Kurzbeschreibung

1957 fällte das Bundesverfassungsgericht Urteile in Berufungsverfahren, die von Günter R., einem Koch, und Oskar K., einem Kaufmann, angestrengt worden waren. Beide waren schuldig gesprochen worden, den Paragraph 175 des Strafgesetzbuches verletzt zu haben. Dieser verbot homosexuelle Beziehungen zwischen Männern. Der Paragraph 175 ging auf die Gründung des Deutschen Reiches 1871 zurück. Während der Weimarer Republik war die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen deutlich zurückgegangen, und 1929 sprach sich der zuständige Reichstagsausschuss sogar dafür aus, den Paragraph 175 abzuschaffen. Doch der Aufstieg der Nationalsozialisten verhinderte die Durchsetzung der Abschaffung. Vielmehr wurde eine veränderte Version des Paragraph 75 verabschiedet, welche die Verfolgung männlicher Homosexueller noch ausweitete, indem die Definition von kriminellen unanständigen Handlungen zwischen Männern erweitert und eine härtere Bestrafung der sogenannten Straftäter vorgeschrieben wurde.

Nach ihrer Gründung 1949 übernahm die Bundesrepublik die nationalsozialistische Revision des Paragraphen 175. In ihrem Berufungsverfahren stellen Günter R. und Oskar K. den Paragraph 175 als Ausdruck des nationalsozialistischen Rasse-Denkens dar und argumentierten, er verletze die demokratischen Prinzipien, auf denen die Bundesrepublik angeblich gegründet sei. Darüber hinaus argumentierten beide, der Paragraph 175 stelle eine Verletzung des Grundgesetzes dar, insbesondere des Artikels 2, der jedem Individuum das Recht auf freie Persönlichkeitsentwicklung garantiere. Außerdem, so argumentierten beide weiter, verletze der Paragraph 175, indem er sexuelle Handlungen zwischen Männern, nicht jedoch zwischen Frauen kriminalisierte, auch den Artikel 3 des Grundgesetzes, der gleiche Rechte für Männer und Frauen festschrieb.

Das Berufungsverfahren zog sich über sechs Jahre in die Länge, und 1957, als das Bundesverfassungsgericht seinen untenstehenden Schiedsspruch veröffentlichte, war einer der Beschwerdeführer, Oskar K., bereits verstorben. Das Gericht entschied in letzter Instanz, alle Aspekte der Anklage der Beschwerdeführer abzuweisen. Dem Historiker Robert G. Moeller zufolge „äußerte der Gerichtshof“ mit der Veröffentlichung dieser Entscheidung „einstimmig seine Sichtweise, dass die Kriminalisierung männlicher homosexueller Handlungen weder Bereiche des Grundgesetzes verletze noch die Grundlagen einer „freien Demokratie“ unterminiere“.

Neben vielem anderen bedeutete der Wiederaufbau Deutschlands in der Nachkriegszeit auch die Wiederherstellung der Geschlechterbeziehungen, die durch die Nazi-Zeit, die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und die langen und schwierigen Nachwirkungen des Krieges vollständig zerrüttet worden waren. Moeller betont, dass die Einschätzung des Gerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Paragraph 175 unterstrich, dass „jene Beziehungen nur heterosexueller Natur sein sollten“. [Robert G. Moeller, “The Homosexual Man is a ‘Man,’ the Homosexual Woman is a ‘Woman’”: Sex, Society, and the Law in Postwar West Germany,” Journal of the History of Sexuality, vol. 4, no. 3, pp. 395–429.]

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit des § 175 (1957)

Quelle

1. Die Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität (§§ 175 f. StGB) verstoßen nicht gegen den speziellen Gleichheitssatz der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG, weil der biologische Geschlechtsunterschied den Sachverhalt hier so entscheidend prägt, dass etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten.

2. Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2, Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, dass jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.

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Urteil des Ersten Senats vom 10. Mai 1957 – 1 BvR 550/52 – in dem Verfahren über die verbundenen Verfassungsbeschwerden 1. des Kochs Günther R. gegen das Urteil der Großen Strafkammer 6 des Landgerichts Hamburg vom 14. Oktober 1953 – 2 KLs. 86/52 - , 2. Des am 26. April 1956 verstorbenen Kaufmanns Oskar K. gegen das Urteil der Großen Strafkammer 4 des Landgerichts Hamburg vom 2. Februar 1952 – 2 KLs. 254/51 -.

Entscheidungsformel:

1. Die Verfassungsbeschwerde des Günther R. wird zurückgewiesen.

2. Die Verfassungsbeschwerde des Oskar K. ist durch seinen Tod erledigt.

Gründe:

A.

Mit der Verfassungsbeschwerde bekämpfen die Beschwerdeführer ihre Verurteilung wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht; darüber hinaus erstreben sie die Feststellung der Nichtigkeit der §§ 175 f. StGB.

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Beide Beschwerdeführer haben ihre Verfassungsbeschwerde darauf gestützt, dass die gegen sie ergangenen Strafurteile die §§ 175 und 175 a StGB zu Unrecht als geltendes Recht behandelt hätten. § 175 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 1935 sei inhaltlich nationalsozialistisches Gedankengut, habe daher mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft seine Geltung verloren. Dieses Gesetz beruhe auf dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das verfassungswidrig gewesen sei; infolgedessen seien die darauf beruhenden Gesetze nichtig. – Die §§ 175, 175 a StGB verstießen ferner gegen Art. 2 und 3 GG.

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Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst in der Sache des Beschwerdeführers K…die Anhörung von Sachverständigen zu folgenden Fragen beschlossen:

a) Bestehen im Triebleben beim Mann und bei der Frau wesentliche Unterschiede, die sich auch bei gleichgeschlechtlicher Betätigung auswirken?

b) In welcher Richtung stellen männliche Homosexualität einerseits und lesbische Liebe andererseits eine soziale Gefährdung dar? Sind ihre Auswirkungen und Erscheinungsformen in Familie und Gesellschaft verschieden? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang der große Frauenüberschuss und die Häufigkeit der gemeinsamen Haushaltführung zweier oder mehrerer Frauen (Gefahr bösartigen Klatsches und der Erpressung?)

c) Besteht ein Unterschied in der Aktivität und Hemmungslosigkeit bei gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern einerseits und zwischen Frauen andererseits, so dass damit der Grad der Verbreitung solcher Handlungen und die Gefahr zur Verführung insbesondere Jugendlicher hierzu verschieden ist? Tritt die männliche Homosexualität im Gegensatz zur lesbischen Liebe stärker in der Öffentlichkeit in Erscheinung? Gibt es eine Prostitution der männlichen Homosexuellen und der Lesbierinnen?

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht gutachtliche Äußerungen der nachbenannten Sachverständigen eingeholt.

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B.

Zur Verfassungsbeschwerde R….:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Den ersten Einwand gegen die Geltung der §§ 175, 175 a StGB entnimmt der Beschwerdeführer dem nationalsozialistischen Ursprung dieser Bestimmungen. Er macht geltend, das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935 sei unwirksam, weil es auf der Grundlage des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (RGBl. I, 141), des sogenannten Ermächtigungsgesetzes, von der nationalsozialistischen Reichsregierung ohne die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften erlassen worden sei; ein unter so eklatantem Verstoß gegen demokratische Grundsätze erlassenes Strafgesetz könne in einem demokratischen Staatswesen keinen Bestand haben. Die Verschärfung der Strafbestimmungen gegen die Homosexualität durch das erwähnte Gesetz sei auch sachlich nicht gerechtfertigt gewesen und nur als Ausfluss der nationalsozialistischen Rassenlehre verständlich; die neuen Bestimmungen enthielten in so hohem Maße nationalsozialistisches Gedankengut, dass sie in einer freien Demokratie nicht mehr angewandt werden dürften.

Dieser Einwand ist unbegründet.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits wiederholt Gesetze und Verordnungen, die auf Grund des Ermächtigungsgesetzes von der nationalsozialistischen Reichsregierung erlassen worden waren, angewendet und dadurch zu erkennen gegeben, dass es sie nicht schon aus diesem Grunde für nichtig hält. []

2. Es muss also bei Gesetzen und Verordnungen, die auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes erlassen worden sind, geprüft werden, ob sie nicht ihres Inhalts wegen unanwendbar geworden sind.

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Es ist also festzuhalten: von 1945 bis zum Zusammentritt des Bundestages herrschte in den westlichen Besatzungszonen so gut wie einhellig die Meinung, die §§ 175 und 175 a StGB seien nicht in dem Maße „nationalsozialistisch geprägtes Recht“, dass ihnen in einem freiheitlich demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse.

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II.

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Die Vereinbarkeit der §§ 175, 175 a Nr. 3 StGB mit dem Grundgesetz bestreitet der Beschwerdeführer in erster Linie unter Hinweis auf Art. 3 GG. []

Der in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ausgesprochene Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen werde durch die §§ 175, 175 a StGB verletzt, weil zwar gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern bestraft werden, nicht aber auch solche zwischen Frauen.

§ 175 a Nr. 3 StGB sei außerdem mit dem speziellen Gleichheitssatz deshalb unvereinbar, weil das Schutzalter für jugendliche Männer gegen Verführung zu gleichgeschlechtlicher Unzucht auf 21 Jahre festgesetzt sei, während das Schutzalter für Mädchen gegen Verführung zum Beischlaf nach § 182 StGB nur 16 Jahre betrage.

Es fehle ferner schlechthin jeder zureichende sachliche Grund dafür, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu bestrafen, falls nicht besondere Erschwerungsgründe hinzutreten, denn durch gleichgeschlechtliche Beziehungen als solche werde ein öffentliches Interesse nicht verletzt. Die Bestrafung der männlichen Homosexualität sei also willkürlich und verstoße dadurch auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

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Auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. []

Mann und Frau können als verschiedene Geschlechtswesen auch die gleichgeschlechtliche Unzucht nur in den ihrem Geschlecht möglichen und eigenen Formen ausüben. Diese besondere Geschlechtsprägung der gleichgeschlechtlichen Unzucht tritt wie in der Verschiedenartigkeit der körperlichen Begehungsformen so auch in dem verschiedenartigen psychischen Verhalten bei diesen Vorgängen zutage und bestimmt von diesen biologischen Verschiedenheiten her deutlich das gesamte Sozialbild dieser Form sexueller Betätigung.

Die Beweisaufnahme hat dies zur vollen Überzeugung des Gerichts geklärt. Sie hat zunächst ergeben, daß die Verbreitung der weiblichen Homosexualität hinter der der männlichen erheblich zurückbleibt. []

Wie der Sachverständige Giese dargelegt hat, müssen bei der Sexualität zwei Aspekte unterschieden werden: ein generativ-vegetativer, d.h. ein Aspekt auf das unbewusste Funktionieren des Körpers im Zusammenhang mit der Geschlechtlichkeit, und ein davon geprägter sozialer Aspekt. Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. Dieser Unterschied der physiologischen Funktion lässt sich aus dem Zusammenhang des geschlechtlichen Seins nicht ausgliedern, er ist mit konstituierend für Mann und Frau als Geschlechtswesen (Kroh). Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau – der alle übrigen Unterschiede im Keim in sich schließt – ist aber unter dem generativ-vegetativen Aspekt die Tatsache, dass sich das Vatersein an den kurzen Zeugungsvorgang nicht über weitere generativ-vegetative Leistungen, sondern nur durch zeitlich davon getrennte soziale Leistungen anschließt, während die sozialen Leistungen des Mutterseins mit dem Vorgang des Empfangens über die generativ-vegetativen Leistungen der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens, also durch einen langdauernden natürlichen Prozess, unmittelbar verknüpft sind. Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. Damit mag es zusammenhängen, dass bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben (Wiethold-Hallermann). Die Gefahr einer Akzentverschiebung zu Lasten der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und zugunsten des bloßen Lustgewinnes ist daher eine besondere Gefahr der männlichen Sexualität. []

Diese Verschiedenheiten des Geschlechtslebens machen sich bei der Gleichgeschlechtlichkeit womöglich noch stärker geltend als bei heterosexuellen Beziehungen, da der auf Mutterschaft angelegte Organismus der Frau unwillkürlich den Weg weist, auch dann in einem übertragenen sozialen Sinne fraulich-mütterlich zu wirken, wenn sie biologisch nicht Mutter ist, während eine entsprechende Kompensation beim Manne fehlt. So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen (Giese; ähnlich Grassberger und Scheuner).

Für die Verschiedenheit männlicher und weiblicher Homosexualität spielt es ferner eine Rolle, dass die Anfälligkeit gegen Verführung der zum gleichgeschlechtlichen Verkehr Aufgeforderten in der Pubertät je nach dem Geschlecht verschieden ist. Alle Sachverständigen stimmen darin überein, dass es in der Pubertät eine Phase der Zielunsicherheit des Geschlechtstriebes gibt, und dass die in dieser Periode empfangenen Eindrücke von entscheidender Bedeutung für die Prägung der Persönlichkeit des Heranwachsenden sein können. Eine homosexuelle Verführung in dieser Altersstufe ist besonders geeignet, zu Fehlprägungen des sexuellen Empfindens zu führen, wobei offen bleiben kann, ob diese Gefahr nur da besteht, wo de Veranlagung des Verführten ihre Verwirklichung begünstigt. Die Gefahr solcher Fehlprägung ist aber bei Mädchen weit geringer als bei männlichen Jugendlichen. Diese allgemeine Erfahrung wird von den Sachverständigen zum Teil darauf zurückgeführt, dass das Mädchen weit mehr als der Knabe durch ein natürliches Gefühl für sexuelle Ordnung bewahrt werde, zum Teil darauf, dass die Mädchen altersmäßig früher auf heterosexuelle Beziehungen fixiert seien (Scheuner, Wiethold-Hallermann).

Weiterhin lehrt die Erfahrung, dass die Lesbierin nicht in dem gleichen Maße ausschließlich gleichgeschlechtlich eingestellt ist wie der homosexuelle Mann, so dass für die Lesbierin der „Umschlag zum anderen Geschlecht“ (Scheuner) leichter möglich ist (ebenso Grassberger, Wenzky, Kroh).

Die geschilderten Unterschiede des Natürlichen werden auch im sozialen Aspekt sichtbar.

So kann der bei beiden Geschlechtern vorhandene Trieb zu einem „Überbau“, einem „Zuhause“ (Giese) zwar auch bei homosexuellen Männern zu Dauerbeziehungen führen, jedoch gelingen sie selten. Männliche Homosexuelle streben häufig zu einer homosexuellen Gruppe, lehnen aber familienhafte Bindungen meist ab und neigen zu ständigem Partnerwechsel. Lesbische Verhältnisse hingegen tendieren allgemein zur Dauerhaftigkeit (Scheuner, Wenzky, Giese). Zieht man dazu die größere geschlechtliche Aggressivität des Mannes in Betracht, so macht schon das evident, dass die Gefahr der Verbreitung der Homosexualität beim Manne weit größer ist als bei der Frau.

Außerordentlich verstärkt wird dieser Unterschied durch den Unterschied in der begehrten Alterslage des Partners (Grassberger). Jugendliche Lesbierinnen fehlen; Fälle von Verführung weiblicher Jugendlicher durch Lesbierinnen oder gar der Knaben-Schändung analoge Tendenzen sind unbekannt (Wenzky, Wiethold-Hallermann, Giese). []

Ein weiterer Unterschied im sozialen Erscheinungsbild männlicher und weiblicher Homosexualität ist es, daß das Strichjungenwesen eine spezifische Erscheinung der männlichen Homosexualität darstellt. Keinem der Sachverständigen war eine nurlesbische Prostitution überhaupt bekannt; []

Die Verschiedenheit des Sozialbildes zeigt sich schließlich darin, dass angesichts des auch bei der Lesbierin vorhandenen Überwiegens zärtlicher Empfindungen über das rein Geschlechtliche zwischen einer lesbischen Beziehung und einer zärtlichen Frauenfreundschaft kaum eine Grenze zu ziehen ist. Infolgedessen wären Frauen, wenn weibliche Homosexualität unter Strafe gestellt würde, der Gefahr der Erpressung in weit höherem Maße ausgesetzt als Männer (Schelsky, Wiethold-Hallermann).

Während die übrigen Sachverständigen übereinstimmend männliche und weibliche Sexualität, durch die Verschiedenheit von Mann und Frau als Geschlechtswesen bedingt, als etwas Verschiedenes ansehen, vertritt der Sachverständige Kretschmer eine etwas andere Auffassung. Zwar hat auch er nicht in Abrede gestellt, dass Unterschiede zwischen der männlichen und weiblichen Sexualität vorhanden sind – er hat das als selbstverständlich bezeichnet und hinzugefügt, es sei „ja wohl auch kaum anders zu erwarten, als dass diese Nuancen in der männlichen und weiblichen Sexualität irgendwie auch in dem Verhältnis zwischen Homosexuellen zum Ausdruck kommen.“ In seinen weiteren Ausführungen hat er jedoch den Akzent auf die Merkmale gelegt, „die im öffentlichen Interesse liegen“, d.h. er hat sich die Frage gestellt, ob hinsichtlich der sozialen Gefährdung, der Gefahr der „Bedrohung von Personen und Rechtsgütern“, die weibliche und die männliche Homosexualität durchgreifende Unterschiede aufweisen. Von dieser besonderen Fragestellung aus hat er das Bestehen „wirklich grundsätzlicher Unterschiede“ zwischen der Homosexualität beider Geschlechter vereint; [] Das Gutachten des Sachverständigen Kretschmer weicht also von denen der anderen Sachverständigen nicht darin ab, dass er Verschiedenheiten zwischen der männlichen und weiblichen Homosexualität verneint, sondern darin, dass er diese Verschiedenheiten anders erklärt und ihre Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gefährlichkeit anders bewertet. Diese Ausführungen, die im Ergebnis die Straflosigkeit der Homosexualität zwischen Erwachsenen, aber einen besonderen Schutz auch des jungen Mädchens gegen homosexuelle Verführung, vielleicht auch die Bestrafung des bloßen „Verleitens“ über das „Verführen“ im Sinne des § 175 a StGB hinaus wünschenswert erscheinen lassen könnten, mögen de lege ferenda Bedeutung haben, sie können aber für die verfassungsrechtliche Prüfung des geltenden Rechts am Maßstab des Art. 3 GG nicht maßgebend sein. Entscheidend ist, ob es sich von den biologischen Verschiedenheiten her bei der männlichen und der weiblichen Homosexualität um verschiedene Tatbestände handelt. Hiervon ist das Gericht auf Grund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme überzeugt. Daher kann der Verfassungssatz von der Gleichberechtigung der Geschlechter hier keine Anwendung finden.

Diese Feststellung wird noch dadurch bestätigt, dass in dem Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter von einer Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Homosexualität niemals die Rede war.

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Nach alledem ist das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG im Rahmen der Strafbestimmungen gegen gleichgeschlechtliche Unzucht nicht anwendbar, weil die Eigenart der Frau als weibliches Geschlechtswesen und die Eigenart des Mannes als männliches Geschlechtswesen den Tatbestand so wesentlich und so entscheidend verschieden prägen, dass das vergleichbare Element, die anomale Wendung des Triebes auf das eigene Geschlecht, zurücktritt und lesbische Liebe und männliche Homosexualität im Rechtssinne als nicht vergleichbare Tatbestände erscheinen.

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Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, die Bestrafung der einfachen männlichen Homosexualität sei willkürlich, weil daran kein öffentliches Interesse bestehe, macht einen unberechtigten Eingriff staatlicher Gewalt in die persönliche Freiheit geltend. Dieser Einwand ist unter dem Gesichtspunkt von Art 2 GG zu prüfen.

III.

Hierzu trägt der Beschwerdeführer vor, die Bestrafung der einfachen Homosexualität (§175 StGB) verletze das in Art. 2 Abs. 1 GG jedem gewährleistete Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Recht umfasse auch die freie geschlechtliche Betätigung des Individuums. Es bedeute eine gewaltsame Einengung der Existenz gleichgeschlechtlich empfindender Menschen – deren Eigenheit in den meisten Fällen angeboren sei - , wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gebe, diese Empfindungen in die Tat umzusetzen. Insbesondere bestehe keinerlei Bedürfnis und kein öffentliches Interesse daran, die freiwillige Ausübung sexuellen Verkehrs unter Erwachsenen unter Strafe zu stellen.

1. Zu dem Bereich der in Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht gewährleisteten freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört auch das Gebiet des Geschlechtlichen. Dieses Grundrecht ist aber durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt. []

Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Auch auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens fordert die Gesellschaft von ihren Mitgliedern die Einhaltung bestimmter Regeln; Verstöße hingegen werden als unsittlich empfunden und missbilligt. Allerdings bestehen Schwierigkeiten, die Geltung eines Sittengesetzes festzustellen. Das persönliche sittliche Gefühl des Richters kann hierfür nicht maßgebend sein; ebensowenig kann die Auffassung einzelner Volksteile ausreichen. Von größerem Gewicht ist, dass die öffentlichen Religionsgesellschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen. Der Beschwerdeführer hält zwar die Verurteilung der Homosexualität durch die Lehren der christlichen Theologie für unbeachtlich: sie sei aus alttestamentlichen Vorschriften der jüdischen Religion übernommen, die nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft aus bevölkerungspolitischen Erwägungen als zeitbedingte Notmaßnahme entstanden seien. Ob diese Deutung den geschichtlichen Vorgängen gerecht wird, mag dahinstehen: Nicht darauf kommt es an, auf Grund welcher geschichtlichen Erfahrungen ein sittliches Werturteil sich gebildet hat, sondern nur darauf, ob es allgemein anerkannt wird und als Sittengesetz gilt.

Ein Anhalt dafür, dass die Homosexualität als unsittlich angesehen wird, ergibt sich daraus, dass die Gesetzgebung in Deutschland sich zur Rechtfertigung der Bestrafung der gleichgeschlechtlichen Unzucht stets auf die sittlichen Anschauungen des Volkes berufen hat.

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Diese Umstände rechtfertigen die Feststellung, dass auch heute noch das sittliche Empfinden die Homosexualität verurteilt. Einzelne gegenteilige Äußerungen, vorwiegend aus interessierten Kreisen, kommen demgegenüber nicht in Betracht, jedenfalls haben sie eine Änderung des allgemeinen sittlichen Urteils nicht durchsetzen können.

Hingegen wendet der Beschwerdeführer ein: Ein Sittengesetz könne nur anerkannt werden, wenn es dem abendländischen Kulturkreis gemeinsam sei; die Verurteilung der einfachen Homosexualität sei dies aber nicht mehr, nachdem in einer Reihe von Staaten des westeuropäischen Kulturkreises ihre Strafbarkeit beseitigt worden sei. – Dem Beschwerdeführer kann zugegeben werden, dass eine Änderung der sittlichen Anschauungen möglich ist: so könnten neue Forschungsergebnisse der medizinischen Wissenschaft dazu führen, die Homosexualität als unausweichliche körperlich-seelische Abartigkeit zu verstehen, der gegenüber eine sittliche Verurteilung ihren Sinn verlieren würde. Die Tatsache allein, dass eine Reihe von Staaten auf eine Strafverfolgung verzichtet haben, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Änderung des sittlichen Urteils in diesen Staaten, denn eine solche Gesetzesänderung kann ebensogut aus einer veränderten Auffassung von der Zweckmäßigkeit der Bestrafung der Homosexualität entsprungen sein. Keinesfalls kann die Beseitigung der Strafbarkeit in einigen Staaten zu der Annahme führen, dass auch in Deutschland die Homosexualität nicht mehr sittlich missbilligt werde.

Wenn unter diesen Umständen – eindeutiger Sittenverstoß, Herkömmlichkeit der Bestrafung im deutschen Rechtsgebiet – der Gesetzgeber sich nicht dazu entschließen konnte, die Strafbestimmung des § 175 nF StGB zu beseitigen oder enger zu fassen, so kann das Bundesverfassungsgericht dieser Entscheidung nicht entgegentreten. Das gilt gerade auch hinsichtlich der von dem Beschwerdeführer besonders bekämpften Bestrafung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zwischen erwachsenen Männern. Für die Bestrafung solcher Beziehungen lässt sich immerhin anführen, dass das Bedürfnis nach einem Schutz gegen homosexuelle Verführung nicht schlechthin mit der Altersgrenze von 21 Jahren endet und dass eine stärkere Verbreitung der Homosexualität unter Erwachsenen, die eine wahrscheinliche Folge ihrer Straflosigkeit sein würde, die Gefahr auch für die Jugend erhöhen müsste; namentlich könnte die Straflosigkeit der Beziehungen zwischen erwachsenen Männern auch zu einer weniger strengen Beurteilung solcher Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen führen. Daher kann, auch soweit es sich um die Beziehungen zwischen erwachsenen Männern handelt, nicht festgestellt werden, dass jedes öffentliche Interesse an einer Aufrechterhaltung der Strafbestimmung fehle, der Gesetzgeber also die ihm gezogenen Grenzen überschritten habe.

2. Eine Überschreitung der dem Gesetzgeber durch Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen erblickt der Beschwerdeführer vor allem auch in der Einbeziehung unzüchtiger Handlungen jeder Art, insbesondere der gegenseitigen Onanie, in die Strafbarkeit durch die Neufassung des § 175 StGB. Diese Ausdehnung des einfachen Tatbestandes hat er vorzugsweise im Auge, wenn er die Bestimmung ihres nationalsozialistischen Inhalts wegen bekämpft.

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Die Homosexualität bietet die Besonderheit, dass für eine Abgrenzung schwerer Fälle von Fällen untergeordneter Bedeutung eindeutige äußere Merkmale sich nicht darbieten. Wenn die preußische Gesetzgebung und Rechtsprechung seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts die Strafbarkeit auf beischlafähnliche Handlungen, also auf besonders derbe Begehungsformen beschränkt und onanistische Handlungen ausgenommen haben, so ist diese Abgrenzung nicht überzeugend. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1935 vermochte die Abgrenzungsschwierigkeiten ebenfalls nicht zu lösen, da auch ihr eine klare Umgrenzung des Begriffs der beischlafähnlichen Handlungen nicht gelang. In der Rechtslehre wurde dieser Mangel einer klaren Bestimmung des Tatbestandes vielfach gerügt, zumal die von der Rechtsprechung entwickelte Beschränkung zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führte. Die Reformentwürfe haben daraus die Folgerung gezogen, für die qualifizierten Fälle von der Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen abzusehen und jedes „Unzuchttreiben“ oder „zur Unzucht missbrauchen lassen“, also alle Begehungsformen unter Strafe zu stellen. Unter diesen Umständen kann es nicht als ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze bezeichnet werden, wenn das Gesetz vom 28. Juni 1935 die Abgrenzung auf beischlafähnliche Handlungen auch für die einfache Homosexualität aufgab, zumal, wie das Beispiel des Beschwerdeführers zeigt, die verschiedenen Begehungsformen sich vermischen können und für das sittliche Empfinden zwischen ihnen kaum ein Unterschied besteht.

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Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 6, 1 BvR 550/52. Tübingen: J.C.B. Mohr, 1957, S. 389–43.