Kurzbeschreibung

Das Petersberger Abkommen zwischen der westdeutschen Bundesregierung und den drei alliierten Hohen Kommissaren vom 22. November 1949 ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur mehr internationalem Handlungsspielraum für die Bundesrepublik. (Das Abkommen wurde im Hotel Petersberg unterzeichnet, dem damaligen Sitz der alliierten Hohen Kommission.) Es ermöglicht der Bundesrepublik bereits im November 1949 den Beitritt zum Europarat, zur Internationalen Ruhrbehörde und die Einbeziehung in das amerikanische Wiederaufbauprogramm für die europäische Wirtschaft (Marshall-Plan). Außerdem können Konsular- und Handelsbeziehungen wieder aufgenommen werden, die Demontage der Schwerindustrie wird weitgehend beendet, und Beschränkungen im Schiffbau werden gelockert. Dagegen wird an der Entmilitarisierung Westdeutschlands noch ausdrücklich festgehalten, obwohl angesichts der Explosion der ersten sowjetischen Atombombe im Sommer 1949 bereits Diskussionen über einen deutschen Verteidigungsbeitrag aufkommen.

Petersberger Abkommen (22. November 1949)

Quelle

Protokoll über die Abkommen, die zwischen den allierten Hochkommissaren und dem Bundeskanzler der Deutschen Bundesrepublik am 22. November auf dem Petersberg getroffen wurden.

An der Konferenz der drei Außenminister in Paris vom 9. und 10. November wurden die Hochkommissare Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten ermächtigt, mit dem Bundeskanzler über die Schreiben zu diskutieren, die dieser in der Demontierungsfrage im Hinblick auf eine endgültige Regelung dieses Problems an sie gerichtet hatte. Die Weisungen an die Hochkommissare umfaßten auch ein weiteres Gebiet und verlangten von ihnen, mit dem Bundeskanzler andere Punkte zu prüfen, die in eine allgemeine Bereinigung eingeschlossen werden sollten. Dementsprechend fanden am 15., 17. und 22. November auf dem Petersberg Besprechungen statt.

Die Diskussionen waren durchweg von dem Wunsche und der Entschlossenheit beider Parteien belebt, daß sich ihre Beziehungen stufenweise auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens entwickeln möchten. Inzwischen besteht ihr primäres Ziel in der Eingliederung der Bundesrepublik als eines friedlichen Mitgliedes der europäischen Gemeinschaft. Zu diesem Zwecke sollte der deutsche Anschluß an die Länder Westeuropas auf allen Gebieten beharrlich verfolgt werden, und zwar durch Deutschlands Beitritt zu den dafür in Frage kommenden internationalen Organen und den Austausch von Handels- und Konsularvertretungen mit anderen Ländern. Sowohl die Hochkommissare als auch der Bundeskanzler vertreten die Auffassung, daß der Fortschritt auf dieses Ziel hin abhängen muß von der Schaffung eines echten Gefühls der Sicherheit in Westeuropa. In allen diesen Angelegenheiten suchten sie eine Gemeinsamkeit von Gedanken und Absichten zu finden. Insbesondere haben sie sich über folgendes geeinigt:

1. Die Hochkommission und die Bundesregierung sind sich darin einig, daß die Beteiligung Deutschlands an allen jenen internationalen Organisationen herbeigeführt werden soll, durch welche die Erfahrung Deutschlands und dessen Unterstützung zum allgemeinen Wohlergehen beitragen können. Sie sprechen ihre Befriedigung über die in dieser Richtung bereits unternommenen Schritte aus, einschließlich der deutschen Beteiligung an der Ständigen Organisation für europäische Wirtschaftszusammenarbeit. Sie stellen den auf beiden Seiten ausgesprochenen Wunsch fest, daß die Bundesrepublik bald als eine „membre associé“ in den Europarat aufgenommen und daß ein bilaterales Abkommen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Marshall-Hilfe unterzeichnet werden sollte.

2. Die Bundesregierung, in Erwägung der Wünschbarkeit der möglichst engen Mitarbeit Deutschlands bei der Wiederaufrichtung der westeuropäischen Wirtschaft, erklärt ihre Absicht, das Gesuch um die Mitgliedschaft bei der internationalen Ruhrbehörde zu stellen, in welcher die Bundesregierung gegenwärtig nur durch einen Beobachter vertreten ist. Dabei gilt zwischen beiden Parteien, daß der Beitritt Deutschlands keinerlei besonderen Bedingungen gemäß Artikel 31 des Abkommens über die Errichtung der Ruhrbehörde unterliegt.

3. Die Bundesregierung bekundet ferner ihre ernste Entschlossenheit, die Entmilitarisierung des Bundesgebietes aufrechtzuerhalten und sich mit allen Mitteln, die in ihrer Macht stehen, zu bestreben, daß die Wiederaufstellung bewaffneter Streitkräfte jeder Art verhütet wird. Zu diesem Zwecke wird die Bundesregierung ganz mit der Hochkommission bei den Arbeiten des militärischen Sicherheitsamtes zusammenarbeiten.

4. Es ist ferner vereinbart worden, daß die Bundesregierung nun die stufenweise Wiedererrichtung von Konsular- und Handelsbeziehungen mit jenen Ländern in die Wege leiten soll, mit denen derartige Beziehungen als vorteilhaft erscheinen.

5. Die Bundesregierung bekräftigt ihren Entschluß, als freigewähltes demokratisches Organ vorbehaltlos die Grundsätze der Freiheit, der Toleranz und der Menschlichkeit zu befolgen, welche die Nationen Westeuropas vereinigen, und ihre Angelegenheiten entsprechend zu führen. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, alle Spuren des Nazismus aus dem deutschen Leben und den deutschen Einrichtungen auszurotten und der Wiedererstehung eines Totalitarismus in dieser oder jener Form vorzubeugen. Sie wird danach trachten, die Regierungsstruktur zu liberalisieren und autoritäre Tendenzen auszuschalten.

6. Auf dem Gebiet der Dekartellisierung und monopolistischer Praktiken wird die Bundesregierung gesetzgeberische Schritte vornehmen, entsprechend den Beschlüssen, wie sie von der Hochkommission in Übereinstimmung mit Artikel 2 (b) des Besatzungsstatuts gefaßt worden sind.

7. Die Hochkommission hat dem Bundeskanzler die Bestimmungen eines Abkommens bekanntgegeben, das von den Drei Mächten über die Lockerung der gegenwärtigen Beschränkungen gegenüber dem deutschen Schiffbau getroffen wurde.

Die nun vereinbarten Hauptbestimmungen sind folgende:

Der Bau von Ozeanschiffen, ausschließlich jener ursprünglich für Passagierverkehr bestimmten, sowie von Tankschiffen bis zu 7200 Tonnen, Fischerbooten bis zu 650 Tonnen und Küstenschiffen bis zu 2700 Tonnen bei nicht größerer Durchschnittsgeschwindigkeit als 12 Knoten kann aufgenommen werden. Die Zahl derartiger Schiffe, die zu bauen sind, soll nicht beschränkt werden.

Die Bundesregierung kann mit Zustimmung der Hochkommission vor dem 31. Dezember 1950 sechs Schiffe erwerben oder bauen, die über die Beschränkungen in bezug auf Wasserverdrängung und Geschwindigkeit hinausgehen. Weitere Einzelheiten über diesen Punkt wurden dem Bundeskanzler mitgeteilt.

Der Bundeskanzler warf die Frage des Baues und der Reparatur von Schiffen in deutschen Werften für den Export auf. Die Hochkommissare erwiderten ihm, daß diese Angelegenheit vom Sachverständigenausschuß nicht diskutiert worden sei und daß sie daher nicht in der Lage seien, ihm einen endgültigen Entscheid hierüber bekanntzugeben. Indessen werden sie deutsche Werften inzwischen ermächtigen, für den Export Schiffe der Typen und innerhalb der Grenzen und der Zahl, wie sie für die deutsche Wirtschaft anwendbar sind, herzustellen. Die Reparatur ausländischer Schiffe ist ohne Einschränkung zugelassen.

8. In der Demontierungsfrage hat die Hochkommission die gegenwärtige Lage im Lichte der Zusicherungen der Bundesregierung wiedererwogen und der folgenden Änderung des Programms zugestimmt. Die folgenden Werke werden von der Reparationenliste ausgenommen und die Demontierung ihrer Ausrüstung wird hiermit eingestellt:

a) Fabriken für synthetisches Öl und Kunstgummi:

Farbenfabriken Bayer, Leverkusen; Chemische Werke Hüls (ausgenommen für gewisse Forschungen, da die Ausrüstung dieser Werke ein wichtiges Sicherheitselement enthält); Gelsenberg Benzin AG.; Hydrierwerke Scholven AG.; Ruhröl Bottrop; Ruhrchemie AG.; Gewerkschaft Victor, Krupp Treibstoff G.m.b.H., Steinkohlenbergwerke, Dortmunder Paraffin; Nazener Steinkohle AG.

b) Stahlwerke:

August-Thyssen-Hütte, Duisburg-Hamborn; Hüttenwerke Siegerland, Charlottenhütte; Deutsche Edelstahlwerke, Krefeld; August-Thyssen-Hütte; Niederrhein-Hütte; Kloeckner-Werke, Düsseldorf; Ruhrstahl AG. Heinrichshütte, Hattingen; Bochumer Verein Gußstahlwerke, Bochum. Hingegen werden jene elektrischen Schmelzöfen, die für das Funktionieren der Werke nicht lebenswichtig sind, weiterhin demontiert oder zerstört.

c) Eine weitere Demontierung der IG. Farbenwerke in Ludwigshafen wird nicht erfolgen, außer für die Entfernung der Ausrüstung für die Herstellung von synthetischem Ammoniak und Methanol bis zu dem im Reparationsprogramm vorgesehenen Ausmaße. Alle Demontierungen in Berlin werden eingestellt, und die Arbeit in den betroffenen Werken wird wieder ermöglicht werden. Es ist vereinbart, daß die bereits demontierte Ausrüstung, ausgenommen im Falle von Berlin, dem IARA zur Verfügung gestellt wird. Die gegenwärtige Änderung der Reparationenliste wird die bestehenden Verbote und Einschränkungen bei der Produktion gewisser Materialien nicht berühren. Demontierte Fabriken können nur mit Erlaubnis des militärischen Sicherheitsamtes wieder aufgebaut oder wieder ausgerüstet werden; jene Werke, in denen die Demontierung eingestellt worden ist, werden einer geeigneten Kontrolle unterstellt, um zu gewährleisten, daß die Stahlproduktionsbeschränkung (11,1 Millionen Tonnen im Jahre) nicht überschritten wird.

9. Die Frage der Beendigung des Kriegszustandes wurde diskutiert. Obgleich diese Beendigung als Konsequenz dieses Protokolls betrachtet werden kann, bietet sie beträchtliche gesetzliche und praktische Schwierigkeiten, die geprüft werden müssen.

10. Die Hochkommissare und der Bundeskanzler haben dieses Protokoll unterzeichnet in der gemeinsamen Entschlossenheit, die in der Präambel festgelegten Ziele zu verwirklichen, und in der Hoffnung, daß ihre Verständigung einen bemerkenswerten Beitrag zur Wiedereingliederung Deutschlands in eine friedliche und stabile europäische Völkergemeinschaft darstellen werde.

B. H. Robertson

A. François-Poncet K. Adenauer

J. J. McCloy

Quelle: Petersberger Abkommen (22. November 1949); abgedruckt in Heinrich von Siegler, Hrsg., Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961. Hauptband I, Chronik der Ereignisse von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Aufkündigung des Viermächtestatus Berlins durch die UdSSR im November 1958. Zweite ergänzte und erweiterte Auflage in drei Bänden. Siegler & Co, KG. Verlag für Zeitarchive: Bonn, Wien, Zürich, 1961, S. 92–94.