Quelle
Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre haben in steigendem Maße uns die Überzeugung aufgedrängt, daß die Nationalliberale Partei gegenüber den wesentlich veränderten Verhältnissen nicht mehr von der Einheit politischer Denkart getragen wird, auf der allein ihre Berechtigung und ihr Einfluß beruhten.
In dieser Überzeugung erklären die Unterzeichneten hiermit ihren Austritt aus der Nationalliberalen Partei.
Eine in sicheren Bahnen ruhig fortschreitende Entwicklung unserer in Kaiser und Reichsverfassung ruhenden Einheit wird nur aus der Wirksamkeit eines wahrhaft konstitutionellen Systems hervorgehen, wie es die deutsche liberale Partei seit ihrer Existenz unverrückt erstrebt hat. Das einige Zusammengehen der liberalen Partei in den wesentlichen Fragen, das Aufhören verwirrender und aufreibender Kämpfe verschiedener liberaler Fraktionen erscheint uns aber als die unerläßliche Voraussetzung für das erstrebte Ziel.
Fester Widerstand gegen die rückschrittliche Bewegung, Festhalten unserer nicht leicht errungenen politischen Freiheiten ist die gemeinschaftliche Aufgabe der gesamten liberalen Partei.
Mit der politischen Freiheit ist die wirtschaftliche eng verbunden, nur auf der gesicherten Grundlage wirtschaftlicher Freiheit ist die materielle Wohlfahrt der Nation dauernd verbürgt.
Nur unter Wahrung der konstitutionellen Rechte, unter Abweisung aller unnötigen Belastungen des Volks und solcher indirekten Abgaben und Zölle, welche die Steuerlast vorwiegend zum Nachteil der ärmeren Klassen verschieben, darf die Reform der Reichssteuern erfolgen.
Mehr wie für jedes andere Land ist für Deutschland die kirchliche und religiöse Freiheit die Grundbedingung des inneren Friedens. Dieselbe muß aber durch eine selbständige Staatsgesetzgebung verbürgt und geordnet sein. Ihre Durchführung darf nicht von politischen Nebenzwecken abhängig gemacht werden. Die unveräußerlichen Staatsrechte müssen gewahrt und die Schule darf nicht der kirchlichen Autorität untergeordnet werden.
Wir sind bereit, einer Einigung auf dieser Grundlage zuzustimmen. Für uns aber als Mitglieder der liberalen Partei werden unter allen Umständen diese Anschauungen die leitenden sein.
[Folgen zunächst die Namen von 25 Abgeordneten des Reichstags und des Preußischen Abgeordnetenhauses, denen Rickert noch den Namen Struves hinzusetzt.][1]
Anmerkungen
Quelle: Nachlässe von Franz von Stauffenberg und Eduard Lasker; abgedruckt in Julius Heyderhoff und Paul Wentzcke, Hrsg., Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, 2 Bde., Bd. 2, Im Neuen Reich 1871–1890. Politische Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer, herausgegeben von Paul Wentzcke. Bonn, Leipzig: Kurt Schroeder Verlag, 1926, S. 356–57.