Quelle
/Unmittelbarer als die Notwendigkeit des Wiederaufbaus der
politischen Struktur Deutschlands war die des Wiederaufbaus der
Wirtschaft, beginnend mit dem Verkehrssystem. Denn das deutsche
Schienennetz verbindet nicht nur Deutschland, sondern den größten Teil
Europas. Trotz des Mangels an Material und Arbeitskräften wurden große
Fortschritte erzielt.
/Mit dem Wiederaufbau von Industrien haben
die Deutschen begonnen, sich selbst mit Arbeitsplätzen zu versorgen und
auch mit einigen benötigten Gütern, die sonst von den Vereinigten
Staaten geliefert werden müssten.
/Im Jahre 1947 konzentrierte sich
ein Großteil der langsam wieder auflebenden Industrie in der
amerikanischen Zone auf die Herstellung von Exportgütern, was von der
amerikanischen Militärregierung voll unterstützt wurde. Denn nur durch
den Aufbau des Exports deutscher Konsumgüter im großen Stil kann sich
Deutschland von den Hilfsmaßnahmen befreien und seinen Teil zur
europäischen Wirtschaft beitragen.
/Was auch immer die Amerikaner
erreichen können, so liegt das Problem der wirtschaftlichen
Wiederherstellung Deutschlands im Kern in der britischen Zone. Denn in
dieser Zone mit ihrer hohen Bevölkerungsdichte befindet sich das am
stärksten konzentrierte Industriezentrum der Welt, das Ruhrgebiet,
dessen Kohle- und Stahlproduktion für die Wirtschaft nicht nur
Deutschlands, sondern auch des größten Teils Europas grundlegend
ist.
/Das große Krupp-Munitionswerk in Essen, Hauptproduzent von
Rüstungsgütern für die Nazis, ist nicht mehr zu retten. Aber dieses Werk
ist eine Ausnahme. 75 Prozent der Industriebetriebe im Ruhrgebiet haben
den Krieg überlebt, und viele von ihnen sind heute unter britischer
Aufsicht in Betrieb, auch wenn ihre Produktion nur noch einen Bruchteil
der früheren Leistung ausmacht.
/Für die Eisen- und
Stahlproduktion, den Transport und die Stromerzeugung ist Kohle
erforderlich, und Großbritannien war nicht in der Lage, die Produktion
von Ruhrkohle zu steigern, um den Bedarf zu decken. In einem normalen
Friedensjahr produzierte das Ruhrgebiet 128 Millionen Tonnen, von denen
etwa 30 Millionen für den Export bestimmt waren. Im Jahr 1946 betrug die
Produktion weniger als die Hälfte, wovon 20 Prozent nach Frankreich und
in die Niederlande gingen, so dass die Versorgung in Deutschland völlig
unzureichend war. Die geringe Kohleförderung im Ruhrgebiet ist vor allem
ein Problem der mangelnden Arbeitskraft. Die Zechen werden heute vor
allem von jungen und ungelernten oder alten und müden Arbeitern
betrieben. Die meisten anderen sind im Krieg gefallen oder in
Gefangenschaft geraten, während eine große Zahl erfahrener Vorarbeiter
als Nazis disqualifiziert wurde.
/Die Menge, welche die Bergleute
produzieren können, wird durch Unterernährung vermindert, was zu
Krankheit und Abwesenheit führt und ihre Leistungsfähigkeit während der
Arbeit verringert. Denn obwohl den Bergleuten eine erhöhte Ration aus
den mageren Lebensmittelvorräten Großbritanniens zugeteilt wurde, teilen
die Männer diese nur allzu oft mit ihren Familien, anstatt selbst davon
zu profitieren.
/Die Vollzeitbeschäftigung der Bergleute ist ein
weiteres großes Problem. Ein paar Tage Arbeit pro Woche reichen aus, um
die ihnen zustehende Wochenration zu kaufen. Viele andere Tage
verbringen sie damit, auf Bauernhöfen außerhalb der Städte nach
zusätzlichen Lebensmitteln zu suchen, wo sie Seife oder andere Dinge
eintauschen, die sie entbehren können.
/Durch den Mangel an einigen
lebenswichtigen Gütern ist der Aufschwung in Deutschland daher stark
verzögert worden.
Quelle: „March of Time“, Vol. 13 No. 6, 1948. National Archives and Records Administration. NAID: 23820