Quelle
Graf Schuwalow[1] hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache. Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu entziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch die alte Kaunitzsche Coalition[2] von Frankreich, Oestreich, Rußland nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der östreichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte, sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen Abkommen von Reichstadt erkennen ließ.
Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahrscheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von England wäre fallen gelassen worden.
In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch, die Möglichkeit der antideutschen Coalition durch vertragsmäßige Sicherstellung der Beziehungen zu wenigstens einer der Großmächte einzuschränken. Die Wahl konnte nur zwischen Oestreich und Rußland stehn, da die englische Verfassung Bündnisse von gesicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige Haltung und Gestaltung Italiens nicht nur von Frankreich, sondern auch von Oestreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeichnete Wahl.
Für materiell stärker hielt ich die Verbindung mit Rußland. Sie hatte mir früher auch als sichrer gegolten, weil ich die traditionelle dynastische Freundschaft, die Gemeinsamkeit des monarchischen Erhaltungstriebes und die Abwesenheit aller eingebornen Gegensätze in der Politik für sichrer hielt als die wandelbaren Eindrücke der öffentlichen Meinung in der ungarischen, slavischen und katholischen Bevölkerung der habsburgischen Monarchie. Absolut sicher für die Dauer war keine der beiden Verbindungen, weder das dynastische Band mit Rußland, noch das populäre ungarisch-deutscher Sympathie. Wenn in Ungarn stets die besonnene politische Erwägung den Ausschlag gäbe, so würde diese tapfere und unabhängige Nation sich darüber klar bleiben, daß sie als Insel in dem weiten Meere slavischer Bevölkerungen sich bei ihrer verhältnißmäßig geringen Ziffer nur durch Anlehnung an das deutsche Element in Oestreich und in Deutschland sicher stellen kann. Aber die Kossuthsche Episode[3] und die Unterdrückung der reichstreuen deutschen Elemente in Ungarn selbst und andre Symptome zeigten, daß in kritischen Momenten das Selbstvertrauen des ungarischen Husaren und Advocaten stärker ist als die politische Berechnung und die Selbstbeherrschung. Läßt doch auch in ruhigen Zeiten mancher Magyar sich von den Zigeunern das Lied „Der Deutsche ist ein Hundsfott“ aufspielen!
Zu den Bedenken über die zukünftigen östreichisch-deutschen Beziehungen kam der Mangel an Augenmaß für politische Möglichkeiten, infolge dessen das deutsche Element in Oestreich die Fühlung mit der Dynastie und die Leitung verloren hat, die ihm in der geschichtlichen Entwicklung zugefallen war. Zu Sorgen für die Zukunft eines östreichisch-deutschen Bundes gab ferner die confessionelle Frage Anlaß, die Erinnerung an den Einfluß der Beichtväter der Kaiserlichen Familie, die Möglichkeit der Herstellung französischer Beziehungen auf katholisirender Unterlage, sobald in Frankreich eine entsprechende Wandlung der Form und der Prinzipien der Staatsleitung eingetreten wäre. Wie fern oder wie nahe eine solche in Frankreich liegt, entzieht sich jeder Berechnung.
Dazu kam endlich die polnische Seite der östreichischen Politik. Wir können von Oestreich nicht verlangen, daß es auf die Waffe verzichte, die es in der Pflege des Polenthums in Galizien Rußland gegenüber besitzt. Die Politik, die 1846 dazu führte, daß östreichische Beamte Preise auf die Köpfe polnischer Insurgenten setzten, war möglich, weil Oestreich die Vortheile der heiligen Allianz,[4] des Bündnisses der drei Ostmächte, durch ein adäquates Verhalten in den polnischen und orientalischen Dingen bezahlte, gleichsam durch einen Assecuranzbeitrag zu einem gemeinsamen Geschäfte. Bestand der Dreibund der Ostmächte, so konnte Oestreich seine Beziehungen zu den Ruthenen in den Vordergrund stellen; löste er sich auf, so war es rathsamer, den polnischen Adel für den Fall eines russischen Krieges zur Verfügung zu haben. Galizien ist überhaupt der östreichischen Monarchie lockrer angefügt, als Posen und Westpreußen der preußischen. Die östreichische, gegen Osten offne Provinz ist außerhalb der Grenzmauer der Karpathen künstlich angeklebt, und Oestreich könnte ohne sie ebenso gut bestehn, wenn es für die 5 oder 6 Millionen Polen und Ruthenen einen Ersatz innerhalb des Donaubeckens fände. Pläne der Art in Gestalt eines Eintausches rumänischer und südslavischer Bevölkerungen gegen Galizien, unter Herstellung Polens mit einem Erzherzoge an der Spitze, sind während des Krimkrieges und 1863 von berufner und unberufner Seite erwogen worden. Die alten preußischen Provinzen aber sind von Posen und Westpreußen durch keine natürliche Grenze getrennt, und der Verzicht auf sie wäre unausführbar. Die Frage der Zukunft Polens ist deshalb unter den Vorbedingungen eines deutsch-östreichischen Kriegsbündnisses eine besonders schwierige.
Anmerkungen
Quelle: Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Bd. 2. Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung Nachfolger, 1898, Kap. 29, S. 233–36. Online verfügbar unter: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN816111677&PHYSID=PHYS_0001&DMDID=DMDLOG_0001.