Kurzbeschreibung

Hedwig Dohm (1831–1919) war mit Wilhelm Friedrich Ernst Dohm verheiratet, dem Herausgeber des satirischen Witzblattes Kladderadatsch. In einer mehr als 50 Jahre dauernden Laufbahn veröffentlichte Dohm Romane und Theaterstücke, bleibt aber am bekanntesten für ihre ironischen und scharfsinnigen Aufsätze zum Thema Frauenrechte, die sie zwischen 1872 und 1879 verfasste. Der folgende Auszug stammt aus ihrem Aufsatz, „Das Stimmrecht der Frauen“, der in einer Sammlung mit dem Titel Der Frauen Natur und Recht erschien. In dieser Textpassage spricht sie sich mit einwandfreier Logik für das Frauenwahlrecht aus und präsentiert Punkt für Punkt eine Widerlegung solcher Argumente wie „Frauen wollen das Stimmrecht nicht“ oder „Frauen brauchen das Stimmrecht nicht.“ In den abschließenden Zeilen ihres Aufsatzes greift Dohm das Anliegen der politischen Gleichheit in leidenschaftlicherem Ton auf, sie appelliert an alle Frauen, sich dem „Geschlechtsdespotismus“ zu widersetzen.

Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen“ (1876)

  • Hedwig Dohm

Quelle

(S. 57ff., 67ff.)

[] In Deutschland befindet sich die Frauenfrage noch vor dem Beginn ernsterer Diskussion. Von Übelwollenden verspottet, obwohl Spott noch niemals ein Probierstein der Wahrheit gewesen ist, von Wohlwollenden als Bagatellsache vorläufig beiseite geschoben, ist sie bei uns noch so sehr in der Kindheit, daß, o heilige Einfalt, selbst sozialdemokratische Blätter mit Phrasen, die der Kreuzzeitung entlehnt sein könnten, Phrasen von der Sprengung heiliger Familienbande, gegen das Stimmrecht der Frauen agitieren.

Deutschland ist es vorbehalten gewesen, diese Sozialphilister zu produzieren, diese sittlichen Harlekins, die, mit der einen Hand ihr purpurnes Banner entfaltend, auf dem die strahlendsten Prinzipien reinster Demokratie prunken, mit der anderen Hand die Peitsche schwingen für die Hälfte des Menschengeschlechts.

Ein Freidenker Südamerikas faßte sein politisches Glaubensbekenntnis in die Worte zusammen: „All men are born free except niggers.“ [] Viel größer ist das Defizit an Menschenliebe und logischer Gedankenkraft, das jene Scharlatane der Demokratie mit ihrer Ausschließung der Frauen vom Stimmrecht dokumentieren. Gewiß ist es nur ein kleiner Bruchteil der Sozialdemokratie, der mit dieser Prostitution seiner eigenen Prinzipien einverstanden ist. Warum aber desavouiert die große sozialistische Partei solche Gesinnungsgenossen nicht und schickt diese Abenteurer der Gesinnung dahin, wohin sie gehören, in die Redaktion der Kreuzzeitung oder an ähnliche Orte? Wer die Selbständigkeit der Frau nicht will, wird, zur Macht gelangt, die seiner Mitbürger zerstören. []

Für die politischen Rechte der Frauen gelten genau dieselben Argumente, deren Anerkennung man in bezug auf die politische Emanzipation der Besitzlosen, der Arbeiter und zuletzt der Neger erzwungen hat.

Die Gründe der Männer (gegen das Frauenstimmrecht, d. h.) heißen:

1. Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht,
2. die Frauen wollen das Stimmrecht nicht,
3. sie haben nicht die Fähigkeit, es auszuüben,
4. ihr Geschlecht schließt die Frau selbstverständlich von jeder politischen Aktion aus.

1. Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht

Das heißt: die Männer sind von jeher so gerecht, so gut, so edel gewesen, daß man getrost die Geschicke der Hälfte des Menschengeschlechte in ihre reinen Hände legen konnte. []

Das heißt: Es ist eine den Männern eingeborene Idee, ein göttlicher Impuls, der sie antreibt, mögen sie nun der barbarischen oder zivilisierten Welt angehören, das Weib zu schützen in seinen Rechten und in seinem Glück. Alle Arglist des Schurken, alle Niedertracht des Buben, alle Laster des Vornehmen und Schlechten haben sich von jeher nur gegen ihresgleichen gerichtet. Nur Mann gegen Mann hat sich das starke Geschlecht im Kampf ums Dasein geschädigt und zugrunde gerichtet.

Abseits auf einem Piedestal stand das Weib und bei ihrem Anblick verstummten im Busen des Mannes die Lockungen des Lasters und der Quell der Tugend tat sich auf. – Nie hat ein Mann ein Weib betrogen, geschändet, gemordet, in Tod und Verzweiflung getrieben.

Die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht – nein – sie brauchen es nicht in Arkadien, in Utopien und in allen jenen Feen- und Märchenländern, an die kleine Kinder und große Männer mitunter glauben.

Und die Meinung der Geschichte? Die Geschichte der Frauen ist nur eine Geschichte ihrer Verfolgung und ihrer Rechtlosigkeit und die Geschichte sagt: Die Männer haben von jeher die Frauen unterdrückt in unerhörter und beispielloser Weise, und die menschliche Vernunft fügt hinzu: Und sie werden sie unterdrücken, bis das weibliche Geschlecht teilhat an der Abfassung der Gesetze, von denen es regiert wird, denn jedes Recht, hinter dem nicht eine Macht steht, ist ein Traumbild und ein Phantom. – Ein flüchtiger Blick auf die Stellung der Frauen bei zivilisierten und barbarischen Völkern wird genügen zur Aufklärung über die männliche Fürsorge, die von alters her, von der Wiege bis zum Grabe dem weiblichen Geschlecht zuteil ward. []

(S. 92ff.)

[]

Es ist eine uralte List der Despotie, ihre Opfer zu schmähen und zu erniedrigen, um ihre Unterdrückung zu rechtfertigen. []

Aber es ist wahr, die Zeiten sind besser geworden, es ist nicht mehr Brauch, daß der Bruder seine Schwester verkauft, der Vater die Tochter ihres Erbteils beraubt und die Mutter unter der Vormundschaft des Sohnes steht, und doch ist das Schicksal der Frau auch noch heute schwer genug. Noch heute wie in alten Zeiten sind und bleiben die Frauen unmündig – lebenslang.

Die Herrschaft des Mannes der Frau gegenüber ist eine mildere geworden, aber die Ehe ist noch immer eine fast absolute und gesetzlich garantierte Herrschaftsform des Mannes, und das junge heiratsfähige Mädchen ist auch noch heute nicht viel mehr als eine Ware, die besichtigt, gehandelt und gekauft wird.

Aber wie – auch das Gesetz wäre gegen die Frauen? Beginnt nicht unser preußischer Landrecht mit den Worten: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich?“

Jawohl, alle, nur mit einigen kleinen Unterschieden, z. B. folgenden: Nach deutschem Recht kam und kommt die Frau durch Vollziehung der Ehe mit allem, was sie hat, in Vormundschaft und Gewalt des Mannes, wenn sie sich nicht kontraktlich gesichert hat. Die Gütergemeinschaft gilt in Preußen und in den meisten deutschen Staaten für so selbstverständlich, daß ein ausschließender Vertrag einer öffentlichen Bekanntmachung bedarf. Während der Mann unbeschränkte Disposition über das Eigentum hat und die Frau keinen Einspruch bei der Verwaltung ihres Vermögens von seiten des Mannes zu erheben hat, steht ihr keine Verfügung über das Gemeingut zu.

Ein junges Mädchen, welches sich unter dem Gesetz der Gütergemeinschaft (und das ist das allgemeine) mit einem unbemittelten Manne, den sie bereichert, verheiratet, kann, wenn dieser Mann geizig ist, der Dürftigkeit anheimfallen. Möglicherweise muß sie ihr eigenes Geld, Stück für Stück für die notwendigsten Lebensbedürfnisse von dem Manne erbetteln und so gewissermaßen trotz ihres Reichtums von Almosen leben.

Auch von Todes wegen darf sie keine einseitigen Bestimmungen darüber treffen. Während der Mann für alle Schulden, die er macht, das Gemeinschaftsgut belastet, werden die der Frauen nicht daraus bezahlt. Die Frau darf nicht erwerben ohne die Erlaubnis des Mannes, und was sie erwirbt, gehört dem Manne. Ihr Kopf und ihre Finger gehören ihm. Sie darf nicht einmal ihr Schmucksachen ohne Zustimmung desselben verpfänden, sie erhält keinen Paß, es sei denn, der Mann erteile schriftlich seine Einwilligung. Sucht eine mißhandelte Frau im Hause einer befreundeten Familie Schutz, so kann der Gatte sie zwingen zurückzukehren, wieder und wieder; er kann sie verhungern lassen, sie hat kein gesetzliches Mittel, ihn anzuhalten, ihr die nötige Kost zu reichen. In Hamburg bedarf die Frau zur Vornahme gerichtlicher Akte noch heute eines Kurators. []

Von jeher fließt der Menschen Mund in Schrift und Rede, in Prosa und in Versen über von der Kraft und Herrlichkeit der Mutterliebe, die Mutter aber wird nach dem Tode des Vaters nicht als die natürliche und rechtmäßige Hüterin des Kindes betrachtet. An Stelle des väterlichen Konsenses tritt der des Vormunds. Die Anordnung der Erziehung des Kindes kommt hauptsächlich dem Vater zu. Nur ihm gibt das Gesetz Rechte in bezug auf das Vermögen der Kinder. []

Was auf dem Gebiete der geschlechtlichen Beziehungen straflos an den Frauen gesündigt wird, ist unglaublich (man vergegenwärtige sich einen Augenblick die Statistik der Verführungen und ihre furchtbare Geschichte) und schmachvoll für die menschliche Gesellschaft. Man braucht nur daran zu denken, daß die Basis für die Moralität unserer Gesellschaft die Prostitution ist. Diese Ausgeburtsidee einer korrumpierten Gesellschaft, die zugunsten der gutsituierten und beschützten Frauen dem weiblichen Proletariat das Laster aufzwingt, es zu den Parias in der moralischen Welt macht und von ihm die Kosten bestreiten läßt für den Tugendschmuck der wohlhabenden Frauenklassen. In der Tat, eine Tugendgründerei schamlosester Art. []

Der Mann verführt die Frau, stößt sie ins Elend, und die Gesetze machen sich zu Komplizen des Verführers und geben ihr den Rest. Die Frau spielt in der Geschichte der Menschheit die Rolle einer speziellen Erlöserin des Mannes. Sie, das Lamm der Natur, nimmt seine Sünden auf sich – mag sie unter dem Kreuz zusammenbrechen.

Die Gesetze, die Männer gemacht haben, sind der reine und unverfälschte Ausdruck ihrer Gesinnung in bezug auf die Frau, alles andere ist Lug und Trug, Phrase und Affektation. Diese Gesetze aber scheinen nur dazu da, die bürgerliche Untauglichkeit der Frau zu beweisen, sie nehmen an, daß die Frau schlecht, schwach und unvernünftig sei, der Mann hingegen stark, klug und ein Ausbund von Tugend. Hielten die Männer die Frauen nur für schwach und nicht zugleich für schlecht und unvernünftig, so wären Gesetze wie die angeführten doppelt und dreifach verwerflich, denn, ist es nicht Pflicht und Aufgabe des Staates, den Schwachen gegen den Starken zu schützen? Solche Gesetze aber drücken dem Starken die schärfsten und schneidigsten Waffen in die Hand gegen Schwache und Wehrlose.

[]

(S. 107ff.)

Zweiter Grund: Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht

[] Indessen läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Teil der Frauenwelt, in Deutschland sicher die Majorität, keinen Wert auf die Erlangung politischen Einflusses legt. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Teilnahme an der Abfassung der Gesetze für die Frauen entbehrlich ist. Sicherlich haben die Neger niemals die Zivilisation gefordert und die Orientalinnen haben bis jetzt noch keine Sehnsucht nach der monogamischen Ehe an den Tag gelegt.

Nichtsdestoweniger wird niemand Sklaverei und Polygamie für verehrungswürdige Institutionen erklären, und jedermann wird zugeben, daß die Zivilisation der Barbarei und die Monogamie der Polygamie vorzuziehen sei. Der Wert der Güter würde den Betreffenden sofort einleuchten, wenn man sie in den Genuß derselben setzte. Wer zur Knechtschaft erzogen ward wie Sklaven und Frauen, wird nur langsam den unermeßlichen Wert der Freiheit erkennen lernen. Und wenn man die große Abhängigkeit der Frauen erwägt, so ist die stattliche Zahl der Anhängerinnen des Stimmrechts immerhin sehr beachtenswert.

Es mag Kreise und Gemeinden von Männern gehen, wo durchschnittlich weniger als die Hälfte derselben zum Wahltische gehen. Hier hätte sich also die Majorität gegen das Wahlrecht ausgesprochen und es müßte diesen Kreisen und Gemeinden das Stimmrecht entzogen werden. Wer denkt – daran!

Wenn nur eine einzige Frau das Stimmrecht fordert, so ist es Gewalttat, sie an der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflicht zu hindern.

Die Motive, welche die Frauen bewegen, sich entweder direkt gegen das Stimmrecht ihres Geschlechts aufzulehnen oder sich wenigstens der Frage gegenüber indifferent zu verhalten, sind sehr einfache und sehr klare.

Erstens: Die große Menge der Menschen, alle beschränkten und mittelmäßigen Köpfe huldigen niemals einer Idee oder einer Vorstellung, die noch keinen Kurs in der öffentlichen Meinung, die ihren tour du monde noch nicht gemacht hat. Die Mehrzahl der Menschen weicht keinen Fingerbreit ab von der Meinung, die in ihrem Lande, in ihrer Generation oder in ihrem Städtchen üblich ist. Sie ist zufrieden in ihrer honorablen Mittelmäßigkeit, und bei dem schläfrigen Trab auf der ausgefahrenen Chaussee herkömmlicher Sitten dusselt sie gemächlich aus dem Diesseits ins Jenseits hinüber. An der Autorität zu kleben, ist und wird immer sein die Religion aller Schwachköpfe, aller Denkfaulen und aller glaubensstarken Gemüter. Die Vorstellung einer selbständigen Frau ist zu neu, die Tragweite dieser Idee ist zu unermeßlich, als daß die Majorität sie begreifen, geschweige denn ihr zustimmen sollte.

Aber sind alle Sitten deshalb, weil man sie allgemein akzeptiert hat, über jede Anklage erhaben? Soll die Gegenwart immer in die Fußtapfen der Vergangenheit treten? Sind wir Automaten, die nur äußerlich durch eine Maschinerie angelernter sozialer Glaubenssätze, die frühere Jahrhunderte für uns konstruiert haben, fortbewegt werden?

Nein, die Zeit heiligt nichts, und jeder Glaube hat nur eine individuelle, eine an Zeit und Ort gebundene Heiligkeit. []

Zweitens: Es werden nicht folgen der Fahne der Frauenfreiheit alle diejenigen Frauen, die, gleichviel ob dumm, klug oder geistreich, lieblosen Gemüts sind. Diejenigen, die sich in einer behaglichen äußeren Lage befinden und mit einer hinreichenden Quantität Egoismus ausgerüstet sind, werden sich hüten, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen, denn sie wissen es wohl: Konflikte mit den Mitmenschen sind sehr unangenehme, und Gemütsruhe, gute Diners, Badereisen und Theaterlogen sehr angenehme Dinge.

„Ich habe alles, was ich brauche“, sagt die Frau an der Seite eines liebevollen Gatten, zu dessen hervorragenden Eigenschaften ein wohlgefülltes Portemonnaie gehört.

Gewiß, meine Gnädigste, aber darum handelt es sich ja gar nicht, es handelt sich um die Gattin jenes Trunkenbolds, der in bestialischer Rohheit das zitternde Weib zu Boden schlägt und sie und das Kind, um seinem Laster zu frönen, dem Hungertode preisgibt. Es handelt sich um jenes junge Mädchen, das seiner Natur Gewalt antut und zur Ehe schreitet mit dem ungeliebten Mann um der Versorgung willen, um dem Elend eines leeren und einsamen Daseins zu entgehen. Es handelt sich um jene alte Jungfer, die Tag für Tag über ihre Nadel gebeugt freund- und freudlos durch das Jammertal der Erde schleicht. Ach, es handelt sich um noch viele andere, gnädige Frau, von denen Sie nie etwas wußten und nie etwas wissen wollen.

Auf das höchste und schönste aller Gebote: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, hat der Egoismus des Menschen noch immer die Antwort der Indifferenz in Bereitschaft gehalten: „Herr, soll ich meines Bruders Hüter sein!“ []

Drittens: Dem zu widerstreben, von dem man abhängt, erfordert ein mutiges Herz, eine freudige Überzeugung. Frauen aber hängen von ihren Männern ab. Wieviel Frauen in Deutschland mögen im Besitz von Gatten sein, die das Stimmrecht der Frauen begünstigen?

Wenn wir heute eine Versammlung zur Förderung politischer Frauenrechte ausschrieben, so würden Hunderte von Frauen, die mit uns einverstanden sind, daheim bleiben, weil ihre Männer nicht wünschen, daß sie einer solchen Versammlung beiwohnen. Sie würden daheim bleiben aus Furcht vor ihren Herren oder um des lieben Friedens willen, oder um durch ihren Gehorsam dies oder jenes abzuschmeicheln.

Das Stimmrecht werden viertens nicht begehren im großen und ganzen die Frauen des Volkes, weil es ihnen an Einsicht und Bildung fehlt und weil im allgemeinen bei den Unwissenden die Vorurteile noch stärker wirken als bei den Gebildeten. Die Frauen aus dem Volke vermögen nicht zu erkennen, warum sie für sich den Tisch des Lebens nicht gedeckt finden. Wenn die Proletarierfrau unter den wuchtigen Schlägen des betrunkenen Gatten sich krümmt, so weiß sie nicht, daß das Gesetz die Mißhandlungen dieses Kerls legitimiert. Wenn die Frau, die in wilder Ehe mit dem Manne lebt (nicht nach ihrem, sondern nach seinem Willen, wie gern wäre sie sein rechtmäßiges Weib), von diesem Manne hilflos auf die Straße geworfen wird mit ihren Kindern, so ist sie sich nicht bewußt, daß die Gesetze auf seiner Seite stehen. [] Der Mann ist stets im Recht, wenn er seine natürlichen Kinder verleugnet und so vieler Maitressen sich bedient, unbekümmert um ihr späteres Schicksal, als seine Sinnlichkeit begehrt. Die halbwahnsinnige Kindesmörderin ahnt nicht, daß die Gesetze sie bewahren könnten vor der entsetzlichen Tat, an der ihre Seele oft genug keinen Anteil hat.

Wir haben zugegeben, daß ein großer Teil der Frauenwelt vorläufig das Stimmrecht nicht begehrt. Folgt aber daraus, daß die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, denen überlegen sind, die es wollen? Gewiß nicht. Ebensowenig wie die Männer, die von ihren politischen Rechten keinen Gebrauch machen, denen überlegen sind, die am Staatsleben teilnehmen.

Haben aber unsere Gegner recht und die Frauen im großen und ganzen wollen wirklich das Stimmrecht nicht, so bedarf es keiner Maßregel, sie auszuschließen. – Wer brauchte je Gesetzesbestimmungen, um jemand zu zwingen, seiner Neigung zu folgen!

Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht. Ich begreife, daß es erfreulich sein mag, sehr erfreulich für den, der herrscht, anzunehmen, daß der Beherrschte glücklich ist zu gehorchen.

Den guten Damen aber, die das Stimmrecht nicht wollen, bieten die Männer als Äquivalent ihre ritterliche Huldigung an, mit deren Entziehung sie den politischen Weibern drohen. []

Übrigens scheint mir die Wirkung dieses Schreckmittels einigermaßen problematisch in Anbetracht der Erfahrung, daß angebotene Stühle und Arme, Regenschirme und Eckplätze in Eisenbahncoupés doch nur hübschen jungen Damen zuteil werden, während die Unbequemlichkeiten, die alte Jungfern und Frauen, die nicht mehr jung und hübsch sind, zu leiden haben, das starke Geschlecht zu Ritterdiensten anzuspornen nicht geeignet sind. – Diese Frauen also – und sie sind in der Majorität – werden von der Frage gar nicht tangiert und können der Drohung spotten.

Dritter Grund: Die Frauen haben nicht die Fähigkeit, das Stimmrecht auszuüben

Dieses Argument ernsthaft zu erörtern, erläßt man uns wohl.

Es gibt keine körperlichen und geistigen Eigenschaften, die in irgendeinem Lande Bedingungen des Wahlrechts wären. Die Schwachen und Kranken, die Krüppel und Dummen und die Brutalen, in Amerika noch unzivilisierte Neger, sie alle sind wahlberechtigt. Vollends dem allgemeinen Wahlrecht gegenüber ist dieser Vorwand einfach absurd. Jede Frau, die schreiben und lesen kann, steht an Fähigkeiten über dem Mann, der diese Kunst nicht versteht.

Man frage die Juristen Englands. Schwerlich würden diese Herren den Satz der Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts ohne Scham und Erröten zu verteidigen imstande sein, nachdem jüngst zwei englische Damen trotz der Konkurrenz zahlreicher männlicher Mitbewerber die beiden ersten juristischen Preise in England davongetragen haben. []

Der Governor Campbell von Wyoming (des ersten amerikanischen Staates, der den Frauen das Stimmrecht gewährt hat) stattet an die gesetzgebende Versammlung des Territoriums von Wyoming einen befriedigenden Bericht über die politische Wirksamkeit der Frauen ab. Er sagt:

„Vier Jahre sind es her, seitdem die erste gesetzgebende Versammlung zu W. das Experiment gewagt hat, den Frauen bei den Regierungsangelegenheiten eine Stimme zu verleihen. Ich habe schon einmal die Gelegenheit wahrgenommen, mich über die Weisheit und Gerechtigkeit dieser Maßregel zu äußern und meine Überzeugung dahin auszusprechen, daß die Resultate dieser Maßregel als durchaus günstige zu bezeichnen sind. Zwei weitere Jahre der Beobachtung in bezug auf das praktische Wirken der neuen Theorie haben die Überzeugung bei mir nur vertiefen können, daß dasjenige, was wir getan haben, wohlgetan gewesen ist.“ []

Vierter Grund: Die Frau wird durch ihr Geschlecht selbstverständlich von jeder politischen Aktion ausgeschlossen

Die Frau hat keinen Anspruch auf politische Rechte, weil sie ein Weib ist. Selbstverständlich, so selbstverständlich wie der Satz 2 x 2 = 4.

Wer sagt das? – Der Mann.

Wie beweist er es? – Es bedarf keines Beweises, weil dieser Begriff eine den Männern von Gott eingeborene Idee ist.

Wer aber auf einem Beweis besteht, dem stellen wir unsere Gefühle entgegen, die die Vorstellung einer politisch emanzipierten Frau mit aller Energie abweisen, und die Stimme des Gefühls ist die Stimme Gottes.

Aber welche Gefühle, worauf sind die Gefühle begründet? – Auf Vernunft und Gerechtigkeit oder auf Vorurteil und Egoismus? Das zu untersuchen ziemt sich.

Euer Gefühl empört sich. An die Mission des Weibes im Hause glaubt ihr wie an Gott selbst oder noch mehr; der intensivste, feurigste Glaube aber, die höchste moralische Ekstase, wenn sie nicht mit unfehlbaren Gründen bewiesen werden, wie sollen sie für mich Beweiskraft haben? Die Vernunft spottet aller Inbrunst des Glaubens, sie reißt die Gestirne aus ihren Bahnen, die das Vorurteil ihnen vorgezeichnet, sie hat siegreich gekämpft mit Drachen, Riesen und Teufeln, sie stürzt Götter von ihren Thronen. Vor ihrem siegenden Strahl wird auch der uralte Glaube an die Sphäre des Weibes dahinschwinden.

Weil sie ein Weib ist.

Was heißt das, ein Weib sein?

Das heißt eine andere körperliche Bildung besitzen als der Mann. Die Differenz der geistigen Vermögen der beiden Geschlechter ist vorläufig unbestimmbar, und die Männer, die Eigentümer der Schöpfung, täten wohl, noch ein wenig zurückzuhalten mit ihrer Exmissionsklage gegen die politischen Gedanken, die eine Frau in ihrem Gehirnlokal etwa einquartiert hat. Sie täten wohl, mit dieser Anklage zu warten, bis wissenschaftliche Begründung an die Stelle getreten ist jenes marktschreierischen Affichierens subjektiver Inspirationen als wissenschaftliche Wahrheit, jenes metaphysischen Alt-Philosophengeschwätzes, jener poetischen Aperçus und Traditionen der Phantasie, die noch immer an der Tagesordnung sind, wo es sich um Natur und Eigenart des Weibes handelt. Vorläufig müssen wir annehmen, daß ein Geschlecht, welches, wie Fourier hervorhebt, verhältnismäßig mehr große Königinnen aufzuweisen hat als Männer große Könige, des politischen Sinnes keineswegs bar ist.

Wollte man das Prinzip, daß eine verschiedene Körperbildung notwendig ein verschiedenes moralisches und geistiges Vermögen bedinge, gelten lassen, wo wäre da die Grenze zu ziehen? – Wir könnten ebensogut den Aberglauben akzeptieren, alle Buckligen hätten sich als von Gott Gezeichnete in das Dunkel des Privatlebens zurückzuziehen, alle Lahmen seien Verwandte Belzebubs, alle Rothaarigen Verräter und alle Schwarzen – Sklaven. – Und in der Tat, in finsteren Zeiten des Mittelalters hat man von physischen Besonderheiten auf moralische Beschaffenheiten geschlossen. Im frühen Mittelalter wurden in Frankreich Frauen, die Zwillinge gebaren, als des Ehebruchs überführt zum Tode verurteilt. Alte Weiber wurden haufenweise um rotgeränderter Augen willen als Hexen verbrannt.

Man hat behauptet: die Frau, welche Zwillinge zur Welt bringt, ist des Ehebruchs schuldig.

Man behauptet: die Frau, weil sie überhaupt Kinder zur Welt bringt, ist mit politischer Impotenz behaftet.

Das Gedankenprinzip in diesen beiden Vorstellungen ist dasselbe: Einem physischen Vorgang wird willkürlich eine sittliche oder geistige Basis gegeben. Weil die Frauen Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben.

Ich behaupte: weil die Männer keine Kinder gebären, darum sollen sie keine politischen Rechte haben, und ich finde die eine Behauptung mindestens ebenso tiefsinnig wie die andere.

Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Weib bist! Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Jude bist! hat die menschliche Gesellschaft Jahrhunderte den Juden zugerufen. Du hast keine politischen Rechte, weil du ein Sudra (Mann aus dem Volke) bist, dekretiert das indische Gesetzbuch, und so du dich um Politik bekümmerst, wirst du schwer bestraft. Du hast keine politische Rechte, weil du schwarz bist und ein Neger, spricht der Sklavenhalter zu seinem Sklaven, und weil du schwarz bist, darum bist du mein Sklave und deine Kinder gehören mir und ich darf sie verkaufen.

Warum? Weil du schwarz bist.

Was ist ein Neger? was ist ein Jude? was ist ein Weib? was ist ein Sudra? Unterdrückte Menschen.

Unterdrückt von wem? – Von ihren Brüdern, die stärker sind als sie.

Kain und Abel! Abel fiel als erstes Opfer im Kampf ums Dasein. – So stirbt vielleicht erst mit dem letzten Menschenpaar der letzte Kain, der letzte Abel? []

Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil sie Mutter und Pflegerin des Kindes ist, und vor dieser heiligen Pflicht keine andere Tätigkeit bestehen kann.

Eine tiefsinnige Auffassung.

Als ob die beste Mutter diejenige wäre, deren ganzes Tun und Denken in dem Kinde aufgeht. Als wäre der der beste Jurist, welcher sein Leben lang nur juristische Bücher liest, oder der der beste Arzt, welcher nichts tut als Leichen sezieren und Arzneikunde studieren. So gewiß das einseitige Studium eines ganz beschränkten Faches nur verbohrte Gelehrte oder wissenschaftliche Handwerker produzieren wird, so gewiß wird auch in den meisten Fällen die Frau, deren ganzes inneres Leben sich um Küche und Kind dreht, mit jener blinden Mutterliebe und jenem beschränkten Dusel behaftet sein, die selten dem Kinde wohltun, ihm aber desto öfter Seele und Körper schädigen.

[]

Wenn die Männer vom weiblichen Geschlecht sprechen, so haben sie dabei nur eine ganz bestimmte Klasse von Frauen im Sinn: Die Dame.

Wie nach dem bekannten Ausspruch jenes bekannten österreichischen Edelmannes der Mensch erst bei dem Baron anfängt, so fängt bei den Männern das weibliche Geschlecht erst da an, wo es Toilette und Konversation macht und Hang zu Liebesintriguen und Theaterlogen verrät.

Geht auf die Felder und in die Fabriken und predigt Eure Sphärentheorie den Weibern, die die Mistgabel führen, und denen, deren Rücken sich gekrümmt hat unter der Wucht zentnerschwerer Lasten! Könnt Ihr allen Frauen ein behagliches Daheim schaffen und einen Mann, der für sie sorge? Nein – Ihr könnt es nicht. Seid Ihr Sphärenanbeter auch alle, alle verheiratet und habt Ihr allesamt arme Mädchen geheiratet, um der Versorgung des weiblichen Geschlechts Rechnung zu tragen? Nein, Ihr habt es nicht getan. Nun denn, aus dem Wege mit Euch, Ihr Sphärenfabrikanten, gebt Raum und Luft für die Millionen an Geist und Körper gesund geborenen Geschöpfe, die da verkümmern, weil sie Frauen sind. []

Ist es wahr, was Ihr behauptet, daß die Familie der Beruf der Frau sei und auf der Familie der Staat beruhe und sein Wohl, ist das Eure aufrichtige Meinung und nicht bloß Eure Phrase, so schmäht und verachtet jeden unverheirateten Mann als einen Hochverräter an der Natur und einen Übeltäter am Staat und nimmermehr öffnet ihm die Pforten Eurer Kammern. []

Häusliche Pflichten und politische Pflichten sind unvereinbar.

Wie edel, daß unsere Gesetzgebung sich so sehr gedrungen fühlt, die Weiber zu ihren häuslichen Pflichten anzuhalten!

Warum aber sorgt die Gesetzgebung nicht auch dafür, daß der Mann seine Privat- und Berufspflichten erfülle? Und warum ordnet sie nicht an, daß jeder verheiratete Mann, sobald die Glocke zehn geschlagen hat, von einem Schutzmann nach Hause geholt wird, und warum läßt sie nicht Clubs, Restaurants und andere schlimme Lokale zur Polizeistunde schließen, damit der Beamte, der Künstler oder der Kaufmann nicht etwa am anderen Morgen durch Katzenjammer, einen Schnupfen und hypochondre Laune an der Ausübung seiner Berufspflichten verhindert werde?

Warum erdreistet man sich zu glauben, daß die Frau, zur Freiheit gelangt, nichts Eiligeres tun würde, als ihre Pflichten zu verletzen, während man dem Manne gegenüber einem solchen Verdacht nicht Raum gibt!

Wer darf nach Gründen fragen, wo der stupide Glaube diktiert! Häusliche und politische Pflichten sind unvereinbar.

Die naiven Männer meinen nämlich, daß die Frauen deshalb so gut kochen und nähen, weil sie das Stimmrecht nicht haben, und in einem jeden mit dem Stimmrecht behafteten Weibe sehen sie im Geist das Urbild einer Konfusionsrätin, der sie zutrauen, daß sie Zeitungsblätter anstatt Petersilie an die Suppe tut und daß sie die Fische, anstatt sie zu braten, politisch haranguiert. Zweifellos aber ist ihnen der Zusammenhang zwischen einem Defizit im Wirtschaftsgelde und der Beschäftigung der Frau mit Steuer- und Budgetfragen.

Wie aber kommt es, daß der wissenschaftliche, industrielle oder künstlerische Beruf eines Mannes sich so wohl verträgt mit seiner politischen Tätigkeit. Hält man das Komponieren unsterblicher Wagner’scher Opern, das Malen Kaulbach’scher oder Richter’scher Bilder, hält man das Verfassen umfangreicher gelehrter Bände und das aufregende Spiel an der Börse für weniger zeitraubende und unwesentlichere Beschäftigungen als das Kochen, Nähen, Klimpern, Zanken und Kinderwaschen der Frauen? Und sind nicht diese Herren von der Feder, vom Pinsel und von der Börse stets bereit, ihren politischen Pflichten Rechnung zu tragen, ohne um dessentwillen weniger und schlechter zu dichten und zu malen, zu spekulieren und zu meditieren? []

Wenn es unweiblich ist zu stimmen, so ist es auch unweiblich, Steuern zu zahlen, so ist es unweiblich für eine Witwe, ihre Kinder durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren, so ist es unweiblich zu betteln usw. Gewohnheit macht Dinge so zur zweiten Natur, daß selbst das wärmste Herz und der weiseste Sinn ihre Sinnlosigkeit, ihre Härte und Ungerechtigkeit übersieht. []

Weil sie ein Weib ist. Das heißt, weil politische und wissenschaftliche Tätigkeit, weil die Entwicklung der Intelligenz die Frau derjenigen weiblichen Reize berauben dürfte, die in das Budget ihrer Lebensfreuden zu verrechnen die Männer ein Recht zu haben glauben.

Diese Auffassung, konsequent durchgeführt, endigt im Harem. []

(S. 159ff.)

Wir haben einige Hauptgründe der Männer gegen das Stimmrecht der Frauen erörtert, wenden wir uns jetzt einigen Argumenten zu, auf welche die Frauen ihre politischen Ansprüche stützen:

1. Die Frauen fordern das Stimmrecht als ein ihnen natürlich zukommendes Recht,
2. Sie fordern es als eine sittliche Notwendigkeit, als ein Mittel zur Veredelung ihrer selbst und des Menschengeschlechts.

[] Die Hauptsache aber ist dies: die Gewährung des Stimmrechts ist der Schritt über den Rubikon. Erst mit dem Stimmrecht der Frauen beginnt die Agitation für jene großartigen Reformen, die das Ziel unserer Bestrebungen sind. Die Teilnahme am politischen Leben macht alle anderen Fragen zu offenen.

1. Die Frauen fordern das Stimmrecht als Recht

Warum soll ich erst beweisen, daß ich ein Recht dazu habe?

Ich bin ein Mensch, ich denke, ich fühle, ich bin Bürgerin des Staats, ich gehöre nicht zur Kaste der Verbrecher, ich lebe nicht von Almosen, das sind die Beweise, die ich für meinen Anspruch beizubringen habe.

Der Mann bedarf, um das Stimmrecht zu üben, eines bestimmten Wohnsitzes, eines bestimmtes Alters, eines Besitzes, warum braucht die Frau noch mehr?

Warum ist die Frau gleichgestellt den Idioten und Verbrechern? Nein, nicht den Verbrechern. Der Verbrecher wird nur zeitweise seiner politischen Rechte beraubt, nur die Frau und der Idiot gehören in dieselbe politische Kategorie.

Die Gesellschaft hat keine Befugnis, mich meines natürlichen politischen Rechtes zu berauben, es sei denn, daß dieses Recht sich als unvereinbar erwiese mit der Wohlfahrt des Staatslebens. Den Beweis dieses Antagonismus zwischen Staatsleben und Frauenrechten haben wir zu fordern. Man wird uns darauf warten lassen bis zum jüngsten Tag und sich inzwischen auf das Gottesgericht berufen, welches die Frau durch den Mangel eines Bartes als unpolitisches Wesen gekennzeichnet hat.

Die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse, welche die Lasten der Bürgerschaft trägt, kein Recht habe, bestimmend auf diese Lasten einzuwirken, die Voraussetzung, daß eine Menschenklasse Gesetzen unterworfen sein soll, an deren Abfassung sie keinen Anteil gehabt, hat auf die Dauer nur für einen despotischen Staat Sinn und Möglichkeit. Die Zulassung eines solchen Prinzips ist Tyrannei in allen Sprachen der Welt und für jedes Geschlecht, für jeden Mann sowohl wie für die Frau.

Der Anspruch politischer Gleichheit der Geschlechter in der Kammer und auf der Tribüne erscheint den Männern als ein sittlicher Frevel und setzt sie der Gefahr eines Lachkrampfes aus. Eine politische Gleichheit aber erkennen sie bereitwillig an: die Gleichheit vor dem Schaffot.

Warum lachten Sie nicht, meine Herren, als Marie Antoinettes und Madame Rolands Haupt unter der Guillotine fiel? „In einem Staate“, sagt Frau v. Stael, „Wo man einer Frau im Interesse des Staates den Hals abschneidet, müßte sie doch wenigstens wissen warum?“

Die Männer antworten auf dergleichen naseweise Fragen niemals.

Warum sollten sie auch?

Die Stimmen der Besitzlosen und Machtlosen verschlingt die Welle des großen Lebensstromes – echolos. Erst wenn die Frauen das Stimmrecht erlangt haben, wird ihr Wille, ihr Glück und ihre Meinung in die Waagschale fallen an den Stätten, wo man die Geschicke der Klassen und Nationen abwägt.

Aus ihrer Macht über die Frauen leiten die Männer ihre Rechte den Frauen gegenüber her. Die Tatsache der Herrschaft ist aber kein Recht. Gesetzlich bestimmen sie alle die Maßregeln, Gebräuche und Ordnungen, die zur Unterdrückung des weiblichen Geschlechts dienen, und nennen diese Arrangements dann einen Rechtszustand. Das Unrecht wird aber nicht geringer, wenn ein Gesetz es sanktioniert hat, die Unterdrückung nicht weniger nichtswürdig, sondern nur um so furchtbarer, wenn sie einen universellen, einen weltgeschichtlichen Charakter trägt.

[]

So lange es heißt: der Mann will und die Frau soll, leben wir nicht in einem Rechts-, sondern in einem Gewaltstaat.

Und so lange der Mann unverantwortlicher Gesetzgeber für die Frau ist, werden im wesentlichen die Zustände bleiben, wie sie sind. []

Die Frauen wollen keine Gnadenbeweise, sie betteln nicht um Privilegien, sie betteln nicht um Wohltaten und Almosen. Sie fordern Gerechtigkeit.

Jede Frau, die man Gesetzen unterwirft, die andere ohne ihre Mitwirkung gemacht haben, ist in ihrem Recht, wenn sie die Steuern verweigert. Und in der Tat sind bereits in England und Amerika Frauen mit der Weigerung, die Steuern zu zahlen, vorgegangen. []

Die Frauen fordern das Stimmrecht, weil sie der Unterdrückung, der Heuchelei, der Erniedrigung müde sind, sie fordern es, weil sie ein Recht haben, daß ihre Stimme gehört werde bei der Abfassung von Gesetzen, welche ihre soziale Stellung und ihre individuellen Rechte betreffen. Eine jede Klasse hat ihr bestimmtes Gepräge, weiß besser in ihren eigenen Verhältnissen Bescheid als diejenigen, welche diesen Verhältnissen nicht unterworfen sind.

Die Männer, sagt die Gesellschaft, repräsentieren die Frauen.
Wann übertrug die Frau dem Manne das Mandat?
Wann legte er ihr Rechenschaft von seinen Beschlüssen ab?
Weder das eine noch das andere ist jemals geschehen.

Wenn die Frauen nicht einverstanden sind mit dieser Vertretung, so ist eine Behauptung wie die angeführte eine beleidigende soziale Improvisation der Männer, ein Hohn ins Antlitz der realen Verhältnisse. Genau mit demselben Recht kann der absolute König sagen, er repräsentiere sein Volk, oder der Sklavenhalter, er repräsentiere seine Sklaven. Es ist ein altes Argument, daß die Arbeiter durch ihre Arbeitgeber zu repräsentieren seien, das Argument hat aber die Arbeiter nicht überzeugt, und mit Energie haben sie diese Vertretung zurückgewiesen. Und die Frauen sollten sie akzeptieren? Nimmermehr!

Die Frauen verlangen das Stimmrecht, weil jede Klasse, die am politischen Leben unbeteiligt ist, unterdrückt wird; die Beteiligung am politischen Leben dagegen notwendig im Laufe der Zeit die Gleichheit vor dem Gesetze zur Folge haben muß. Die Klassen, die das Stimmrecht nicht üben dürfen, sind in der Gewalt der anderen Klassen, die es üben. Dieses Prinzip ist stets so einstimmig von allen liberalen Parteien anerkannt worden, daß die Verleugnung desselben den Frauen gegenüber schier unbegreiflich ist. []

Die Logik der Politik ist absolut. Entweder ist ein Volk souverän und mithin auch die Frauen, oder Untertanen eines Herrn und Königs sind wir alle.

Wir können nur zurück zur Despotie oder vorwärts zum rein demokratischen Staat, wo der Grundsatz zur Geltung kommen muß, daß die Frauen als Bestandteile des souveränen Volks unantastbaren Anspruch haben auf völlige Gleichheit der bürgerlichen und sozialen Rechte.

Ich erkenne nichts an, was nicht andere auch in mir anerkennen. Es gibt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen gibt.

Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen?

Hat jede Frau gesetzmäßig einen Tyrannen, so läßt mich die Tyrannei kalt, die Männer von ihresgleichen erfahren. Einen Tyrannen für den anderen.

Und warum ertragen die Frauen so geduldig den Mangel des natürlichsten aller Rechte?

Sehr einfach: Sie müssen; denn ihnen fehlt die Macht, sich diese Rechte zu erzwingen. []

2. Die Frau fordert das Stimmrecht um der sittlichen Folgen willen

Ebensosehr wie die politischen sind die sittlichen Folgen des Stimmrechts in Betracht zu ziehen. Der Frauen Teilnahme am politischen Leben bedeutet Erhöhung des geistigen Niveaus der Frau überhaupt, sie bedeutet ihre geistige und materielle Selbständigkeit.

Je enger der Kreis ist, auf den sich ein Mensch mit seiner Tätigkeit angewiesen sieht, je unbedeutender die Interessen, denen er sein Leben zu widmen gezwungen wird, je dürftiger wird sein Geistesleben sich gestalten. [] Aber nicht nur die Abnahme intellektueller Energie und eine traurige Monotonie der Situationen und Geistesrichtungen wird das Resultat einer solchen Absperrung sein, sondern auch eine Schwächung des moralischen Charakters ist dabei fast immer unausbleiblich. [] Was bleibt der Frau übrig? – Die Samtrobe und der indische Shawl, die Künste der Koketterie und die Inszenierung ihrer Reize, wenn sie ein wenig Reklame für sich machen will. Und reklamesüchtig ist nun einmal das menschliche Geschlecht. Da ihr Inwendiges ihr keine Geltung verschafft, verwendet sie ihre Talente auf ihr Auswendiges.

Wie kommen die Männer dazu, sich über die Toilettenausgaben ihrer Damen zu beklagen? []

Wenn die Frau nicht über einen starken Geist gebietet, so verfällt sie dadurch, daß sie in einer niederen Sphäre festgehalten wird, den Sitten und Lastern der Knechtschaft, deren sie bedarf, um sich ihre Situation erträglich zu machen. Sie bedarf der List, der Heuchelei, der Intrigue, der Schmeichelei. Wie oft mag das Streben eines edel angelegten und hochbegabten weiblichen Geistes durch die verderblichen Einflüsse seiner Lage verloren gegangen sein, denn jeder Mensch, sei er noch so trefflich angelegt, ist der Entartung fähig.

Der Despotismus der Männer verurteilt die Frau zur Korruption. Die Frauen haben bis heute keinen Anteil am Staatsleben und die Prostitution blüht in Stadt und Land.

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Die Männer, als Polizisten des lieben Gottes, zwingen die Gedanken der Frau in niedere Anschauungskreise, und sie rächt sich für diesen Despotismus der Gesellschaft, indem sie sich als Ballast an den Fortschritt der Völker hängt.

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Nicht den Männern können wir es mit Fug und Recht verdenken, daß sie die Frauen nicht neben sich im Staate dulden wollen. Wir finden es ganz natürlich, daß sie an ihren Geschlechtsprivilegien festhalten mit zäher Standhaftigkeit. Wann hätte je ein Stand oder eine Klasse auf Vorrechte irgendwelcher Art freiwillig verzichtet? Wir finden es ganz in der Ordnung, wenn sie die Suppe nicht kochen und die kleinen Kinder nicht warten wollen, der Gedanke an die Mitwirkung der Frau im Staat ist bei den klügsten Männern unzertrennlich von der Vorstellung, daß als Ausgleichung dafür ein Teil ihrer Kräfte in Küche, Kinderstube und im Waschkeller zugrunde gehen müsse.

Nicht gegen die Männer richten sich unsere bittersten Empfindungen, unsere härtesten Anklagen, sondern gegen die Frauen, die feige es dulden, daß eine Generation nach der anderen sie achtlos beiseite schiebt. Gegen die Frauen empört sich jeder stolzere Sinn und jedes kühnere weibliche Herz, die sich begnügen mit der Freiheit, nach Herzenslust kochen und nähen zu dürfen, und die allergehorsamst vor den Männern zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfen, gegen die Frauen, die fort und fort ihre lebendigen Geister und Herzen darbringen als Opfer auf dem Altar der Männeranbetung, die es immer noch dulden, daß man ihnen das Jammerbild einer Griseldis, dieser Idiotin an Gefühl und Verstand, als Musterbild vollkommener Weiblichkeit vorhält, und die, wenn untauglich geworden zur Lust oder zum Nutzen des Mannes, ohne Murren, mögen sie sich gleich noch Jahrzehnte hindurch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden, in stillen Winkeln das Gnadenbrot der Gesellschaft essen.

Die Frauen, die das Stimmrecht nicht wollen, verzichten damit auf die höchsten Stufen menschlicher Entwicklung und erklären sich für eine untergeordnete Spezies der Gattung: Mensch. So mögen sie fortfahren zu leben von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen, sie mögen fortfahren, die Hand zu küssen, die sie züchtigt, und sich spiegeln und brüsten in den Orden und Ämtern ihrer Herren und Gebieter. Und wenn der Himmel ihrem Gatten einen neuen Titel beschert, so mögen sie wie bisher ihre Nasen und Gemüter hoch erheben und ihren Mitschwestern durch den Wonnelaut imponieren: auch ich bin Geheimrätin! Lakaiennaturen hat es gegeben und wird es geben allezeit.

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Es gilt, Euch zu retten, Ihr Frauen, aus dem traurigen, dumpfen Einerlei, aus der Monotonie Eures vegetierenden Daseins. [] Werft ab den konventionellen Charakter, den man Euch aufgezwungen und durchbrecht dieses Chinesentum, das bisher gleichbedeutend war mit Frauentum.

Erhebt Euch und fordert das Stimmrecht!

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Erwachet, Deutschlands Frauen, wenn Ihr ein Herz habt, zu fühlen die Leiden Eurer Mitschwestern, und Tränen, sie zu beweinen, mögt Ihr selbst auch im Schoß Eures Glückes ruhen.

Erwachet, wenn Ihr Grimm genug habt, Eure Erniedrigung zu fühlen, und Verstand genug, um die Quellen Eures Elends zu erkennen.

Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau. Ohne politische Rechte seid Ihr, Eure Seelen mögen von Mitleid, Güte und Edelsinn überfließen, den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos.

Rafft Euch empor! Organisiert Euch! Zeigt, daß Ihr einer begeisterten Hingebung fähig seid, und durch Eure Tat und Euer Wort erweckt die Gewissen der Menschen, erschüttert die Herzen und überzeugt die Geister!

Verlaßt Euch nicht auf die Hilfe der deutschen Männer! Wir haben wenig Freunde und Gesinnungsgenossen unter ihnen. []

Seid mutig, hilf Dir selbst, so wird Gott Dir helfen. Gedenkt des kühnen Wortes des Amerikaners Emerson: „Tue immer, was Du Dich zu tun scheust.“

Ihr armen Frauen und Opfer des Geschlechtsdespotismus, Ihr habt bis jetzt das Meer des Lebens befahren ohne Steuer und ohne Segel und darum habt Ihr selten das Ufer erreicht, und das Schiff Eures Glücks ist zumeist gescheitert an der Windstille oder im Sturm.

Lasset das Stimmrecht fortan Euer Steuer sein, Eure eigne Kraft sei Euer Segel, und dann vertraut Euch getrost dem Meere an, seinem Sturm und seinen Klippen, und über kurz oder lang werdet Ihr Land erblicken, das Land, das Ihr ‚mit der Seele suchtet’ seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden, das Land, wo Frauen nicht den Männern, sondern sich selber gehören.

Als der Engländer Somerset einen Sklaven mit nach England brachte, erklärte, trotz der Vorurteile der Zeit, Lord Mansfield, der Sklave sei frei aus dem einfachen Grunde, weil in England kein Mensch ein Sklave sein könne.

So sind auch die Frauen frei, weil in einem Staate freier Menschen es keine Unfreien geben kann.

Die Menschenrechte haben kein Geschlecht.

Quelle: Hedwig Dohm, „Das Stimmrecht der Frauen“, in Hedwig Dohm, Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen. Berlin, 1876, S. 57ff., 159ff. Online verfügbar unter: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11127057?page=,1. Abgedruckt in Margrit Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung, 2 Bde., Bd. 2, Quellen 1843–1889. Meisenheim am Glan: A. Hain, 1972, S. 535–56.