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Israel hat Ägypten überfallen — über Nacht sind in Nahost schwarze Wolken aufgezogen, von denen man hofft, daß sie sich nicht zu einem furchtbaren Krieg entladen mögen.
Es handelt sich diesmal keinesfalls um einen der vielen israelisch-arabischen „Zwischenfälle“, die sich in letzter Zeit besonders an der jordanischen Grenze gehäuft hatten, sondern um eine vorsätzliche Aggression gegen ägyptisches Territorium. Und was ein besonders bezeichnendes Licht auf die Ereignisse wirft: die Marschrichtung der israelischen Truppen heißt Suez!
Ja, fragt man sich, was in tausend Namen haben denn die Israelis in Ägypten zu suchen? Und was wollen sie am Suez? Wenn man sich in diesem Zusammenhang vergegenwärtigt, daß noch vor wenigen Wochen gewisse andere Kreise, am liebsten den Suezkanal mit Kanonen „freigeschossen“ hätten, um ihn wieder unter ihre kolonialen Fittiche zu bekommen, so liegt der Gedanke nahe, daß es sich hier um einen lang vorbereiteten Großangriff auf die antiimperialistischen Länder des Nahen Ostens handelt.
Ägypten ist zweifellos der führende arabische Staat im antikolonialen Kampf dieser Völker. Vor Jahren hatte der Westen versucht, diesen zu lähmen, indem man Ägypten in ein westliches Militärpaktsystem einzubeziehen versuchte. Das mißlang. Darauf wurde der Bagdadpakt auf die Beine gestellt – dem Ägypten seine Beteiligung ebenfalls versagte. Die Bemühungen, einen antiägyptischen haschemitischen Block Jordanien-Irak unter westlicher Führung zu arrangieren, schlugen ebenfalls fehl. Auch der Versuch, Ägypten durch eine Verweigerung der Kredite für den Bau des Assuan-Staudammes unter Druck zu setzen, scheiterte: als Ägypten schließlich den Suezkanal nationalisierte, sah man sich im Westen einer geschlossenen arabischen Front gegenüber, die mit Unterstützung aller friedliebenden Völker eine gewaltsame Rückeroberung des Kanals verhinderte. Der Suezkanal wurde zum Inbegriff aller kolonialen Interessen im Nahen Osten; von seinem Besitz hängen für die Kolonialherren Prestige, Erdöl und Profite ab. Man wurde am Marschieren gehindert – und jetzt marschiert plötzlich Israel gegen Ägypten!
Jahrelang war Israel mit amerikanischen, englischen und französischen Waffen vollgepumpt worden. Immer diente es als Werkzeug, um Spannungen im Nahen Osten zu erzeugen, die dem westlichen Spiel stets zupasse kamen, kurz, Israel war der imperialistische Stützpunkt inmitten der arabischen Welt. Mehr als einmal hat die Kommunistische Partei Israels, die für eine Politik der Verständigung mit den arabischen Völkern eintritt, vor Provokationen gewarnt. Doch der Westen ließ nicht ab; wenn Israel nunmehr zu einer der bisher größten Aggressionen gegen Ägypten ausgeholt hat, so wird niemand annehmen, daß es diesen Schritt aus heiterem Himmel unternahm.
Wie merkwürdig muß es daher anmuten, wenn man in den westlichen Hauptstädten nun plötzlich unwillig mit dem Zeigefinger droht und behauptet, das habe man nicht gewollt. Wenn Israel jetzt Ägypten angriffe, so sei das äußerst verwerflich, und man sei bereit, Ägypten zu helfen usw. Man trommelte sogar den Sicherheitsrat zusammen. Auf einmal will man sich als der „große Friedensstifter“ im Nahen Osten aufspielen – so soll es den Anschein haben. Eine plötzliche Neuorientierung der gesamten westlichen Politik? Das dürfte angesichts des Vorhergesagten etwas unwahrscheinlich klingen – und ist es auch.
Denn einige weitere Veröffentlichungen der westlichen Presse reden eine bedeutend offenere Sprache. So kann man lesen, daß die 6. USA-Flotte im östlichen Mittelmeer kreuze und „Ägypten im Aktionsbereich ihrer Trägerflugzeuge liegt“. AFP meldet, in 24 Stunden können „britische Truppen in Ägypten an Land gesetzt werden“. Und das dürfte auch des Pudels Kern sein: Unter der heuchlerischen Maske der Verteidiger der arabischen Welt möchte man Ägypten besetzen und schließlich den gesamten Nahen Osten – und würde seine Truppen endlich da haben, wo man sie schon während des Suezkonfliktes hinhaben wollte. Für gewisse Kreise ist es wichtig, daß man in 24 Stunden in Ägypten ist – obwohl Israel der Aggressor ist; für sie ist wichtig, daß sie endlich einen Grund hätten, gestützt auf ihre Bajonette, wieder direkten Einfluß auf die Geschehnisse im Nahen Osten zu nehmen!
Der Westen unternimmt stets nur dort etwas, wo er glaubt, daß es ihm nützt. Diese Tatsache wird durch die jüngsten Geschehnisse erneut erhärtet. Jetzt nützt es ihm, daß Israel „zufällig“ Ägypten angegriffen hat, wie es ihm nützlich scheint, sich als Friedensapostel hinzustellen; alles ist vorbedacht, alles ist abgekartet. Ein schändliches Spiel, das jederzeit zu einem Völkermorden ausarten kann!
In diesem Zusammenhang gewinnt auch die unverschämte Hetze gegen die ungarische Arbeiterklasse, gegen die Volksmacht in der Ungarischen Volksrepublik noch eine besondere Bedeutung: glaubte man doch, vor der Öffentlichkeit hinter einer Nebelwand von Lügen die Vorbereitung der Machenschaften im Nahen Osten verbergen zu können. Die imperialistischen Spekulationen gingen sogar weiter. So rechnete man damit – laut „Washington Post“ vom 30. Oktober –, daß die Sowjetunion im gegenwärtigen Zeitpunkt von dem neuen Anschlag gegen Ägypten abgelenkt werden würde.
Das alles werden allerdings Fehlspekulationen bleiben, weil die Völker, wie in der Suezfrage auch jetzt über Frieden im Nahen Osten wachen werden.
Quelle: „Abgekartetes Spiel in Nahost“, Neues Deutschland, Nr. 260, 31. Oktober 1956, S. 2.