Kurzbeschreibung

Politische Karikaturen verquickten grafische Kunst mit sozialkritischer und politischer Kommentierung und beabsichtigten ausnahmslos, die Leser zu belustigen und die Verkaufszahlen der Zeitschriften zu steigern, in denen sie erschienen. Das in Berlin in den Revolutionstagen von 1848 gegründete Wochenblatt Kladderadatsch war eine der einflussreichsten Satirezeitschriften der Epoche. Diese Karikatur aus dem Jahr 1861 und die beiden folgenden zeigen, wie Bild und Text sich verbanden, um eine unvergessliche Wirkung auf die Zielleserschaft zu erreichen. Am Beginn des Jahrzehnts kam zur Frage, ob aus dem Konflikt zwischen Preußen, Österreich und den kleineren Bundesstaaten ein Großdeutschland oder Kleindeutschland hervorgehen würde, eine weitere Frage hinzu: welche Art von politischer und konstitutioneller Struktur würde der neue Staat haben? Das Thema Bundesreform lieferte somit viele Möglichkeiten – und wenig Übereinstimmung – in Hinblick darauf, welcher Staat oder Staatenverbund die Führung bei der Unterbreitung einer bestimmten Lösung für die deutsche Frage und der notwendigen Konsensfindung übernehmen würde. In dieser Karikatur besucht die als Kladderadatsch (oben rechts) bekannte schelmische Figur die „Nationalwerkstätte“, wo deutsche Nationalisten fleißig die Statue der Germania herausmeißeln. Die Beine, Arme und der Rumpf sind fertig, und die Statue hält bereits ein Schwert mit der Aufschrift „Einigkeit macht stark“ in Händen. Doch das (Staatsober-)Haupt muss noch aus verschiedenen Möglichkeiten ausgewählt werden. Die erste Option (von links nach rechts) ist ein Kopf, dessen einziges besonderes Merkmal ein Fragezeichen anstelle eines Gesichts ist. Der nächste Kopf trägt eine Pickelhaube und ist mit „Borussia“, also Preußen beschriftet. Der dritte, ein Januskopf, scheint die Möglichkeit eines fortwährenden österreichisch-preußischen Dualismus zu bieten. Der vierte, mit „Würzburg“ gekennzeichnete Kopf bezieht sich auf einen 1859 dort von Sachsen, Bayern, Württemberg und verschiedenen Kleinstaaten unterbreiteten Gegenentwurf, um sowohl Österreich als auch Preußen durch die Schaffung eines „dritten Deutschland“ von einer Monopolisierung der Macht abzuhalten. Allerdings legen eine Narrenkappe und andere Hinweise nahe, dass diese Option bereits als wertlos erkannt worden war. Der letzte Kopf trägt eine altmodische Schlafmütze, die darauf schließen lässt, dass „der alte Bund“ kaum die Fantasie der deutschen Patrioten beflügeln würde. Der Dialog thematisiert genau die strittige Frage der Führungsrolle im zukünftigen Deutschland.

„Wie weit wir einig sind“ (13. Oktober 1861)

  • Wilhelm Scholz

Quelle

Quelle: „Wie weit wir einig sind“ von Wilhelm Scholz, Kladderadatsch, Bd. 14, Nr. 47 (13. Oktober, 1861), S. 188. Universitätsbibliothek Heidelberg, Bd. 14, Heft 47, Oktober 1861, https://doi.org/10.11588/diglit.2242#0188

Universitätsbibliothek Heidelberg

„Wie weit wir einig sind“ (13. Oktober 1861), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/reichsgruendung-bismarcks-deutschland-1866-1890/ghdi:image-1326> [06.11.2024].