Kurzbeschreibung

Willi Forst, der Regisseur des umstrittenen Films Die Sünderin von 1951, erklärte den Film zu einer Innovation sowohl für seinen persönlichen Filmstil als auch für die Institution des deutschen Kinos. Forsts Darstellung eines deutschen Realismus, der auf den Erfahrungen der Nachkriegszeit basierte, war eine Absage an den UFA-Stil des eskapistischen Films, der während der NS-Zeit geherrscht hatte. Forst hatte während des Nationalsozialismus selbst Musicals für die UFA inszeniert. Für ihn war Die Sünderin ein Werk, in das er Blut, Schweiß und Tränen investierte und das er sowohl persönlich als auch beruflich für sehr wichtig hielt. Diese Rezension ist weitaus sympathischer als die meisten anderen und versucht, den Lesern Forsts Beweggründe für einen Film zu erklären, der gleich mehrere Tabus brach.

Der Regisseur Willi Forst und die Produktion des Films Die Sünderin (1951)

Quelle

Sünderin: Achtzig Meter lang gestorben

„Laster und Liebe, Schuld und Sühne“, formulierte werbetüchtig Pressechef Ritter vom Herzog-Verleih. Einen Superlativ setzte er noch oben drauf: „Der ungewöhnlichste Film des Jahres“.

Zur Rede stand: „Die Sünderin“, Willi Forsts erster Film nach sechs regiefernen Jahren. Am Donnerstag ist Premiere, knapp ein Jahr, nachdem Forst anfing, in drei Reichenhaller Arbeitsmonaten zusammen mit Gerhard Menzel seine Geschichte von der Sünderin Marina ins Reine des Drehbuchs zu schreiben.

Danach verhandelte er in Sachen „Sünderin“ in München herum. Die Finanzierung machte ihn kopfscheu. Answald Krüger, Dramaturg der jungen Film-Union, hörte gerüchtweise von den Forstschen Verstimmungen („Sieben Drehbücher wollen sie haben, und dann soll es noch sechs, sieben Monate dauern!“) 24 Stunden später lag das Finanzfundament.

Günther Matern, kaufmännischer Direktor von Rolf Meyers JFU, sah sich im Drehbuch um und griff sofort zu. Nicht ohne mit Köpfchen, Köpfchen die Münchner Kalkulation von 1,5 Millionen auf etwas mehr als die Hälfte gedrückt zu haben. Und man ist damit auch ausgekommen.

Die Finanzierung ging glatt auf: mit dem größten Anteil stieg der Herzog-Verleih ein, den Rest besorgten JFU und die österreichische „Styria“. Der Name Willy Forst zog wie ein gutgehender, eingeführter Markenname. Forst bekam seine 50 000 für die Regie und 50 Prozent Gewinnbeteiligung und dazu 10 000 DM extra zugesprochen.

Forst hielt sich in den Bendestorfer JFU- Ateliers strikt an den Drehfahrplan und die Kalkulation. „Die hielten mich für einen Starregisseur mit Diva-Allüren. 11 Uhr Drehbeginn und intensivem Nebenleben“, erinnert er sich vergnügt. Statt dessen probte er nachts für den nächsten Tag voraus und absolvierte täglich zwanzig Einstellungen.

Und das alles sehr leise. Er bekam nicht einmal Zustände, als der im Atelier hergerichtete Teich auslief und die Aufnahmen sich verzögerten. Die sanften Umgangsformen des Regisseurs Forst bewirkten selbst bei einem so lebhaften Mann wie Gustav Fröhlich, daß er auch privat wie auf Samt ging. Außerdem hatte Hauptdarsteller Fröhlich für seine Rolle unnachsichtlich magerer werden müssen.

Außer Hildegard Knef und Fröhlich holte Forst sich keine geläufigen Filmgesichter vor die Kamera. Der Grund: „Das hält ja keiner mehr aus! Wenn der Florath kommt, weiß man, jetzt wird’s gemütlich, beim Oskar Sima wird‘s schurkig-geschäftig, und mit Schafheitlin kommt fast immer die Kriminalpolizei.“

Auch in „Die Sünderin“ treten in einer Episode zwei Geheimpolizisten auf. Den einen ließ Forst von einem kaufmännischen Angestellten der Jungen Film-Union spielen. Der sah gerade so unschauspielerisch „bonhomme“ aus und gab sich auch so, wie Forst es schon im Drehbuch verlangt hatte.

Der Film hatte ursprünglich nicht „Die Sünderin“ heißen, sondern den weit weniger an- und aufregenden Titel „Monolog“ haben sollen. Weil er einer ist: Eine Frau – Marina: Hildegard Knef – erzählt, was sich auf der Leinwand abspielt, ihr Leben, mit ein paar „echten“ Dialogstellen dazwischen „Film der lauten Gedanken“ nennt Forst das.

Er hatte so etwas schon vor Jahren vor, und die Idee ließ ihn nicht los – „obwohl mittlerweile das Kommentieren und die innere Stimme zur Filmlandplage geworden sind“.

Was Forst seine Sünderin Marina erzählen läßt – einmal die Handlung reportierend, zum andern Gefühlen und Gedanken nachhängend – ist eine Filmstory, die dem Kino gibt, was des Kinos ist. Reichlich.

Marina beginnt als Tochter aus solidem Haus, aber sie kommt früh vom Weg ab, als die zerwühlende Zeit alle Bande der Familie lockert. Vom Stiefvater, der eben seine gewinnbringend abseits gehende Frau hinausgeohrfeigt hat, wird Marina, eindeutig ertappt, aus dem Haus gewiesen. Kaltherzig macht sie aus sich selbst ein Geschäft. Bis sie in schimmernder Bar Alexander begegnet. Die große Liebe.

Alexander ist Maler, er weiß, ein wachsender Tumor im Gehirn wird ihn blind machen und qualvoll töten, er betäubt seine Angst alkoholisch. Marina bringt sein und ihr Leben in Ordnung. Nur einmal noch wird sie wieder „Sünderin“, als Alexander, von Sehstörungen befallen, verzweifelt. Um ihm Mut zu machen, will sie eines seiner mißratenen Bilder verkaufen. Sie wird es nur los, als sie selbst sich mitverkauft.

Sie ist dazu noch einmal bereit, um einen Arzt zu bewegen, daß er Alexander operiert. Der Arzt erweist sich als edler Mensch, er operiert ohne Marinas Opfer. Alexander wird geheilt, wird berühmt, er und Marina haben eine glückliche Zeit.

Dann das Ende: Alexander erblindet, beide wissen, er wird bald unter furchtbaren Schmerzen sterben, Marina schüttet die tödliche Dosis des sorglich gehüteten Veronals in zwei Gläser Sekt.

Das tragen Forst und Menzel nicht in chronologischer Folge vor. Sie haben daraus ein raffiniert verschlungenes Gewebe von Imperfekt und Plusquamperfekt gemacht. Sie lassen die Geschichte kurz vor dem Ende beginnen und blenden dann in die Vergangenheit und daraus wieder in die Vorvergangenheit zurück.

Forst hat sich schriftlich geäußert über das, worauf es mit der nicht zimperlichen Filmstory hintergründig hinaus soll: „Das Schicksal Marinas appelliert an unser Herz. Das Hohelied einer Frau beweist uns durch die alles überstrahlende Kraft der Liebe, daß es dicht neben Schmutz und Finsternis auch Reinheit, Helligkeit und Schönheit geben kann“.

Um dies auch denen deutlich zu machen, die es womöglich übersähen, war ursprünglich eine kurze Rahmenhandlung geplant mit dem Tenor: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie! Dreimal wurde die Szene neu gefaßt und neu geschrieben. Schließlich ließ man sie fallen.

Es klebt überhaupt viel Schweiß an der „Sünderin“. Noch zuletzt wandte Forst vier Wochen hektischen Nachsynchronisierens, Dialogtrimmens, Herausschneidens an den Film.

Am Tonband mußten Worte weggewischt werden, der Text mußte gestrafft werden. Hildegard Knef synchronisierte ihre Sünderinnen-Erinnerungen tagelang nach.

In einer Barszene wurde der Name einer Drehbuchfigur geändert. Es handelt sich um einen Herrn, einen alten Bekannten Marinas, den sie um einige tausend Mark für Alexanders Operation angeht. Der Herr, zuerst sehr entgegenkommend, zeigt sich angesichts der hohen Summe alsbald befremdet und uninteressiert. Dieser Herr hieß im Drehbuch anfangs Baumgartner. Er wurde umgetauft, mit Rücksicht auf das MdB dieses Namens.

Die Schluß- und Sterbeszene erwies sich als zu ausführlich. Marina und Alexander starben achtzig Meter lang. Das wurde auf 46 Meter zurückgeschnitten.

Ganz herausgenommen wurde die Szene, in der Alexander von Marina das Veronal verlangt, das sie vor ihm in Sicherheit gebracht hat. „Er würgt Marina, seiner Sinne nicht mehr mächtig“ steht im Drehbuch. „Zu brutal“, sagten die Herren vom Verleih. Sie hatten, als sie den Film zuerst ohne Ton und in ganzer Länge gesehen hatten, allerhand zu sagen.

Günther Matern ist, nachdem er die endgültige Fassung gesehen hat, zuversichtlich. Er hat Erich Pommer die 1250 Dollar, die er für Hildegard Knefs Flugpassage auslegte, schon aus einem „Sünderin“-Vorschuß auf Schweizer Franken zurückzahlen können. Nach Finnland hat er „Die Sünderin“ für 7000 Dollar verkauft. Mit anderen ausländischen Anschlüssen soll noch gewartet werden, der erwartete deutsche Erfolg soll sich erst freundlich auswirken.

„Forst-Filme waren immer noch internationale Geschäfte“, freut Matern sich. Forst dämpft: „Abwarten“. Doch ganz pessimistisch ist er nicht. „Bei der Todesszene hat’s mich selber gewürgt. In meinem eigenen Film – ich bin mir saublöd vorgekommen.“

Das Verdienst daran schreibt er bescheidenerweise dem Komponisten Theo Mackeben zu.

Quelle: „Sünderin – Achtzig Meter lang gestorben“, Der Spiegel, 17. Januar 1951, S. 27. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29191907.html.