Kurzbeschreibung

König Ludwig II. (1845–1886) regierte das Königreich Bayern von 1864 bis zu seinem mysteriösen Tod durch Ertrinken im Starnberger See im Juni 1886. Die Geschichte kennt ihn als den „verrückten“ König Ludwig und Erbauer des Märchenschlosses Neuschwanstein. Aus der folgenden Reihe von Berichten des britischen Gesandten in München, Hugh Guion MacDonell (1832–1904) an das britische Außenministerium erfahren wir von der sich Schritt für Schritt verstärkenden Besorgnis über Ludwigs Gesundheit, seinen Geisteszustand und die außergewöhnliche Belastung, die seine Vorhaben für die bayerischen Staatsfinanzen bedeutete.

König Ludwig II. von Bayern – wachsende Besorgnis über seinen Geisteszustand (1883–86)

Quelle

A. Hugh Guion MacDonell [Britischer Gesandter in Bayern] an Earl Granville [Britischer Außenminister], Höchst vertraulich, Nr. 80, München, 8. September 1883

[Erhalten am 13. September per Kurier. An: Die Königin/X; Ch. W. D. [Charles Wentworth Dilke]; G[ranville]]

Bemerkungen zum Charakter und zu den zurückgezogenen Lebensgewohnheiten des Königs von Bayern

Wie Ihre Lordschaft vielleicht durch die Berichte meiner Vorgänger wissen, ist es schwierig oder gar unmöglich, festzustellen, welcher Wahrheitsgehalt den diversen Gerüchten zuzumessen ist, die über den Gesundheitszustand des Königs andauernd im Umlauf sind. Erst jüngst wieder wurde mir „höchst vertraulich“ mitgeteilt, dass die Überspanntheiten Seiner Majestät, gepaart mit einer wachsenden Verdrossenheit und charakterlichen Reizbarkeit, nicht nur der Königlichen Familie, sondern auch den Ministern, die sich vor den möglichen Komplikationen einer Regentschaft fürchten, gegenwärtig einiges Unbehagen bereiten.

Ich kann mich in keiner Weise dafür verbürgen, dass diese Gerüchte zutreffen, aber ich halte es dennoch für meine Pflicht, sie Eurer Lordschaft zur Kenntnis zu bringen – wie auch immer sie zu bewerten sind.

Der König von Bayern lebt, wie Eure Lordschaft wissen, die meiste Zeit des Jahres in einem der diversen Paläste, Schlösser oder Villen, die Er sich in den entlegensten Teilen des bayerischen Tirols für teures Geld hat bauen lassen.

Mit seinen Ministern und den Beamten Seiner Haushaltung kommuniziert Seine Majestät über einen Privatsekretär oder einen besonders vertrauten Diener.

Es heißt, Seine Majestät halte sich trotz Seiner Isolation über die Staatsgeschäfte wohl unterrichtet und stehe in stetigem Austausch mit dem Reichskanzler; bisweilen habe Er sogar seine Freude daran, Seine Minister durch die Plötzlichkeit Seiner Entscheidungen zu überraschen.

Im Zusammenhang mit dem Ablauf Seiner Regierung erwähnenswert ist die Fügsamkeit, die das bayerische Volk bei jeder Gelegenheit an den Tag legt – eine Fügsamkeit, die nach allgemeiner Meinung auf ein starkes religiöses Empfinden und eine tief verwurzelte Zuneigung zum Haus Wittelsbach zurückzuführen ist.

Was die Anteilnahme Seiner Majestät am öffentlichen Geschehen betrifft, so glaube ich, dass der König sein besonderes, wenn nicht ausschließliches Augenmerk auf Fragen richtet, die das Ansehen Seiner Krone im Ausland betreffen.

Seine Majestät spricht Französisch ohne jeden hörbaren Akzent und mit einer Leichtigkeit, die umso bemerkenswerter ist, als dass Er sehr selten Gelegenheit hat, diese Sprache zu sprechen; seit er 1875 eine überstürzte Reise nach Frankreich unternahm, dürfte der König wohl kaum mehr als ein Dutzend Mal Französisch gesprochen haben.

[Ludwig] II. ist von hohem Wuchs und verhältnismäßig kräftig, und als mir die Ehre zuteilwurde, von Ihm empfangen zu werden, stellte ich bei Ihm ein gewisses Bemühen fest, Seinem Gebaren einen majestätischen Charakter zu verleihen.

Zu dem Geisteszustand, auf den dieses Bemühen hinzudeuten scheint, ließen sich leicht etliche bedeutsame Anekdoten berichten; die Menschen machen sich diesbezüglich durchaus gewisse Sorgen, denn falls der Gesundheitszustand Seiner Majestät irgendwann die Einrichtung einer Regentschaft erforderlich machen würde, müsste nicht nur zu Lebzeiten des jetzigen Königs, sondern auch zu Lebzeiten des Bruders Seiner Majestät, des Prinzen Otho, bei dessen Unzurechnungsfähigkeit keine Hoffnung auf Besserung besteht, Vorkehrungen für die Regierung des Königreichs getroffen werden.

Unter diesen Umständen ist zu vermuten, dass jeder etwaigen neuen Überspanntheit Seiner Majestät eine übertriebene Wichtigkeit beigemessen wird. Jedenfalls ist der König sonderbar empfindlich in Bezug auf Seine Autorität. Seine diesbezüglichen Gefühle sind so stark und Seine Empfindlichkeiten so groß, dass die Mitglieder der Königlichen Familie, die Königinwitwe nicht ausgenommen, die vollständigste Ehrerbietigkeit an den Tag legen und bei allen Gelegenheiten die Zustimmung Seiner Majestät einholen müssen, selbst wenn es nur um einen einfachen Wohnortwechsel geht.

Der König ist ferner für die Fürsten und Minister schwer zugänglich; diese haben kaum Gelegenheit, an Seine Majestät heranzutreten, außer wenn der König sich einmal im Jahr zu einem kurzen Besuch nach München begibt, wo Er seine Empfänge auf ein oder zwei [unleserlich] Diners beschränkt, zu denen die Fürsten, die Minister und seine obersten Hofbeamten geladen werden.

Abgesehen von diesen Empfängen, die wegen ihrer Seltenheit inzwischen zu bemerkenswerten Ereignissen werden, lebt der König in München so wie in seinem Bergrefugium, in Einsamkeit und ohne Verkehr mit der Außenwelt, sitzt in der Stadt wie auf dem Lande des Nachts bis vier oder fünf Uhr morgens wach und ruht tagsüber bis fünf oder sechs Uhr am Abend. Er verbringt seine Zeit lesend oder träumend und verlässt sein stilles Refugium nur bei Einbruch der Dunkelheit, um eine rasche Ausfahrt in einer geschlossenen Kutsche zu unternehmen oder in einem der beiden an seinen Palast angegliederten Theater eine Vorstellung zu besuchen, bei der Er der einzige Zuschauer ist.

So verhält es sich mit dem Fürsten, der trotz Seines noch jungen Alters seit vielen Jahren der Regierung von Bayern vorsteht.

Über das Verhalten und die Eigenheiten des Königs kursieren zahlreiche Erzählungen, und darum ist es nicht notwendig, zu ergründen, inwieweit die oben dargelegten Sorgen begründet sind. Die Gefahren, die sich aus einer solchen Abdankung ergäben, sind bereits offensichtlich und lassen sich nicht länger verbergen. Die Isolation, in der König [Ludwig] II. sich seit über zwölf Jahren erhält, lässt Sein Land sozusagen schutzlos, und es gilt, was der Preußische Minister mir im Vertrauen sagte: „Wenn Preußen nach seinen eigenen Vorstellungen einen König hätte formen müssen, hätte es dies nicht besser tun können.“

Quelle: The National Archives, UK, FO 9/250; abgedruckt in Markus Mößlang und Helen Whatmore, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände, Bd. 1, 1871–1883. Cambridge: Cambridge University Press, 2016, S. 524 ff. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/5F056ACE3AF9F8AA0965FC88CBE75926

B. Hugh Guion MacDonell an Earl Granville, Höchst vertraulich, Nr. 108, München, 17. Dezember 1883

[Erhalten am 19. Dezember per Kurier. An: Die Königin/Gladstone/Prince of Wales; Qy: vertrauliche Abschriften an Paris/Berlin/Wien/Madrid, 26. Dezember; Ch. W. D. [Charles Wentworth Dilke]; G[ranville]]

Bemerkungen zum Zustand des bayerischen Königs; Gerüchte über mögliche Regentschaft; Spekulation über Nachfolge

Ich erfahre von meinem französischen Kollegen, Monsieur Mariani, dass die Überspanntheiten des Königs und die unbekümmerte Extravaganz seiner Majestät den verschiedenen Mitgliedern der Königlichen Familie erneut zu ernstem Unbehagen Anlass geben und große Sorge in den Gedanken all derer auslösen, die mit dem bayerischen Hof in engerer Verbindung stehen. Nach Monsieur Marianis Darstellung wird im Kreise der königlichen Familie gegenwärtig eine wichtige Frage erwogen und erörtert, nämlich die Frage einer Regentschaft.

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Neben anderen Überlegungen sollte man nicht den Umstand aus dem Blick verlieren, dass, wie monarchisch die Bayern auch immer sein und wie duldsam sie die Schwächen ihres Souveräns auch immer betrachten mögen, die Ingewahrsamnahme ihres Königs und Seines mutmaßlichen Thronfolgers kaum dazu angetan sein dürften, ihre Ergebenheit gegenüber dem Haus Wittelsbach zu stärken. Im Gegenteil ist es nach den Erfahrungen, die sie in den vergangenen zehn Jahren mit der jetzigen Herrschaft gemacht haben, wahrscheinlicher, dass sie sich veranlasst sehen, dem entstandenen anormalen Zustand ein Ende zu bereiten und sich mit dem Reich zusammenzutun. Ferner ist nicht damit zu rechnen, dass der Reichskanzler sich eine so günstige Gelegenheit wird entgehen lassen, die Monarchie in diesem wichtigen Staat des Bundes zu beseitigen. Doch wie dem auch sei, wird Seine Hoheit gewiss nicht zulassen, dass statt eines entgegenkommenden Souveräns ein widerspenstiger Fürst auf den Thron gesetzt wird.

Wie ich Ihrer Lordschaft mitzuteilen bereits die Ehre hatte, lebt der König beinahe das ganze Jahr über in einem der Schlösser, Paläste oder Villen, die sich in den entlegensten Gegenden des bayerischen Tirols befinden. Der gewaltige Kostenaufwand für den Bau und Unterhalt dieser Bauten ist neben dem Prunk und Pomp, von dem Er in seiner Einsamkeit jederzeit umgeben ist, die Ursache für die gegenwärtige finanzielle Krise. Um Seinen Grillen und Launen Genüge zu tun, hat Majestät sich aller vorhandenen Mittel bemächtigt, über die Er rechtmäßig verfügen darf, und sucht nun dem Vernehmen nach in den Besitz des beträchtlichen Privatvermögens seines schwachsinnigen Bruders, Prinz Otho, zu gelangen, um Seine Schulden zu begleichen, die sich auf zwanzig Millionen Mark belaufen.

Prinz Ludwig und Sein Bruder widersetzen sich dieser großen Vertrauensverletzung nach Kräften; dies erklärt die heftigen Zornausbrüche, die Seine Majestät in jüngster Zeit ergriffen haben und naturgemäß außerordentliche Beunruhigung auslösen.

Wie oben erwähnt, ist Prinz Otho der präsumtive Thronfolger. Sollte der König versterben, wäre die Frage der Nachfolge wegen Othos Geisteskrankheit daher einigermaßen kompliziert, da in der Bayerischen Verfassung für einen solchen Fall keine Regelungen getroffen wurde; würde der König in die gleiche Lage versetzt wie Sein Bruder, wäre die Verwirrung daher wohl so groß, dass der Ruf nach einem Eingreifen der Reichsregierung laut würde. Des Weiteren soll es eine Vereinbarung geben, nach der Prinz Luitpold, der Onkel des Königs und der Nächste in der Erbfolge, zugunsten seines mit der Erzherzogin Maria Theresia von Österreich-Este vermählten Sohnes Prinz Ludwig auf den Thron verzichten würde.

Prinz Ludwig ist hier für seine starken ultramontanen Neigungen bekannt und hat sich außerdem als Autonomist hervorgetan; so vermeidet er seit 1871 sorgsam jede Begegnung mit den Mitgliedern der Kaiserfamilie und hat es sich zum Prinzip gemacht, München jedes Mal zu verlassen, wenn der Kaiser oder der Kronprinz Gelegenheit hatten, die bayerische Hauptstadt zu besuchen oder zu passieren.

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Quelle: The National Archives, UK, FO 9/250; abgedruckt in Markus Mößlang und Helen Whatmore, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände, Bd. 1, 1871–1883. Cambridge: Cambridge University Press, 2016, S. 524 ff. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/5F056ACE3AF9F8AA0965FC88CBE75926

C. Hugh Guion MacDonell an Earl Granville, Vertraulich, Nr. 26, München, 1. Mai 1884

[Erhalten am 7. Mai per Kurier. Für: Die Königin / X, Ch.W.D. [Charles Wentworth Dilke] / Prince of Wales; G[ranville]]

Abwesenheit des Königs von der Einsetzung der Ritter des St. Georg-Ordens wegen finanzieller Verlegenheiten

Der Umstand, dass der König der feierlichen Einsetzung der Ritter des St-Georg-Ordens fernblieb, die am 25. Ultimo stattfand, gibt erneut Anlass zu sonderbaren Berichten über den Geisteszustand Seiner Majestät.

Die Tatsache, dass der König bei dieser Gelegenheit seinem Onkel, Prinz Luitpold, die Aufgaben des Großmeisters übertrug, war ein unmittelbarer Verstoß gegen die Statuten des Ordens.

Der Grund für Sein Fernbleiben von der Zeremonie sollen die Zahlungsschwierigkeiten Seiner Majestät sein, die jeden Tag größer werden; aus privater Quelle wurde mir allerdings auch mitgeteilt, dass der König es ablehne, in der Öffentlichkeit zu erscheinen, damit die unzufriedenen kleineren Handwerker diesen Anlass nicht zu irgendeiner Art von Kundgebung nutzen. Diese Annahme halte ich für gegenstandslos, weil die Bayern, wie anzumerken ich bereits Gelegenheit hatte, ihrem Souverän durch und durch ergeben sind, was sich sehr deutlich an der Nachsicht zeigt, die sie bislang mit Seinen Überspanntheiten üben. Seine Majestät scheint inzwischen entschlossen, Seine Grillen und Launen nicht am Thema Geld scheitern zu lassen; folglich halten Seine Minister – es ist traurig, dies feststellen zu müssen – es für angebracht, Ihn über die wirkliche Lage der Dinge zu täuschen. Sie gehen sogar so weit, dass sie Vorwände für die Unterbrechung der Bauarbeiten an seinen zahlreichen Palästen auf dem Lande erfinden und Ihn glauben machen, die für die Gebäude benötigten Steine seien für die Beförderung mit dem Zug zu schwer. Der einzige Mensch, der zu Seiner Majestät vorgelassen wird, ist Sein Leibdiener, über den Er sämtliche Staatsgeschäfte abwickelt. Trotz der Maske des Zutrauens lässt Er sich – wenn Sein Gemüt erregt ist – ohne Zögern dazu herab, Gewalt gegen ihn zu üben.

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Quelle: The National Archives, UK, FO 9/252; abgedruckt in Markus Mößlang, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände., Bd. 2, 1884–1897. Cambridge: Cambridge University Press, 2019, S. 46970. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/B31A00FE18808B55213124841CDFF481

D. Victor Drummond an Earl of Rosebery, Vertraulich, Nr. 10, München, 25. Mai 1886

[Erhalten am 2. Juni durch Mr Vickers. Für: Die Königin / Prince of Wales / Gladstone / Vertraulich an Berlin zur Ansicht, No 322; R[osebery], 3 June]

Bemerkungen über die Finanzen des Königs und Verhalten seiner Minister; mögliche Regentschaft

Bezugnehmend auf meine vorigen Depeschen über die Extravaganzen des Königs von Bayern und die Schwierigkeit der Regierung, von Seiner Majestät die Zusicherung zu erwirken, dass Er Seine Bauausgaben einschränkt, habe ich die Ehre, Eurer Lordschaft mitzuteilen, dass die Presse sich inzwischen allgemein zu der Frage zu Wort gemeldet hat; die ultramontane Fraktion wirft dem amtierenden Bayerischen Kabinett vor, es habe keine Maßnahmen ergriffen, um dem König einzuschärfen, dass Er unbedingt im Rahmen Seiner Mittel leben müsse; die liberale Presse stellt dies jedoch in Abrede und zeigt, dass der König bereits 1877 von Seinem Sekretär auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht wurde und dass dies von den Ministern des Königs unterstützt wurde, und dass vor zwei Jahren der Finanzminister dem König erneut eine Stellungnahme vorlegte, die einen Weg weist, wie Er sich mit Seinen Gläubigern arrangieren könnte. Diesen bescheidenen Ausführungen, die von dem Wunsch getrieben waren, eine solche Krise, wie sie jetzt der Öffentlichkeit dargeboten wird, zu verhindern, wurde jedoch nie Beachtung geschenkt.

Des Königs Vater, König Maximilian, erhielt nicht so viel Unterhalt wie König Ludwig, und dennoch gelang es Ihm nicht nur, Seinem Vater einen Unterhalt zu gewähren, sondern Er errichtete auch viele nützliche Staatsgebäude (wenn auch nicht von schmucker architektonischer Schönheit) und hinterließ bei Seinem Tode mehrere Millionen Mark. Auch der jetzige König könnte, wenn Er wollte, sich nach wenigen Jahren in einer ebenso vorteilhaften Lage befinden; Seine Minister jedoch sind offenkundig der Meinung, dass die Chancen hierfür gering sind, denn vor Kurzem arrangierten sie eine Konferenz mit den führenden Mitgliedern des Parlaments, mit Ultramontanen, Liberalen und Konservativen. Gemeinsam suchten sie im Vertrauen nach einer Lösung des Problems, aber mehr als einmal wurden die Sitzungen ergebnislos beendet. Immerhin erwies sich, dass niemand die Neigung verspürt, den Weg eines Votums der Kammern zu beschreiten zur Begleichung der Schulden des Königs einzuschlagen. Ferner zeigte sich, dass die Opposition, wenn die Gelegenheit sich bietet, nicht geneigt ist, ein Amt zu übernehmen, solange der König sich nicht damit einverstanden erklärt, sich vom Rat Seiner Minister leiten zu lassen.

Nach der Konferenz im vergangenen Monat wurde Seiner Majestät erneut ein sehr bescheidenes Schriftstück übermittelt, das von jedem seiner Minister unterzeichnet wurde und aufzeigt, wie die aufdringlichsten Gläubiger Seiner Majestät befriedigt werden könnten und wie leicht Seine Schulden aus der Privatschatulle beglichen werden könnten, ohne auf einen Kredit zurückzugreifen, indem man, wie mir gesagt wurde, jedes Jahr ein Achtel in Abrechnung bringt; einmal mehr wurde an den König appelliert, seine Bauausgaben einzuschränken.

Diesem Schriftstück widerfuhr dasselbe Schicksal wie der Stellungnahme, die Seiner Majestät im vergangenen Januar zugesandt wurde: Ihm wurde keine Beachtung geschenkt.

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Wir müssen wohl mit schwerwiegenden Ereignissen rechnen, wenn, wie ich erfahren habe, die Regierung darauf besteht, dass ihre beiden an Seine Majestät übermittelten Botschaften beantwortet werden, und es ist möglich, dass wenn Seine Majestät sich nicht ihren Bedingungen fügt, die Kammern einberufen werden und die ganze Angelegenheit vor die Vertreter des Bayerischen Volkes gebracht wird; dann kommt es möglicherweise zur Abdankung und zu einer Regentschaft unter Prinz Luitpold; nach den flüchtigen Bemerkungen, die mein deutscher Kollege mir gegenüber geäußert hat, kann ich mir vorstellen, dass ein solcher Ausgang dem Fürsten Bismarck nicht unlieb wäre, der höchstwahrscheinlich der Meinung ist, dass, wenn dieser Skandal sich fortsetzt, die kleine Flächenwolke des Sozialismus in Bayern größer werden könnte. Es besteht kein Zweifel, dass diesbezüglich bereits Schaden angerichtet wurde, da das Volk, das der Angelegenheit früher nie Beachtung schenkte, sie inzwischen zum Dauerthema von Diskussionen und Geschichten über die tatsächlichen und behaupteten Überspanntheiten des Königs macht und verbreitet.

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Quelle: The National Archives, UK, FO 9/256; abgedruckt in Markus Mößlang, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände, Bd. 2, 1884–1897. Cambridge: Cambridge University Press, 2019, S. 48385. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/B31A00FE18808B55213124841CDFF481

E. Victor Drummond an Earl of Rosebery, Nr. 16, München, 12. Juni 1886

[Per Post am 16. Juni erhalten. Für: Die Königin / Prince of Wales / Gladstone; R[osebery]]

König von Bayern begibt sich in medizinische Behandlung; Krankheitszustand für unheilbar erklärt

Ich habe die Ehre, Eurer Lordschaft mitzuteilen, dass Seine Majestät der König von Bayern sich der Obhut der Ärzte anvertraut hat, die von der Regierung ernannt wurden, um sich um Ihn zu kümmern, und die heute Morgen von Hohenschwangau aus im Schloss Berg eingetroffen sind. Schloss Berg ist ein kleines, sehr hübsch am Starnberger See gelegenes Schloss mit einem rund einhundert Acres (40 Hektar) großen, baumreichen Park, eine Stunde von München entfernt.

Viele Menschen warteten offenbar auf der Straße, um Seine Majestät bei seiner Abfahrt von Hohenschwangau zu begrüßen.

Es heißt, Er habe ihnen mit einigen wenigen berührenden Worten gedankt.

Mit Bedauern muss ich jedoch mitteilen, dass berichtet wird, die Krankheit Seiner Majestät sei nach der Überzeugung von Fachleuten unheilbar. Dem Vernehmen nach wird Er inzwischen von vier gewöhnlichen Wärtern bewacht, die einem Oberwärter unterstehen. Zwei von ihnen haben bereits Seine Königliche Hoheit, Prinz Otto von Bayern, persönlich betreut.

Es ist mir, wie ich Eurer Lordschaft versichere, eine traurige Pflicht, zu berichten, was geschehen ist, denn nicht nur ich glaube, dass die Untertanen des Königs von Bayern durch Gottes Willen (wenn auch nur für eine gewisse Zeit) jemanden verloren haben, den sie achteten und dem sie treu ergeben waren, aber ich bin überzeugt, dass Seine Majestät, wenn nicht Sein Geist angegriffen gewesen wäre, mit Seiner außergewöhnlichen Intelligenz, Seinen liberalen Ansichten und aufgeklärten Gedanken eine der beliebtesten Monarchen der neueren Zeit gewesen wäre. Alle meine Kollegen, die mit seiner Seiner Majestät sich zu unterhalten die Ehre hatten, berichten mir, dass Er so gut informiert und so unterhaltsam sei, dass sie von Seiner Majestät, wie lang ihre Audienz auch immer gedauert hatte, immer mit dem Gefühl schieden, dass die Zeit in Seiner Anwesenheit ein Vergnügen war – allerdings ein zu kurzes.

Die Geschichte, die ich berichte, wird dadurch noch trauriger, dass Ihre Majestät, die Königinmutter, krank ist, seit Sie von dem Vorfall unterrichtet wurde.

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Die Bayern sind ein ihrem Souverän und ihren Prinzen in höchstem Maße treues und ergebenes Volk, und sie werden gewiss diese Gelegenheit nicht versäumen, ihr Mitgefühl für Ihre Majestäten zu zeigen, denen sie so viel Ehrerbietung entgegenbringen.

Quelle: The National Archives, UK, FO 9/256; abgedruckt in Markus Mößlang, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände, Bd. 2, 1884–1897. Cambridge: Cambridge University Press, 2019, S. 48586. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/B31A00FE18808B55213124841CDFF481

F. Victor Drummond an Earl of Rosebery, Nr. 18, München, 14. Juni 1886

[Per Post am 16. Juni erhalten. Für: Die Königin / Prince of Wales / Gladstone / Treaty Department; Her Majesty’s condolences have been telegraphed to Mr Drummond together with the sympathies of Her Majesty’s Government; R[osebery]]

König von Bayern und Dr. Gudden ertrunken im Starnberger See aufgefunden

Ich halte mich seit einigen Tagen in einem Landgasthaus am Starnberger See, eine Stunde von München, auf. Das Gasthaus liegt nur zwanzig Minuten vom Schloss Berg entfernt, wo der König von Bayern sich befindet, seit Er Hohenschwangau verließ, wie ich Eurer Lordschaft in meiner Depesche vom 12. dieses Monats bereits berichtete.

Gestern ging ein Freund von mir, der hergereist war und den Tag mit mir verbrachte, zum Schloss herüber, um sich nach dem Zustand des Königs nach Dessen Reise zu erkundigen. Er traf dort Dr. Gudden und Baron Washington an, die Seine Majestät betreuen. Sie sagten beide, Seine Majestät habe die Nacht gut verbracht und befinde sich so wohl, wie unter den gegebenen Umständen zu erwarten, und fügten hinzu, Seine Majestät habe nicht die Absicht, sich in dieser Woche nach München zu begeben, wie gerüchteweise behauptet worden war. Um sieben Uhr am heutigen Morgen, als ich gerade nach München aufbrechen wollte, stürzte mein Diener herein und teilte mir mit, er habe soeben gehört, Seine Majestät habe sich am Abend zuvor das Leben genommen. Auf Nachfrage konnte ich nur herausfinden, dass es sich um ein Gerücht handelte. Ich schickte meinen Diener in einem Boot los, mit einer Mitteilung an Baron Washington, den Begleiter des Königs, mit der Bitte, er möge so gut sein und mir mitteilen, was an dem Bericht Wahres sei, und für den Fall, dass der Bericht zutraf, bat ich denjenigen, die vor Ort bei Seiner Majestät waren, meine aufrichtige Anteilnahme auszusprechen.

Eine Stunde später erhielt ich als Antwort auf meine Mitteilung einen Brief von Graf Tönning (eine Abschrift füge ich bei), in dem dieser das Gerücht bestätigte.

Eure Lordschaft werden verstehen, dass dies nicht nur ein Selbstmord, sondern eine Tragödie ist, denn augenscheinlich hat es zwischen dem König und dem armen Dr. Gudden, den Seine Majestät offenbar mit sich in den See hineingezogen hat, einen entsetzlichen Kampf gegeben.

Nachdem der König und Doktor Gudden aus dem Haus gegangen waren und sie länger ausblieben, wurde, wie ich soeben erfahre, nach ihnen gesucht, und als man im Park von ihnen keine Spur fand, wurde ein Gendarm zu diesem (gleich außerhalb des Parks gelegenen) Gasthaus geschickt, um den Eigentümer zu fragen, ob der König zufällig hierhergekommen war. Nachdem der Gendarm festgestellt hatte, dass es hier keine Nachricht von Ihm gebe, kehrte er zurück, und es ward Alarm geschlagen und im See gesucht, wo die Leichen aufgefunden wurden.

Weitere Einzelheiten kann ich im Augenblick nicht berichten, aber es mutet ungewöhnlich an, dass Doktor Gudden keine Vorsichtsmaßnahmen traf, denn er muss gewusst haben, wie gewalttätig der König bisweilen war, und es ist sonderbar, dass er keinen Verdacht geschöpft haben soll, als der König den Wunsch äußerte, zu dieser Nachtzeit und bei strömendem Regen einen Spaziergang im Park zu unternehmen.

Merkwürdig ist auch, dass sich zwar tagsüber überall auf dem Gelände Gendarmen aufhalten, dass aber nachts kein einziger von ihnen in Rufweite war.

Ich bin überzeugt, dass das Volksempfinden sich sehr entschieden gegen das Kabinett erklären wird – und zwar, wie ich sagen muss, meiner Meinung nach mit einigem Grund, denn dessen Vorgehensweise dürfte bei den Untertanen des verstorbenen Königs keine Zustimmung finden, weil diese der Meinung sind, dass bei Seiner Behandlung sehr rigoros verfahren wurde.

Quelle: The National Archives, UK, FO 9/256; abgedruckt in Markus Mößlang, Hrsg., British Envoys to the Kaiserreich, 2 Bände, Bd. 2, 1884–1897. Cambridge: Cambridge University Press, 2019, S. 48687. Online verfügbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/royal-historical-society-camden-fifth-series/volume/B31A00FE18808B55213124841CDFF481

Übersetzung: aus dem Englischen ins Deutsche: Andreas Bredenfeld