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War denn dieser Deutsche Bund wirklich etwas so Entsetzliches? Thatsache ist es, dass während der fünfzig Jahre seines Bestandes der äussere Friede ungestört blieb und Deutschland in keinen Krieg verwickelt wurde. Wohl sagt man – ich selbst habe es in meiner letzten Delegationsrede 1871 ausgesprochen – dass dieses glückliche Resultat vornehmlich dem langwährenden Zusammengehen von Oesterreich und Preussen zu danken gewesen sei. Gewiss! Aber dieses Zusammengehen war durch den Bund geschaffen und ermöglicht, welcher das Bindeglied war. So lange jenes Zusammengehen Dauer hatte, gab es keine Regierung in Deutschland, die ein anderes Programm gekannt hätte, als den Anschluss an die vereinten beiden Mächte. Erst nachdem nach 1848 man in Preussen, unter verschiedenen Formen aber stets mit gleicher Konsequenz, die Richtung des allmählichen Hinausdrängens Oesterreichs eingeschlagen hatte, nahmen, wie es nicht anders kommen konnte, die einzelnen Regierungen theils für Preussen, theils für Oesterreich Partei. Vergessen aber sollte nicht werden, dass nie eine der deutschen Regierungen während jener fünfzig Jahre etwas gethan hat, um das Ausland in deutsche Angelegenheiten hineinzuziehen. Hat es Zeiten gegeben, wo man eine gewisse Deferenz für Russland, später vielleicht für Frankreich wahrnehmen wollte, nun so suche man den Grund anderswo als in Frankfurt. Jahrzehnte-lang wurden ja die deutschen Höfe von Wien und Berlin aus in der Furcht Gottes und des Kaisers Nikolaus erzogen, und nicht sie gaben das erste Beispiel des Entgegenkommens gegen Napoleon III. Kam dagegen der Augenblick, wo die deutschen Bundesfürsten zur Vertheidigung gerufen wurden, waren sie stets dazu bereit. So 1840, so 1859. Und noch Eines, was heute übersehen zu werden pflegt: Es ist sehr befriedigend, sehr erwünscht, immer und immer wieder von den erfolgreichen Bemühungen des Deutschen Reiches und seiner Bundesgenossen für die Erhaltung des Friedens zu hören. Allein je willkommener dieses Resultat der Bemühungen ist, desto zweifelloser folgt daraus mit zwingender Logik deren Nothwendigkeit. Zur Zeit des Deutschen Bundes hörte man selten davon, weil der Friede etwas Selbstverständliches war, was er seit 1866 und 1870 nicht mehr ist.
Das strenge Urtheil, welches über und gegen den Bund erging, traf jedoch zugleich die Vielstaaterei, die Unabhängigkeit der einzelnen Bundesstaaten. Aber kann, darf wohl vergessen werden, dass das Repräsentativsystem seine Entstehung und Entwicklung nicht den beiden Grossmächten verdankte, wo es erst zur Geltung kam, nachdem es in den deutschen Mittelstaaten zwanzig und dreissig Jahre früher seinen Einzug gehalten hatte, und zwar trotz der von Wien und Berlin ihm bereiteten Schwierigkeiten? Kann wohl behauptet werden, dieses System, welches unbestritten Jahrzehnte-lang in Deutschland wie in Frankreich und Italien den Fortschritt bedeutete, sei erst im Deutschen Reich zur höchsten Blüte und höchsten Achtung gelangt? Wohl ist heute die Zahl Derer nicht gering, welche sich des Gegentheils als einer nothwendigen und willkommenen Einschränkung freuen, keiner unter ihnen aber wird eine Bürgschaft dafür bieten, dass nicht Zeiten kommen werden, wo man des Repräsentativsystemes bedürfen wird, nicht als einer Schranke nach oben, sondern als eines Sicherheitsventils nach unten. Diese Zeiten werden kommen, und eine schwere Verantwortung wird alsdann Die treffen, welche heute ihre Macht dazu gebrauchen, muthwillig das Repräsentativsystem zu diskreditiren.
Aber nicht nur auf diesem Felde politischer Gestaltung, auch auf andern Gebieten sowohl der Gesetzgebung als der Verwaltung waren es die Einzelnstaaten und nicht die mächtigsten, welche vorangingen und Erspriessliches leisteten. Ich erinnere an den Eisenbahnbau. Die Strecke Leipzig-Dresden war, nachdem die kleine Nürnberg-Fürther Bahn vorausgegangen, die erste längere Strecke, und die Leipzig-Magdeburger trat ihr später als Fortsetzung zur Seite. Ich war Legationssekretär in Berlin, als das Leipzig-Dresdener Eisenbahn-Komité gebildet wurde und seine erste Thätigkeit begann. Wie viele spöttische Anspielungen auf die sächsische Superklugheit hatte ich Gelegenheit zu vernehmen! Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der später durch meine Verheirathung mein Oheim wurde, unterliess nicht, Worte vertraulicher Warnung an mich zu richten. Und habe ich nöthig, daran zu erinnern, was die Vielheit der deutschen Residenzen und Hauptstädte für die Pflege der Wissenschaft und Kunst war? Man wird mir einhalten, nichts hindere die Einzelnstaaten, dieser erspriesslichen Thätigkeit sich ferner zu widmen. – Dazu muss freilich bemerkt werden, dass es mehr als einen der wichtigsten Zweige der Gesetzgebung und der Verwaltung gibt, in dem sie nicht mehr das entscheidende Wort zu sprechen haben. Dann aber fehlt aus Gründen, die ich ihrer zarten Natur wegen nicht näher ausführen will, Eines was die grosse Triebfeder für manches Unternehmen war – der Wetteifer unter den selbstständig sich Fühlenden und selbstständig Handelnden.
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Und wie hat man die Idee der Trias, deren Vorfechter ich war, verketzert? Merkwürdig dass diese Kombination […] im Auslande, insbesondere in Frankreich, nie einer ausgesprochenen Sympathie begegnete! Man erkannte dort sehr wohl, was man in Deutschland blind genug war, nicht einzusehen, dass mit der dritten Gruppe, nichts anzufangen, dass sie das beste Bollwerk gegen Sonderbündnisse mit dem Ausland sein werde, wie beispielsweise gegen das preussisch-italienische, weil dann die dritte Gruppe sofort auf die Seite der anderen Grossmacht trat.
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Die Verhältnisse in Italien lagen ganz anders als in Deutschland; dort war kein Einigungsbund unter den einzelnen Staaten, jeder derselben hing mehr oder weniger vom Ausland ab, selbst Piemont war bis 1847 von Oesterreich abhängig, die Secundogenituren natürlich, Neapel bald von Oesterreich bald von Frankreich.
Und wie sah es in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes aus? Gab es einen, an welchem Gladstone sich hätte versuchen können? In den siebziger Jahren befand ich mich einmal in Sachsen zu kurzem Besuch – es war der Moment, wo Fürst Bismarck den ersten Anlauf zur Uebernahme der in den einzelnen Staaten vorhandenen Staatseisenbahnen auf das Reich unternommen hatte. Dagegen regte sich starke Opposition, und ein nationalliberales Blatt klagte darüber mit den Worten: „dieser Partikularismus gemahne an die schlimmsten Beust’schen Zeiten.“ – „Beleuchte“ – sagte ich zu einem alten Freunde – „die schlimmsten Beust’schen Zeiten.“ Damals hatte der Sachse noch nicht das Hochgefühl, Elsass erobert zu haben, dagegen machte die elsässische Industrie der sächsischen nicht Konkurrenz; ferner hatte der Sachse nicht das Hochgefühl, eine Kriegsflotte zu besitzen, dagegen schwammen die Erzeugnisse seiner Industrie bei Weitem mehr auf den Meeren als jetzt, und sie hatten unter der Abwesenheit der Kriegsflotte eben so wenig als die schweizerischen zu leiden; er hatte auch nicht das Hochgefühl, ein Angehöriger der ersten Militärmacht zu sein, dagegen war für ihn die harmlose Befriedigung, wenn Sachsens Stimme einmal sich vernehmen liess oder sein Minister Mitglied einer europäischen Konferenz wurde, weniger kostspielig, während er jetzt 60 000 Mann zu stellen hat, damals nicht viel mehr als ein Dritttheil dieser Anzahl von ihm verlangt wurde, ohne Beeinträchtigung der Sicherheit und des Friedens im Lande. Endlich hatte der Sachse noch nicht das Hochgefühl, dass, wenn er in Buenos-Ayres etwa gemisshandelt werden sollte, ein Panzerschiff erscheinen werde, um seine Peiniger zu züchtigen; indessen widerfuhr ihm solches Abenteuer selten, wogegen er sehr oft in den Fall kam, in Paris, London und Petersburg Unterstützung und Hülfe zu bedürfen, in welchem Fall er früher bei der sächsischen Gesandtschaft stets das grösste Entgegenkommen schon aus dem doppelten Grunde fand, weil diese Gesandtschaften Zeit und Mittel für ihn hatten, während er jetzt bei der Deutschen Botschaft in den allgemeinen Topf geworfen wird, wobei, angesichts der grossen Anzahl der Hülfesuchenden, für den Einzelnen wenig übrig bleibt, und weil die kleinen Gesandtschaften daran zu denken hatten, dass das Budget des Auswärtigen in den Kammern unangefochten bleibt.
Quelle: Friedrich Ferdinand Graf von Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Erinnerungen und Aufzeichnungen, 2 Bde. Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, 1887, Bd. 1, 1809–1866, Kap. 30, S. 421–23, Bd. 2, 1866–1885, Kap. 3, S. 31–33. Online verfügbar unter: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uc1.$b790609&view=1up&seq=8&skin=2021 (Bd. 1) and https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=mdp.39015009229322&view=1up&seq=9&skin=2021 (Bd. 2).