Kurzbeschreibung

Ägypten nahm in der Strategie der DDR für ihre internationalen Beziehungen einen besonderen Platz ein, wie dieser Appell zeigt; das Präsidium verkündet seine „Sympathie und Solidarität“ mit dem ägyptischen Volk und beklagt die Haltung der Bonner Regierung. Ägypten war das erste Land in der Region, das im März 1953 ein Wirtschaftsabkommen mit der DDR unterzeichnete. Im Jahr 1954 wurden die Ostdeutschen zur Teilnahme an einer Messe in Kairo eingeladen, auf der sie ihre industrielle Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen und weitere Handelskontakte im arabischen Raum knüpfen konnten. Und 1955 empfing Ägypten eine ostdeutsche Delegation unter der Leitung des DDR-Handelsministers in Kairo; die Reise führte zu einer Reihe weiterer Wirtschaftsabkommen zwischen den beiden Ländern. Beide deutsche Staaten betrachteten Ägypten als integralen Bestandteil ihrer außenpolitischen Strategie: Nassers Aufstieg zur Führungspersönlichkeit der Bewegung der Blockfreien und seine wachsende Popularität in der arabischen Welt bedeuteten, dass beide Länder in Ägypten den Schlüssel zur Erschließung der übrigen arabischen Welt sahen. Nasser war sich dessen bewusst und nutzte die Kluft zwischen den beiden Ländern aus, indem er der DDR kleine Zugeständnisse machte, um ihr Interesse aufrechtzuerhalten, während er ihr die diplomatische Anerkennung verweigerte, um die Beziehungen Ägyptens zur BRD nicht zu gefährden. Obwohl die Ostdeutschen versuchten, die Suezkrise zu nutzen, um die Kluft zwischen Westdeutschland und Ägypten zu vertiefen, erfolgte die diplomatische Anerkennung des Landes erst nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, was bewies, dass die ostdeutsche Strategie, den Konflikt im Nahen Osten zum eigenen Vorteil auszunutzen, schließlich aufging.

„Halt den Kriegstreibern! Halt den Völkermördern!“(1. November 1956)

Quelle

Aufruf des Präsidiums des Nationalrats zur Aggression gegen Ägypten

Berlin. Das Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland beschloß in den Abendstunden des Mittwoch folgenden Aufruf an die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik:

„Ungeheuerliches ist geschehen. In den Abendstunden des 31. Oktober haben die Kriegsschiffe, Flugzeuggeschwader und Truppen des englischen und französischen Imperialismus das friedliche ägyptische Volk heimtückisch überfallen. Dieser brutale Akt militärischer Aggression ist eine schreiende Verletzung, ein offener Bruch der Charta der Vereinten Nationen, eine schwere Erschütterung des Friedens und beschwört eine unmittelbare Gefahr für die ganze Menschheit herauf. Die Völker wollen Entspannung und Frieden – die Imperialisten bringen ihnen Tod und Verderben.

Feierlich erklärt die Nationale Front des demokratischen Deutschland: Unsere ganze Sympathie und Solidarität gehört dem ägyptischen Volk in seiner schweren Stunde. Der ägyptischen Regierung, die bis zuletzt ihre Verständigungsbereitschaft bewiesen hat, gebührt die Unterstützung aller friedliebenden Länder und Menschen.

Tief bedauert das deutsche Volk die Haltung der Bonner Regierung, die seit Beginn des Suez-Konfliktes mit Wort und Tat an der Seite derjenigen steht, die heute Ägypten mit Feuer und Schwert überziehen.

Die Kriegsbrandstifter geben zynisch zu, daß sie die Ereignisse in Ungarn ausnutzen, um ihre verbrecherische militärische Aggression durchzuführen. Wir hoffen, daß angesichts dieser räuberischen Aktion gegen ein freiheitliebendes Volk die patriotischen Kräfte Ungarns in ihren Anstrengungen gestärkt werden, die volksdemokratische Ordnung zu wahren und mitzuhelfen, daß die festgefügte Front der Staaten des Friedenslagers die Welt vor dem Kriegsbrand bewahrt und die Wiederherstellung des Friedens erzwingt. An das Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland haben sich heute die Belegschaften zahlreicher Betriebe und Institute und viele Persönlichkeiten gewandt, um ihren Zorn über das heimtückische Attentat auf Ägypten und damit auf den Frieden Ausdruck zu geben.

In dieser ernsten Situation ist es die Aufgabe aller Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, die Friedenspolitik der Regierung und der Nationalen Front, die Politik der brüderlichen Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten und aller friedliebenden Menschen der Welt zu unterstützen. Diejenigen, die heute ägyptische Städte und Dörfer mit Bombenteppichen belegen, und ihre Verbündeten in Bonn führen einen Feldzug der Verleumdung gegen die Deutsche Demokratische Republik, der in Brudermord und Krieg enden soll.

Jugend der Deutschen Demokratischen Republik! Junge Arbeiter! Studenten! Die Deutsche Demokratische Republik hat euch das Tor in ein neues gesichertes Leben in Frieden, Freiheit und Sozialismus geöffnet. Richtet euren Elan, eure Kühnheit, eure Begeisterungsfähigkeit auf das edelste und höchste Ziel der Menschheit: die Erhaltung des Friedens. Ihr seid die Zukunft, und euch gehört die Zukunft, wenn ihr den Kräften der Vergangenheit, den hitlerischen Konzernherren, Generalen und Politikern mit der ganzen Kraft und Leidenschaft der Jugend entgegentretet.

Bürger der Deutschen Demokratischen Republik! Denkt daran, was wir uns in gemeinsamer Arbeit in elf Jahren geschaffen haben. Nie dürfen wir den Kriegsinteressenten gestatten, unsere Errungenschaften anzutasten und die Brandfackel nach Mitteleuropa zu werfen, auch wenn das unter der Freiheitsmaske vorbereitet wird. Was sie unter Freiheit verstehen, das haben sie in den letzten Stunden wieder in Ägypten gezeigt. So wollen sie auch Deutschland zerfleischen!

Die Trümmer und Wunden der Vergangenheit mahnen! Der Donner der Kanonen, das Bersten der Bomben und Granaten, das Schreien und Stöhnen der unschuldigen Opfer der Imperialisten dringt an unser aller Ohr. Halt den Kriegstreibern! Halt den Völkermördern!

Stehen wir fest zusammen, damit nichts und niemand uns von dem eingeschlagenen Weg des Friedens, der Freiheit, der Sicherung unseres Aufbaues und der friedlichen Verständigung der Deutschen abbringen kann! Unsere Republik ist der Hort des Friedens nach außen und nach innen. Unter ihren Fahnen — Vorwärts!

Das Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland
i. a. Prof. Dr. Correns

Quelle: „Halt den Kriegstreibern! Halt den Völkermördern! Aufruf des Präsidiums des Nationalrats zur Aggression gegen Ägypten“, Neue Zeit, 12. Jahrgang, Nr. 256, 1. November 1956, S. 1.