Kurzbeschreibung

Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 ist im Erziehungs- und Schulbereich deutlich reformorientierter als die süddeutschen Verfassungen. Die Verfassung bekräftigt das Recht auf Bildung für alle Bürger, läßt Spielraum für weitergehende Veränderungen der traditionellen Gliederung des Schulwesens und schafft den evangelischen und katholischen Religionsunterricht als reguläres Lehrfach an den Schulen ab. Darüber hinaus werden eine Reihe staatlicher Erziehungsziele definiert und das Erziehungsrecht der Eltern indirekt eingeschränkt.

Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (21. Oktober 1947)

Quelle

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Zweiter Hauptteil. Ordnung des sozialen Lebens

1. Abschnitt. Die Familie

Art. 21. [Ehe und Familie] Ehe und Familie bilden die Grundlage des Gemeinschaftslebens und haben darum Anspruch auf den Schutz und die Förderung des Staates.

Art. 22. [Gleichberechtigung] Mann und Frau haben in der Ehe grundsätzlich die gleichen bürgerlichen Rechte und Pflichten.

Die häusliche Arbeit der Frau wird der Berufsarbeit des Mannes gleichgeachtet.

Art. 23. [Erziehungsrecht] Die Eltern haben das Recht und die Pflicht, ihre Kinder zu aufrechten und lebenstüchtigen Menschen zu erziehen. Staat und Gemeinde leisten ihnen hierbei die nötige Hilfe.

In persönlichen Erziehungsfragen ist der Wille der Eltern maßgebend.

Das Erziehungsrecht kann den Eltern nur durch Richterspruch nach Maßgabe des Gesetzes entzogen werden.

Art. 24. [Gleichstellung unehelicher Kinder] Eheliche und uneheliche Kinder haben den gleichen Anspruch auf Förderung und werden im beruflichen öffentlichen Leben gleich behandelt.

Art. 25. [Schutz der Jugend] Es ist Aufgabe des Staates, die Jugend vor Ausbeutung und vor körperlicher, geistiger und sittlicher Verwahrlosung zu schützen.

Fürsorgemaßnahmen, die auf Zwang beruhen, bedürfen der gesetzlichen Grundlage.

2. Abschnitt. Erziehung und Unterricht

Art. 26. [Erziehungsziele] Die Erziehung und Bildung der Jugend hat im wesentlichen folgende Aufgaben:

1. Die Erziehung zu einer Gemeinschaftsgesinnung, die auf der Achtung vor der Würde jedes Menschen und auf dem Willen zu sozialer Gerechtigkeit und politischer Verantwortung beruht, zur Sachlichkeit und Duldsamkeit gegenüber den Meinungen anderer führt und zur friedlichen Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Völkern aufruft.

2. Die Erziehung zu einem Arbeitswillen, der sich dem allgemeinen Wohl einordnet, sowie die Ausrüstung mit den für den Eintritt ins Berufsleben erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten.

3. Die Erziehung zum eigenen Denken, zur Achtung vor der Wahrheit, zum Mut, sie zu bekennen und das als richtig und notwendig Erkannte zu tun.

4. Die Erziehung zur Teilnahme am kulturellen Leben des eigenen Volkes und fremder Völker.

5. Die Erziehung zum Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

Art. 27. [Recht und Bildung] Jeder hat nach Maßgabe seiner Begabung das gleiche Recht auf Bildung.

Dies Recht wird durch öffentliche Einrichtungen gesichert.

Art. 28. [Staatliche Schulaufsicht] Das Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

Art. 29. [Privatschulen] Privatschulen können auf Grund staatlicher Genehmigung errichtet und unter Beobachtung der vom Gesetz gestellten Bedingungen betrieben werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz unter Berücksichtigung des Willens der Erziehungsberechtigten.

Art. 30. [Schulpflicht] Es besteht allgemeine Schulpflicht.

Das Nähere bestimmt das Gesetz.

Art. 31. [Lehr- und Lernmittelfreiheit, Begabtenförderung] Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten.

Der Unterricht ist an allen öffentlichen Schulen unentgeltlich.

Lehr- und Lernmittel werden unentgeltlich bereitgestellt.

Minderbemittelten ist bei entsprechender Begabung der über die allgemeine Schulpflicht hinausgehende Besuch der Höheren Schule, der Fachschule oder der Hochschule durch Beihilfen und andere Maßnahmen zu ermöglichen. Das Nähere regelt das Gesetz.

Art. 32. [Gemeinschaftsschulen, Religionsunterricht] Die allgemeinbildenden öffentlichen Schulen sind Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage.

Unterricht in Biblischer Geschichte wird nur von Lehrern erteilt, die sich dazu bereit erklärt haben. Über die Teilnahme der Kinder an diesem Unterricht entscheiden die Erziehungsberechtigten.

Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften haben das Recht, außerhalb der Schulzeit in ihrem Bekenntnis oder in ihrer Weltanschauung diejenigen Kinder zu unterweisen, deren Erziehungsberechtigte dies wünschen.

Art. 33. [Toleranzgebot] In allen Schulen herrscht der Grundsatz der Duldsamkeit. Der Lehrer hat in jedem Fall auf die religiösen und weltanschaulichen Empfindungen aller Schüler Rücksicht zu nehmen.

Art. 34. [Hochschulen] Die Hochschulen sind in der Regel staatlich. Sie können auch in Gemeinschaft mit anderen Ländern oder als Zweig einer Hochschule eines anderen Landes errichtet und unterhalten werden.

Art. 35. [Erwachsenenbildung] Allen Erwachsenen ist durch öffentliche Einrichtungen die Möglichkeit der Weiterbildung zu geben.

Art. 36. [Jugendorganisationen] Der Staat gewährt den Jugendorganisationen Schutz und Förderung.

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Quelle: Christian Pestalozza, Hrsg., Verfassungen der Deutschen Bundesländer. Gesetze über die Landesverfassungsgerichte, Grundgesetze. München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1988, S. 151–58.