Kurzbeschreibung

Die jährliche Christopher-Street-Day-Parade in Köln, die größte in ganz Europa, zieht in der Regel 20.000 Teilnehmer und mehr als 600.000 Zuschauer an. In dem folgenden Online-Bericht beschreiben die CSD-Organisatoren sowohl die Feierstimmung bei der Parade 2006 als auch den überwältigenden Erfolg des Mottos: „100% NRW – nur mit uns!“ Außerdem werden politische Themen angesprochen, nämlich die damaligen Kürzungspläne der NRW-Landesregierung, die Lesben und Schwule ursprünglich überproportional betreffen sollten. Schließlich fordern die Organisatoren Gleichberechtigung, Sichtbarkeit, Anerkennung und Selbstbewusstsein.

Gay Pride auf der Christopher-Street-Day-Parade in Köln (Juli 2006)

Quelle

Der CSD Köln / ColognePride sagt Danke!

Zwei Wochen ColognePride mit Politik, Party, und Kultur waren nur der erfolgreiche Auftakt zu einem CSD-Wochenende, wie es Köln noch nicht erlebt hat.

Bei strahlend blauem Himmel und Sonne pur drängten sich Hunderttausende über das CSD-Straßenfest auf den Plätzen der Kölner Altstadt, tanzten sich auf der Tanzbühne am Rathausvorplatz die Füße platt, genossen politische Diskussionen und Kleinkunst auf dem Alten Markt und bejubelten sowohl hochkarätige Künstler als auch die Eröffnungsshow, die Gedenkfeier „Kerzenlichter gegen das Vergessen“ und die Abschlusskundgebung auf dem Heumarkt.

Auch die Parade zog die Menge in ihren Bann; hochbesohlte Transen, kerlige Ledertypen, Partywagen und zahllose sozial und politisch engagierte Gruppen zogen von der Deutzer Brücke durch die Kölner Innenstadt bis kurz vor den Dom.

Insbesondere das politische Motto des diesjährigen CSD/ColognePride „100% NRW – nur mit uns!“ entfaltete eine ungeahnte Wirkung: fast alle Paradeteilnehmer hatten den Slogan auf die eine oder andere Weise umgesetzt, auf dem Heumarkt fragten die Moderatoren „100% NRW?“ und Tausende antworteten im Chor „NUR MIT UNS!“ und auf dem Straßenfest gab es kaum jemanden, der nicht einen der Motto-Aufkleber auf einem Kleidungsstück oder der nackten Haut trug.

Der KLuST-Vorstand möchte sich nochmals bei allen bedanken, die diesen stimmungsvollen, friedlichen, politischen und fröhlichen CSD möglich gemacht haben und freut sich zusammen mit dem gesamten ColognPride-Orga-Team auf einen ebenso erfolgreichen CSD 2007!

„100% NRW – nur mit uns!"

... ist sicherlich nicht das eingängigste CSD/ColognePride-Motto der letzten Jahre. Dennoch war es uns wichtig, die derzeitigen Kürzungspläne der NRW-Landesregierung, die uns Lesben und Schwule ursprünglich überproportional betreffen sollten, aufzugreifen und in Zusammenhang mit der Frage zu stellen, welchen Platz und welche Bedeutung Schwule und Lesben für unser Land haben.

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100% Gleichberechtigung

Die neue schwarz-gelbe Landesregierung ist mit dem Vorsatz angetreten, angesichts der leeren öffentlichen Kassen bei den freiwilligen Leistungen des Landes durchschnittlich 20% zu kürzen. Abgesehen davon, dass diese scheinbar einleuchtend gerechte Kürzungsformel tatsächlich nicht in allen Bereichen einheitlich angewendet wird, war die lesbisch-schwule Selbsthilfe in NRW im ersten Haushaltsentwurf der Landesregierung von Kürzungen in der Größenordnung von knapp 40% bedroht. Erst durch lautstarke Proteste der schwul-lesbischen Gemeinschaft, die zudem von vielen anderen gesellschaftlichen und auch politischen Gruppen mitgetragen wurden, ist es gelungen, die Unterstützung der FDP-Landtagsfraktion sowie einiger CDU-Fachpolitiker zu erhalten und schließlich eine Teilrücknahme der Kürzungen auf die von der Landesregierung als Durchschnittswert propagierten 20% zu erreichen. Wir freuen uns über diesen Teilerfolg, halten es jedoch gleichzeitig für bemerkenswert, dass Lesben und Schwule offenbar immer noch (oder wieder?) dafür kämpfen müssen, bei anstehenden Kürzungen zumindest gleichbehandelt zu werden. Wir fordern: 100% Gleichberechtigung!

100% Sichtbarkeit

Das Land NRW feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. In diesen sechs Jahrzehnten lebten und leben rein statistisch betrachtet zu jeder Zeit jeweils ca. 5-10% Lesben und Schwule in den verschiedenen Landesteilen Nordrhein-Westfalens. Öffentlich sichtbar ist diese Minderheit erst seit gut 15 Jahren. Davor bestimmten gesellschaftliche Ausgrenzung und teilweise sogar noch strafrechtliche Verfolgung das Leben der Schwulen und Lesben in NRW. Die heutige Situation, in der Homosexuelle zunehmend selbstbewusst und offen leben können, ist keine Selbstverständlichkeit, da die gesellschaftliche Akzeptanz von Minderheiten kein garantierter Dauerzustand, sondern ein flüchtiges Gut ist, das bewahrt und gefestigt werden muss. Die lesbisch-schwule Seniorenarbeit in NRW als jüngstes Kind der Bewegung wurde von der schwarz-gelben Landesregierung auf „0“ gekürzt und alte Lesben und Schwule in die Unsichtbarkeit zurückgedrängt. Es ist wichtig, dass wir Lesben und Schwule weiterhin deutlich machen, dass wir ein selbstverständlicher Teil dieses Landes sind, politische und finanzielle Unterstützung bei der Akzeptanzarbeit brauchen und es nur mit uns 100% NRW gibt. Wir brauchen: 100% Sichtbarkeit!

100% Anerkennung

Wertschätzung und Anerkennung durch die Mehrheit sind das natürliche Ziel jeder Minderheit. Wir Schwule und Lesben fordern daher von der Landesregierung, die von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt wurde, nicht nur die Gleichbehandlung bei den anstehenden Einschnitten, sondern darüber hinaus ein positives Zeichen dafür, dass unsere gesellschaftspolitische Arbeit erwünscht und geschätzt ist. Mittelkürzungen sind unabhängig davon, dass damit stets schmerzhafte Einschränkungen und Verkürzungen der inhaltlichen Arbeit verbunden sind, nur dann zu ertragen, wenn nicht vermutet werden muss, dass mit den finanziellen Einschnitten auch eine Geringschätzung verbunden ist. Wir fordern: 100% Anerkennung!

100% Selbstbewusstsein

In Zeiten von Haushaltskürzungen im öffentlichen Bereich ist es zunehmend die Aufgabe der lesbisch-schwulen Gemeinschaft, selbst zu überlegen, wie zukünftig Projekte im Bereich der schwul-lesbischen Selbsthilfe entwickelt, umgesetzt und finanziell abgesichert werden können. Wir haben eine Kultur der Eigenverantwortung und des bürgerschaftlichen Engagements entwickelt, die es weiter auszubauen gilt und die Impuls gebend für andere Gesellschaftsgruppen sein kann. Voraussetzung dafür ist, dass wir eine eigene Identität als lesbisch-schwule Minderheit entwickeln, die es sinnvoll macht, private Mittel z.B. in Form von Spenden, Stiftungen oder erbrechtlichen Zuwendungen in Projekte der schwul-lesbischen Selbsthilfe zu investieren. Diese Bereitschaft, verstärkt Eigenverantwortung zu übernehmen, darf nicht dazu führen, den Staat vollständig aus seiner Verantwortung für die Förderung der Akzeptanz von Lesben und Schwulen in NRW zu entlassen. Umgekehrt ist es notwendig, dass das Land eine Initialförderung gewährt, um zukunftsorientierte Finanzierungsmodelle, die in Deutschland keine Tradition haben, im schwul-lesbischen Bereich zu ermöglichen. Wir brauchen: 100% Selbstbewusstsein!

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Quelle: „Der CSD Köln/Cologne Pride sagt Danke!“, www.cologne-pride.de.

Gay Pride auf der Christopher-Street-Day-Parade in Köln (Juli 2006), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/ein-neues-deutschland-1990-2023/ghdi:document-3683> [10.05.2024].