Kurzbeschreibung

In dieser Passage aus seinen mehrbändigen Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen (1865–1897) beschreibt der beliebte protestantische Pastor und Theologe Carl Büchsel (1803–1889) Brautwerbung, Hochzeitsbräuche und Fortdauer des volkstümlichen Aberglaubens in den ländlichen Gebieten. Der Verfasser lehnt Ehen zwischen Christen und Juden klar ab. Außerdem warnt er vor Ehen über die Standesgrenzen hinweg—wenngleich er sie nicht verurteilt. Noch größere Besonnenheit ist seiner Meinung nach geboten, wenn ein gläubiger Christ und ein weltlicher Partner heiraten und einen Hausstand gründen.

Carl Büchsel, protestantischer Pastor, beschreibt eine Brautwerbung und Hochzeit auf dem Lande (1865)

  • Carl Büchsel

Quelle

Der Aberglaube hat bei keiner Gelegenheit so viel Raum wie bei der Hochzeit. Am Freitag darf man nicht Hochzeit halten, weil an diesem Tage keine glückliche Ehe geschlossen wird. Wenn am Abend vor der Hochzeit sich eine Eule hören läßt, so stirbt einer von den Brautleuten bald, und wenn eine Fledermaus sich sehen läßt, so steht es schlecht um die Treue des Mannes. Wenn es am Hochzeitstage regnet, oder gar auf dem Wege zur Kirche, so weiset das hin auf viele Tränen. Wenn des Morgens früh sich der Hahn hören läßt, so wird auf Segen und Reichtum geschlossen, wenn aber bei der Trauung selbst der Ring auf die Erde fällt, so wird das für ein sehr bedenkliches Zeichen angesehen. Man darf aber nicht denken, daß solcher Aberglaube bloß bei den Bauern gefunden wird, er findet sich eben so sehr bei sonst ganz aufgeklärten und höchst freisinnigen Gebildeten. Es ist fast unbegreiflich, wie die Leute solche Torheiten und unsinnige Dinge mit solcher Zuversicht glauben und dafür zahlreiche Beweise aus der Erfahrung mit ganz ernster Miene erzählen können. Wie tief muß doch das Bedürfnis des Glaubens in der Seele liegen, daß selbst die, die an Gottes Wort und seine Verheißung nicht glauben, sich mit solchen Dingen entweder in Furcht und Angst versetzen oder sich selbst belügen.

Es gehört zu den sehr seltenen Fällen, daß eine wirklich vollzogene Verlobung wieder rückgängig wird, aber es dauert oft lange, ehe sie zu stande kommt, gewöhnlich liegt es daran, daß die Väter sich nicht einigen können über die Art und Weise, wie sie für die Zukunft der Kinder sorgen wollen. Während des Brautstandes hält sich das ordentliche Mädchen zurückgezogen und vermeidet das Gespräch mit anderen jungen Männern, und wenn sie zur Hochzeit oder zum Kindtaufen mit dem Bräutigam geladen wird, so sitzt sie neben ihm und tanzt auch nur allein mit ihm, wie denn auch der verheiratete Mann nur allein mit seiner Frau tanzt. Dem Manne steht freilich allein das Recht der Bewerbung zu, er sucht aber vorher sich zu überzeugen, ob das Mädchen auch willig dazu ist. Wenn es auf dem Jahrmarkt kleine Geschenke von ihm annimmt, oder zur Zeit der Ernte eine mit künstlicher Schnitzerei versehene Harke, oder im Herbste einen bunten, oft mit Fleiß und Geschick gearbeiteten Wocken am Spinnrade, und wenn das Geschenk erwidert wird durch ein schönes Band an der Sense oder einen Strauß am Hut, wenn die Ernte beginnt, so weiß er, daß seine Absicht gebilligt wird. Einen wirklichen Korb sich zu holen, gibt zum Gespött und zu Redereien viel Veranlassung. Gewöhnlich sieht das Mädchen Gottes Willen in der Bewerbung des Mannes und unterdrückt jede andere Neigung, die es etwa hat. Es ist, als dürfte sie durchaus nicht eher an’s Heiraten denken, bevor nicht der Mann sich gefunden hat, der um sie wirbt. Eine Härte liegt darin, wenn von ihr verlangt wird, daß sie sofort sich entschließen und ja oder nein sagen soll, zumal wenn der Bewerber ihr wenig bekannt war, oder ihr Interesse noch nicht auf sich gezogen hatte. Wenn es gewiß ein Zeichen von schnödem Leichtsinn, Charakterlosigkeit, gänzlicher Unzuverlässigkeit und der bösesten Untreue ist, wenn der Mann nach der Verlobung sich zurückzieht und das Mädchen sitzen läßt, so sollte man nicht ganz so streng darüber urteilen, wenn ein Mädchen, das zum schnellen Entschlusse gedrängt wurde, später schwankend wird, wenn es den Mann näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte, und die Ueberzeugung gewinnt, daß aus ihr und ihm keine glückliche Ehe werden könne. Die verlassene Braut ist sehr unglücklich und wird bei oft völliger Unschuld hart verdächtigt. Der junge Mann sucht seinen frevelhaften Leichtsinn, in dem er mit der Lebensruhe eines anderen Herzens gespielt hat, zu entschuldigen – ihre Tränen aber verklagen ihn vor Gott. Jeder Pastor, der das Vertrauen der Jugend in der Gemeinde hat, weiß recht gut, welche Kämpfe manche arme Braut zu kämpfen hat, wenn ein anderer kommt und um sie wirbt, als der, den sich ihre Augen ersehen hatten und den sie wünschte. Die Ordnung Gottes und die Sitte verbieten es ihr, ihre Wünsche auszusprechen, sie muß warten, bis der Mann die ersten Schritte tut, aber die Liebe und Neigung läßt sich nicht gebieten, sie bewegen sich in völliger Freiheit und oft nach ganz unbegreiflichen Gesetzen. Der Rat, daß das Mädchen lieber gar nicht heiraten solle, außer wenn eine wirkliche Neigung vorhanden ist, ist leichter gegeben als befolgt. Die Stiftung der Ehe geschah im Paradiese und dann kamen die Tage voller Schweiß der Arbeit und voller Schmerzen. So ist es auch schön, wenn die Ehe ihr Paradies in einem Glücklichen Brautstand findet. – Die Frage, ob ein frommes Mädchen einen weltlich gesinnten Mann oder umgekehrt heiraten dürfe, ist auch viel schwerer zu beantworten, als es aussieht. Daß eine Jüdin oder eine Heidin mit einem Christen oder umgekehrt eine Ehe eingehe, ist entschieden nicht allein gegen die Schrift, 1. Corinth. 7, sondern sogar gegen das preußische Landrecht, das noch Niemand, was die Ehe angeht, der Engherzigkeit beschuldigt hat, und wenn in neuerer Zeit solche Fälle vorkommen, so finden sie doch allgemeine Mißbilligung. Es ist aber ganz klar und bestimmt, daß wenn St. Paulus in dem oben angeführten Kapitel des 1. Briefes an die Corinther von Ungläubigen redet, daß er damit eben nur Heiden und Juden bezeichnet, und nicht weltlich gesinnte Christen. Es gibt allerdings Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen; wenn der Mann eine entschieden feindliche Stellung gegen die Kirche einnimmt, und das verspottet, was der Jungfrau heilig ist, und durchaus eine christlich häusliche Ordnung nicht tragen will und kann, so darf diese nicht eine Ehe mit ihm eingehen, und es wird auch nicht schwer werden, den Antrag zurückzuweisen. []

Im Ganzen darf man nicht übersehen, daß die Ehe ihre doppelte Seite, die bürgerliche natürliche und christliche himmlische hat. Auch bei gänzlicher Uebereinstimmung im Glauben übersieht man nicht ungestraft die bürgerliche Seite in bezug auf Bildung, Stand, Rang und Alter, und es gehört zur Ehe eine gewisse bürgerliche Gleichheit. Früher gehörte eine Ehe zwischen Adeligen und Bürgerlichen zu den Seltenheiten, und es gibt auch adelige Familien, die dergleichen Verbindungen nicht billigen. Die wirkliche aufrichtige Neigung wird durch ein Etwas bestimmt, das schwer zu definieren ist, wo sie einmal erwacht ist, kann sie viele Schranken überspringen, und unbedingt läßt sich nicht darüber urteilen. Vernünftige Eltern müssen unter Gebet des Herrn Willen zu erforschen suchen und ihn anrufen, daß er das Herz des Kindes regiere, auch anerkennen, daß die väterliche Macht wirkliche Grenzen hat, und die Verlobung, wenn sie auch abhängig ist von der Einwilligung der Eltern, doch gewiß ganz nahe an dieser Grenze liegt. Die Kinder müssen das bestimmte Gefühl haben, daß sie die Verantwortlichkeit für den Schritt, der ihr Verhältnis zum Vaterhause wesentlich lockert, selbst übernehmen. Es liegt darin, daß ein Zwang, sowohl nach der einen, als auch nach der anderen Seite hin wenigstens sehr bedenklich ist und leicht zu Mißverhältnissen und Verirrungen der schlimmsten Art Veranlassung geben kann, wie denn die Erfahrung deutlich genug lehrt. – Es ist eher zulässig, daß ein jüngeres Mädchen einen älteren Mann heiratet als umgekehrt, denn der Mann soll die Frau leiten und nicht die Frau den Mann, der jüngere ordnet sich aber leicht dem älteren unter. Ebenso ist eine glückliche Ehe leichter denkbar, wenn ein reicher Mann ein armes Mädchen heiratet als umgekehrt. Es ist gegen das natürliche Gefühl des tüchtigen Mannes, von dem Vermögen der Frau zu leben, weil er verpflichtet ist, Weib und Kinder zu ernähren. Sehr schön und wünschenswert ist es auch, wenn die beiden Familien, aus denen die Brautleute sich zusammenfinden, in freundschaftlicher Beziehung zu einander stehen. []

Quelle: Carl Büchsel, Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen (1865–), 10. Aufl. Berlin: Gustav Warneck Verlag, 1925, S. 242ff.; abgedruckt in Werner Pöls, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1815–1870. Ein historisches Lesebuch, 4. Aufl. München: C. H. Beck, 1988, S. 75–78.