Kurzbeschreibung

Arno Holz (1863–1929) war ein bedeutender Vertreter des Naturalismus in der deutschen Dichtkunst. Seit 1881 arbeitete Holz zunächst als Journalist, dann als Schriftsteller in Berlin. Er trat dem Berliner Naturalistenverein „Durch“ bei, wo er Gerhart Hauptmann (1862–1946) begegnete. Im Jahre 1885 veröffentlichte er eine Gedichtsammlung mit dem Titel Buch der Zeit. Lieder eines Modernen; aus politischen Gründen musste das Buch in der Schweiz veröffentlicht werden. 1889 war Holz ein Mitbegründer des Theatervereins Freie Bühne, und ein Jahr später nahm er seine Arbeit als Herausgeber der Vereinszeitschrift Freie Bühne auf. Der folgende Auszug aus Buch der Zeit ist ein Beispiel für Holz’ Kritik an den sozialen Folgen von Industrialisierung, Urbanisierung und technologischem Fortschritt.

Arno Holz, Dichter des Naturalismus, über den deutschen Fortschritt in der Technologie (1885)

  • Arno Holz

Quelle

Auszug aus Das Buch der Zeit (1885)

Die Zeit verliebter Abenteuer,
Für mich ist sie schon längst vorbei!

Nein mitten nur im Volksgewühl,
Beim Ausblick auf die großen Städte,
Beim Klang der Telegraphendrähte
Ergießt ins Wort sich mein Gefühl.

Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt
Von vorwärts rückenden Kolonnen
Und eine Schlacht seh ich gewonnen,
Wie sie kein Feldherr noch erstritt.

Doch gilt sie keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule –
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprühend das Genie.

Drum, dir, die schmerzvoll mich gebar,
Dir, jung Zeit aus Blut und Eisen,
Leg ich mein Herz und seine Weisen
Nun stumm auf deinen Hochaltar!

Schaust du doch auch ins Morgenroth
Und träumst von unentdeckten Welten;
Wirst du die Liebe mir vergelten,
Die tief für dich mein Herz durchloht?

Doch ob auch Dampf und Kohlendunst
Die Züge dieser Schrift verwaschen;
Kein flüchtig Glück will ich erhaschen,
Ich liebe dich, nicht deine Gunst!

Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz
Und mir ins Auge schießt der Tropfen,
Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen
Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.

Denn süß klingt mir die Melodie
Aus diesen zukunftsschwangern Tönen;
Die Hämmer senken sich und dröhnen:
Schau her, auch dies ist Poesie!

Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang
In Wälder ein und Wirtshausstuben,
Sie steigt auch in die Kohlengruben
Und setzt sich auf die Hobelbank.

Auch harft sie nicht als Abendwind
Nur in zerbröckelten Ruinen,
Sie treibt auch singend die Maschinen
Und pocht und hämmert, näht und spinnt.

Sie schaukelt sich als schwanker Kahn
Im blauen schilfumkränzten Weiher,
Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier
Und saust dahin als Eisenbahn.

Von nie geahnter Kraft geschwellt,
Verwarf sie ihre alten Krücken,
Sie mauert Tunnels, zimmert Brücken
Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.

Drum ihr, ihr Männer, die ihr’s seid,
Zertrümmert eure Trugidole
Und gebt sie weiter, die Parole:
Glückauf, Glückauf, die junge Zeit!

Quelle: Arno Holz, Werke, Hrsg. Wilhelm Emrich und Anita Holz, 7 Bde. Neuwied, 1961–1964, Bd. 5, Das Buch der Zeit (1885), S. 21–28; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen. 3. Aufl. München: Beck, 1982, S. 24–26.

Arno Holz, Dichter des Naturalismus, über den deutschen Fortschritt in der Technologie (1885), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/reichsgruendung-bismarcks-deutschland-1866-1890/ghdi:document-1747> [06.11.2024].