Kurzbeschreibung

Im Laufe des Deutsch-Französischen Kriegs (1870–1871) bestand Bismarck darauf, dass die Gesamtstrategie und die Kriegsführung fest unter ziviler (d. h. seiner eigenen) statt militärischer Kontrolle blieb. Wie Bismarcks Antrag beim preußischen König Wilhelm I. zeigt, hatten die Militärerfolge in den zwei vorangegangenen Einigungskriegen nicht nur Bismarcks eigenes politisches Ansehen erhöht, sondern auch den selbstbewussten preußischen Generalstab unter Helmuth von Moltke ermuntert, durch direkten Zugang zu Wilhelm Unabhängigkeit sowohl in militärischen als auch in politischen Entscheidungen anzustreben. Obwohl Bismarck feststellt, dass er sich nicht unter Druck fühle, einen schnellen Friedensschluss zu erreichen, ist inzwischen bekannt, dass er weniger als Moltke an der Fortsetzung des Bombardements von Paris, dem Aushungern seiner Einwohner oder einer Siegesparade auf den Champs-Élysées interessiert war. Bismarcks vorrangige Ziele bestanden darin, einen formellen Friedensvertrag vor dem Eingreifen anderer Großmächte abzuschließen und seinen Aufstieg in der Innen- und Außenpolitik zu sichern. Daher ist es verständlich, dass er genau zu diesem Zeitpunkt (Anfang Dezember 1870) an Wilhelm I. appellierte, als die Verhandlungen über die föderale Struktur des neuen Reiches an ihrem schwierigsten Punkt angelangt waren.

Die Auseinandersetzung um zivile oder militärische Kontrolle des Frankreichfeldzugs (Dezember 1870)

  • Otto von Bismarck

Quelle

Eurer Königlichen Majestät in der Anlage enthaltener huldreicher Ermächtigung gemäß schickte ich zu General Graf Moltke, um das fragliche Schreiben an General Trochu[1] anzuhalten; dasselbe war indes bereits zu den Vorposten abgesandt.

Eure Majestät hatten auf meinen alleruntertänigsten Antrag zu genehmigen geruht, daß von unserer Seite keinerlei Initiative zu Unterhandlungen mit dem Feinde zu ergreifen wären, damit zu dem Eindrucke, daß wir des baldigen Friedens bedürftig wären, und zu den Entstellungen, welche Fälschung und Leichtgläubigkeit daran knüpfen, kein Anlaß gegeben werde. In diesem Sinne deutete ich dem Oberstleutnant von Bronsart[2] heute morgen an, daß der beabsichtigte Schritt mir nicht unbedenklich schiene, glaubte aber ohne jede nähere Kenntnis der Situation einen Widerspruch gegen den beabsichtigten Schritt nicht vorweg erheben zu sollen, indem ich voraussetzte, daß mir die Gelegenheit nicht fehlen würde, Eurer Majestät über eine mein Ressort berührende Angelegenheit selbst Vortrag zu halten, bevor die allerhöchste Entscheidung erfolgte. Ich hielt letztere um so weniger für unmittelbar bevorstehend, als die Nachricht von der Einnahme von Orleans vor Abgang des Schreibens abgewartet werden sollte, eine Nachricht, die mir bis heute nachmittag nicht zugegangen ist. Ich war nicht in Zweifel, daß über Verhandlungen mit der französischen Regierung Eure Majestät mir zuvor mündlichen Vortrag gestatten würden, und hatte deshalb auf meine Diskussion mit dem Oberstleutnant von Bronsart kein entscheidendes Gewicht gelegt, mir vielmehr vorbehalten, meine prinzipiellen und formellen Bedenken nicht bei dem Generalstabe, sondern bei Eurer Majestät geltend zu machen. Prinzipiell war ich mit dem Schritte überhaupt nicht einverstanden, weil jede deutsche Initiative für Verhandlungen in Paris falsch verstanden und gemißbraucht wird, und weil ich glaube, daß der jetzigen französischen Regierung entgegenkommende Eröffnungen von militärischer Seite so lange nicht gemacht werden sollten, als sie sich über ihre Stellung zu den mit Bruch des Ehrenworts desertierten Offizieren nicht erklärt hat. Formell hatte ich eine andere Fassung, namentlich aber den Gebrauch der deutschen Sprache bei Eurer Majestät beantragen wollen. Ich werde mir bei anderem Anlasse gestatten, dies generell alleruntertänigst in Anregung zu bringen, da die deutschen Offiziere und Beamten sich stets im Nachteile befinden, wenn sie bei Korrespondenzen mit dem Feinde, der seine eigene Sprache notwendig besser beherrschen muß, sich der letzteren amtlich bedienen sollen.

Eure Königliche Majestät wollen mir huldreichst gestatten, an diesen Vorgang im allgemeinen ehrfurchtsvoll die Bitte anzuknüpfen:

Daß Eure Majestät die Gnade haben wollen, bei militärischen Vorträgen, welche politische Fragen berühren und beeinflussen, meine Zuziehung zu befehlen und mich zu ermächtigen, daß ich nach Bedürfniß an den Generalstab diejenigen Fragen über die militärische Situation richte, über welche ich einer Information als auswärtiger Minister oder als Präsident des Staatsministeriums zu bedürfen glaube.

Anmerkungen

[1] Louis Jules Trochu (1815–1896), französischer Offizier; 1859 Divisionsgeneral; August 1870–Januar 1871 Gouverneur von Paris; September 1870–Februar 1871 Präsident der „Regierung der nationalen Verteidigung.“ [Alle Bemerkungen aus Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. neubearb. Aufl. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1978, Bd. 2.]
[2] Paul Bronsart von Schellendorf (1832–1891), preußischer Generalstabsoffizier; seit 1870 Abteilungschef im Großen Generalstab; 1883–1889 preußischer Kriegsminister.

Quelle: Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke, herausgegeben von Gerhard Ritter und Rudolf Stadelmann, Friedrichsruher Auflage, 15 Bde. Berlin, 1924–1932, Bd. 6b, Nr. 1950; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. neubearb. Aufl. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1978, Bd. 2, S. 359–60.