Quelle
[…]
Inzwischen war ich entgegen dem Wunsche des Führers, entgegen dem Wunsche Blombergs am 3. 1. 1934 mit Wirkung vom 1. 2. 1934 zum Chef der Heeresleitung auf stärkstes Drängen des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg ernannt.
Ich fand einen Trümmerhaufen vor, besonders bestand eine weitgehende Vertrauenskrise zur obersten Führung.
Mit dem Tage meiner Ernennung setzte der Kampf Reichenaus, setzte der Kampf der Partei gegen mich ein, soweit dies nicht schon vorher der Fall war.
Reichenaus Kampf ist verständlich, denn er wollte an die Spitze des Heeres treten und will es jetzt noch.
Die Partei sieht in mir nicht nur den Mann, der sich dem Machtstreben der SA. entgegenwarf, sondern auch den Mann, der sich dem Eindringen parteipolitischer Maximen im Heere entgegenzustemmen suchte.
Ganz unabhängig davon, daß die Grundlage unseres heutigen Heeres nationalsozialistisch ist und sein muß, kann ein Eindringen parteipolitischer Einflüsse in das Heer nicht geduldet werden, da solche Einflüsse nur zersetzend und auflösend wirken können.
Die mir vom Führer am 1. 2. 1934 bei meiner Meldung gestellte Aufgabe lautete: „Schaffen Sie ein Heer in größtmöglicher Stärke und innerer Geschlossenheit und Einheitlichkeit auf dem denkbar besten Ausbildungsstand.“ Nach diesem Auftrag habe ich seitdem gehandelt.
Die Umtriebe Reichenaus führten dazu, daß mein Verhältnis zu Blomberg eigentlich ständig getrübt war. Es ist mir in diesen ganzen Jahren auch nicht gelungen, mein Verhältnis zu Blomberg so vertrauensvoll zu gestalten, wie es eigentlich hätte sein müssen. […]
Durch die Umtriebe der SS im Herbst 1934 war eine große Erregung allenthalben entstanden. Die SS. behauptete, die Armee bereite einen Putsch vor, von allen Wehrkreisen liefen Meldungen ein, daß die SS. einen großen Schlag plane. Da entschloß sich der Führer zum 3. Januar 1935 abends die maßgeblichen Persönlichkeiten der Partei und viele höhere Offiziere zu einer Besprechung in das Opernhaus zu befehlen. Der Führer hielt einen Vortrag, der ein einziges Bekenntnis zur Treue der Armee und ihres Führers [Fritsch] war. Nach der Rede des Führers flaute die Hetze der SS. zunächst ab. Vom Sommer 1935 ab trat sie aber wieder stärker hervor. Ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Verhältnisse warf das Benehmen der SS.-Verfügungs-Truppen auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow, wo sie sich aus nichtigem Anlaß in den wüstesten Beschimpfungen des Heeres und meiner Person ergingen.
Während es in der Nachfolgezeit gelungen ist, mit allen Parteidienststellen zu einem guten, vielfach wohl auch vertrauensvollen Verhältnis zu gelangen, ist dies mit der SS. nicht gelungen. Es mag dies, von unserer Seite aus gesehen, wohl daran liegen, daß es kaum einen höheren Offizier geben dürfte, der sich nicht von der SS. bespitzelt fühlte. Immer wieder wird auch bekannt, daß entgegen den ausdrücklichen Weisungen des Stellvertreters des Führers im Heer dienende SS.-Leute den Befehl haben, über ihre Vorgesetzten zu berichten. Leider kommen diese Dinge nur in einer Form zu meiner Kenntnis, daß ich ihnen nicht nachgehen kann.
Schließlich ist es die SS.-Verfügungstruppe, die, immer weiter ausgebaut, schon allein durch ihr Vorhandensein einen Gegensatz zum Heer schaffen muß. Sie ist der lebendige Mißtrauensbeweis gegen das Heer und seine Führung.
Wenn auch dem Heere ein gewisses Recht zur Überwachung der Ausbildung bei der SS.-Verfügungstruppe zusteht, so entwickelt sich doch diese SS.-Truppe völlig abseits und, wie mir scheint, in bewußtem Gegensatz zum Heer. Alle Stellen melden übereinstimmend, daß das Verhältnis der SS.-Verfügungstruppe zum Heer ein sehr kühles, wenn nicht ablehnendes sei. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die ablehnende Haltung gegen das Heer in der SS.-Verfügungstruppe geradezu gefördert wird. Äußerlich findet diese Ablehnung ihren Ausdruck darin, daß höchst selten ein SS.-Mann einen Offizier grüßt.
[…]
Quelle: Friedrich Hossbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, 1934–1938 (1949) 2. Auflage, Göttingen, 1965, S. 60–62. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Vandenhoeck & Ruprecht.