Kurzbeschreibung

Die Mörder sind unter uns war nicht nur der erste deutsche Film, der nach dem Zweiten Weltkrieg gedreht wurde, sondern auch der erste so genannte Trümmerfilm. Trümmerfilme zeigten die Probleme der europäischen Nachkriegsländer inmitten der Trümmer und Ruinen, die der Krieg in den europäischen Städten hinterlassen hatte. Das Berlin der Nachkriegszeit stellte in dieser Hinsicht eine Besonderheit dar: Viele Gebäude der Stadt waren mit Stahlrahmen erbaut worden, die trotz der Bombardierung stehen blieben; Trümmerfilme, die in Berlin spielten, nutzten die zerklüfteten Stahlrahmen, welche die Nachkriegslandschaft der Stadt prägten, als Kulisse. Die Filme nutzten die Trümmer der Nachkriegsstädte, um die tiefen psychologischen und physischen Zerstörungen darzustellen, welche den Städten und ihren Einwohnerinnen und Einwohnern zugefügt worden waren, und verbildlichten so die Psyche einer traumatisierten Nation.

Trümmerfilm: Die Mörder sind unter uns (17. Oktober 1946)

Quelle

Der Weg durch die Trümmer
Impressionen aus dem neuen deutschen Film

Die Kamera krallt sich fest an Trümmern, schafft erschreckend schöne Ruinenlandschaften. Sie krallt sich fest an zertrümmerten Schicksalen, schafft großartig düstere Seelenlandschaften. Die Elemente dieses Films sind nicht Licht und Schatten, sondern Schatten, deren lastende Schwärze durch die paar zaghaft matten Glanzlichter noch vertieft werden. Schlagschatten erschlagen immer wieder die aufglimmenden Hoffnungsschimmer.

Ungeheuer malerische Wirkungen entstehen. Der Treppenflur: Ein Schacht von gestuften Dunkelheiten. Das Menschengesicht: Ein Trümmerfeld von Hoffnungen. Abgründe klaffen hier und dort. Eine Hauswand stürzt ein – Erwartungen brechen zusammen. Wolken türmen sich über Ruinen – schwere Erinnerungen verfinstern ein Antlitz. Man stolpert, tastet, taumelt umher zwischen Bildern und Sinnbildern. Schatten werden zu bizarren Fratzen, zu Zerrbildern des Klatsches. Ein Kruzifix wird zum Gewehrständer entweiht. Manches erinnert an unheimliche Gerichte Goyas, die Kamera schafft düster bewegte Graphik: Kunst klagt an. Grimmige Satire fletscht die Zähne: Die Frühstücksstulle des gedanken- und gewissenlosen Spießers ist eingewickelt in einer Zeitung mit der furchtbaren Schlagzeile „Zwei Millionen Menschen vergast“. Und er läßt sichs schmecken, der Spießer! – Die schiefe Ebene, auf die die Menschen geraten sind, wird gelegentlich atembeklemmend betont durch die schräggestellte Kamera. Hart prallen Gegensätze aufeinander. Über ein Soldatengrab zwischen Trümmern rieselt eine fade Schlagermusik aus dem benachbarten Bumslokal, das Stöhnen eines todkranken Kindes wird überblendet vom Kreischen animierter Weiber.

Der Mann, der den Film „Die Mörder sind unter uns“ schuf, aus dem diese Impressionen stammen, gleicht dem Menschen, der da schwer durch die Handlung stapft. Er geht nichts aus dem Wege, er macht sich‘s nicht leicht, und geht nicht die bereits glattgetretenen Pfade. Dem auf Unterhaltung eingestellten Publikumsgeschmack macht er keine Zugeständnisse. Die Aufgabe ist ihm zu unerbittlich ernst, die ihm hier am ersten deutschen, antifaschistischen Film zufällt: Abzurechnen, wachzurütteln, aufzuräumen, Seelenschutt beiseite zu schaffen, und vor allem die neue deutsche Haltung zu dokumentieren. Sie ist groß, diese Aufgabe, und schwer.

Kein Wunder, daß Wolfgang Staudte der Atem etwas schwer dabei geht. Und daß auch die Handlung etwas annimmt von dem müden, schleppenden Gang der Hauptfiguren. (Es sei an die bereits in der gestrigen Nummer erfolgte Besprechung und Skizzierung des Inhalts erinnert. Es ist die Geschichte eines Arztes, der vom Kriege seelisch versehrt, seine furchtbaren Eindrücke durch Schnaps wegzuspülen sucht, bis ein junges Mädchen, das aus dem KZ heimkehrt, ihm mit ihrer behutsamen und beharrlichen Liebe allmählich dem Leben wiedergewinnt.)

Daß sich Wolfgang Staudte, der für Buch und Regie verantwortlich ist, nicht in allzu billigen Optimismus flüchtet, verdient besonderen Dank. Aber unter dem zwingenden Ernst der Aufgabe gerät ihm manches zu düster. Dabei entgehen ihm die schüchternen Sonnenblicke, die rührend zarten Idylle zwischen Trümmern, das tapfere Lächeln, das Kinderlachen, das derb aufmunternde Kraftwort, die fröhliche Unverschämtheit – alles Symptome echten Berlinertums.

Es war nicht nur Stöhnen und Tingeltangelmusik, die dieses Berlin nach der Kapitulation beherrschte. Zur Leitmelodie dieser Tage gehörte das beglückende Stakkato, das aus allen Winkeln und Trümmern hervorklang, das beharrlich über der ganzen Stadt lag, dieses unverzagte, unermüdliche Klopfen und Hämmern, und das Scheppern von Scherben, die beiseite geschafft wurden. In dem Film „Die Mörder sind unter uns“ ist nichts von diesen hellen Momenten des Wiederbeginnens. Die Hausbewohner klatschen nur oder warten und Sterben über diesem Warten. Und die Faust des Arztes krallt sich fast ständig um ein Schnapsglas oder den Revolver: die einzige Szene, da er aktiv wird, und einem röchelnden Kind mit dem Küchenmesser ein Stück Gasrohr als Kanüle einsetzt, ist nur quälend und ist übrigens auch medizinisch ein allzu beunruhigender, fragwürdiger Noteingriff.

Der Film läßt eigentlich ungeklärt, ob dieser Mann nun wirklich durch die schöne standhafte Liebe der Frau ernsthaft zurückgefunden hat, zu dem wichtigen Helferamt des Arztes. Denn leider wurde der entscheidende Auftritt durch Schnitte zerstört, in dem wir erfahren sollten, daß er eine eigene Praxis eröffnet. So läßt der Film manche Frage offen. Aber eine, und für uns die wichtigste Frage beantwortet er mit schöner Entschiedenheit: Daß die deutsche Filmkunst mit vielversprechender Besessenheit und hohem künstlerischem Ernst berechtigt und in der Lage ist, ihre friedliche Position zu beziehen, zu behaupten und auszubauen.

Quelle: Werner Fiedler, „Der Weg durch die Trümmer“, Neue Zeit, Nr. 244, 17. Oktober 1946, S. 27.