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Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands: „Freiheit in Verantwortung”
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KAPITEL III
FÜR EINE ÖKOLOGISCHE UND SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT
1. PRINZIPIEN DER ÖKOLOGISCHEN UND SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT
67. Die Ökologische und Soziale Marktwirtschaft ist ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Programm für alle. Sie hat ihr geistiges Fundament in der zum christlichen Verständnis des Menschen gehörenden Idee der verantworteten Freiheit und steht im Gegensatz zu sozialistischer Planwirtschaft und unkontrollierten Wirtschaftsformen liberalistischer Prägung. Wir treten für die Ökologische und Soziale Marktwirtschaft ein, weil sie wie keine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unsere Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit verwirklicht. Ihre Grundlagen sind Leistung und soziale Gerechtigkeit, Wettbewerb und Solidarität, Eigenverantwortung und soziale Sicherung. Sie verbindet den Leistungswillen des einzelnen mit dem sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft und schafft im Rahmen ihrer ökologischen Ordnung die Voraussetzungen für die Bewahrung der Schöpfung.
Wir vertrauen auf die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen, sich in Freiheit und Verantwortung zu entfalten. Wir wissen, dass der Mensch seine Fähigkeiten missbrauchen und ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Belange wirtschaften kann. Deshalb muss unser Staat Rahmenbedingungen setzen, um die Kräfte der Selbstregulierung in der Wirtschaft zu stärken und alle am Wirtschaftsleben Beteiligten auf die Beachtung sozialer und ökologischer Erfordernisse zu verpflichten. Dabei sind die Prinzipien des Wettbewerbs und der sozialen sowie ökologischen Ordnung miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig. Wir wollen die Ökologische und Soziale Marktwirtschaft so fortentwickeln, dass die persönliche Initiative gestärkt, immer mehr Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt verwirklicht und die Umwelt wirksam geschützt wird.
Markt und Wettbewerb
68. Markt und Wettbewerb sind zentrale Elemente unserer Wirtschaftsordnung und ermöglichen Freiheit durch Dezentralisation von Macht. Der freiheitlichen Demokratie entspricht der Markt als Organisationsform der Wirtschaft. Wettbewerb fördert den Leistungswillen des einzelnen und dient damit zugleich dem Wohl des Ganzen. Markt und Wettbewerb ermöglichen eine effiziente und preisgünstige Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, sorgen für eine auf die Wünsche der Konsumenten ausgerichtete Produktion, fördern Innovationen und zwingen zur ständigen Rationalisierung. Mehr Staat und weniger Markt führen demgegenüber vielfach zur Verminderung der Leistungsbereitschaft der Leistungsfähigen und damit zu weniger Wohlfahrt und weniger Freiheit für alle. Allerdings kann der Markt nicht allein aus sich soziale Gerechtigkeit bewirken. Die Leistungsgerechtigkeit des Marktes ist nicht identisch mit der sozialen Gerechtigkeit. Die Ökologische und Soziale Marktwirtschaft fügt deshalb Marktordnung und Ordnung der sozialen Leistungen zu einem ordnungspolitischen Ganzen zusammen. Dabei muss der Grundsatz gelten: Soviel Markt wie möglich, um Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Selbstverantwortung des einzelnen zu stärken, und soviel Staat wie nötig, um Wettbewerb und die soziale und ökologische Ordnung des Marktes zu gewährleisten.
Zu einer freiheitlichen und sozialen Wirtschaftsordnung gehört das sozial verpflichtete Privateigentum. Privateigentum an Produktionsmitteln ist Bedingung für die wirtschaftliche und sorgsame Nutzung knapper Güter sowie für die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Wirtschaft. Die Vertrags-, Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit sowie die Freiheit der Berufswahl sind ebenso grundlegende Voraussetzungen für freie wirtschaftliche Betätigung wie die Chance des Gewinns und das Risiko des Verlustes.
Soziale Ordnung
69. Wirtschafts- und Sozialordnung sind untrennbar miteinander verbunden. Sie begrenzen und ergänzen sich gegenseitig. Eine Wirtschaftspolitik ohne soziale Gerechtigkeit gefährdet den sozialen Frieden und führt zugleich zu volkswirtschaftlichen Verlusten und gesellschaftlicher Instabilität. Unsere soziale Ordnungspolitik verbindet die Prinzipien der Humanität und Wirtschaftlichkeit sowie der Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit. Sie zielt auf die Stärkung der Eigenverantwortung, auf persönliche Hilfe und aktive Solidarität.
Wir gestalten unsere soziale Ordnungspolitik nach den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität. Wir wollen gemeinschaftlich die Risiken absichern, die der einzelne nicht allein und aus eigener Kraft tragen kann. Grundlegende Elemente unserer sozialen Ordnung bleiben Versicherungspflicht und Leistungsgerechtigkeit sowie Dezentralisierung und Selbstverwaltung in den Sozialversicherungen.
Unsere Sozialordnung beruht zu einem erheblichen Teil auf der Solidarität zwischen den Generationen. Angesichts der tiefgreifenden demographischen Veränderungen dürfen wir diesen Generationenvertrag nicht überlasten. Es entspricht unserem Verständnis von Solidarität und Subsidiarität, angesichts des gewachsenen Wohlstandes die Absicherung von zumutbaren Risiken in die Eigenverantwortung des einzelnen zu übertragen.
Von besonderem Wert für unsere soziale Ordnung und für den Erfolg unserer Wirtschaft ist die soziale Partnerschaft. Ein Vergleich mit vielen anderen Industrieländern zeigt, wie hoch die produktive Kraft des sozialen Friedens einzuschätzen ist. Zur sozialen Partnerschaft in der Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft gehören vor allem Mitbestimmung, Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Tarifautonomie.
Die Tarifautonomie ist ein wichtiger Faktor unseres sozialen Friedens. Die Idee der Partnerschaft erfordert funktionsfähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Die Tarifpartner tragen besondere Verantwortung für Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität und Wachstum und damit für das Gemeinwohl. Zu den grundlegenden Elementen unserer sozialen Ordnung gehören ferner ein wirksamer Arbeitnehmerschutz, die Mitbestimmung und Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer und die soziale Partnerschaft ebenso wie die Gleichberechtigung von Frau und Mann.
Ökologische Ordnung
70. Wir Christliche Demokraten erweitern die Soziale Marktwirtschaft um eine ökologische Dimension. Stärker als bisher wollen wir die Kräfte und Steuerungsmechanismen der Marktwirtschaft einsetzen, um einen schonenden Umgang mit Natur und Umwelt zu erreichen. Ziel der Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft ist es, eine Synthese von Ökonomie, sozialer Gerechtigkeit und Ökologie zu schaffen.
Unsere Verantwortung für die Schöpfung muss auch unser wirtschaftliches Handeln leiten. Wir müssen die Vernetzung von Mensch, Natur und Umwelt zum Prinzip unseres Handelns machen. Grundlage der ökologischen Ordnung sind das Verursacher- und das Vorsorgeprinzip. Wir wollen, dass in Zukunft jeder die Kosten unterlassener Umweltvorsorge und der Inanspruchnahme von Umwelt tragen muss, die aus seinem Verhalten als Produzent oder Konsument entstehen. Das ist nur dann gewährleistet, wenn sich diese Kosten in ökologisch ehrlichen Preisen niederschlagen. Damit setzen wir Signale und schaffen Anreize zu umweltschonendem Verhalten.
Marktwirtschaftliche Anreize und das gesetzliche Ordnungsrecht sind die Instrumente zur Verwirklichung dieser Ziele. Über beide Instrumente kann die Knappheit der Naturgüter erfasst werden. Ausgehend von der Verantwortung des einzelnen in der Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft treten wir dafür ein, zunächst alle Chancen zur Kooperation zu nutzen, bevor staatliche Regelungen eingesetzt werden müssen. Wir werden auch künftig das ökologische Ordnungsrecht mit gesetzlichen Ge- und Verboten, Grenzwerten, Auflagen und Genehmigungserfordernissen zur wirkungsvollen Abwehr von unmittelbaren Gefahren für Mensch und Umwelt benötigen. Um die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der Wirtschaft verstärkt in den Dienst der Umwelt zu stellen, wollen wir aber mehr als bisher ökologische Ordnungselemente im Steuerrecht, Umweltabgaben, Kompensationsmöglichkeiten, Zertifikats- und Haftungsregelungen einsetzen. Indem wir durch solche marktwirtschaftlichen Anreize die Umweltschonung belohnen und die Inanspruchnahme von Umwelt mit Kosten belegen, verfolgen wir den Weg zu ökologisch ehrlichen Preisen und stärken die Eigeninitiative zu mehr Umweltschutz.
Wir Christliche Demokraten werben für ein neues Verständnis von Wohlstand und Wachstum. Wesentlicher Bestandteil des Wohlstandes ist eine gesunde und lebenswerte Umwelt. Wachstum bedeutet weitaus mehr als nur die Mehrung von Gütern und Dienstleistungen. Unser neues Verständnis von Wachstum schließt die schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen durch den Einsatz modernster Produktionsmethoden und den Weg ökologisch ehrlicher Preise für die Inanspruchnahme von Umwelt ein.
2. DIE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT DES WIRTSCHAFTSSTANDORTES DEUTSCHLAND VERBESSERN
71. Wir Christliche Demokraten haben die Soziale Marktwirtschaft politisch entwickelt, gegen heftige Widerstände durchgesetzt und in Jahrzehnten der Regierungsverantwortung ausgestaltet. Weltweit gilt dieses Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell als Vorbild. Auf der Grundlage von Freiheit und Demokratie ist in der Bundesrepublik Deutschland eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung und der Ausbau des Systems der sozialen Sicherheit gelungen. Wir halten an dem Ziel fest, die Lebensverhältnisse in ganz Deutschland einander anzugleichen, Wohlstand für alle in ganz Deutschland zu schaffen und den sozialen Ausgleich zwischen Schwachen und Starken zu verwirklichen.
72. Unser Wirtschaftsstandort steht durch die Veränderungen in Deutschland, Europa und der Welt in wirtschaftlicher, technologischer und sozialer Hinsicht vor neuen Herausforderungen. Angesichts des Europäischen Wirtschaftsraumes und des zunehmenden Austauschs mit den mittel- und osteuropäischen Staaten, der Internationalität von Märkten und des wachsenden internationalen Standortwettbewerbs und vor allem angesichts der grundlegend veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nach der Wiedervereinigung Deutschlands müssen wir unsere wirtschaftliche Konkurrenz- und Leistungsfähigkeit verbessern, für die soziale Sicherheit und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen nachhaltig sorgen.
73. Die sozialistische Planwirtschaft hat in den neuen Ländern in Deutschland große ökologische und ökonomische Zerstörungen hinterlassen und den Menschen schweren Schaden zugefügt. Im wiedervereinigten Deutschland ist es daher eine Aufgabe aller Verantwortlichen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Neuaufbau in den neuen Bundesländern voranzutreiben. Mit dem Aufbau einer hochmodernen Infrastruktur, durch Investitionen in Arbeitsplätze und innovative Produkte, durch die Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungswesens und durch die Stärkung von Forschung und Entwicklung schaffen wir die Voraussetzungen für eine leistungsfähige Wirtschaft. Mit der Wiedervereinigung sind wir gemeinsam auch wirtschaftlich an Zukunftschancen reicher geworden. Bei unseren Ansprüchen müssen wir aber unsere veränderte gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Wir müssen aufhören, das bisherige Wachstum des Wohlstandes im Westen einfach fortschreiben zu wollen.
Die Wiedervereinigung bietet uns die Chance, unsere Wirtschafts- und Sozialordnung in ganz Deutschland zu erneuern und Fehlentwicklungen in den alten Bundesländern zu korrigieren. Wir wollen die Leistung und die Risikobereitschaft des einzelnen fördern, bürokratische Hemmnisse abbauen, wo immer möglich deregulieren, privatisieren und Subventionen abbauen sowie die Beteiligung breiter Volksschichten am Produktivkapital fördern. Wir wollen ökologische Erfordernisse stärker als bisher durch marktwirtschaftliche Mittel berücksichtigen. Wir wollen unseren Sozialstaat umbauen, um die Folgen der demographischen Veränderungen zu bewältigen und auch in Zukunft soziale Gerechtigkeit verwirklichen zu können.
74. Als rohstoffarmes Land mit hohen Arbeitskosten ist Deutschland besonders auf die Leistungs- und Innovationsfähigkeit seiner Menschen und der Wirtschaft angewiesen. Wir müssen uns mit unserer Fähigkeit zu Spitzenleistungen auf Produkte und Produktionstechniken mit Spitzenqualität konzentrieren. Technologischer Fortschritt vollzieht sich in immer kürzeren Zyklen und erfordert eine Beschleunigung von Innovationen. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes hängt deshalb wesentlich von einem hohen Leistungsstand bei Forschung und Entwicklung sowie bei der Anwendung neuer Technologien wie Bio-, Gen-, Informations- und Umwelttechnologien ab. Umweltfreundlichen Produkten und Technologien gehört die Zukunft. Mit der Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsordnung zu einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft können wir nicht nur unsere führende Rolle im Bereich der Umwelttechnologien ausbauen, sondern auch einen wesentlichen Standortvorteil für die Zukunft sichern.
Zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland treten wir ein für:
— die Rückführung des Staatsanteils und die Senkung von Steuern und Abgaben,
— die Verbesserung von Aus- und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung und deren Infrastruktur,
— die Förderung von Zukunftstechnologien und des Umweltschutzes,
— Privatisierung und Abbau von Subventionen, Deregulierung und Verringerung bürokratischer Vorschriften und Auflagen sowie die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren,
— flexiblere Arbeits- und längere Maschinenlaufzeiten sowie deren Entkopplung,
— die Verbesserung der Informations- und Verkehrsinfrastruktur
— und insbesondere die Sicherung unseres sozialen Friedens und der sozialen Partnerschaft.
Als exportorientierte Industrienation ist Deutschland auf einen freien Welthandel angewiesen. Protektionismus blockiert die Dynamik der Wirtschaft und verhindert Innovationen. Mit dem Europäischen Wirtschaftsraum entsteht in Europa ein großer integrierter Markt, der sich auch den mittel- und osteuropäischen Staaten öffnen muss. Um den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa zu sichern und zu verbessern, streben wir eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion an und treten für offene Märkte nach innen und außen ein.
Finanz- und Steuerpolitik
75. Die Rahmenbedingungen der Finanzpolitik haben sich durch den Aufbau der neuen Bundesländer für eine längere Übergangszeit stark verändert. Damit das Zusammenwachsen Deutschlands zügig vorangebracht wird, haben wir vorübergehend eine höhere Staatsverschuldung, ein Ansteigen des Staatsanteils, der Steuerbelastung und der Staatsausgaben in Kauf nehmen müssen. Im Anschluss daran muss jedoch die Verschuldung konsequent rückgeführt, alle öffentlichen Haushalte konsolidiert, der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt vermindert und mittelfristig die Steuerbelastung gesenkt werden. Der Abbau der Staatsquote bei konsolidierten Staatshaushalten ist die Meßlatte aller finanzpolitischen Entscheidungen. Die Voraussetzungen zur Senkung der Verschuldung schaffen wir, indem wir die Aufgaben des Staates neu bestimmen. Wir müssen neu festlegen, welche öffentlichen Leistungen Vorrang haben, was der Staat und die Sozialversicherungssysteme leisten können, welche öffentlichen Dienstleistungen über Marktbeziehungen geregelt werden können und auf welche Leistungen wir verzichten müssen.
Erforderlich sind Strukturveränderungen und Umschichtungen, Ausgabenverminderungen und Effizienzsteigerungen. Indem wir deregulieren, entbürokratisieren und privatisieren, wollen wir erreichen, dass öffentliche Aufgaben effizienter und kostengünstiger wahrgenommen werden. Wir wollen mehr als bisher einen Teil der öffentlichen Aufgaben durch besondere Entgelte wie Preise und Gebühren und durch Selbstbeteiligungsanteile finanzieren. Dies erhöht die Kostentransparenz öffentlicher Angebote, begünstigt den Wettbewerb und führt zu einem kostengünstigeren und sparsameren Umgang mit öffentlichen Leistungen.
Um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, ist ein nachhaltiger Subventionsabbau notwendig. Dauerhafte Subventionen lähmen die Marktkräfte, verzerren den Wettbewerb, behindern den Strukturwandel und die Wirtschaftsdynamik. Wir wollen Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und sonstige subventionsähnliche Ausgaben weiter reduzieren. Subventionen sollten grundsätzlich befristet und degressiv gestaltet werden. Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung müssen mit aller Konsequenz bekämpft werden.
76. Der Grundgedanke der sozialen Gerechtigkeit ist nicht nur bei den Empfängern staatlicher Leistungen, insbesondere bei Sozialleistungen, zu berücksichtigen, sondern auch bei der Belastung der Steuer- und Beitragszahler. Es geht nicht nur um Verteilungs-, sondern gleichermaßen auch um Leistungsgerechtigkeit. Steuern und Abgaben dürfen weder die private Initiative noch die Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Unternehmern lähmen.
Zur Erhöhung der Transparenz und der Gerechtigkeit sowie zur Verwaltungsvereinfachung streben wir an, das Steuersystem und die nicht auf Beiträgen beruhenden Sozialleistungen so weit wie möglich zu integrieren.
Wir wollen mittelfristig sowohl die Steuerbelastung insgesamt reduzieren als auch unser Steuersystem neu strukturieren. Die Belastung der produktiven Faktoren Kapital und Arbeit durch die direkten Steuern ist zu hoch. Wir wollen niedrigere direkte Steuersätze, aber eine breitere Steuerbemessungsgrundlage mit weniger steuerlichen Vergünstigungen und Ausnahmetatbeständen. Das dient zugleich der Vereinfachung und damit der Steuergerechtigkeit. Zugleich werden wir den Konsum, insbesondere bei Energieverbrauch und Umweltbelastungen, steuerlich stärker belasten müssen. Indem wir das Steuersystem ökonomisch und ökologisch neu orientieren, stellen wir wichtige Weichen zur Fortentwicklung der Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft. Dies entspricht auch den Erfordernissen im internationalen Wettbewerb der Unternehmensbesteuerung, da in vielen Staaten die direkten Steuersätze niedriger sind als in Deutschland. Das Sachkapital darf künftig steuerlich gegenüber dem Finanzkapital nicht benachteiligt sein. Ertragsunabhängige Steuern wollen wir vermindern und die EG-Steuerharmonisierung weiter vorantreiben.
Währungspolitik
77. Geldwertstabilität ist für eine solide wirtschaftliche Entwicklung und als Grundlage sozialer Gerechtigkeit von entscheidender Bedeutung. Stabilität dient den Sparern und Verbrauchern. Voraussetzung für den Erfolg der Geld- und Währungspolitik ist, dass alle Beteiligten im Wirtschaftsleben einschließlich der Tarifpartner und der öffentlichen Gebietskörperschaften ihren Stabilitätsbeitrag leisten.
In Europa ist es unser gemeinsames Anliegen, die Geldwertstabilität zu sichern. Einzelne Währungen und nationale Notenbanken allein können in zusammenwachsenden Märkten auf Dauer nicht für Währungsstabilität sorgen. Gerade das exportorientierte Deutschland benötigt die stabile Kaufkraft des europäischen Marktes. Wir streben eine Wirtschafts- und Währungsunion an, deren Voraussetzung die strikte Einhaltung der im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien ist. Beim Eintritt in die Währungsunion werden hohe Maßstäbe an die wirtschaftlichen Voraussetzungen der teilnehmenden Länder, vor allem hinsichtlich niedriger Inflationsraten und ihrer Haushaltsdisziplin, angelegt. Diese Maßstäbe dürfen nicht verändert werden.
Die geldpolitische Verantwortung soll in der Wirtschafts- und Währungsunion auf die Europäische Zentralbank übertragen werden, die — wie die Deutsche Bundesbank — unabhängig und vorrangig der Preisstabilität verpflichtet ist. Wir wollen mit der Europäischen Währungsunion die notwendigen Voraussetzungen für eine konsequent am Ziel der Geldwertstabilität ausgerichtete gemeinsame europäische Währung schaffen, die ebenso stabil sein muss wie die Deutsche Mark.
Wettbewerbspolitik
78. Die Freiheit des einzelnen und die Offenheit der Gesellschaft sind Voraussetzungen für Wettbewerb. Der Wettbewerb ist seinerseits Grundlage für Chancenvielfalt. Wir wollen individuelle Chancengerechtigkeit sichern, Märkte offen halten und unlauteren Wettbewerb unterbinden. Wo die Konzentration wirtschaftlicher Macht das Prinzip des Wettbewerbs verletzt, ist die Wahlvielfalt der Bürger und die Wirkung des Marktes beeinträchtigt. Der Staat muss deshalb der Konzentration wirtschaftlicher Macht entgegenwirken.
Wir treten dafür ein, wettbewerbsrechtliche Sonderregelungen für die Bereiche Verkehr, Versicherung, Banken, Energie- und Versorgungswirtschaft, Arbeitsvermittlung und freie Berufe grundsätzlich den allgemeinen Wettbewerbsregelungen anzupassen.
Die Aufgaben der Wettbewerbspolitik verlagern sich zunehmend auf die europäische Ebene. Dabei dürfen die wettbewerbsorientierten Grundsätze des deutschen Kartellrechts nicht in Frage gestellt werden. Wir wollen, dass die Fusionskontrolle der Europäischen Union institutionell abgesichert und ein unabhängiges europäisches Kartellamt geschaffen wird. Neben der Fusionskontrolle verstehen wir es als weitere Elemente unserer Wettbewerbspolitik, staatliche Subventionen zu begrenzen und abzubauen, Wirtschaftsbetriebe mit staatlicher Beteiligung zu privatisieren und eine offensive Verbraucherpolitik zu vertreten, durch die der Verbraucherschutz gewährleistet ist.
Strukturpolitik
79. Beim Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft in den neuen Bundesländern gibt es zu einem marktwirtschaftlichen Kurs und einer weiteren Privatisierung keine Alternative. Die besondere Situation in den neuen Bundesländern erfordert aber für eine längere Übergangszeit im Interesse der Menschen eine aktive Strukturpolitik. Dabei hat die Errichtung einer neuen und modernen Infrastruktur Priorität. Im gesamten Bereich der Wirtschaft streben wir eine möglichst weitgehende Privatisierung an. Nur durch den wirtschaftlichen Strukturwandel hin zu Unternehmen, die im Wettbewerb bestehen können, sind gleiche Lebensbedingungen in ganz Deutschland zu erreichen. Um diesen Wandel und eine industrielle Zukunft zu sichern, ist eine weitgehende — im Zeitablauf abnehmende — Flankierung durch staatliche Hilfen erforderlich. Um industrielle Kerne zu erneuern und industriell leistungsfähige Regionen als Wachstums- und Entwicklungspole zu gewinnen, wollen wir sanierungsfähige, aber noch nicht privatisierte Unternehmen an die Wettbewerbs- und damit Privatisierungsfähigkeit heranführen. Ziel dieser aktiven Strukturpolitik ist es, in den neuen Bundesländern eine zukunftsfähige, breit strukturierte Wirtschaft zu entwickeln.
Mit einer engeren Verknüpfung von Struktur- und Arbeitsmarktpolitik wollen wir den Zeitraum zwischen dem Wegbrechen alter, unrentabler und dem Entstehen neuer, wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze überbrücken und verkürzen sowie soziale Härten vermeiden und abschwächen. Zugleich soll erreicht werden, dass die vorhandenen qualifizierten Arbeitskräfte nicht abwandern, ihre Qualifikation verbessert wird und sie in ihrer Heimat eine tragfähige Beschäftigungsperspektive erhalten.
In den alten Bundesländern sind industrielle Beteiligungen und sonstige privatwirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Hand konsequent zu privatisieren. Außerdem können die Einrichtung und der Betrieb von Infrastrukturen im Bereich Verkehr, öffentlichen Planungsleistungen, Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie in der Energie- und Abfallwirtschaft soweit wie möglich privatisiert werden. Privatwirtschaftliche, durch Markt und Wettbewerb gesteuerte und kontrollierte unternehmerische Tätigkeit gewährleistet am besten wirtschaftliche Freiheit, ökonomische Effizienz und Anpassung an sich verändernde Marktverhältnisse. Soziale Flankierungen erfolgen durch die Ausgleichs- und Förderinstrumente der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, grundsätzlich dagegen nicht durch die unternehmerische Betätigung des Staates.
Ein kontinuierlicher Strukturwandel ist unverzichtbar, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Dieser Strukturwandel muss grundsätzlich der wettbewerblich geordneten Marktsteuerung überlassen werden. Staatliche Wirtschaftslenkung ist dazu nicht in der Lage. Aufgabe der Strukturpolitik kann es nur sein, die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Beschäftigten nach Kräften zu fördern und den Strukturwandel sozial abzusichern. Wo sektorale oder regionale Hilfen dazu notwendig sind, müssen sie zeitlich befristet, degressiv gestaltet und mit anpassungsorientierten Auflagen verbunden sein.
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Quelle: CDU, Grundsatzprogramm: „Freiheit in Verantwortung“ (1994) http://www.grundsatzprogramm.cdu.de/doc/grundsatzprogramm.pdf