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Seine Majestät der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes, Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main belegenen Theile des Großherzogthums Hessen, schließen einen ewigen Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich führen und wird nachstehende Verfassung haben.
VERFASSUNG DES DEUTSCHEN REICHS
Absatz I. Bundesgebiet
Art. 1
Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen
mit Lauenburg, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen,
Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz,
Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg,
Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt,
Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß älterer Linie, Reuß
jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und
Hamburg.
Absatz II. Reichsgesetzgebung
Art. 2
Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das
Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung
und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen
vorgehen. Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch
ihre Verkündigung von Reichswegen, welche vermittelst eines
Reichsgesetzblattes geschieht. Sofern nicht in dem publizirten
Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft
bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach
dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des
Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.
Art. 3
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames
Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan,
Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen
Bundesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen
Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Ämtern, zur
Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes
und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter
denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in
Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben
gleich zu behandeln ist.
Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit seiner Heimath, oder durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschränkt werden. Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz ausgesprochenen Grundsatz nicht berührt.
Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Verträge in Kraft, welche zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Übernahme von Auszuweisenden, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehörigen bestehen.
Hinsichtlich der Erfüllung der Militairpflicht im Verhältniß zu dem Heimathslande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das Nöthige geordnet werden.
Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reichs.
Art. 4
Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der
Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden
Angelegenheiten:
1. die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimaths- und
Niederlassungs-Verhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und
Fremdenpolizei und über den Gewerbebetrieb, einschließlich des
Versicherungswesens, soweit die Gegenstände nicht schon durch den
Artikel 3. dieser Verfassung erledigt sind, in Bayern jedoch mit
Ausschluß der Heimaths- und Niederlassungs-Verhältnisse,
desgleichen über die Kolonisation und die Auswanderung nach
außerdeutschen Ländern;
2. die Zoll- und Handelsgesetzgebung
und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern;
3.
die Ordnung des Maaß-, Münz- und Gewichtssystems, nebst
Feststellung der Grundsätze über die Emission von fundirtem und
unfundirtem Papiergelde;
4. die allgemeinen Bestimmungen über
das Bankwesen;
5. die Erfindungspatente;
6. der Schutz
des geistigen Eigenthums;
7. Organisation eines gemeinsamen
Schutzes des Deutschen Handels im Auslande, der Deutschen
Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer
konsularischer Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet
wird;
8. das Eisenbahnwesen, in Bayern vorbehaltlich der
Bestimmung im Artikel 46., und die Herstellung von Land- und
Wasserstraßen im Interesse der Landesvertheidigung und des
allgemeinen Verkehrs;
9. der Flößerei- und Schiffahrtsbetrieb
auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen und der Zustand
der letzteren, sowie die Fluß- und sonstigen Wasserzölle;
10.
das Post- und Telegraphenwesen, jedoch in Bayern und Württemberg
nur nach Maßgabe der Bestimmung im Artikel 52;
11.
Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von
Erkenntnissen in Civilsachen und Erledigung von Requisitionen
überhaupt;
12. sowie über die Beglaubigung von öffentlichen
Urkunden;
13. die gemeinsame Gesetzgebung über das
Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das
gerichtliche Verfahren;
14. das Militairwesen des Reichs und
die Kriegsmarine;
15. Maßregeln der Medizinal- und
Veterinairpolizei;
16. die Bestimmungen über die Presse und
das Vereinswesen.
Art. 5
Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den
Bundesrath und den Reichstag. Die Übereinstimmung der
Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem
Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.
Bei Gesetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegsmarine und die im Artikel 35. bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für die Aufrechthaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht.
Absatz III. Bundesrath
Art. 6
Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der
Mitglieder des Bundes, unter welchen die Stimmführung sich in der
Weise vertheilt, daß Preußen mit den ehemaligen Stimmen von
Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen
führt,
Bayern 6
Sachsen 4
Württemberg 4
Baden
3
Hessen 3
Mecklenburg-Schwerin 2
Sachsen-Weimar
1
Mecklenburg-Strelitz 5
Oldenburg 1
Braunschweig
2
Sachsen-Meiningen 1
Sachsen-Altenburg
1
Sachsen-Koburg-Gotha 1
Anhalt
1
Schwarzburg-Rudolstadt 1
Schwarzburg-Sondershausen
1
Waldeck 1
Reuß älterer Linie 1
Reuß jüngerer
Linie 1
Schaumburg-Lippe 1
Lippe 1
Lübeck
1
Bremen 1
Hamburg 1
zusammen 58 Stimmen
Jedes Mitglied des Bundes kann so viel Bevollmächtigte zum Bundesrathe ernennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden.
Art. 7
Der Bundesrath beschließt:
1. über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von
demselben gefaßten Beschlüsse;
2. über die zur Ausführung der
Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften
und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes
bestimmt ist;
3. über Mängel, welche bei der Ausführung der
Reichsgesetze oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder
Einrichtungen hervortreten.
Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu übergeben.
Die Beschlußfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Artikeln 5, 37, und 78, mit einfacher Mehrheit. Nicht vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt. Bei Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme den Ausschlag.
Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist.
Art. 8
Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde
Ausschüsse
1. für das Landheer und die Festungen;
2. für das
Seewesen;
3. für Zoll- und Steuerwesen;
4. für Handel
und Verkehr;
5. für Eisenbahnen, Post und
Telegraphen;
6. für Justizwesen;
7. für
Rechnungswesen.
In jedem dieser Ausschüsse werden außer dem Präsidium mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, und führt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine Stimme. In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen hat Bayern einen ständigen Sitz, die übrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des Ausschusses für das Seewesen werden vom Kaiser ernannt; die Mitglieder der anderen Ausschüsse werden von dem Bundesrathe gewählt. Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes resp. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind.
Außerdem wird im Bundesrathe aus den Bevollmächtigten der Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg und zwei, vom Bundesrathe alljährlich zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten ein Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten gebildet, in welchem Bayern den Vorsitz führt.
Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nöthigen Beamten zur Verfügung gestellt.
Art. 9
Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im
Reichstage zu erscheinen und muß daselbst auf Verlangen jederzeit
gehört werden, um die Ansichten seiner Regierung zu vertreten,
auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrathes nicht
adoptirt worden sind. Niemand kann gleichzeitig Mitglied des
Bundesrathes und des Reichstages sein.
Art. 10
Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des
Bundesrathes den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.
Absatz IV. Präsidium
Art. 11
Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von
Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. Der Kaiser
hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs
Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere
Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen
und zu empfangen.
Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Insoweit die Verträge mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich.
Art. 12
Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den
Reichstag zu berufen zu eröffnen, zu vertagen und zu
schließen.
Art. 13
Die Berufung des Bundesrathes und des Reichstages
findet alljährlich statt und kann der Bundesrath zur Vorbereitung
der Arbeiten ohne den Reichstag, letzterer aber nicht ohne den
Bundesrath berufen werden.
Art. 14
Die Berufung des Bundesrathes muß erfolgen, sobald
sie von einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird.
Art. 15
Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der
Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu
ernennen ist.
Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen.
[…]
Absatz V. Reichstag
Art. 20
Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten
Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor.
Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 vorbehalten ist, werden in Bayern 48, in Württemberg 17, in Baden 14, in Hessen südlich des Main 6 Abgeordnete gewählt, und beträgt demnach die Gesammtzahl der Abgeordneten 382.
Art. 21
Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den
Reichstag.
Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs- oder Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen.
Art. 22
Die Verhandlungen des Reichstages sind öffentlich.
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen
Sitzungen des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit
frei.
Art. 23
Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der
Kompetenz des Reichs Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete
Petitionen dem Bundesrathe resp. Reichskanzler zu überweisen.
Art. 24
Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei
Jahre. Zur Auflösung des Reichstages während derselben ist ein
Beschluß des Bundesrathes unter Zustimmung des Kaisers
erforderlich.
Art. 25
Im Falle der Auflösung des Reichstages müssen
innerhalb eines Zeitraumes von 60 Tagen nach derselben die Wähler
und innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der Auflösung der
Reichstag versammelt werden.
Art. 26
Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung
desselben die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während
derselben Session nicht wiederholt werden.
Art. 27
Der Reichstag prüft die Legitimation seiner
Mitglieder und entscheidet darüber. Er regelt seinen Geschäftsgang
und seine Disziplin durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt
seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und Schriftführer.
Art. 28
Der Reichstag beschließt nach absoluter
Stimmenmehrheit. Zur Gültigkeit der Beschlußfassung ist die
Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder
erforderlich.
Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Mitglieder gezählt, die in Bundesstaaten gewählt sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist.
Art. 29
Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des
gesammten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht
gebunden.
Art. 30
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer
Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines
Berufes gethanen Äußerungen gerichtlich oder disziplinarisch
verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung
gezogen werden.
Art. 31
Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein
Mitglied desselben während der Sitzungsperiode wegen einer mit
Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet
werden, außer wenn es bei Ausübung der That oder im Laufe des
nächstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei
einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich.
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs- oder Civilhaft für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben.
Art. 32
Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche
keine Besoldung oder Entschädigung beziehen.
Absatz VI. Zoll- und Handelswesen
Art. 33
Deutschland bildet ein Zoll- und Handelsgebiet,
umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze. Ausgeschlossen bleiben
die wegen ihrer Lage zur Einschließung in die Zollgrenze nicht
geeigneten einzelnen Gebietstheile.
Alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich sind, können in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen.
Art. 34
Die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem
Zweck entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes
bleiben als Freihäfen außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze,
bis sie ihren Einschluß in dieselbe beantragen.
[…]
Absatz VII. Eisenbahnwesen
Art. 41
Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung
Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für
nothwendig erachtet werden, können kraft eines Reichsgesetzes auch
gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren Gebiet die
Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte,
für Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur
Ausführung konzessionirt und mit dem Expropriationsrechte
ausgestattet werden.
Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den Anschluß neu angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen.
Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn-Unternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- oder Konkurrenzbahnen einräumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, für das ganze Reich hierdurch aufgehoben. Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in den künftig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden.
Art. 42
Die Bundesregierungen verpflichten sich, die
Deutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie
ein einheitliches Netz verwalten und zu diesem Behuf auch die neu
herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen anlegen und
ausrüsten zu lassen.
[…]
Absatz VIII. Post- und Telegraphenwesen
Art. 48
Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden für
das gesammte Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche
Staatsverkehrs-Anstalten eingerichtet und verwaltet.
Die im Artikel 4. vorgesehene Gesetzgebung des Reichs in Post- und Telegraphen-Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstände, deren Regelung nach den in der Norddeutschen Post- und Telegraphen-Verwaltung maßgebend gewesenen Grundsätzen der reglementarischen Festsetzung oder administrativen Anordnung überlassen ist.
[…]
Art. 51
Bei Überweisung des Überschusses der
Postverwaltung für allgemeine Reichszwecke (Art. 49) soll, in
Betracht der bisherigen Verschiedenheit der von den
Landes-Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten
Reineinnahmen, zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung
während der unten festgesetzten Übergangszeit folgendes Verfahren
beobachtet werden. Aus den Postüberschüssen, welche in den
einzelnen Postbezirken während der fünf Jahre 1861 bis 1865
aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher Jahresüberschuß
berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk an
dem für das gesammte Gebiet des Reichs sich darnach
herausstellenden Postüberschusse gehabt hat, nach Prozenten
festgestellt.
Nach Maßgabe des auf diese Weise festgestellten Verhältnisses werden den einzelnen Staaten während der auf ihren Eintritt in die Reichs-Postverwaltung folgenden acht Jahre die sich für sie aus den im Reiche aufkommenden Postüberschüssen ergebenden Quoten auf ihre sonstigen Beiträge zu Reichszwecken zu Gute gerechnet.
Nach Ablauf der acht Jahre hört jene Unterscheidung auf, und fließen die Postüberschüsse in ungetheilter Aufrechnung nach dem im Artikel 49. enthaltenen Grundsatz der Reichskasse zu. Von der während der vorgedachten acht Jahre für die Hansestädte sich herausstellenden Quote des Postüberschusses wird alljährlich vorweg die Hälfte dem Kaiser zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunächst die Kosten für die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestädten zu bestreiten.
[…]
Absatz IX. Marine und Schiffahrt
Art. 53
Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche
unter dem Oberbefehl des Kaisers. Die Organisation und
Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser ob, welcher die
Offiziere und Beamten der Marine ernennt, und für welchen
dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen
sind.
Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshäfen.
Der zur Gründung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zusammenhängenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskasse bestritten.
Die gesammte seemännische Bevölkerung des Reichs, einschließlich des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere befreit, dagegen zum Dienste in der Kaiserlichen Marine verpflichtet.
Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach Maßgabe der vorhandenen seemännischen Bevölkerung statt, und die hiernach von jedem Staate gestellte Quote kommt auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung.
Absatz X. Konsulatwesen
Art. 56
Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Reichs
steht unter der Aufsicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach
Vernehmung des Ausschusses des Bundesrathes für Handel und
Verkehr, anstellt.
In dem Amtsbezirk der Deutschen Konsuln dürfen neue Landeskonsulate nicht errichtet werden. Die Deutschen Konsuln üben für die in ihrem Bezirk nicht vertretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. Die sämmtlichen bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der Deutschen Konsulate dergestalt vollendet ist, daß die Vertretung der Einzelinteressen aller Bundesstaaten als durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundesrathe anerkannt wird.
Absatz XI. Reichskriegswesen
Art. 57
Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in
Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen.
Art. 58
Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens
des Reichs sind von allen Bundesstaaten und ihren Angehörigen
gleichmäßig zu tragen, so daß weder Bevorzugungen, noch
Prägravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsätzlich
zulässig sind. Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in
natura nicht herstellen läßt, ohne die öffentliche Wohlfahrt zu
schädigen, ist die Ausgleichung nach den Grundsätzen der
Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen.
Art. 59
Jeder wehrfähige Deutsche gehört sieben Jahre
lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28.
Lebensjahre, dem stehenden Heere – und zwar die ersten drei Jahre
bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der Reserve – und die
folgenden fünf Lebensjahre der Landwehr an. In denjenigen
Bundesstaaten, in denen bisher eine längere als zwölfjährige
Gesammtdienstzeit gesetzlich war, findet die allmälige
Herabsetzung der Verpflichtung nur in dem Maaße statt, als dies
die Rücksicht auf die Kriegsbereitschaft des Reichsheeres zuläßt.
In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich
diejenigen Bestimmungen maßgebend sein, welche für die
Auswanderung der Landwehrmänner gelten.
Art. 60
Die Friedens-Präsenzstärke des Deutschen Heeres
wird bis zum 31. Dezember 1871 auf Ein Prozent der Bevölkerung von
1867 normirt, und wird pro rata derselben von den einzelnen
Bundesstaaten gestellt. Für die spätere Zeit wird die
Friedens-Präsenzstärke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung
festgestellt.
[…]
Art. 62
Zur Bestreitung des Aufwandes für das gesammte
Deutsche Heer und die zu demselben gehörigen Einrichtungen sind
bis zum 31. Dezember 1871 dem Kaiser jährlich sovielmal 225
Thaler, in Worten zweihundert fünf und zwanzig Thaler, als die
Kopfzahl der Friedensstärke des Heeres nach Artikel 60. beträgt,
zur Verfügung zu stellen. Vergl. Abschnitt XII.
Nach dem 31. Dezember 1871 müssen diese Beiträge von den einzelnen Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. Zur Berechnung derselben wird die im Artikel 60. interimistisch festgestellte Friedens-Präsenzstärke so lange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeändert ist.
Die Verausgabung dieser Summe für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen wird durch das Etatgesetz festgestellt.
Bei der Feststellung des Militair-Ausgabe-Etats wird die auf Grundlage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu Grunde gelegt.
Art. 63
Die gesammte Landmacht des Reichs wird ein
einheitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehle des Kaisers steht.
Die Regimenter etc, führen fortlaufende Nummern durch das ganze Deutsche Heer. Für die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Königlich Preußischen Armee maßgebend. Dem betreffenden Kontingentsherrn bleibt es überlassen, die äußeren Abzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen.
Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu tragen, daß innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vorhanden sind und daß Einheit in der Organisation und Formation, in Bewaffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. Zu diesem Behuf ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen und die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen.
Der Kaiser bestimmt den Präsenzstand, die Gliederung und Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation der Landwehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen zu bestimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen.
Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppentheile des Deutschen Heeres sind die bezüglichen künftig ergehenden Anordnungen für die Preußische Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente, durch den Artikel 8. Nr. 1 bezeichneten Ausschuß für das Landheer und die Festungen, zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzutheilen.
Art. 64
Alle Deutsche Truppen sind verpflichtet, den
Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese
Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen.
Der Höchstkommendirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten werden von dem Kaiser ernannt. Die von Demselben ernannten Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. Bei Generalen und den Generalstellungen versehenden Offizieren innerhalb des Kontingents ist die Ernennung von der jedesmaligen Zustimmung des Kaisers abhängig zu machen.
Der Kaiser ist berechtigt, Behufs Versetzung mit oder ohne Beförderung für die von Ihm im Reichsdienste, sei es im Preußischen Heere, oder in anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des Reichsheeres zu wählen.
[…]
Art. 66
Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes
bestimmen, ernennen die Bundesfürsten, beziehentlich die Senate
die Offiziere ihrer Kontingente, mit der Einschränkung des
Artikels 64. Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehörenden
Truppentheile und genießen die damit verbundenen Ehren. Sie haben
namentlich das Recht der Inspizirung zu jeder Zeit und erhalten,
außer den regelmäßigen Rapporten und Meldungen über vorkommende
Veränderungen, Behufs der nöthigen landesherrlichen Publikation,
rechtzeitige Mittheilung von den die betreffenden Truppentheile
berührenden Avancements und Ernennungen.
Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht blos ihre eigenen Truppen zu verwenden, sondern auch alle anderen Truppentheile des Reichsheeres, welche in ihren Ländergebieten dislocirt sind, zu requiriren.
[…]
Absatz XII. Reichsfinanzen
Art. 69
Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs müssen für
jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushalts-Etat gebracht
werden. Letzterer wird vor Beginn des Etatjahres nach folgenden
Grundsätzen durch ein Gesetz festgestellt.
Art. 70
Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben
dienen zunächst die etwaigen Überschüsse der Vorjahre, sowie die
aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus
dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen
Einnahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt
werden, sind sie, solange Reichssteuern nicht eingeführt sind,
durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer
Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen
Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden.
Art. 71
Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der
Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen
auch für eine längere Dauer bewilligt werden.
Während der im Artikel 60 normirten Übergangszeit ist der nach Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrathe und dem Reichstage nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vorzulegen.
[…]
Absatz XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen
Art. 74
Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die
Integrität, die Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen
Reichs, endlich die Beleidigung des Bundesrathes, des Reichstages,
eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages, einer
Behörde oder eines öffentlichen Beamten des Reichs, während
dieselben in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind oder in
Beziehung auf ihren Beruf, durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen,
bildliche oder andere Darstellung, werden in den einzelnen
Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach Maßgabe der in den
letzteren bestehenden oder künftig in Wirksamkeit tretenden
Gesetze, nach welchen eine gleiche gegen den einzelnen
Bundesstaat, seine Verfassung, seine Kammern oder Stände, seine
Kammer- oder Ständemitglieder, seine Behörden und Beamten
begangene Handlung zu richten wäre.
[…]
Art. 76
Streitigkeiten zwischen verschiedenen
Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtlicher Natur und
daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind,
werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe
erledigt.
Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Theiles der Bundesrath gütlich auszugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen.
[…]
Absatz XIV. Allgemeine Bestimmungen
Art. 78
Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege der
Gesetzgebung. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14
Stimmen gegen sich haben.
Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden.
Quelle: Verfassung des Deutschen Reichs, 16. April 1871, veröffentlicht am 20. April 1871 im Reichsgesetzblatt (1871), S. 63ff.; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, 3. überarbeit. Aufl., Bd. 2, 1851–1900. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1986, S. 384–402; ferner veröffentlicht in Holger Bussek et al., Hrsg., Deutsche Verfassungen, CD-ROM. Berlin: heptagon, 2004.