Kurzbeschreibung

In Teil A dieser Quelle schildert Reichskanzleichef Christoph von Tiedemann (1836-1907) die Ereignisse des 2. Juni 1878, als Kaiser Wilhelm I. von einem Attentäter schwer verwundet wurde. Bismarcks erste Reaktion auf diese Nachricht war nicht, sich nach dem Gesundheitszustand seines Königs und Kaisers zu erkundigen, sondern: „Dann müssen wir den Reichstag auflösen.“ Am nächsten Tag äußerten sich Bismarck und der preußische Kriegsminister Georg von Kameke (1817-1893) unter dem Einfluss wilder Gerüchte besorgt – doch im Grunde zuversichtlich – über die Fähigkeit der preußischen Armee, einen Aufstand auf der Straße niederzuschlagen. In Teil B erfahren wir, dass Bismarck im August 1878 weitreichende Pläne über das schließlich im Oktober 1878 verabschiedete Sozialistengesetz hinaus hatte, den Sozialdemokraten ihre grundlegenden bürgerlichen Freiheiten und ihr Wahlrecht bei den Reichstagswahlen zu entziehen. Bismarck war damals verärgert darüber, dass einige seiner Minister Details über das geplante Sozialistengesetz an die Presse weitergegeben hatten, darunter auch die Einrichtung eines Reichsamtes für Vereins- und Pressewesen, das nun aufgrund der durchgesickerten Informationen keine Chance mehr auf Akzeptanz hatte. In Teil C äußert Bismarck gegenüber Kriegsminister Kameke seine (offenbar aufrichtige) Sorge um die Zuverlässigkeit des Heeres und der Staatsdiener im Fall eines Volksaufstandes in Berlin. Ein Grund für Bismarcks Besorgnis war die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen in Berlin bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1878.

Reaktionen auf das zweite Attentat auf Kaiser Wilhelm II (Rückblick, 1910)

Quelle

A. Christoph von Tiedemann über das zweite Attentat auf Kaiser Wilhelm I.

II.

Am Sonntag, den 2. Juni, hatte Fürst Bismarck beim Frühstück erklärt, daß er heute auf den gemeinsamen Spazierritt verzichten und zu Fuß eine Promenade durch den Wald machen wolle. Graf Herbert und ich ritten deshalb allein. Wir dehnten unseren Ritt weiter aus als gewöhnlich und waren überrascht, als wir, auf die Uhr blickend, gewahrten, daß es bereits Nachmittag geworden und höchste Zeit sei, umzukehren, falls wir noch rechtzeitig zum Diner zurück sein wollten. Es wurden an jenem Tage Gäste erwartet: der Regierungspräsident v. Bötticher aus Schleswig und die beiden Herren v. Ohlendorff aus Hamburg. Wir hatten die Absicht, diese vom Bahnhof abzuholen. In gestrecktem Galopp ging es nun nach Hause.

Als wir in den Schloßhof sprengten, standen Graf Kuno Rantzau und die Gräfin Marie Bismarck, offenbar uns ungeduldig erwartend, vor der Haustür. Aus ihren verstörten Mienen ersahen wir, daß etwas Unerhörtes vorgefallen sein müsse. Rantzau hielt eine Anzahl Telegramme in der Hand, die alle dasselbe enthielten: die Nachricht, daß ein zweiter Mordversuch gegen den Kaiser verübt und das er durch Schrotschüsse schwer verwundet worden sei.[1] Es läßt sich schwer beschreiben, welchen Eindruck diese Nachricht auf uns machte. Wir waren im ersten Moment sprachlos. Dann fragte ich Rantzau, ob der Fürst schon von dem furchtbaren Ereignis unterrichtet sei. Als Rantzau dies verneinte und hinzufügte, er sei noch nicht von seinem Spaziergang zurückgekehrt, bat ich Herbert, dem Fürsten entgegenzugehen und ihm die Telegramme zu zeigen. Herbert schien hierzu jedoch keine Neigung zu haben; er meinte, es sei korrekter, wenn ich dies täte, ich sei hier im Dienste und die Telegramme hätten zum Teil offiziellen Charakter. Da ich die Berechtigung dieses Einwandes anerkennen mußte, entschloß ich mich schweren Herzens, den Fürsten aufzusuchen.

Wie ich auf dem Wege nach der Aumühle aus dem Friedrichsruher Park hinaustrat, gewahrte ich den Fürsten, der, von seinen Hunden begleitet, langsamen Schrittes über das Feld daherkam. Ich trat auf ihn zu und schloß mich ihm nach kurzer Begrüßung an. Er war in heiterster Laune und erzählte von seinen Wanderungen an diesem Tage und von der wohltuenden Wirkung, die die lange Bewegung in der Waldluft auf seine Nerven gehabt habe. Nach einer kleinen Pause sagte ich: „Es sind einige wichtige Telegramme eingelaufen“. Er antwortete im scherzenden Ton: „Sind sie so eilig, daß wir sie hier auf freiem Felde erledigen müssen?“ Ich erwiderte: „Leider! Sie enthalten eine empörende Nachricht; es ist wieder auf den Kaiser geschossen worden und dieses Mal haben die Schüsse getroffen; der Kaiser ist schwer verwundet“.

Mit einem Ruck blieb der Fürst stehen. Er stieß in heftiger Bewegung seinen Eichenstock vor sich in die Erde und sagte tiefaufatmend, wie wenn ein Geistesblitz ihn durchzuckte: „Dann lösen wir den Reichstag auf“.

Rasch schritt er nun durch den Park dem Hause zu, indem er sich im Gehen nach den Einzelheiten der verbrecherischen Tat lebhaft erkundigte. Beim Eintritt ins Haus befahl er den Dienern, alles zur Abreise nach Berlin vorzubereiten. Morgen in aller Frühe solle aufgebrochen werden.

Das Diner, zu dem inzwischen die Gäste eingetroffen waren, verlief in gedrückter Stimmung. Es lagerte wie Gewitterschwüle über der Gesellschaft. Erst gegen das Ende wurde die Unterhaltung lebhafter. Die Gäste verabschiedeten sich früher als sonst üblich. Der Fürst begab sich in sein Arbeitszimmer und ließ mich nach einigen Minuten rufen, um mir Anweisungen für mehrere Briefe zu erteilen, die an die leitenden Minister der außerpreußischen deutschen Staaten geschrieben werden sollten, und in denen die Notwendigkeit der Auflösung des Reichstags darzulegen war. Bis tief in die Nacht hinein arbeitete ich an diesen Briefen.

Am nächsten Morgen fand der Aufbruch statt. Es war ein trüber, regnerischer Tag, so recht der düsteren Stimmung entsprechend, die sich unser aller bemächtigt hatte. Die Einladung des Fürsten, mit ihm und seiner Familie in seinem Salonwagen zu fahren, lehnte ich ab. Mir war es lieber, allein zu sein, und ich fand dann auch ein Coupé, das ganz frei war.

An diese Eisenbahnfahrt werde ich zeitlebens denken; sie war reich an sensationellen Momenten. Durch die Kunde von dem Nobilingschen Mordversuche, die blitzschnell das Land durchflogen hatte, war die Phantasie des Volkes mächtig erregt worden, die wildesten und unglaublichsten Gerüchte durchschwirrten die Luft und wurden kritiklos weiterverbreitet. Auf dem Wittenberger Bahnhof drängte sich eine aufgeregte Menschenmenge an den Salonwagen des Fürsten, der sofort erkannt worden war, und rief ihm zu, es sei auch auf den Kronprinzen geschossen worden, das ganze königliche Haus sei in Gefahr. In Nauen wiederholte sich ähnliches. Hier wurde behauptet, auch Prinz Friedrich Karl sein verwundet.

Als wir in den Spandauer Bahnhof einfuhren, bemerkte der Fürst in der auch hier nach vielen Hunderten zählenden Menge mehrere bekannte Offiziere, von denen er einen heranrief, um ihn zu fragen, ob auch hierher die Gerüchte von Attentaten auf den Kronprinzen und Friedrich Karl gedrungen seien. Der Offizier bejahte das, fügte aber hinzu, es scheine sich nichts daran zu bewahrheiten. Dagegen werde jetzt erzählt, daß man unter dem königlichen Schlosse Minen entdeckt habe. Die Möglichkeit einer Revolte in Berlin scheine nicht ausgeschlossen.

Der Fürst ließ mich jetzt bitten, in seinen Salonwagen zu kommen, und sagte mir, während wir nach Berlin weiterfuhren: er halte ja die umlaufenden Gerüchte für Übertreibungen, indessen müsse man doch heutzutage auf alles gefaßt sein und es werde daher notwendig, sich gegen unliebsame Überraschungen zu schützen. Er müsse wissen, ob das militärischerseits geschehen sei. Ich möge mich daher gleich nach unserer Ankunft in Berlin zum Kriegsminister v. Kameke begeben und diesen befragen, ob und welche militärischen Anordnungen, namentlich zur Verstärkung der Berliner Garnison für den Fall eines ausbrechenden Berliner Straßenkampfes getroffen seien.

In Berlin angelangt, fuhr ich vom Bahnhof direkt nach dem Kriegsministerium. Der General v. Kameke empfing mich sofort und sagte, nachdem ich mein Anliegen vorgetragen, in seiner jovialen Weise berlinisch sprechend: „I wo! Für allens ist gesorgt. Das ist wie beim Telegraphen. Wenn ich auf diesen Knopp drücke, setzt sich die Spandauer Garnison in Bewegung, so und so viel Bataillone und Batterien, drück‘ ich jenen Knopp, so kommen die Brandenburger Bataillone, dann die Frankfurter mit so und so viel Batterien und endlich die Stettiner und mit den Stettinern kommt Caprivi, und der ist so viel wert wie zehn Bataillone“.

Mir war diese Wertschätzung Caprivis überraschend und ich erlaubte mir eine darauf hindeutende Frage.

„Ja“, antwortete Kameke, „wenn es hier wirklich losgehen sollte, wird Caprivi Kommandant von Berlin, und der versteht seine Sache. Also sagen Sie nur dem Fürsten, er solle unbesorgt sein. So leicht ließen wir uns nicht in die Luft sprengen. Die Kanaille möge nur kommen“.

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Fürst Bismarck, der sich noch am Abend nach unserer Ankunft beim Kaiser gemeldet hatte, aber auf Wunsch des Leibarztes nur wenige Minuten bei ihm geblieben war, kehrte in wehmütiger Stimmung von diesem Besuch zurück. Der Kaiser war, trotz seines Wundfiebers, wunderbar gefaßt gewesen; mit einem Versuche, zu lächeln, der ihm aber der Gesichtswunde wegen schwer geworden, hatte er in milder Weise von einem Aderlaß gesprochen, weiter habe die Verwundung keine Bedeutung; in Gottes Schickung müsse man sich still und ergeben fügen. Nur darüber hatte der Kaiser die innere Empörung nicht unterdrücken können, daß man mit Schrot auf ihn geschossen. Wenn es nur eine ehrliche Kugel gewesen wäre! Der Fürst teilte diese Empfindung. Den beiden weidgerechten Jägern schien das Attentat noch deshalb so besonders nichtswürdig, weil man auf den edlen Monarchen wie auf ein Stück niederen Wildes geschossen hatte.

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Quelle: Christoph von Tiedemann, Sechs Jahre Chef der Reichskanzlei unter dem Fürsten Bismarck. 2. Auf. Leipzig 1910, S. 266-73.

B. Bismarck an Christoph von Tiedemann (15. August 1878)

Kissingen, den 15. August 1878

Euere Hochwohlgeboren bitte ich Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheimen Rath Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial-Correspondenz amtlich publicirt wor­den ist, ehe er im Bundesrath vorgelegt war.[2]

Die Veröffentlichung präjudicirt jeder Amandirung durch uns und ist für Bay­ern und andere Dissentirende verletzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Bayern muß ich annehmen, daß letzteres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt unbedingt festhält. Württemberg und wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Princip, wohl aber angebrachter Maßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhorresciren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Funktionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen Collegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Socialismus lahm gelegt werden. Die Functionen des Reichsamts können nach meiner Auffas­sung nur durch den Bundesrat entweder direct oder durch Delegation an einen jährlich zu wählenden Ausschuß geübt werden. Der Bundesrath repräsentiert die Regierungsgewalt der Gesammt-Souveränität von Deutschland, etwa dem Staatsrathe unter anderen Verhältnissen entsprechend.

Bisher muß ich indessen annehmen, daß Bayern auf diesen für Württemberg, Sachsen und für mich persönlich annehmbaren Vorschlag nicht eingehen wird. Auch die Klausel in Nr. 3, Artikel 23, daß nur arbeitslose Individuen ausgewiesen werden dürfen, ist für den Zweck ungenügend.

Ferner bedarf das Gesetz eines Zusatzes in Betreff der Beamten dahingehend, daß die Betheiligung an socialistischer Politik die Entlassung ohne Pension nach sich zieht. Die Mehrzahl der schlecht bezahlten Subalternbeamten in Berlin, und dann der Bahnwärter, Weichensteller und ähnlicher Kategorien sind Socialisten, eine Thatsache, deren Gefährlichkeit bei Aufständen und Truppentransporten einleuchtet.

Ich halte ferner, wenn das Gesetz wirken soll, für die Dauer nicht möglich, den gesetzlich als Socialisten erweislichen Staatsbürgern das Wahlrecht, die Wählbar­keit und den Genuß der Privilegien der Reichstagsmitglieder zu lassen.

Alle dieser Verschärfungen werden, nachdem einmal die mildere Form in allen Zeitungen gleichzeitig bekanntgegeben, denselben also wohl amtlich mitgeteilt worden ist, im Reichstage sehr viel weniger Aussicht haben, als der Fall sein könnte, wenn eine mildere Version nicht amtlich bekanntgeworden wäre. Die Vorlage, so wie sie jetzt ist, wird practisch dem Socialismus nicht Schaden thun, zu seiner Unschädlichmachung keinesfalls ausreichen, namentlich, da ganz zweifellos ist, daß der Reichstag von jeder Vorlage etwas abhandelt.

Ich bedauere, daß meine Gesundheit mir absolut verbietet, mich jetzt sofort an den Verhandlungen des Bundesrathes zu betheiligen, und muß mir Vorbehalten, meine weiteren Anträge im Bundesrathe im Hinblick auf die ordentliche Reichs­tagssession im Winter zu stellen.

Quelle: Bismarck an Christoph von Tiedemann, 15. August 1878, ursprünglich aus Otto von Bismarck, Gesammelte Werke, 15 Bde. Friedrichsruher Edition. Berlin, 1924-35, Bd. 6c, herausgegeben von Werner Frauendienst, 1935, Nr. 126, S. 116-17; abgedruckt in Otto von Bismarck, Gesammelte Werke, Neue Friedrichsruher Ausabe, Abteilung III, Bd. 3, Schriften 1877-1878, herausgegeben von Michael Epkenhans und Erik Lommatzsch. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2008, Nr. 469, S. 536-37.

C. Tiedemanns Entwurf für Bismarck an Kriegsminister George von Kameke (3. September 1878)

Gastein, den 3. September 1878.

Ew. pp. erlaube ich mir bei der bevorstehenden Eröffnung des Reichs­tages um eine nochmalige Erwägung der Frage zu bitten, ob nicht eine Verstärkung der Garnison von Berlin notwendig sein wird. Die Wahlen haben gezeigt, daß sich über 50 000 Sozialdemokraten in einem Alter von über 25 Jahren in Berlin befinden und gewiß über 80 000, wenn man das bei Emeuten besonders tätige Element von unter 25 Jahren, welches die Wahllisten nicht enthalten, in Ansatz bringt. Die Nachrichten über die Wahlbewegung beweisen ferner, daß im Stande der Subaltern-Beam­ten überhaupt, namentlich im Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, aber auch in der Polizei und Schutzmannschaft die Anhänger der Sozial­demokratie stellenweise vorherrschend, überall sehr zahlreich sind. Es ist also mit Sicherheit darauf zu rechnen, daß im Falle von Unruhen der Dienst in diesen Branchen teilweise versagen wird. Bei der ausgezeich­neten Organisation der Sozialdemokratie werden die Bundesgenossen derselben unter den unteren Eisenbahnbeamten, Bahnwärter, Weichen­steller, Zugführer usw., rechtzeitig von dem beabsichtigten Ausbruch un­terrichtet sein, und Ew. pp. werden, wie ich fürchte, durch Unterbrechung sämtlicher Eisenbahn-Verbindungen an rechtzeitiger Heranziehung der auswärtigen Truppen verhindert werden. Selbst die Kommunikation innerhalb der Stadt kann bei der Zugänglichkeit von Dynamit-Patronen für jedermann durch Sprengung von Brücken wesentlich gehemmt wer­den. Aber auch wenn solche Voraussetzungen nicht zutreffen, fragt es sich, ob der Bestand der Garnison stark genug ist, um gegen eine sehr gut organisierte feindliche Masse von 50 000 Sozialdemokraten alle not­wendigen Punkte der Stadt zu besetzen und zu halten.

Ich lege mir ein Urteil über diese Fragen nicht bei und stelle dieselben ganz der verantwortlichen Erwägung Ew. pp. anheim. Der Zweck dieser Zei­len ist mehr, meiner Besorgnis Ausdruck zu geben, daß die Eisenbahn­verbindungen wegen Konnivenz des Personals bei ausbrechenden Un­ruhen unterbrochen und die Polizei- und Telegraphenbeamten nicht durchweg zuverlässig sein werden. Ueber diese mehr politischen Fragen glaube ich mein Votum Ew. pp. gegenüber abgeben zu sollen und ebenso darüber, daß ich den Ausbruch von Unruhen je nach dem Gange der Reichstagsverhandlungen nicht für unwahrscheinlich halte. Jeder Beweis dafür, daß die Regierung auf ihrer Hut ist und sich verstärkt, wird für die Verhinderung von Unruhen wirksam ins Gewicht fallen.

Anmerkungen

[1] *) In der „Politischen Geschichte der Gegenwart“ von Wilhelm Müller, 1878, wird der Hergang folgendermaßen geschildert: „Am Sonntag, den 2. Juni, fuhr der Kaiser, allein im Wagen sitzend, in der Straße Unter den Linden dem Brandenburger Tore zu. Es war gegen drei Uhr, von einem Fenster des zweiten Stockwerks des Hauses Nr. 18 fielen rasch nacheinander zwei Schüsse; der Kaiser wurde durch mehrere Schrotkörner und Rehposten im Gesicht, in den Armen und anderen Körperteilen verwundet; der Wagen wandte um und fuhr langsam nach dem Palais zurück. „Ich begreife nicht, warum immer auf mich geschossen wird“, äußerte der Kaiser, als er ins Palais zurückgekehrt war. Der Attentäter war Dr. Karl Nobiling, im Jahre 1848 als der Sohn eines Domänenpächters in Kollm bei Birnbaum geboren. Er widmete sich der Landwirtschaft, studierte in Halle und Leipzig und erwarb sich auf letzterer Universität den Doktortitel. Dieser exzentrische, vom Größenwahn ergriffene Mensch studierte sozialdemokratische Schriften, besuchte sozialdemokratische Versammlungen, bezeichnete sich selbst seinen Kommilitonen gegenüber als einen Sozialdemokraten und war unter denselben unter dem Namen „Petrolist“ und „Kommunist“ bekannt.
[2] Stolberg hatte am 13. August 1878 den Entwurf zum Sozialistengesetz im Bundesrat eingebracht. Eulenburg ließ den bis dahin geheim gehaltenen Entwurf bereits am 14. August in der „Provincial-Correspondenz“ publizieren, obwohl die amtlichen Beratungen an diesem Tag gerade erst begonnen hatten.

Quelle: Otto von Bismarck, Gesammelte Werke, 15 Bände, Friedrichsruher Ausgabe. Berlin, 1924-35, Bd. 6c, hg. Werner Frauendienst, 1935, Nr. 129, S. 119-20; nachgedructk in Otto von Bismarck, Werke in Auswahl, 8 Bände., hg. Gustav Adolf Rein et al., Bd. 6, Reichsgestaltung und Europäische Friedenswahrung, Zweiter Teil: 1877-1882, hg. Alfred Milatz (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001), S. 193-94.