Kurzbeschreibung
Fritz von Uhde (1848–1911) entschloss sich, dieses kleine Mädchen auf
einer großen, 140 mal 111 Zentimeter messenden Leinwand zu malen. Aus
nächster Nähe und in voller Größe zu sehen, vermittelt das Mädchen eine
Art von Selbstbewusstsein, dass unter den „Bengeln“ selten ist, die in
den Kunstausstellungen des 19. Jahrhunderts eine so bedeutende Rolle
spielten. Uhdes Gemälde folgte dem zeitgenössischen Trend weg vom
sentimentalen und hin zu einem nüchternen Realismus, der sein Echo in
den naturalistischen Dramen Gerhart Hauptmanns und anderer fand. Es
scheint, als hätte Uhde die Individualität dieses Mädchen einzufangen
versucht, ebenso wie er es bei den Kindern in
Die
Kinderstube getan hatte, das aus demselben Jahr stammt. Im
vorliegenden Fall scheint er jedoch erfolgreicher gewesen zu sein und
erreicht ein größeres Natürlichkeitsgefühl durch die Vermeidung
jeglicher Andeutungen von Charme und Belustigung. Darüber hinaus ist die
Urbanität von Die Kinderstube hier
völlig zugunsten einer natürlichen Umgebung aufgegeben, was buchstäblich
die Nähe des Kindes zu Natur nahe legt. Ebenso wichtig ist dessen
Positionierung in einer wilden, brachliegenden Heidelandschaft im
Gegensatz zu einer Blumenwiese. Wie Max Liebermann reiste Uhde nach
Holland, wo er einen Freilichtstil (Pleinairismus) entwickelte, der Ende
der 1880er Jahre den deutschen Trend vom Realismus zum Impressionismus
beschleunigte. Einigen Kunsthistorikern zufolge trug die tiefe innere
Bedeutung von Uhdes Werk zur Akzeptanz der neuen Kunst der 1880er Jahre
unter den Deutschen bei, die sie zuvor als einen unwillkommenen, aus
Frankreich importierten Stil betrachtet hatten. Spätestens 1889 zielte
Uhde darauf ab, in seinem Werk so viel Licht, Luft und Unmittelbarkeit
wie möglich zu vermitteln, und er hätte kaum ein besseres Sujet wählen
können als dieses aufgeweckte, freie, unverkrampft auftretende kleine
Mädchen.