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Deutsch und stolz
Worauf? Auf die Demokratie, die europäische Bindung und die Abkehr von der alten Arroganz
Wer wirklich Geld hat, protzt nicht; wer stolz auf sein Land, Kind oder Schaffen ist, wirft sich nicht in die Brust. Auf diese trommeln Gorillas, um sich Mut zu machen; es ist eine Gebärde der Unsicherheit. „I am proud to be an American“ oder „Je suis fier d'être français“ sind Parolen, die man in ungebrochenen Nationalstaaten recht selten hört. In Amerika wehen die Sternenbanner so beiläufig über dem Postamt wie hier die bunten Wimpel an der Tankstelle. In Frankreich fehlt dem republikanischen Gestus ebenfalls der pathetische Anstrich; er ist blau-weiß-rote Normalität. Beiläufigkeit auch in der Bundesrepublik? Noch nicht. Das zeigt die jüngste Aufwallung der „schwatzenden Klasse“, die sich zwischen Castor (noch nicht da) und BSE (halb verblasst) breit gemacht hat. Das Szenario hätte man zuvor schon der Festplatte entnehmen können, läuft es doch nach bekannt-bewährtem Muster ab. Da bekennt einer (Laurenz Meyer von der CDU): „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Daraufhin wird ihm nahe gelegt (von dem Grünen Jürgen Trittin), sich doch gleich als Skinhead zu outen. Jetzt beginnt die Empörung zu schäumen und Nachahmungstäter zu animieren. Also breitet Guido Westerwelle (FDP) ebenfalls seinen Nationalstolz aus, also bekennt der Bundespräsident (SPD), dass er eigentlich gar nicht so stolz auf sein Land sei. Schließlich stehen die Chöre wieder fest vereint zur Linken wie zur Rechten und versuchen einander wütend die Gesangsberechtigung zu entziehen. Wie schön, dass in dieser unordentlichen Welt wenigstens auf die Lagerbildung Verlass ist – wie zuletzt während der Fischer-Furore, als der deutsche Biografiekrieg fein säuberlich die alten Reihen festigte.
Wenn die Gefühlspolitik das Politikgeschäft ersetzt
Alles nur Wahlkampfgetöse? Das ist es auch, muss sich doch die Opposition verzweifelt mühen, irgendein Thema zu finden, das die flinkfüßige Neue Mitte nicht schon besetzt hätte. Gestern machten die Schröderisten noch mutige Reformpolitik, heute, da 2002 immer näher rückt, verteilen sie wieder reichlich Geschenke an ihre Klientel. Da kann die Union derzeit schlecht von links attackieren, um dem „kleinen Mann“ Sicherheit vor dem unaufhaltsamen Wandel zu verheißen. Also von rechts, was den Vorteil hat, dass man nicht Programme und Personen, sondern bloß Symbole feilhalten muss. Nationalstolz kostet nix, heischt auch nicht die Qual der Wahl zwischen verfeindeten Führungsfiguren in der Partei und widerstreitenden Interessengruppen im Land. Bequem ersetzt so Gefühlspolitik das Politikgeschäft.
Dennoch griffe zu kurz, wer diesen Streit ums Nationale bloß als vordergründiges Lagergezänk verstehen wollte. Anderswo würde der Satz „Ich bin stolz, ein X zu sein“ nicht einmal zitiert, geschweige denn zerrissen werden. In Deutschland aber gibt es derlei Gelassenheit nicht, kann es sie auch nicht geben. Noch schlimmer: Wörtchen wie „gelassen“, gar „unverkrampft“ sind Kodierungen, die in der Paarung mit „Vergangenheit“ oder „Nation“ nichts anderes als Verkrampfung signalisieren. Das sind die Lieblingsvokabeln jener, die furchtbar gern die eine entsorgen und die andere wieder mystifizieren wollen – im Dienste einer verquasten Metaphysik, die das breite völkische Wir zum Bollwerk gegen das Andere und das Fremde macht. Wer „unverkrampft“ sagt, ist unehrlich.
Unehrlich ist aber auch, wer aus „Nation“ gleich „Nationalismus“ macht und „Patriotismus“ als „nationale Arroganz“ denunziert. Das sind Totschlagargumente, die in einer Reihe mit „Skinhead-Meyer“ stehen. Ist es des Demokraten eiserne Pflicht, sich jede Vokabel von den Glatzen klauen zu lassen? Das hieße, ihnen den Sieg vorauseilend zu gewähren – den Schurken zu überlassen, was denn politisch korrekt sei. Stattdessen müssen die Demokraten die Begriffe richtig ausfüllen. Wenn denn ein Deutscher stolz auf diese Bundesrepublik sein will, muss er nicht in der braunen Brühe fischen – nicht im Ressentiment gegen andere, nicht im Geraune über Volk und Vaterland.
Er kann darauf verweisen, dass auf einem autoritär und totalitär verseuchten Boden eine Demokratie Wurzeln geschlagen hat, die in mancher Hinsicht liberaler ist als die französische oder britische. Die Vergangenheit? Sie wird auch nach 56 Jahren nicht entsorgt; Erinnerung und Verpflichtung sind zur Staatsräson geworden. Ein übermächtiger Staat? Die Macht ist nur in der Schweiz kräftiger zersplittert. Ausgrenzung von Fremden? Spät, aber doch hat sich das Recht auf Einbürgerung neben dem archaischen Prinzip des Völkischen durchgesetzt. Deutschtümelei? Die Antwort liefert ein einziges Wort: Europa.
Wer stolz auf diese Leistungen sein will, darf's gern sein, weil auch der wildeste Träumer sie den Deutschen 1945 nicht zugetraut hätte. Bloß wär's ein besonderer Stolz: einer, der sich nicht in Selbstgefälligkeit oder Überhebung erschöpft – und schon gar nicht in der Arroganz gegenüber dem Anderen. Ein solcher Stolz hätte überdies den feinen Vorteil, dass der Bekunder nicht wie ein nervöser Gorilla trommeln müsste. Er hätte die Selbstversicherung nicht nötig und würde mit der Gelassenheit von Amerikanern und Franzosen an seine Nation denken. Und mit einer Zuneigung, die mehr ist als ein lebenswichtiger, aber blutarmer „Verfassungspatriotismus“.
Verfassungspatriotismus ist die austauschbare Regeltreue, die jeder liberale Rechtsstaat einfordern kann. Zuneigung aber ist die Antwort auf die Frage: Warum lebe ich unter diesem Gesetz, nicht einem anderen? Es ist eine leise Antwort – just mit der Gelassenheit vorgetragen, die der „eifernden Klasse“ in diesem Land noch fehlt. Aber es geht voran, wenn ein ehemaliger Juso-Chef namens Schröder „stolz auf sein Land ist“, auf „seine demokratische Kultur“. Mit derlei Stolz können wir gut leben – unsere Nachbarn und Freunde auch.
Quelle: Josef Joffe, „Deutsch und Stolz“, Die Zeit, Nr. 13, 22. März 2001.