Kurzbeschreibung

Ein Teil der Herausforderung der DDR beim Aufbau ihres Staates bestand darin, sich als das „bessere“ Deutschland zu definieren und eine moralische Überlegenheit gegenüber Westdeutschland zu etablieren. Die DDR-Führung verfolgte dieses Ziel auf unterschiedliche Weise, und die Kultur wurde zu einem wichtigen Schlachtfeld im Kampf um die moralische Überlegenheit zwischen den beiden deutschen Staaten. Dieser Artikel in der ostdeutschen Berliner Zeitung nahm das populäre westdeutsche Genre der Heimatfilme aufs Korn und bezeichnete sie als kitschige und oberflächliche Produktionen, die wenig zur Diskussion über die gesellschaftlichen Herausforderungen im Nachkriegsdeutschland beitrugen. Die vom DEFA-Filmstudio in der DDR produzierten Filme waren ebenfalls überwiegend positiv und feierten die DDR-Gesellschaft, konzentrierten sich aber auf Themen wie den antifaschistischen Widerstand, die Verstrickung des Großkapitals in den Krieg und die Notwendigkeit, die Kriegsverursacher zu identifizieren, um Frieden für eine Nachkriegsgesellschaft zu erreichen. Statt diese Themen subtil zu behandeln, neigten die ostdeutschen Filme dazu, didaktisch und belehrend zu sein, indem sie ihre Themen und Lektionen sehr direkt darstellten. Die Heimatfilme wurden sowohl im Osten als auch im Westen kritisiert, doch hat die neuere Forschung festgestellt, dass die Filme dieses Genres sich tatsächlich stärker mit den Problemen der deutschen Nachkriegsgesellschaft auseinandersetzte, als bisher angenommen wurde.

„Der gefährliche Kitsch“: Ostdeutsche Kritik an Heimatfilmen (15. Februar 1952)

Quelle

Der gefährliche Kitsch

Bemerkungen zu zwei Filmen

Das Selbstverständliche wird nicht mehr erwähnt. Vielleicht ist das der Grund, warum von der Gefahr des Kitsches kaum oder nur am Rande gesprochen wird. Und doch ist es notwendig, ihn beim Namen zu rufen, wenn er so schamlos und räuberisch auftritt wie jetzt in einigen Filmen.

„Wenn die Abendglocken läuten“ und „Grün Ist die Heide“ das scheinen gewiß harmlose Filmtitel zu sein, bestimmt höchstens, durch ihren Gemütskitsch den Spießer einzulullen oder im Städter sentimentale Erinnerungen an Ferien auf dem Lande zu wecken, Filme, die man mitlaufen läßt, die man nicht ernst nimmt und nur vom Standpunkt des Geschmacks ablehnt. Sie sind mehr. Sie sind Schlimmeres. Sie versuchen, in einen Erlebnisbezirk einzudringen, der künstlerisch kaum noch befriedigt und deshalb achselzuckend und willenlos dem Kitsch überlassen wurde. Ich meine die Heimatliebe. Ein echtes, großes, berechtigtes Gefühl wurde nicht mehr produktiv gemacht für schöpferische Leistungen, für Werke der Kunst und Literatur. Es verlor seine gemeinschaftsbildende Kraft und wurde steril als Privatsentimentalität oder als kleinbürgerliche Vereinsseligkeit. Hier ist also eine Lücke, in die ganze Schwaden von Kitsch eindringen können, ganze Hornissenschwärme der Lüge und Fälschung. Worin besteht der Film-Kitsch? Darin, daß Sonderschicksale irgendeiner Sensationshandlung mit Zeitfragen verknüpft werden. Durch keine Wirklichkeit wird die Filmromantik außer Fassung gebracht. In Heimatfilmen wird also nicht das Umsiedlerproblem mit seinen vielfach gelagerten sozialen Forderungen behandelt, kein echter Konflikt der Nachkriegszeit wird angegangen, sondern die Gegenwart trägt in dieser westlichen Produktion folgendes Gesicht.

„Wenn die Abendglocken läuten“, wird unsere Hochzeit sein, heißt es, wenn ich recht gehört habe, in dem einen Film. Der junge Musiker kann die Tochter des Schullehrers nicht heiraten, weil der Gutsherr sonst zürnen würde, der sie selbst liebt und heiratet. Als dieser aber merkt, daß sein Kind in Wirklichkeit das Kind des Musikers ist, setzt er sich, berühmter Rennreiter, der er ist, zu Pferde und beteiligt sich am Hindernisrennen, obwohl der Arzt dem Kriegsverletzten wegen eines zum Herzen wandernden Granatsplitters das Reiten verboten hat. Willy Birgel siegt natürlich und fällt ebenso natürlich nach dem Siege tot vom Pferde. Er reitet also diesmal für Deutschland, indem er für seine Kaste reitet, um ihren Edelmut zu beweisen und ihre wahre Ritterlichkeit. Als der Regisseur Alfred Braun vor 20 Jahren im Berliner Rundfunk die bisher einzige Aufführung von Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ inszenierte, hätte er kaum gedacht, daß er einmal diese Abendglocken läuten würde. Den Verleger des jungen Komponisten gibt Aribert Wäscher. Wer hätte angenommen, daß er einen so schlechten musikalischen Geschmack hätte und solche „Schlager“ verlegen würde!

In „Grün ist die Heide“ heißt der Held nicht Willy Birgel, sondern Hans Stüwe. Er ist nicht Rennreiter, sondern Wilderer. Weil er seinen Wald in Schlesien „verloren“ hat, schießt er Hirsche am Rande der Lüneburger Heide. Ein junger Förster kommt auf seine Spur, aber Wilderers Töchterlein tritt ihm entgegen. Die Liebe lenkt ab. Vater verspricht, das Gewehr nicht mehr anzurühren, und als ein Polizist erschossen wird, entdeckt der Gebesserte, wie jemand ein Reh in der Schlinge abwürgt. Es ist der Raubtierwärter eines Wanderzirkus, der Wildbret als Pferdefleisch für seine Löwen und Tiger ausgibt. Damit auch Lönslieder gesungen werden können, ziehen drei lustige Gesellen durch die Heide, und ein Schützenfest ist da, damit auch schlesische Lieder gesungen werden können. Und der Film ist ein Farbfilm, damit die Heide auch wirklich grün ist.

In Gorkis Schauspiel „Jegor Bulytschow und die Anderen“ gibt es einen Trompetenbläser und einen „heiligen“ Narren, die mit ihrem Hokuspokus Krankheiten zu heilen vorgeben. Was ist dieser Wilderer aus Sentimentalität anderes als eine solche grausig-groteske Figur des Aberglaubens und des Untergangs?! Hier aber wird sie positiv gezeichnet. Und der Film wird in Dutzenden von Westberliner Kinos gleichzeitig gespielt, während man vergeblich nach de Sicà’s „Schuhputzern“ sucht.

Ein solcher Film ist eine Herausforderung und eine Beleidigung jeden echten Gefühls. Die seelischen Leiden eines Jägers, der aus „Heimatliebe“ zum Wilderer wird – statt das schwere Schicksal der Umsiedler im Westen und die Arbeitslosigkeit realistisch darzustellen! Weiter geht es kaum. Es tat einem leid um Margarete Hagen, die eine „Ahnfrau“ spielte. Alle andern schienen sich wohl zu fühlen. Auch der Regisseur Hans Deppe.

Quelle: Herbert Ihering, „Der gefährliche Kitsch: Bemerkungen zu zwei Filmen“, Berliner Zeitung, Nr. 39, 15. Februar 1952.