Quelle
Der Anteil der erwerbstätigen Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten nimmt ständig zu. Er ist von 28,5 Prozent im September 1948 auf heute 34 Prozent gestiegen. Gleichfalls hat sich der Anteil der verheirateten Frau unter den Beschäftigten erhöht.
Hervorgerufen wurde diese Entwicklung durch die laufend wachsende Nachfrage der Wirtschaft nach weiteren Arbeitskräften. Nachdem die Männer im erwerbsfähigen Alter schon fast hundertprozentig beschäftigt sind, wendet man sich heute in erster Linie an Frauen, und zwar an Hausfrauen und Mütter. Mit vielversprechenden Schilderungen über die betrieblichen Zustände werden solche Frauen angelockt.
Aus diesem Grunde sieht sich der DGB veranlaßt, zu den sozialen Problemen der berufstätigen Frau erneut Stellung zu nehmen. Die Hauptabteilung Frauen im DGB wird in Zusammenarbeit mit den Frauen-Sekretariaten der DGB-Landesbezirke in den kommenden Monaten 29 zentrale gewerkschaftliche Frauentreffen im ganzen Bundesgebiet veranstalten.
Der DGB geht dabei von der Feststellung aus, daß
1. Frauenarbeit heute und in der Zukunft ein unentbehrlicher Faktor für die Wirtschaft ist und bleibt;
2. die Frauenarbeit also kein vorübergehender Zustand mehr ist;
3. trotz zunehmender Automation die Frau als Arbeitskraft gebraucht wird und
4. durch die Erhöhung des Lebensstandards und die Verlängerung der arbeitsfreien Zeit eine Ausweitung der Beschäftigung in den nicht produzierenden Bereichen vor sich geht (Handel, Dienstleistungen usw.), in denen schon immer ein hoher Anteil der Frauenarbeit vorhanden war.
Hinzu kommt, daß durch die allgemeine Wehrpflicht heute ein erheblicher Teil der arbeitsfähigen jungen Männer für ein Jahr dem Arbeitsleben entzogen wird. Frauen treten im Betrieb an ihre Stelle, und darüber hinaus werden bei der Bundeswehr selbst viele Frauen beschäftigt.
Änderungen im Lebenslauf der Frau
Andererseits muß nach gewerkschaftlicher Auffassung auch die sonst noch viel zu wenig beachtete Tatsache berücksichtigt werden, daß durch die längere Lebenserwartung entscheidende Änderungen im Lebensablauf der Frau eingetreten sind. Während um 1900 die mittlere Lebenserwartung bei 48 Jahren lag, beträgt sie heute 68 Jahre. Die Zeit, in der die Frau mit der Erziehung der Kinder ausgefüllt ist, macht daher nur etwa ein Drittel ihrer gesamten Lebensdauer aus. So steht jetzt allgemein nicht nur das heranwachsende Mädchen bis zur Eheschließung oder bis zur Geburt des Kindes im Erwerbsleben, sondern man findet häufig einen Wiedereintritt ins Berufsleben, wenn die Kinder herangewachsen sind, die Mutter sich nicht mehr ausgelastet fühlt und entsprechende Anreize zur Wiederaufnahme der Arbeit vorhanden sind.
Falsche Einschätzung der Frauen-Erwerbsarbeit
Aus den vorgenannten Tatsachen geht hervor, daß die Frauenerwerbsarbeit nicht nur vorübergehend ist. Die falsche Einschätzung der Frauenbeschäftigung als vorübergehender Zustand ist die Ursache für die bisher eindeutige Benachteiligung der Frau
a) bei der Berufsausbildung:
Diese Auffassung ist in zahlreichen Fällen der Anlaß, warum Mädchen keine oder nur eine unzureichende Berufsausbildung erhalten, obwohl geistige Voraussetzungen für die qualifizierte Berufsausbildung vorliegen;
b) bei der Entlohnung:
Ihr Arbeitsverdienst wird sehr oft nur als Zu-Verdienst angesehen und ist deshalb häufig die Ursache für die ungerechte und niedrigere Bezahlung der Frauenarbeit;
c) bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes:
Beim Bau von Maschinen und Arbeitsgeräten ist bisher die körperliche Konstitution der Frau zu wenig berücksichtigt worden.
Die Gewerkschaften fühlen sich verpflichtet, dafür zu sorgen, daß auch die Frauen den Arbeitsplatz bekommen, den sie sich auf Grund ihrer geistigen Fähigkeiten und handwerklichen Geschicklichkeiten verdienen, und zwar nicht nur in Notzeiten, nicht nur im Notdiensteinsatz und im Katastrophenfall. In diesen Zeiten haben Frauen immer bewiesen, daß sie dazu befähigt sind. Darum beanspruchen wir diese Plätze in normalen Zeiten und für die Dauer des gesamten Arbeitslebens.
Die soziale Situation der Familie
Für die allermeisten Frauen stellt sich allerdings nicht die Frage, ob sie arbeiten wollen. Sie müssen arbeiten und Geld verdienen,
a) weil sie allein stehen,
b) weil sie durch ein besonderes Schicksal der Ernährer ihrer Familien sind,
c) weil das Einkommen des Ehemannes nicht ausreicht,
d) weil die Kinder eine gute Berufsausbildung haben sollen.
Die Gewerkschaften bedauern, daß viele Mütter mit kleinen Kindern aus materieller Not gezwungen sind, zu arbeiten, weil die Betreuung der Kinder durch die Mütter nicht hoch genug bewertet werden kann.
Aber auch die Mütter selbst leiden darunter. Sie erleiden zudem durch doppelte Belastung oft auch gesundheitlichen Schaden. Leichtfertig werden solche Mütter von Außenstehenden abgeurteilt.
Bei einer solchen Verallgemeinerung ist an alleinstehende Mütter überhaupt nicht gedacht. Aber auch in vielen Familien sind die Mütter gezwungen, zum Lebensunterhalt beizutragen, da diese Familien einkommensmäßig auf der Stufe von Fürsorgeempfängern stehen. Die Ergebnisse einer Denkschrift des Bundesfamilienministeriums und einer Untersuchung der Hauptabteilung Frauen beim DGB sowie andere Erhebungen beweisen, daß es falsch ist, wenn so oft behauptet wird, die Frauen arbeiten, um sich Luxusgegenstände anzuschaffen.
Selbstverständlich arbeiten auch Frauen und Mütter in Betrieben und Büros, die nicht aus materieller Not dazu gezwungen werden. Immer sollte aber die persönliche Entscheidung respektiert werden. Kein Außenstehender kann beurteilen, warum eine Frau arbeitet. Es ist zweifellos sehr anerkennenswert, wenn Eltern um der Kinder willen auf viele Dinge, auf die sie auch ein Recht hätten, freiwillig verzichten. Es gibt aber auch Eltern, die, um ihren Kindern mehr geben zu können, beide arbeiten gehen. Sie dürfen deshalb nicht in der Öffentlichkeit diffamiert werden.
Andererseits wäre es wünschenswert, wenn in eindringlichster Weise von allen Organisationen und Institutionen ohne verletzende Äußerungen den Familien klargemacht würde, wie wertvoll die Mutter daheim für die Familie ist, und daß nur materielle Not Zwang sein dürfte, wenn Mütter mit kleinen Kindern einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß aber ebenso erwarten, daß alle diese Verbände und Institutionen, die sich für die Frau und die Familie verantwortlich fühlen, seine sozialpolitischen Forderungen unterstützen, damit nicht mehr die materielle Not der Anlaß für die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern ist.
Forderungen der Gewerkschaften zur Sicherstellung der Familien
Die Gewerkschaften haben für die Sicherstellung der Familien seit langem eine große Anzahl von Forderungen gestellt und bei ihren Verhandlungen auf allen Ebenen immer wieder versucht, diese Forderungen durchzusetzen. Sie fordern u. a.:
finanzielle Besserstellung der Familie durch ausreichende Löhne und Gehälter,
familiengerechte Wohnungen zu tragbaren Mieten,
Lehr- und Lernmittel-Freiheit,
ausreichendes Kindergeld,
Steuerbegünstigungen für Familien.
Sie fordern weiter:
Gleichstellung der Angestellten und Arbeiter
und eine Sozialpolitik, die den Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaates und insbesondere dem Artikel 6 des Grundgesetzes entspricht. Dazu gehört auch:
der allgemeine Schutz von Mutter und Kind,
der besondere Schutz der erwerbstätigen Mütter,
der Schwangeren und Wöchnerinnen durch ein fortschrittliches Mutterschutzgesetz,
eine echte Gesundheitsvorsorge für die Familien, die z. B. auch einen Rechtsanspruch auf Hauspflege gewährleistet,
eine kürzere Arbeitszeit, die dem arbeitenden Menschen mehr Freizeit zum Leben in und mit seiner Familie gewährt.
Diese kürzere Arbeitszeit ist auf Grund der technischen Entwicklung durchaus möglich und unter Berücksichtigung des außergewöhnlich hohen Kräfteverschleißes dringend erforderlich.
Die finanzielle Grundlage der Familie bedeutet sehr viel und entscheidet darüber,
ob von dem Einkommen des Vaters die ganze Familie leben kann, ob die Mütter bzw. die zukünftigen Mütter, wie sie es sich fast alle wünschen, daheim bei ihren Kindern bleiben können, ob die Familie es sich leisten kann, die Kinder etwas lernen zu lassen.
Dabei geht es den Gewerkschaften bei ihrem Kampf um Verbesserungen und Erleichterungen für den arbeitenden Menschen und seine Familie nicht nur um die materiellen Dinge und nicht nur um Tagesfragen. Mit der Schaffung der materiellen Voraussetzungen wollen sie auch Vorsorge treffen, daß der Einzelne und die Familie in der Lage sind, sich geistig so zu entfalten, wie es der Würde des Menschen entspricht.
Quelle: Presseerklärung von Maria Weber, Hauptabteilung Frauen im DGB, über die berufstätige Frau und die soziale Situation der Familie (30. August 1960), in Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen, Nr. 8 (1960), S. 6–9; abgedruckt in Klaus–Jörg Ruhl, Hrsg., Frauen in der Nachkriegszeit 1945–1963. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1988, S. 219–23.