religion, welche die Fortschritte der modernen Wissenschaft ablehnt. Das Christentum ist in seinen Augen naiv und rückständig. Bormann lehnt jedoch die katholische und die protestantische Kirche nicht völlig ab. Eine bedeutende Mehrheit der Deutschen bezeichnete sich als Christen und besuchte regelmäßig die Kirche. Stattdessen greift Bormann den historischen Einfluss an, den die Kirche und der christliche Glaube auf den deutschen Staat ausgeübt hatten. Durch die Beseitigung dieses religiösen Einflusses, den die Nazis als mit dem Judentum verbunden ansahen, könne das neue Regime endlich die Autorität des Staates über seine Untertanen verwirklichen.

Martin Bormanns vertrauliches Memorandum über die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum (6. Juni 1941)

Quelle

Verhältnis von Nationalsozialismus und Christentum

Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar. Die christlichen Kirchen bauen auf der Unwissenheit der Menschen auf und sind bemüht, die Unwissenheit möglichst weiter Teile der Bevölkerung zu erhalten, denn nur so können die christlichen Kirchen ihre Macht bewahren. Dem gegenüber beruht der N. auf wissenschaftlichen Fundamenten. Das Christentum hat unveränderliche Grundsätze, die vor fast 2000 Jahren gesetzt und immer mehr zu wirklichkeitsfremden Dogmen erstarrt sind. Der N. dagegen muß, wenn er seine Aufgabe auch weiterhin erfüllen soll, stets nach den neuesten Erkenntnissen der wissenschaftlichen Forschungen ausgerichtet werden.

Die christlichen Kirchen haben die Gefahren, die ihrem Bestand durch die exakten wissenschaftlichen Erkenntnisse drohen, seit jeher erkannt und sich daher bemüht, durch eine Scheinwissenschaft, wie es die Theologie ist, die wissenschaftliche Forschung durch ihr Dogma zu unterdrücken oder zu verfälschen. Unser N.-Weltbild steht weit höher als die Auffassungen des Christentums, die in ihren wesentlichen Punkten vom Judentum übernommen worden sind. Auch aus diesem Grunde bedürfen wir des Christentums nicht.

Kein Mensch würde etwas vom Christentum wissen, wenn es ihm nicht in seiner Kindheit von den Pfarrern eingetrichtert worden wäre. Der sog. liebe Gott gibt das Wissen von seinem Dasein den jungen Menschen keineswegs von vornherein mit auf den Weg, sondern überläßt dies trotz seiner Allmacht erstaunlicherweise den Bemühungen der Pfarrer. Wenn also unsere Jugend künftig einmal von diesem Christentum, dessen Lehren weit unter den unseren stehen, nichts mehr erfährt, wird das Christentum von selbst verschwinden.

Verwunderlich ist auch, daß den Menschen vor Beginn der heutigen Zeitrechnung nichts von diesem Christengott bekannt war und daß auch seit diesem Zeitpunkt der bei weitem größte Teil der Erdbewohner nie etwas von diesem Christentum erfahren hat und daher nach der recht anmaßenden, aber christlichen Auffassung von vorneherein verdammt ist.

Wenn wir N. von einer Gottgläubigkeit sprechen, dann verstehen wir unter Gott nicht, wie die naiven Christen und ihre geistlichen Nutznießer, ein menschenähnliches Wesen, das irgendwo in der Sphäre herumsitzt. Wir müssen vielmehr den Menschen die Augen öffnen, daß es neben unserer kleinen, im großen Weltall höchst unbedeutenden Erde noch eine unvorstellbar große Zahl weiterer Körper im Weltall gibt, noch unzählige Körper, die wie die Sonne von Planeten und diese wieder von kleineren Körpern, den Monden umgeben werden. Die naturgesetzliche Kraft, mit der sich alle diese unzähligen Planeten im Weltall bewegen, nennen wir die Allmacht oder Gott. Die Behauptung, diese Weltkraft könne sich um das Schicksal jedes einzelnen Wesens, jeder kleinsten Erdenbazille kümmern, könne durch sog. Gebete oder andere erstaunliche Dinge beeinflußt werden, beruht auf einer gehörigen Dosis Naivität oder aber auf einer geschäftlichen Unverschämtheit.

Demgegenüber stellen wir N. uns die Forderung, möglichst natürlich, d. h. lebensgesetzlich zu leben. Je genauer wir die Gesetze der Natur und des Lebens erkennen und beachten, jemehr wir uns an sie halten, destomehr entsprechen wir dem Willen der Allmacht. Jemehr wir den Willen der Allmacht einsehen desto größer werden unsere Erfolge sein.

Aus der Unvereinbarkeit n. und chr. Auffassungen folgt, daß eine Stärkung bestehender und jede Forderung entstehender christlicher Konfessionen von uns abzulehnen ist. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen ist hier nicht zu machen. Aus diesem Grunde ist daher auch der Gedanke einer Errichtung einer ev. Reichskirche unter Zusammenschluß der verschiedenen ev. Kirchen endgültig aufgegeben worden, weil die ev. Kirche uns genau so feindlich gegenübersteht wie die kath. Kirche. Jede Stärkung der ev. Kirche würde sich lediglich gegen uns auswirken.

Es ist ein geschichtlicher Fehler der deutschen Kaiser im Mittelalter gewesen, daß sie immer wieder beim Vatikan in Rom Ordnung schufen. Es ist überhaupt ein Fehler, in den wir Deutsche leider allzuoft verfallen, daß wir bestrebt sind, Ordnung zu schaffen, wo wir ein Interesse an der Zersplitterung und Uneinigkeit haben müßten. Die Hohenstaufen hätten das größte Interesse an der Zersplitterung der kirchlichen Machtverhältnisse haben müssen. Vom Standpunkt des Reiches wäre es das günstigste gewesen, wenn nicht ein Papst, sondern mindestens zwei, wenn möglich sogar noch mehr Päpste bestanden und sich gegenseitig bekämpft hätten. Statt dessen haben die deutschen Kaiser und insbesondere auch die Hohenstaufen bei der Kirche immer wieder für Ordnung gesorgt, einem Papst zur Macht über alle übrigen Konkurrenten verholfen, mit dem Erfolg, daß die Kaiser, sobald der Papst wieder stark genug dazu war, von ,,ihrem Papst sofort die ersten Nackenschlage erhielten. Die Kirche aber hat zur Stärkung ihrer eigenen Machtposition immer wieder den Partikularismus der Fürsten und später der Parteien ausgenutzt und nach Kräften geschürt.

In früheren Generationen lag die Volksführung ausschließlich in den Händen der Kirche. Der Staat beschränkte sich darauf, Gesetze und Verordnungen zu erlassen und vor allem zu verwalten. Die eigentliche Volksführung lag nicht beim Staat, sondern bei den Kirchen. Diese übten über den Pfarrer stärksten Einfluß aus auf das Leben des einzelnen Menschen, der Familien-und auf die Gesamtheit. Alles, was den Kirchen nicht paßte, wurde mit beispielloser Rücksichtslosigkeit unterdrückt. Jahrhundertelang lieh sich der Staat durch die verschiedensten Zuwendungen die kirchl. Einflußmöglichkeit. Es hing von der Kirche ab, ob sie dem Staat helfen oder sich gegen ihn stellen wollte. Der Staat war auf die Hilfe der Kirche angewiesen, er war von ihr abhängig. Der Kampf der deutschen Kaiser gegen den Papst mußte im Mittelalter und in der Neuzeit immer wieder scheitern, weil nicht der Kaiser, sondern die Kirche die Volksführung in der Hand hatte.

Diese weltanschauliche Abhängigkeit des Staates von der Kirche, die Überlassung der Volksführung an die Kirche, waren zur Selbstverständlichkeit geworden, sodaß niemand wagte, ernstlich hiergegen anzugehen. Dies nicht als unumstößliche Tatsache von vornherein in Rechnung zu ziehen, galt noch bis unmittelbar vor der Machtübernahme als absurde Dummheit.

Zum ersten Male in der deutschen Geschichte hat der Führer bewußt und vollständig die Volksführung selbst in der Hand. Mit der Partei, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden hat der Führer sich und damit der deutschen Reichsführung ein Instrument geschaffen, das ihn von der Kirche unabhängig macht. Alle Einflüsse, die die durch den Führer mit Hilfe der NSDAP ausgeübte Volksführung beeinträchtigen oder gar schädigen könnten, müssen ausgeschaltet werden. Immer mehr muß das Volk den Kirchen und ihren Organen den Pfarrern, entwunden werden. Selbstverständlich werden und müssen die Kirchen, von ihrem Standpunkt betrachtet, sich gegen diese Machteinbuße wehren. Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluß auf die Volksführung eingeräumt werden. Dieser muß restlos und endgültig gebrochen werden.

Nur die Reichsführung und in ihrem Auftrage die Partei, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände haben ein Recht zur Volksführung. Ebenso wie die schädlichen Einflüsse der Astrologen, Wahrsager und sonstigen Schwindler ausgeschaltet und durch den Staat unterdrückt werden, muß auch die Einflußmöglichkeit der Kirche restlos beseitigt werden. Erst, wenn dieses geschehen ist, hat die Staatsführung den vollen Einfluß auf die einzelnen Volksgenossen. Erst dann sind Volk und Reich für alle Zukunft in ihrem Bestande gesichert.

Wir würden die Fehler, die in den vergangenen Jahrhunderten dem Reich zum Verhängnis wurden, wiederholen, wenn wir nach dem Erkennen der weltanschaulichen Gegnerschaft der christlichen Konfessionen jetzt noch irgendwie zur Stärkung einer der verschiedenen Kirchen beitragen würden. Das Interesse des Reiches liegt nicht in der Überwindung, sondern in der Erhaltung und Verstärkung des kirchlichen Partikularismus.

(gez.) M. Bormann

Reichsleiter

Quelle: The Trial of the of the Major War Criminals before the International Military Tribunal. Nuremberg, 14. November 1945 – 1. October 1946. Volume XXXV – Official Text English Edition – Documents and Other Material in Evidence, Numbers 039-D to 906-D. Nürnberg, 1947–49, S. 7–13 [Dokument 075-D]. Online verfügbar unter: https://www.loc.gov/item/2011525338_NT_Vol-XXXV/