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Seit ich über den Nordwestdeutschen Rundfunk über einige Eheprobleme gesprochen habe, bekomme ich Briefe über Briefe mit den seltsamsten Fragen, mit Fragen, die niemand erschöpfend beantworten kann, der nicht den ganzen Lebenskreis des Fragenden kennt, und die doch beantwortet werden müßten, weil es allgemeine Fragen sind, gestellt von der allgemeinen Not. Direkte Antworten, erschöpfende Wegweisungen gibt es freilich nicht. Die muß sich jeder für sich in einem schweren Kampf mit dem Engel erringen. Aber es mag sein, daß wir durch die Betrachtung der einzelnen Fragen auf typische, verbindliche Situationen stoßen, aus denen heraus wenigstens eine gewisse Klärung und Erhellung möglich ist.
Da schreibt eine Frau aus dem Industriegebiet: Wir heirateten 1934. Mein Mann war Ingenieur in einer Flugmotorenfabrik, ein auf seinem Gebiet hochbegabter, in seine Arbeit verbissener Mann. Er verdiente gut. Wir hatten ein Häuschen im Sauerland, eine Autostunde von der Stadt, wir hatten ein Auto. Wir bekamen sehr bald zwei Kinder. Meinen Mann sah ich abends eine Stunde, wenn er todmüde von der Arbeit kam. Wenn er einmal früher kam, saß er die halbe Nacht an seinem Zeichentisch, brütete, und ich hörte ihn von meinem Bett aus mit sich reden und fluchen. Er war überhaupt ein harter Mann. Wenigstens sagten das seine Untergebenen, und seine Vorgesetzten liebten ihn nicht, weil er schroff seine Ansichten vertrat und jedem seine Meinung sagte, auch wenn er ihn nicht darum bat, ich selbst habe nicht unter seiner Schroffheit zu leiden gehabt. Gegen mich war er immer gleichmäßig nett. Nie allerdings herzlich, und zu den Kindern hatte er keine starke Bindung. Wie auch? Er sah sie ja kaum. Im Kriege wurde alles noch schlimmer. Er kam höchstens einmal wöchentlich heraus. Da er an geheimnisvollen Waffen arbeitete und außer seiner Arbeit nichts in seinem Leben vorkam, wurde er fast stumm. Ich weiß darum nicht, was für ein Streit in seinem Werk gewesen ist. Jedenfalls wurde er ganz plötzlich eingezogen, obwohl er völlig unentbehrlich war. Er kam als gedienter Mann sofort hinaus und fiel bald. Mein Leben änderte sich dadurch nur wenig. Das mag hart klingen. Aber es ist so. Wir hatten einiges erspart. Das Haus ist gut vermietet. Wir wohnen im Dachgeschoß, und ich habe eine Arbeit als Sekretärin in der Nachbarstadt. Es könnte alles gut sein. Aber da ist ein Mann aufgetaucht. Wieder ein sehr tüchtiger Mensch, ein Architekt, jetzt schon gut beschäftigt und voller Einfälle, die ihn bestimmt bald in eine ausgezeichnete Position bringen werden. Er liebt mich und will mich heiraten. Sie werden nun sagen: Na, also! Was für ein Glück für diese Frau! Dasselbe sagt meine Mutter und sagen meine Freundinnen. Aber ich will nicht heiraten. Oder wenn ich nochmal heirate, dann einen zarten Menschen, der mich nötig hat, den ich führen und beschützen kann. Denn wohin haben uns die Männer geführt? Erst war es ein ödes Arbeitsleben – und nun? Finden Sie nicht, daß die Männer lauter Unsinn angerichtet haben und nicht herausfinden? Und da soll ich wieder so einen Mann heiraten? Muß ich das tun?
Ein zweiter Brief: Mein Mann ist seit zwei Jahren tot. Ich kann ihn nicht vergessen. Ich habe zwei Freundschaften mit Männern gehabt. Aber das waren so Freundschaften aus Verzweiflung. Daraus konnte nichts werden. Ein, zwei Monate ... dann war ich so erbittert, daß ich Schluß machte. Jeden muß ich mit meinem Toten vergleichen. Andere Frauen können doch vergessen. Warum ich nicht? Für mich ist die Liebe eine Strafe. Wer einmal geliebt hat, muß immer einsam sein.
Und aus einem dritten Brief: Ich bin fünfunddreißig. 1944 lernte ich ihn kennen. Meine Eltern waren schon ausgebombt. Ich wohnte sehr weit draußen ... zum erstenmal allein. Er kam jeden Abend. Eine herrliche Zeit. Dann ging er, seine Frau suchen, die Anfang 1945 aus Ostpreußen flüchtete. Ja ... er war verheiratet. Ich wußte das. Aber es war mir einerlei. Er schrieb noch einmal. Seitdem ist er verschollen. Ich warte auf ihn. Was für ein Unsinn, sagte ich mir. Aber kann man dagegen angehen? Das Schlimmste ist: mein Leben vergeht mit dem Warten. Jeden Tag warte ich, und ich tue nichts anderes als warten.
Vierter Brief: Ich bin weder häßlich noch hübsch, und da ich mir ausgerechnet habe, daß jetzt auf hundertundfünfzig Frauen ungefähr hundert Männer kommen, habe ich gleich von vornherein verzichtet. Das ist mir nicht weiter schwergefallen. Denn was ich an Ehen aus meinem Bekanntenkreis sehe, ist nicht gerade so, daß man sich ein Bein danach ausreißen müßte, verheiratet zu sein. Und die Männer, wie sie im allgemeinen sind ... nein danke! Ich will also studieren. Medizin zieht mich ungeheuer an. Aber auch da wird es sehr schwierig werden. Die Männer wollen nicht, daß Frauen Medizin studieren. Am liebsten hätten sie, daß man das Frauenstudium überhaupt verböte. Ich soll also weder einen Mann haben, noch, wenn es nach den Männern ginge, einen Beruf. Das ist doch wirklich ungerecht […]
[…]
Ich könnte eine Stunde lang weiter zitieren und damit eine unübersehbare Fülle von Frauenporträts und Frauenschicksalen vor Sie hinstellen. Frauen, die für sich um die Herzen der Männer kämpfen, Frauen, die um die Männer kämpfen, um durch sie die Welt zu erringen, Frauen, die resigniert haben, und vor allem Frauen, die erbittert das Schicksal anklagen, das ihnen ihrer Ansicht nach von den Männern bereitet worden ist. Dazu Frauen, die sich entschlossen haben, von nun an den fraulichen Einfluß auf die Weltgeschichte zu verstärken und durch die Gründung von Frauenvereinen und Frauenparteien eine Macht zu gewinnen, die es ermöglicht, die Welt vor den verderblichen, einseitigen Männerentschlüssen zu bewahren.
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Und die Frauen, die ihre Männer verloren haben und nicht vergessen können, die Frauen, die auf die Vermißten warten und denen das Leben scheinbar sinnlos verrinnt? – Es werden viele Frauen allein sein und bleiben. Viele Herzen werden Totenwache halten an unbekannten Gräbern, vor Trümmern und an schauerlichen Richtstätten. Unendlich ist die Zahl der Opfer und sehr groß die Menge derer, die ehrlich betrauert werden! Die Frauen werden allein sein, und niemand kann sie von diesem Fluche erlösen. Sie müssen sich in diesem Alleinsein häuslich einrichten, und es ist ein unwirtliches Haus. Und viele werden noch dazu um eine verlorene Heimat trauern müssen, durch Erinnerungen ärmer gemacht als die, die nie etwas besaßen. Eine große Welle der Trauer und des Alleinseins wird über die Welt gehen. Das einzige, was man diesen Frauen zum Troste sagen kann, ist, daß sie ihr Schicksal zu verstehen suchen sollten als Beispiel, das vielen Frauen gegeben werden müßte. Als Beispiel nämlich, daß Frauen, allen männlichen Meinungen zum Trotz, doch allein zu stehen und zu leben vermögen und aus ihrem Leben dennoch etwas machen können. Das wird nicht ohne Tränen und ohne Schmerzen gehen. Aber was dabei herauskommen könnte, wäre etwas sehr Schönes. Nämlich der erste Ansatz zu einer wirklichen Selbständigkeit der Frau, der Beweis, daß die Frau auch ohne den Mann ein in sich geschlossenes Wesen ist, genauso wie ein Mann auch ohne Frau ein in sich geschlossenes Dasein führen kann.
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Quelle: Walther von Hollander, Nordwestdeutsche Hefte, 1946, H. 2, S. 21 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung: Deutsche Geschichte 1945–1955. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986, S. 367–69.